Neue Grenzwerte für THC im Straßenverkehr lassen viele Fragen offen

Gut drei Monate nach der Teil-Legalisierung haben Bundestag und Bundesrat eine Anpassung der https://www.arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de/2024/05/20/acm-mitteilungen-vom-18-mai-2024/#1 Straßenverkehrsordnung (StVO) an die neue Gesetzeslage beschlossen. Doch die Expert:innenkommission zur Grenzwertfindung zeigt sich enttäuscht: ihre zahlreichen Vorschläge wurden nur teilweise berücksichtigt. Wie ist nun die aktuelle Lage?

Anfang Juni haben Bundestag und Bundesrat eine Anpassung der StVO an die neue Gesetzeslage beschlossen. Der bisherige Grenzwert von 1 Nanogramm (ng) THC pro Milliliter Blutserum wurde durch den neuen Grenzwert von 3,5 ng THC pro Milliliter Blutserum ersetzt. Für Heranwachsende unter 21 gilt mit Inkrafttreten der Reform “Zero Tolerance”, also ein Grenzwert von 0,0 ng. Nachdem der Bundestag der Änderung am 5. Juli zugestimmt hatte, werden die neuen Grenzwerte voraussichtlich im Spätsommer in Kraft treten. Bis dahin gilt für Verkehrsteilnehmende der alte Grenzwert von 1 ng/ml Blutserum. Doch während die Koalition die neue Regelung als Erfolg verbucht, ist die von der Regierung beauftragte “interdisziplinäre Expertengruppe” zur Grenzwertfindung ob des Ergebnisses enttäuscht. Denn von den zahlreichen Anregungen und Vorschlägen der siebenköpfigen Gruppe schaffte es nur ein Bruchteil in den mittlerweile verabschiedeten Gesetzentwurf.

Expert:innengruppe ist mit dem Ergebnis unzufrieden
Zwar sei der neue Grenzwert von 3,5 ng auch Teil ihres Vorschlags gewesen, aber nicht das zentrale Element: „Im Detail geht es darum, dass der Grenzwert eigentlich nicht das zentrale Element des Vorschlags gewesen ist, sondern ein Speichelvortest. Dabei ging es um eine Anlage, eine kurze Version der Langfassung sowie den Text im niederländischen Gesetz, in dem dieser Vortest verankert ist. Mit dem Vortest werden falsch Positive aussortiert. Man kann dann 5 oder 20 ng/ml THC Blutserum haben und gilt trotzdem als fahrsicher, wenn der Speicheltest negativ ist und anzeigt, dass beispielsweise 6-8 Stunden vorher kein Cannabis konsumiert worden ist, je nach Empfindlichkeit des Testes“, erklärt Kommissionsmitglied Dr. Franjo Grotenhermen.

Der Gesetzgeber hat anscheinend den niedrigsten Wert aus dem 12-seitigen Gutachten herausgefischt, um ihn als neue, allgemeingültige Obergrenze zu definieren. Dabei ist das ursprüngliche Ziel, Cannabis und Alkohol im Rahmen der Straßenverkehrs- sowie der Fahrerlaubnisverordnung gleichzustellen, aus dem Fokus geraten: Der jetzt festgelegte Grenzwert von 3,5ng entspricht laut der Expert:innenkommission ungefähr einem Blutalkoholwert von 0,2 Promille. Wer also mit mehr als 3,5 ng THC/ml Blutserum oder mit über 0,5 Promille fährt, bewegt sich bis zu einem Wert von 1,1 Promille im Bereich einer Ordnungswidrigkeit. Für eine Ordnungswidrigkeit gibt es beim ersten Vergehen auch keine Aufforderung zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), im Volksmund auch als Idiotentest bekannt. Trotzdem ist eine solche Drogenfahrt nicht gerade folgenlos, weil man dafür 500 Euro Geldbuße, zwei Punkte in Flensburg sowie einen Monat Fahrverbot erhält. Mischkonsum ist per se untersagt. Wer mit Alkohol und THC im Blut erwischt wird, begeht –  abhängig von den Blutwerten – eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat.

Die MPU bleibt ein cannaphobes Damokles-Schwert
Doch während bei einer Alkoholfahrt keine weiteren Konsequenzen drohen, können Cannabiskonsumierende – dank einer verklausulierten Formulierung im neuen Gesetz – weiterhin eine Vorladung zur MPU erhalten und dadurch den Führerschein auf unbestimmte Zeit verlieren. Eine MPU kann immer noch angeordnet werden, wenn:„[…] ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender, verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs vorliegt.“ Vor der Reform stand dort: „[…] das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit betreffender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können.“

Die neue Rechtslage, wer aus welchen Gründen zur MPU muss, ist bei Cannabis weiterhin ähnlich unscharf wie die alte. Es liegt demnach weiterhin im Ermessen der kontrollierenden Beamt:innen und der Führerscheinbehörden, ob neben der Ordnungsbuße für die einmalige Rauschfahrt weiteres Ungemach in Form eines Idiotentests droht. Das ist, als ob Verkehrsteilnehmende ab einem Wert von 0,2 Promille eine Vorladung zur MPU befürchten müssten. Die Erhöhung auf 3,5 ng war überfällig und in der Koalition unumstritten, allerdings können nicht bekiffte Fahrer:innen aufgrund des fehlenden Speicheltests und der zuvor erwähnten „MPU-Klausel“ weiterhin die Fahrerlaubnis verlieren. Einen zur Vermeidung dieses Szenarios von der interdisziplinären Expert:innengruppe empfohlenen Speichelvortests hatten die SPD-Vertreter:innen im Verkehrsausschuss abgelehnt, während Grüne und FDP dem Vorschlag durchaus offen gegenüber gestanden hatten.

Grenzwertbestimmung komplizierter als bei Alkohol
In ihrem Gutachten haben die Expert:innen festgestellt, dass Cannabis, anders als Alkohol, nicht linear abgebaut wird. Das wiederum hat der zuständige Ausschuss beim Ausarbeiten des Gesetzentwurfs zum Anlass genommen, sich lediglich mit den niedrigsten aller im Gutachten erwähnten THC-Werte zu befassen, um diesen zum allgemein gültigen Grenzwert zu erklären. Ein Blick in das Papier offenbart jedoch, dass die Expert:innen zwar auf das im Vergleich mit Alkohol komplexere Abbauverhalten von THC hinweisen, jedoch andere Lösungen hierfür fordern und auch vorschlagen. Dabei geht es nicht um den bereits erwähnten Speichelvortest, der bekiffte und unbekiffte Fahrer:innen wie in den Niederlanden innerhalb weniger Sekunden voneinander trennt.

Es geht aber auch darum, Begriffe wie relative Fahruntüchtigkeit, absolute Fahruntüchtigkeit, die Abgrenzung zur Straftat sowie einen Wert, der 0,5 Promille Blutalkohol entspricht, zu benennen. Denn die Expert:innengruppe hatte sich über all solche Details bereits im Vorfeld Gedanken gemacht und einen Vorschlag, der all das berücksichtigt, für das Parlament  ausgearbeitet. So findet man in dem Papier, dass 0,5 Promille ungefähr einem Wert von sieben Nanogram entsprechen. Beim Spurhalten sind es sogar 10 ng THC, die einer Beeinflussung von 0,5 Promille entsprechen. Wer mit 13,8-18,4 ng unterwegs ist, hat laut der Expert:innen ähnliche Beeinträchtigungen wie eine Person mit 0,8 Promille. Der Deutsche Anwalt Verein (DAV) forderte als Pendant zu den 0,5 Promille aufgrund dieser Erkenntnisse einen abgestuften Grenzwert von 4-16 ng THC.

„Wissen­schaftliche Studien belegen, dass erst ab einem THC-Wert von 2 – 4 ng/ml überhaupt von einer Beeinträch­tigung gesprochen werden kann und zudem eine der Promil­le­grenze von 0,5 Promille vergleichbare Größen­ordnung von 4 – 16 ng/ml vorliegen müsste”, so Rechts­anwalt Andreas Krämer von der DAV-Arbeits­ge­mein­schaft Verkehrsrecht in einer Pressemeldung. Folgt man den Ausführungen der sieben Expert:innen zu den Werten eines in den Niederlanden seit Jahren erfolgreich eingesetzten Speichelvortests, scheint die Forderung des DAV näher an der Kommission zu sein als das reformierte Gesetz. Allerdings wurde die Expert:innengruppe nicht vom DAV, sondern vom Verkehrsministerium beauftragt.

Vier gegen einen? 0,3; 0,5; 1,1 und 1,6 Promille vs 3,5 ng
Zwar gilt bei Alkohol grundsätzlich die 0,5 Promille-Grenze, aber trotzdem unterteilt die Rechtsprechung hier ein wenig genauer:

Da der Gesetzgeber auf eine Definition dieser juristisch sowie versicherungstechnisch wichtigen Werte bei Cannabis verzichtet hat, werden sich Gerichte in naher Zukunft damit beschäftigen müssen, welche THC-Grenzwerte neben den 3,5 ng zukünftig definiert werden müssen, um eine Rechtsgleichheit mit Alkoholfahrten sicherzustellen. Insbesondere die fehlende Definition der relativen und der absoluten Fahruntüchtigkeit bei Cannabis ist problematisch. Erst wenn Gerichte über das Thema entscheiden sollen, werden die Vorschläge der interdisziplinären Expert:innengruppe Gehör finden.

Die Expertinnengruppe hat ein Jahr gearbeitet und dem Parlament dabei auch sehr differenzierte Vorschläge zur Lösung der zuvor erwähnten Probleme und Hindernisse bei der Umsetzung unterbreitet. Leider hat es ein großer Teil dieser Ideen nicht ins Gesetz geschafft. Also werden Richterinnen und Richter wieder einmal geraderücken müssen, was ein Gesetzgeber mit ein paar Federstrichen umsetzen könnte – sofern der politische Wille vorhanden ist.

Angst vor hohen Zahlen?
Vielleicht hat auch die Angst vor zu hohen Zahlen eine Übernahme der Vorschläge verhindert? Denn das von der Kommission vorgeschlagene Vorgehen hätte Deutschland, insbesondere beim Speichelvortest, im internationalen Vergleich relativ hohe Grenzwerte beschert. Da schon die Grenzwerterhöhung auf 3,5 ng innerhalb der Ampel, insbesondere der SPD-Fraktion, ohnehin umstritten war, war eine Übernahme gut vorbereiteter Expertise politisch nicht durchsetzbar. Um sich nicht vorwerfen zu lassen, man habe die Expert:innen ignoriert, beruft sich das neue Gesetz zwar auf deren Einschätzung, lässt aber viele ihrer Vorschläge einfach weg. Frei nach dem Motto: ich esse nur, was mir schmeckt, der Rest geht zurück.

Da bei Cannabis lediglich ein Wert definiert wurde, bei dem nicht einmal ganz klar ist, wie Gerichte dessen Überschreitung in Zukunft bewerten, müssen Autofahrende wohl noch eine ganze Weile warten, bevor eine ähnlich sichere und genau durchdeklinierte Rechtslage wie bei Alkohol herrscht.

Und was gilt für Patient:innen?
Für Cannabis-Patient:innen ist die Reform nicht relevant. Aber sie können sich trotz einer positiven Stellungnahme der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ihres Führerscheins nicht sicher sein. Eigentlich gilt für medizinisches Cannabis genau das Gleiche wie für  verschreibungspflichtige Betäubungsmittel. Denn weder vom Arzt verordnetes Tilidin, Ritalin noch Critical Kush aus der Apotheke schließen die Fahreignung per se aus. Hier gilt:

Natürlich ist hier, wie bei allen anderen verschreibungsfähigen Medikamenten auch, ein Missbrauch nicht vollends auszuschließen. Den gibt es aber auch bei den legalen Varianten von Speed (Amphetamine), Opiaten und Opioiden.


Quellenverzeichnis:

Das neue Gesetz im Wortlaut:
Bundesrat, (2024, Juli 05). Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften  https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2024/0301-0400/321-24(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1 

Das Papier der Kommission (“Expertengruppe):
Prof. Dr. med. Backmund, M. et al., (2024, März). Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a Straßenverkehrsgesetz) 
https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/cannabis-expertengruppe-langfassung.pdf?__blob=publicationFile

Ein Jahr Arbeitsgruppe:
Suliak, H., (2023, Juni 22). Wissing gründet Arbeitskreis. Legal Tribune Online. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/cannabis-grenzwert-thc-anhebung-wissing-bmdv-arbeitsgruppe-legalisierung/

Die SPD blockiert:
Micha, (2024, Mai 30). Nicht bekifft und trotzdem MPU? Die Ampel ignoriert ihre eigenen Experten! [Video]. YouTube.
https://www.youtube.com/watch?v=qZXWERylj4Y&t=14s

Anwaltverein fordert 4-16 ng:
Deutscher Anwalt Verein, (2022, August 17). PM VGT 2/22: Verkehrs­rechts­anwälte: Nur berauschte Fahrer krimina­li­sieren.
https://anwaltverein.de/de/newsroom/pm-vgt-2-22-verkehrsrechtsanwaelte-nur-berauschte-fahrer-kriminalisieren     

Absolute und relative Fahruntüchtigkeit:
ADAC, (2024, Februar 21). Alkohol am Steuer: Strafen und Promillegrenze im Auto. https://www.adac.de/verkehr/recht/verkehrsvorschriften-deutschland/promillegrenze-auto/

Studie zum vorgeschlagenen Speichelvortest:
Robertson, M.B. et al., (2022, Mai 16).  Correlation between oral fluid and blood THC concentration: A systematic review and discussion of policy implications.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35640367/

Stellungnahme BASt zu med. Cannabis:
Dr. Knoche, A., (2014, Januar 15). Straßenverkehrssicherheitsforschung. https://old.cannabis-med.org/german/fuehrerschein_bast_2014


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik

Microseeds in aller Munde: Woher kommen die “Minisamen” im Medizinalcannabis?

Ein aktuell in der Medizinalcannabis-Welt heiß diskutiertes Thema sind sogenannte “Microseeds”. Sie sind ein unangenehmer Störfaktor, scheinen sich auch immer häufiger in medizinischen Cannabisblüten zu verstecken und sorgen somit für Gesprächsstoff innerhalb der Community. Das Feedback unserer Patienten und Patientinnen ist uns sehr wichtig, daher haben wir uns dem Thema ausführlich gewidmet. Im Folgenden beleuchten wir die unterschiedlichen Aspekte der Microseeds: Was sind Microseeds? Welche Ursachen können bestimmt werden? Und welche Risiken bergen sie eigentlich? Zum Schluss ordnet unser Sommelier Tim Dresemann das brisante Thema noch einmal ein. Seine Sicht als Experte mag vielleicht sogar überraschen.

1. Was sind Microseeds überhaupt?

Selbst bei der Definition, was Microseeds sind, gibt es bisher keine Einigkeit. Generell sind aber unter Microseeds sehr kleine Strukturen zu verstehen, die an unvollständig ausgebildete Samen erinnern. Häufig sind diese Minisamen jedoch deformiert und unterscheiden sich z.B. hinsichtlich der Form, Farbe aber auch anderer Attribute wie beispielsweise der Härte von “echten” Samen.

Abb. 1 Microseeds im Vergleich zu einem ausgereiften Samen (adaptiert nach u/brookie_oftheyr, 22.03.2020) 

Um was es sich genau beim Phänomen der kleinen Samen (Microseeds) im medizinischen Cannabis handelt, ist bis heute noch nicht eindeutig geklärt. Zu den gängigsten Theorien gehören:

  1. (Unausgereifte) Samen nach (Selbst-)Bestäubung:
    Eine versehentliche (Selbst-)Bestäubung durch männliche Pflanzen oder Pflanzen mit zweigeschlechtlichen Blüten mit anschließender Samenproduktion erscheint aufgrund der kontrollierten Anbaubedingungen in Kombination mit der Häufigkeit des Auftretens von Microseeds als eher unwahrscheinlich. Zudem sind auf diese Weise entstandene “echte” Samen zum Zeitpunkt der Ernte im Regelfall bereits ausgereift oder zumindest aufgrund der Struktur und Färbung eindeutig als Samen zu identifizieren.
  1. Samen durch Apomixis:
    Unter Apomixis ist die ungeschlechtliche Fortpflanzung zu verstehen, bei der es ohne vorhergehende Befruchtung zur Samenbildung kommt (Agamospermie). Die so entstandenen Nachkommen sind daher mit der “Mutterpflanze” genetisch identisch.1 Bei dieser Form der Fortpflanzung kann es sich um eine Art “Notfallprogramm” handeln,  das aufgrund der nicht stattfindenden Befruchtung einsetzt. Dennoch sollten sich aus dieser Art der Fortpflanzung prinzipiell “normale” Samen entwickeln können. Möglicherweise bleiben die so entstandenen Samen jedoch aufgrund genetischer (zuchtbedingter) Faktoren unterentwickelt.
  1. Übermäßig entwickelte Ovuli (Ovulum/Eizelle = Samenanlage)
    Bei einigen Cannabissorten scheinen die Samenanlagen generell stärker ausgeprägt bzw. größer als bei anderen Sorten zu sein. Darüber hinaus schwellen diese im Verlauf der Blüte häufig an und ähneln damit befruchteten Ovulen. Diese “aufgeblähten” Ovulen sind zu Beginn grün und wechseln dann sehr schnell zu einem grauen oder schwarzen Farbton. Der Farbumschlag geht zudem mit einem Schrumpfen der Samenanlagen einher. Ob das Auftreten der vergrößerten Ovuli mit der Feminisierung zusammenhängt, ist jedoch umstritten.2,3

2. Mögliche Ursachen für die Entstehung von Microseeds in medizinischem Cannabis

Um welche Strukturen es sich dabei genau handelt und ob es sich bei Microseeds eventuell auch – je nach Fall – um eine oder gar verschiedene der oben aufgeführten Strukturen handelt, ist aktuell ebenso unklar wie die Ursache der Entstehung. Aktuell werden zwei mögliche Ursachen diskutiert:

Schlussfolgerung zur Entstehung von Microseeds
Zusammengefasst sind Microseeds also allgemein kleine, samenähnliche Strukturen in den Cannabisblüten, die unabhängig von Kultivar oder Anbaubedingungen auftreten können. Derzeit gelten als wahrscheinlichste Ursache zuchtbedingte genetische Faktoren.

3. Welche Informationen gibt es zu möglichen Gesundheitsrisiken durch die Inhalation von Cannabisblüten mit Microseeds?

Neben einem schlechten Geschmack durch verbrannte Microseeds und einem unangenehmen kratzigen Charakter des Rauchs, manchmal auch in Verbindung mit Kopfschmerzen oder Übelkeit, wird vor allem in Foren oder Beiträgen im Internet immer wieder davon berichtet, dass das Inhalieren von Cannabisblüten mit Microseeds besonders gefährlich sei.
Es wird vermutet, dass dies an Pflanzenölen liegen könnte, die in den Samen enthalten sind. Durch die hohen Temperaturen beim Rauchen können Bestandteile dieser Öle in schädliche Verbindungen umgewandelt werden, die krebserregend sein können.6 Die zitierten Warnungen von beispielsweise einem “Hanfkoch” oder einem erfahrenen Cannabisarzt beziehen sich jedoch vor allem auf das übermäßige Erhitzen bei der Herstellung von Hanfbutter bzw. dem Inhalieren von Ölen wie z.B. Extrakten und werden daher in einen falschen Zusammenhang gebracht.6 Da hierbei jedoch ganz andere Mengen an Pflanzenölen (verwendet zur standardisierten Einstellung der Cannabisextrakte) inhaliert werden, ist eine direkte Übertragbarkeit des Risikos auf die Inhalation von Microseeds nicht gegeben. Zudem ist bisher unklar, welche Stoffe und welche Mengen dieser Stoffe die Microseeds tatsächlich enthalten. Wissenschaftliche Untersuchungen hierzu gibt es derzeit nicht.Ein weiterer Aspekt, der in Bezug auf Microseeds genannt wird, ist, dass sie Stoffe enthalten, die bei der Inhalation in Blausäure umgewandelt werden würden.7 Aber auch hierzu lassen sich keine Studien finden. Vermutlich wird hier die Tatsache, dass z.B. Leinsamen, kleinere und zudem unbedenkliche Mengen an Blausäure enthalten, auf andere Pflanzenöle wie beispielsweise Hanfsamenöl übertragen.8

Das Rauchen von Tabak und Cannabisblüten
Dennoch entstehen natürlich sowohl beim Rauchen von Tabak als auch beim Rauchen von Cannabisblüten viele potentiell schädliche Verbindungen, die bei einem langfristigen Konsum zu gesundheitlichen Schäden führen können.

Neben der Freisetzung von Cannabinoiden entstehen beim Rauchen von Cannabis auch unzählige pyrogene Verbindungen, darunter Karzinogene, Mutagene und Teratogene, die potenziell gesundheitsschädlich sind. Eine Studie von Graves et al. zufolge haben Tabakrauch und Cannabisrauch Verbindungen gemeinsam, von denen 69 toxisch sind.9,10 Laut einer Übersichtsarbeit über die Auswirkungen von inhalativen Suchtmitteln sind derzeit eindeutige Schlussfolgerungen für langfristige Folgen von Cannabiskonsum auf Lunge und Atemwege jedoch noch nicht möglich. Dies liegt vor allem daran, dass in den meisten Studien nicht zwischen den überlappenden Effekten des Tabak- und des Cannabiskonsums differenziert wurde.11 Die Karzinogene und respiratorischen Toxine in Cannabis- und Tabakrauch sind zwar ähnlich, dennoch scheinen sich die Folgen des Cannabisrauchens von denen des Tabakrauchens zu unterscheiden.12 So gilt die Entwicklung einer chronischen Bronchitis durch anhaltendes Rauchen von Cannabis mittlerweile zwar als fast gesichert, hinreichende Beweise, dass Cannabis COPD verursacht, fehlen aber. Auch allergische Reaktionen einschließlich Asthma sowie Assoziationen mit Lungenemphysem, Lungenkrebs und Pneumonien sind möglich, aber nicht eindeutig belegt.13Zudem wurde in einigen Kasuistiken über Pneumothoraces, Pneumomediastinum sowie grob bullöse Lungenerkrankungen im Zusammenhang mit inhalativen Cannabiskonsum berichtet, jedoch auch hier ist der Zusammenhang nicht eindeutig bewiesen.14

Das Vaporisieren von Cannabisblüten
Nicht zuletzt aus diesen Gründen setzt sich in den letzten Jahren die inhalative Anwendung mittels Vaporisation gegenüber dem Rauchen von Cannabisblüten weltweit immer mehr durch. Das Verdampfen mittels Vaporisatoren, die als Medizinprodukt zugelassen sind, gilt in Deutschland längst als die etablierte medizinische Anwendungsform, wenn eine inhalative Cannabistherapie angezeigt ist. Bei der Vaporisation mittels solcher Geräte wird das Medizinalcannabis auf 180 – 210 °C erhitzt. Flüchtige Inhaltsstoffe, zu denen auch Cannabinoide und Terpene gehören, werden bei diesen Temperaturen in Dampf überführt, ohne dass das Pflanzenmaterial verbrannt wird. Rauch entsteht bei dieser Anwendungsmethode nicht. Es wird angenommen, dass durch die niedrigeren Temperaturen und die verbrennungsfreie Erhitzung weniger gesundheitsschädliche Stoffe als beim Rauchen entstehen.15 Zum Vaporisieren von Medizinalcannabis, das Microseeds aufweist, gibt es jedoch wie auch zum Rauchen von Microseed-haltigen Cannabisblüten bisher noch keine Studien.

Schlussfolgerung zu möglichen Gesundheitsrisiken durch die Inhalation von Cannabisblüten mit Microseeds
Beim Rauchen von Cannabisblüten entstehen ähnlich wie beim Rauchen von Tabak verschiedene Verbindungen, die aufgrund ihrer kanzerogenen, mutagenen oder teratogenen Eigenschaften gesundheitsschädlich sind. Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es jedoch keine Hinweise darauf, dass die Inhalation – ob durch das Rauchen oder das Vaporisieren – von Cannabisblüten, die Microseeds enthalten, mit einem gesteigerten Risiko für gesundheitsschädliche Effekte einhergeht.

4. Was können wir tun, um Microseeds in den Produkten zu verhindern? Ein Kommentar von Sommelier Tim Dresemann

Microseeds sind im heutigen medizinischen Cannabismarkt ein unerwünschtes und weit verbreitetes Phänomen. Während die genaue Ursache noch umstritten ist (s.o.), lässt sich mittlerweile mit hoher Wahrscheinlichkeit sagen, dass es ein genetisch verankertes Problem ist; daraus folgt die Annahme, dass sowohl Ursache als auch Lösung vor allem in der Zucht zu suchen sind. Demnach ist (leider) auch ein Quick Fix nicht zu erwarten.

Selbst wenn es gelingen könnte, durch z.B. weniger Stress im Anbau, die Prävalenz von Microseeds etwas zu reduzieren – eine wirkliche Lösung wäre das nicht, das Problem würde vermutlich auch weiterhin immer wieder auftreten..Die Hersteller (also auch wir als avaay Medical) sind sich dessen bewusst und reden auch mit den Produzenten. Das Problem wird aber aufgrund der bereits genannten wahrscheinlichen Ursachen nicht leicht und auch nicht innerhalb weniger Chargen abzustellen sein. Meine Vermutung ist, dass es sich innerhalb des Life-Cycles eines bereits angemeldeten Produkts überhaupt nicht abstellen lässt, da einen Austausch der Genetik und somit auch einen neuen Anmeldungs- und Registrierungsprozess erforderlich machen würde.

Alles eine Sache der Perspektive?
Aber auch die Wahrnehmung ist hier ein wichtiger Faktor: Während man Nordamerikaner:innen (USA/Kanada) oft noch ausführlich beschreiben muss, wovon hier eigentlich die Rede ist, ist die deutsche Cannabis-Community mittlerweile voll auf das Thema eingestimmt. Dass dann wiederum auch mehr gefunden wird (weil mehr gesucht wird), ist zu erwarten (mehr dazu hier).

Selbst Nordamerikaner:innen, die darauf aufmerksam gemacht wurden, sehen das nicht zwingend als Problem: “As long as it’s not scratchy.”

Auf der einen Seite wird sich nun (zu Recht) in der deutschen Community über mangelhafte züchterische Arbeit (bspw. Microseeds) beschwert – auf der anderen Seite gibt es einen weitgehend unreflektierten Wunsch danach, möglichst jede Woche einen “neuen” Strain auf dem Markt zu entdecken. Die Industrie versucht weiterhin diesem Wunsch nachzukommen – das kann allerdings nur zulasten der genetischen Stabilität funktionieren und lässt sich mit den Grundsätzen guter züchterischer Praxis schlichtweg nicht vereinbaren.

Dass der Einfluss auf die Konsumerqualität (also NICHT der pharmazeutischen Qualität) je nach Ausmaß erheblich negativ sein kann, sollte mittlerweile klar sein. Allerdings nehme ich mittlerweile auch viel Verständnis für das Thema wahr. Auch das Bewusstsein, dass so gut wie alle Produkte von ziemlich allen Herstellern zumindest teilweise betroffen sind, ist bei vielen schon vorhanden.

5. Schlusswort

Uns als avaay liegt eine angenehme Konsumerfahrung von Medizinalcannabis am Herzen, wobei die Gesundheit unserer Patienten und Patientinnen natürlich im Fokus steht. Aus diesem Grund behalten wir auch weiterhin das Thema “Microseeds” im Blick und optimieren darüber hinaus kontinuierlich unser Portfolio und unsere Lieferkette.

6. Quellenverzeichnis

  1. Winkler, Hans Karl Albert. Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreiche. G. Fischer, 1908.
  2. https://www.icmag.com/threads/swollen-calyx-or-hermed.233160/
  3. https://www.rollitup.org/t/large-ovules-that-crackle-never-ending-mystery.985072/ 
  4. Punja, Zamir K., and Janesse E. Holmes. “Hermaphroditism in marijuana (Cannabis sativa L.) inflorescences–impact on floral morphology, seed formation, progeny sex ratios, and genetic variation.” Frontiers in Plant Science (2020): 718.
  5. Clarke, Robert C., and Mark D. Merlin. “Cannabis domestication, breeding history, present-day genetic diversity, and future prospects.” Critical reviews in plant sciences 35.5-6 (2016): 293-327.
  6. https://www.hanf-magazin.com/medizin/erfahrungsberichte-hanfmedizin/apotheken-marihuana-mit-miniseeds/
  7. Gerüchteküche: Giftige Blausäure in Cannabis-Samen?
  8. Schulz, V., A. Löffler, and T. Gheorghiu. “Resorption of hydrocyanic acid from linseed.” Leber, Magen, Darm 13.1 (1983): 10-14.
  9. Graves, Brian M., et al. “Comprehensive characterization of mainstream marijuana and tobacco smoke.” Scientific reports 10.1 (2020): 7160.
  10. Moir, David, et al. “A comparison of mainstream and sidestream marijuana and tobacco cigarette smoke produced under two machine smoking conditions.” Chemical research in toxicology 21.2 (2008): 494-502.
  11. Bauer-Kemény, Claudia, and Michael Kreuter. “Inhalative Suchtmittel–eine Herausforderung für die Lunge.” Der Pneumologe 19.1 (2022): 49-59.
  12. Tashkin, Donald P., and Michael D. Roth. “Pulmonary effects of inhaled cannabis smoke.” The American journal of drug and alcohol abuse 45.6 (2019): 596-609. 
  13. Gracie, Kathryn, and Robert J. Hancox. “Cannabis use disorder and the lungs.” Addiction 116.1 (2021): 182-190.
  14. Kreuter, M., et al. “Cannabis–Position Paper of the German Respiratory Society (DGP).” Pneumologie (Stuttgart, Germany) 70.2 (2016): 87-97.
  15. Ziegler, Andreas Siegfried, and Philipp Böhmer. Cannabis: ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2022.

Welche Cannabinoide gibt es ausser CBD noch?

Noch stehen wir ganz am Anfang der Entdeckungsreise zum Thema Cannabis und seiner Verwendung als Heilpflanze. Hast du dich jemals gefragt, warum Cannabis derart vielseitig ist und so viele Anwendungen im Wellness-Bereich und im medizinischen Feld findet? In diesem Artikel erfährst du mehr über CBD und THC, aber auch über weniger prominente Cannabinoide.

Bisher wurden in der Cannabispflanze bereits mehr als 500 verschiedene Stoffe gefunden [1], darunter mehr als 144 Cannabinoide. Andere Stoffe wie Terpene und Flavonoide, die hauptsächlich für den Geruch und Geschmack der Blüten verantwortlich sind, findet man auch in anderen Pflanzen. Aber auch sie können eine Wirkung auf deinen Körper haben.

Von den zwei prominenten Vertretern der Cannabinoide, CBD und THC, hast du ja vielleicht schon gehört – und womöglich auch schon vom Endocannabinoidsystem. Wir wollen aber auch einen Blick auf die anderen Stoffe in der Cannabispflanze und ihre Wirkung in deinem Körper werfen.

Wie wirken Cannabinoide im Körper?

Alle haben es, lange wusste keiner davon und heute lernen wir mehr: Das Endocannabinoidsystem. Das System in deinem Körper wurde erst in den frühen 1990ern entdeckt und besteht unter anderem aus CB1- und CB2-Rezeptoren. Diese interagieren wiederum mit Stoffen, die dein Körper selbst herstellt – den Endocannabinoiden.

Zu den Endocannabinoiden gehören Stoffe wie 2-AG (2-Arachidonoylglycerol) und Anandamid. Sie wirken auf das Endocannabinoidsystem und tragen dazu bei, dass die Schmerzregulation, dein Hungergefühl und die Verdauung, deine Immunabwehr, Muskelspannung und Blutdruck und vieles mehr im Gleichgewicht bleiben und richtig funktionieren.

Gerät dieses Gleichgewicht aus den Fugen, kann dies zu Gesundheitsproblemen führen, die von Arthritis, Depression, Schlaflosigkeit bis hin zu Morbus Crohn reichen. 

Hier kommt die Cannabispflanze ins Spiel. Sie produziert ebenfalls Cannabinoide, auch Phyto-Cannabinoide genannt. Diese ähneln den körpereigenen Stoffen so sehr, dass sie ebenfalls an die CB1- und CB2-Rezeptoren binden und so das Endocannabinoidsystem beeinflussen können. Cannabinoide können also das Gleichgewicht wiederherstellen [2] und so eventuelle körperliche Leiden mindern.

Welche Cannabinoide gibt es in der Cannabispflanze?

Wir sind noch ganz am Anfang der Entdeckungsreise, was alles so in Cannabis steckt. Unter anderem liegt das daran, dass es über Jahrzehnte – zu Unrecht – einen Ruf als Teufelskraut hatte.

Heute geht man von über 144 unterschiedlichen Cannabinoiden aus. Diese werden von der Cannabispflanze produziert und durch Umwelteinflüsse wie Hitze, Licht und Oxidation in weitere Formen umgewandelt. So kann ein Stoff mehrere Stufen annehmen und auch andere Namen tragen.

THC beginnt zum Beispiel sein Leben in der Cannabispflanze als CBGA, wird dann zu THCA und dann schließlich zum THC, von dem Du ja vielleicht schon gehört hast.

Sehr ähnliche Namen – mit zum Beispiel einem zusätzlichen Buchstaben – deuten auf verschiedene Stoffformen hin. Dabei kann der Unterschied in der chemischen Formel klein anmuten, aber eine große Wirkung haben. 

So ändert sich damit zum Beispiel der Grad der Psychoaktivität des Stoffes und eventuell auch der therapeutische Anwendungsbereich. Denn Cannabinoide wirken nicht alle gleich und interagieren auf unterschiedliche Weise mit dem Endocannabinoidsystem.

Das Zusammenspiel von Cannabinoiden und Terpenen: Der Entourage-Effekt

Wird die Pflanze in den Körper aufgenommen (über die Nahrung, als Öl, oder in anderer Form), gibt es noch einen Überraschungsgast bzw. -gäste auf der Party im Endocannabinoidsystem: die Terpene, Flavonoide oder auch andere Cannabinoide im Hanf. Gemeinsam wirken diese Stoffe über einen synergetischen Effekt auf deinen Körper. Dies wird als Entourage-Effekt bezeichnet. 

Hier ist es wie bei jeder anderen Party auch: Die Stimmung und Dynamik ändert sich mit der Zusammensetzung der Gäste. Die Zusammensetzung ist es auch, die die Diskussion um die eine oder andere Cannabissorte überhaupt ins Rollen gebracht hat.

Merke: Hat das Cannabinoid ein A am Ende, handelt es sich um die saure Form, die später durch Decarboxylierung in die neutrale Form umgewandelt werden kann.

Übersicht einiger Cannabinoide abseits von THC und CBD

Hinweis: Die im Folgenden genannten Cannabinoide kommen in Deutschland aktuell nicht als Arzneimittel zum Einsatz. Außerdem ist weitere Forschung notwendig, um mögliche therapeutische Effekte zu belegen. 

THCA

THC/A oder THC-Säure. Dies ist die saure Form von Tetrahydrocannabinol, die noch keine psychoaktiven Effekte aufweist. In den USA kann es als kristallines Pulver in den Apotheken gekauft werden. Die meisten Nutzer erhitzen es, um aus THC/A dann THC zu machen und so die psychoaktiven Effekte zu aktivieren. Es gibt auch THCA-Kapseln auf dem Markt, die therapeutischen Nutzen haben sollen. Belege dafür fehlen bisher.

THCV

Ein bekanntes Cannabinoid ist THCV oder Tetrahydrocannabivarin. Es gibt Hinweise darauf, dass THCV einen Einfluss auf die Gewichtsreduktion haben könnte, indem es den Appetit reduziert und den Stoffwechsel ankurbelt. Einige Studien weisen darauf hin, dass das Cannabinoid eine positive Wirkung auf die Insulinproduktion haben kann [3]. Außerdem wird vermutet, dass THCV das Wachstum neuer Knochenzellen fördere [4]. Weiterer Forschungen bedarf beispielsweise auch eine mögliche Wirkung von THCV bei Parkinson.

CBDV

Dieses Cannabinoid, auch als Cannabidivarin bekannt, ist noch relativ unerforscht. Die Wirkung von CBDV ist ähnlich der von CBD. In Studien hat sich gezeigt, dass CBDV die Anzahl der Anfälle bei Patienten mit Epilepsie deutlich reduzieren kann [5]. In einer Studie mit Ratten konnte außerdem die Wirksamkeit von CBDV gegen Übelkeit nachgewiesen werden [6].

CBC

CBC oder Cannabichromen verfügt ebenfalls über eine potenzielle therapeutische Wirkung. So könnte es eine Wirkung gegen resistente Keime haben – bisher allerdings nur in der Petrischale. In Kombination mit THC wurden schmerzlindernde [7] und entzündungshemmende Eigenschaften [8] festgestellt.

Im Hirn könnte CBC neurodegenerativen Erkrankungen entgegenwirken, z.B. bei Alzheimer. Es fördere beispielsweise das Wachstum von Gehirnzellen [9], die für das Lernen und Gedächtnisfunktionen verantwortlich sind.

CBCV

CBCV, auch Cannabichromevarin, ähnelt dem Cannabinoid CBC, weswegen ihm ähnliche Wirkungen nachgesagt werden. Leider gibt es zu diesem Cannabinoid bisher kaum bis gar keine Studien.

CBG

CBG, Cannabigerol, ist ein weit verbreitetes Cannabinoid, das sowohl in Cannabis als auch in Nutzhanfpflanzen vorkommt. Es ist nicht psychoaktiv, trotzdem hat auch das Cannabinoid CBG mögliche therapeutische Wirkungen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass es ein wirksames Schmerzmittel sein könnte und entzündungshemmend ist [10].

Es wurden auch neuroprotektive Eigenschaften von CBG festgestellt, die zum Beispiel gegen die Huntington-Krankheit zum Einsatz kommen könnten [11]. Diese Erbkrankheit betrifft das Gehirn und führt zu unwillkürlichen, unkoordinierten Bewegungen. Eine positiv unterstützende therapeutische Wirkung wurde auch bei Darmkrebs [12], Prostatakrebs [13] und Mundkrebs untersucht.

CBG soll laut Studien auch eine Rolle bei der Senkung des Augeninnendrucks [14] spielen, wodurch es möglicherweise bei der Therapie eines Glaukoms eingesetzt werden könnte – sofern weitere Studien die Wirksamkeit wissenschaftlich bestätigen. Hoffnungsträger ist das Cannabinoid auch bei der Bekämpfung resistenter Bakterienstämme [15] wie MRSA.

CBG soll außerdem einen positiven Effekt auf Hautkrankheiten wie Psoriasis (Schuppenflechte) [16] haben, allerdings wurde dies noch nicht wissenschaftlich belegt. Studien an Ratten haben eine Wirkung auf Neurotransmitter [17] und somit die Stimmung festgestellt. Womöglich führt dieser Fund zur Entwicklung neuer Arten von Antidepressiva.

CBGV

CBGV oder Cannabigerovarin werden schmerzlindernde und entzündungshemmende Eigenschaften [18] nachgesagt, die in Studien an Mäusen belegt werden konnten. Was dieses Cannabinoid besonders macht: Es könnte bei der Linderung trockener Haut [19] sowie bei Hautentzündungen eine Rolle spielen. 

Auch in der Krebstherapie könnte CBGV positive Effekte erzielen [20]. So gibt es Hinweise darauf, dass das Cannabinoid das Wachstum von Leukämiezellen hemmt [21].

CBN

CBN oder Cannabinol entsteht beim Verfallsprozess von THCA. Klingt nicht besonders ansprechend, aber viele schätzen die Wirkung dieses Cannabinoids und verwenden Cannabinol in der Selbstbehandlung als Beruhigungsmittel – allerdings ist es kein Arzneimittel. Tatsache ist aber, dass es in reiner Form nicht sedierend wirkt, sondern die Kombination mit THC entscheidend ist [22].

Untersuchungen (vorrangig an Ratten) zeigen, dass CBN den Appetit anregen [23], gegen Glaukome [24] und als Antibiotikum wirken kann. In der ALS-Forschung (amyotrophe Lateralsklerose) gibt es bei Mäusen hoffnungsvolle Ansätze dafür, dass der Ausbruch von ALS durch CBN verzögert werden kann. Weitere Studien auch und vor allem am Menschen sind dringend notwendig, um die vermeintlich positive Wirkung zu bestätigen.

CBL

Cannabicyclol (CBL) entsteht, wenn Cannabichromene (CBC) erhitzt werden. Häufig findet man CBL in Cannabis, das schon eine Zeit lang lagert. 

Der Forschungsstand zu diesem Cannabinoid ist sehr dünn, weil auch die Konzentration in der Pflanze sehr gering ist. Studien zur Prostaglandinproduktion konnten keinen Effekt feststellen. Einige Wissenschaftler:innen gehen von positiven Effekten bei Entzündungen und Tumorzellen aus. Allerdings ist dazu noch einiges an Forschung nötig.

Was sind synthetische Cannabinoide?

Cannabis erfreut sich neben dem Freizeitgebrauch auch großer und wachsender Beliebtheit zu medizinischen Zwecken. In Laboren werden synthetische Cannabinoide hergestellt, die die gleichen Rezeptoren im Körper aktivieren wie pflanzliches Cannabis.

Einige der synthetischen Cannabinoide haben strikte Arzneimittelzulassungsverfahren durchlaufen und stehen Patienten als Behandlungsoption zur Verfügung.

Andere synthetische Cannabinoide haben keinerlei Testung hinter sich und sind nicht zugelassen, werden aber trotzdem auf der Straße als Designer-Droge vertickt. Leider ist dies nicht unbedingt hilfreich, um das Schmuddel-Image von Cannabis und seinen Cannabinoiden aufzupolieren und seine ernsthafte therapeutische Wirkung in den Vordergrund zu stellen.

Synthetische Cannabinoide: Segen und Unheil

Schauen wir zuerst auf den Segen: Bei Dronabinol und Nabilon handelt es sich um zwei Wirkstoffe der zugelassenen Medikamente, die auf synthetischen Cannabinoiden basieren. Diese werden zur Therapie von Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie und Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust bei AIDS-Kranken eingesetzt. 

Dronabinol und Nabilon sind unter Laborbedingungen entstanden und getestet und als verschreibungspflichtige Medikamente zugelassen.

Spice und K2 hingegen sind in diesem Fall das Unheil und auf der Straße zu finden. Niemand weiß genau, was in den Designer-Drogen enthalten ist und welches Cannabinoid hier nun wirkt. 

Manchmal sind es sogar gar keine Cannabinoide, sondern andere Wirkstoffe, die reingemischt werden, wie z.B. Halluzinogene und synthetische Opioide. Die Nebenwirkungen können dramatisch sein: Atemstörungen und Nierenschäden wurden mit diesen Synthetika in Verbindung gebracht.

Pflanzliche und synthetische Cannabinoide bieten medizinische Potenziale

Für Patient:innen, die Cannabis als Medikament verwenden, gibt es inzwischen die Wahl zwischen Natur-Cannabinoiden und synthetischen Cannabinoiden aus dem Labor [25]. Darüber hinaus gibt es in beiden Fällen unterschiedliche Darreichungsformen zur Anwendung von Cannabis auf Rezept.

Ob und welches cannabisbasiertes Medikament bei der Behandlung einer Krankheit in Frage kommt, müssen Patient:innen in Absprache mit ihrem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin abklären.

Fest steht: Es gibt noch einiges über die vielen Cannabinoide und ihre unzähligen Möglichkeiten der Anwendung zu lernen. Und womöglich sind Cannabinoide dabei mehr als die Summe ihrer Teile.

Quellen: