Cannabis-Edibles: Zwischen Genuss, Rausch und Medizin

Von außen betrachtet ist alles harmlos: ein Brownie, ein Gummibärchen, ein Stück Schokolade. Doch wer Cannabis in essbarer Form konsumiert – also als Edibles – betritt eine andere Welt. Eine, die still beginnt, langsam anschwillt und manchmal mit einer Heftigkeit endet, die niemand einem kleinen Keks zugetraut hätte. Wie entsteht diese starke Wirkung von Edibles – was passiert im Körper? Und können Edibles auch medizinisch sinnvoll eingesetzt werden?



Edibles: Rausch in neuer Verpackung

Die Geschichte des Rausches kennt viele Gesichter. Mal kam er als Rauch, mal als Trank, mal als Ritual. Doch in jüngerer Zeit begegnet er uns auch verpackt in Cellophan, mit stilvollem Branding und dem Versprechen auf kontrollierbares Wohlbefinden: Cannabis-Edibles – also essbare Produkte mit THC oder CBD – boomen. Besonders dort, wo Cannabis legalisiert wurde, hat sich eine neue Genuss-Kultur etabliert, irgendwo zwischen Lifestyle, Medizin und Freizeitdroge. In Kalifornien, wo einst Hanf-Brownies auf Studentenpartys kursierten, stehen heute THC-haltige Macarons in den Auslagen von Edibles-Boutiquen.

In der Öffentlichkeit wirken Edibles wie die „zivilisierte“ Schwester des Joints. Kein Rauch, kein Geruch, kein Stigma. In Nordamerika hat sich diese Form des Cannabiskonsums rasant etabliert: Über 40 % der nicht-medizinischen Nutzer:innen konsumieren Edibles.[1,2]

Zwischen Legalität und Grauzone

In Deutschland dagegen ist das Bild ein anderes. Zwar dürfen Erwachsene seit der Teillegalisierung Cannabis in begrenzten Mengen besitzen – doch der Verkauf von Edibles bleibt weiterhin verboten. THC-haltige Lebensmittel gelten rechtlich als nicht verkehrsfähig und dürfen ausschließlich in Apotheken auf Rezept an Cannabis-Patient:innen abgegeben werden.

Wer Edibles in der Freizeit konsumieren möchte, muss sie derzeit privat zu Hause selbst herstellen – etwa mit Cannabutter oder Ölen aus dem Eigenanbau. Eine staatlich regulierte Abgabe, wie sie etwa für Alkohol oder Nikotin existiert, gibt es nicht. Damit bleibt der Zugang zu Edibles hierzulande in einer rechtlichen Grauzone – fernab jeder Qualitätskontrolle.

Diese Form der Cannabis-Erfahrung birgt Risiken, die noch nicht offensichtlich sind. Und sie stellt Fragen, die weit über die Wirkung hinausgehen: Wie verändert sich der Cannabis-Konsum, wenn er für mehr Menschen zum Genuss wird? Wo verläuft die Grenze zwischen therapeutischem Einsatz und unbedarftem Missbrauch von Edibles? Und was macht es mit einer Gesellschaft, wenn der Rausch in der Mitte ankommt – verpackt wie ein hübscher Snack?

Cannabis zum Essen – von selbstgemachten Brownies zur Boutique-Ware

Der Einstieg in die Welt der Edibles beginnt meist mit einem Klassiker – dem Brownie. Gebacken mit Cannabutter, von Hand dosiert, geschmacklich oft eher rustikal als raffiniert. Doch inzwischen ist daraus ein Sortiment entstanden, das sich anfühlt wie eine Mischung aus Feinkostladen und Apothekerregal.

Neben den Backwaren finden sich Süßwaren aller Art: Bonbons, Lutscher, Schokolade mit Matcha oder Haselnuss, Gummibärchen mit Waldbeere oder grünem Apfel. Sie sind portioniert, verpackt, sortenrein – und längst kein Geheimtipp mehr. In kalifornischen Boutiquen werden Edibles inzwischen mit derselben Sorgfalt kuratiert wie Naturweine oder Duftkerzen. Auch Getränke gehören zum Sortiment. Tees, Limonaden, Sprudel mit THC – die Formate sind vielfältig, die Zielgruppen ebenso.

Edibles aus der heimischen Küche

Für die DIY-Fraktion sind Öle und Cannabutter (Stichwort Decarboxylierung) nach wie vor zentrale Bestandteile. Sie lassen sich in Kuchen, Pasta oder Dressings verarbeiten – allerdings mit ungewisser Dosis und Wirkung. Wer hingegen Herzhaftes sucht, wird ebenfalls fündig: Snacks mit Cannabis – etwa Chips, Popcorn oder Nüsse – ergänzen das süßlastige Angebot, vor allem dort, wo die Freizeitnutzung legal ist.

So reicht das Spektrum heute von der improvisierten Küche bis zur designverliebten Boutique. Von Haschkeks zu High-End – zumindest im Ausland. Und doch bleibt eine Frage: Wie viel Rausch steckt wirklich in einem Stück Schokolade? Und wie kalkulierbar ist er?

Die Wirkung von Edibles – verzögert, aber heftig

Der Unterschied zwischen einem Joint und einem Schokoladenstück mit THC liegt nicht allein im Format – er liegt im Körper. Genauer gesagt: in der Pharmakokinetik, also dem Weg, den ein Wirkstoff im Organismus nimmt. Während THC beim Rauchen über die Lunge innerhalb von Sekunden ins Blut und ins Gehirn gelangt, schlägt es bei Edibles einen Umweg ein. Erst durchläuft es den Magen-Darm-Trakt, wird dann in der Leber zu 11-Hydroxy-THC umgebaut – einem besonders potenten Metaboliten, der die Blut-Hirn-Schranke leichter überwindet und eine tiefere, anhaltendere Wirkung entfaltet.[1]

Die Folge ist ein zeitverzögerter Rausch. Er setzt nicht sofort ein, sondern oft erst nach 30 bis 120 Minuten, mit einem Wirkmaximum nach zwei bis vier Stunden. Viele unterschätzen diesen Effekt. Wer nach 30 Minuten „nichts merkt“, nimmt sich vielleicht noch ein Edible.. Die Folge kann das sogenannte „Dose Stacking“ sein: Überdosierung durch Ungeduld. Denn der Peak kommt oft erst nach drei Stunden – kann aber bis zu zwölf Stunden anhalten.[2] Ein gefährliches Zeitfenster, besonders für Unerfahrene.

Was dann folgt, ist oft kein angenehmer Höhenflug, sondern eine Überforderung des Systems. Unerfahrene Konsumierende berichten von Herzrasen, Schwindel, innerer Unruhe, Realitätsverzerrung – Symptome, die medizinisch meist harmlos sind, subjektiv jedoch als beängstigend erlebt werden. Hinzu kommt: Die Wirkung von Edibles hält länger an als die eines Joints – mitunter bis zu zwölf Stunden, vereinzelt auch darüber hinaus. [1,2]

Wie stark und lange der Rausch tatsächlich anhält, hängt von mehreren Faktoren ab – z. B. Körpergewicht, Stoffwechsel, Toleranz, Einnahme auf nüchternen oder vollen Magen und natürlich der Dosis. [1]

Medizin: Cannabis-Edibles auf Rezept?

So riskant der unbegleitete Konsum von Edibles auch sein kann, die essbaren Cannabisprodukte könnten dank ihrer Stärke auch eine vielversprechende medizinische Seite haben. Denn viele Cannabis-Patient:innen empfinden THC-haltige Edibles als angenehmer als das Inhalieren von Cannabis. Während gerauchte Produkte schnell wirken, aber oft auch kürzer und intensiver ausfallen, entfaltet sich die Wirkung von Edibles langsamer – dafür aber gleichmäßiger und über viele Stunden hinweg. Besonders Menschen mit chronischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose, Krebserkrankungen oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) schätzen laut Studien diese Eigenschaften. Hinzu kommt die diskrete Einnahme: Edibles lassen sich unkompliziert in den Alltag integrieren, ohne auffällige Gerüche oder spezielle Hilfsmittel.[1]

Trotz ihres therapeutischen Potenzials etablieren sich Edibles auf Rezept bislang nur langsam. Zwar stehen in Deutschland Cannabis-Kapseln und Cannabis-Extrakte als Arzneimittel zur Verfügung, doch handelt es sich hierbei um klassische orale Präparate – nicht um Lebensmittel wie Kekse oder Tees, die als Medikation genutzt werden könnten. Patient:innen stellten sich Edibles in Deutschland bislang vor allem selbst zu Hause aus medizinischem Cannabis her.

Bertan Türemis, medizinisch Wissenschaftlicher Berater bei avaay Medical, erklärt, warum es gut ist, dass sich diese Lücke langsam schließt:

„Für Patient:innen mit chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Übelkeit könnten Edibles ein Segen sein. Sie sind nicht nur leicht einzunehmen und geschmacklich angenehmer als viele andere Formen, sondern könnten durch ihre langsame, gleichmäßige Wirkung auch therapeutische Vorteile bieten – etwa dann, wenn eine stabile Linderung über mehrere Stunden hinweg gefragt ist. Als standardisiertes Arzneimittel könnten Edibles die Therapietreue verbessern, besser in den Alltag integrierbar sein und eine verlässliche, individuell anpassbare Dosierung ermöglichen. Vor allem bei pflegebedürftigen Patient:innen wären sie eine medizinisch kontrollierbare Alternative die einfach verabreichbar ist und  vielen Patient:innen genau die Sicherheit bieten könnte, die bisher fehlt. Die Nachfrage nach solchen nicht-inhalativen Darreichungsformen ist da – nicht nur aus praktischen, sondern zunehmend auch aus medizinischen Gründen.“

In Deutschland besteht für Patient:innen seit kurzem die Möglichkeit, Edibles in Apotheken aus exakt dosierten Cannabis-Destillaten herstellen zu lassen, die auf einer ärztlichen Verordnung basieren. Im Gegensatz zu selbstgebackenen Brownies aus Cannabutter, bei denen die Wirkstoffmenge schwer einschätzbar ist, enthalten diese Zubereitungen definierte Mengen an THC und CBD. Das bietet einen entscheidenden Vorteil: Die Dosierung ist präzise nachvollziehbar – und damit auch therapeutisch besser steuerbar. Hinzu kommt: Anders als beim Erhitzen von Cannabisblüten in der heimischen Küche, also beim Decarboxylieren, bleiben bei pharmazeutisch hergestellten Cannabis-Destillaten Terpene erhalten, die durch falsche Verarbeitung sonst verloren gehen könnten.

Edibles – die Risiken des Freizeitkonsums

So viel zu den potenziellen Vorteilen von Edibles. Doch wie sieht es mit den Risiken des Freizeitkonsums aus – und was sagt die Forschung dazu? Eine Beobachtungsstudie aus Colorado zeigt: Besonders Edibles führen überproportional oft zu Notaufnahmen-Besuchen mit psychischen Krisen, starker Intoxikation und Herzproblemen.[3] Zwar machen Edibles hier nur einen Bruchteil der verkauften THC-Menge aus – sie sind aber für rund 10 % der cannabisbedingten Notfälle verantwortlich. Besonders häufig: Psychosen, Panikattacken, Herzrasen.

Das liegt nicht nur am Wirkstoff selbst, sondern auch an der schwierigen Dosierung. Wer soll ein Zwanzigstel eines 100-mg-Cookies akkurat abschneiden? Schon 10–30 mg THC gelten als stark berauschend – unregulierte Produkte enthalten oft das Zehnfache. Die Folge: Unbeabsichtigte Überdosierung ist der eher Regelfall, nicht die Ausnahme.[2]

CBD als sanfte Bremse? Nicht ganz.

Lange hielt sich das Gerücht, CBD schwäche den THC-Rausch ab. Eine neue Studie der Johns Hopkins zeigt jedoch das Gegenteil – zumindest bei oraler Einnahme: Wird THC mit einer hohen Dosis CBD kombiniert, steigen sowohl die THC-Konzentration im Blut als auch die Wirkung deutlich an.

Der Grund: CBD verlangsamt den Abbau von THC in der Leber, was zu einer längeren und stärkeren Wirkung führt. Die Studienteilnehmer:innen berichteten von mehr Nebenwirkungen, stärkerem Rausch, mehr Gedächtnisproblemen und einem höheren Puls.[4]

Statt also als „Puffer“ zu wirken, kann CBD – je nach Dosis – den Effekt von THC sogar potenzieren.

Kinder, Unwissen – und das trügerische Format

Edibles sehen aus wie Süßigkeiten – und sind oft genauso verpackt. Das macht sie besonders gefährlich für Kinder: In Kanada gehen drei Viertel aller Cannabis-Vergiftungen bei Kindern auf Edibles zurück.[2] Auch Erwachsene sind nicht gefeit: In Colorado kam es nach der Legalisierung zu einem messbaren Anstieg an Notfällen bei Touristen – viele unterschätzten die Wirkung völlig.[1]

Regulierungen in Kanada und einigen US-Staaten schreiben mittlerweile maximale THC-Dosen pro Portion, Warnhinweise und kindersichere Verpackungen vor. Doch selbst bei legalen Produkten bleibt ein Problem: Viele Nutzer:innen verstehen die Angaben offenbar nicht – oder lesen sie nicht.

Zwischen Genuss und Therapie – was Edibles leisten können

Cannabis-Edibles sind mehr als nur ein weiterer Konsumweg. Sie verkörpern den Wandel des Cannabiskonsums – weg vom schnellen Joint, hin zur diskreteren, kontrollierbaren Einnahmeform. Doch ihre Wirkung kann tückisch sein: Sie kommt spät, wirkt lange und kann – vor allem im Freizeitkontext – leicht überdosiert werden.

In ihrer Stärke liegt aber auch ihr medizinisches Potenzial: In klar definierter Dosis, ärztlich begleitet und pharmazeutisch verarbeitet, könnten Edibles eine wirksame, rauchfreie Alternative für viele Patient:innen darstellen. Zwischen Selbstversuch und Therapie, zwischen Popkultur und Pharmakon braucht es nun vor allem eines: Aufklärung, Regulierung – und den Mut, Cannabis nicht nur als Droge, sondern als Arzneimittel ernst zu nehmen.


FAQ

Ja und nein. THC-haltige Edibles wie Haschkekse, Gummibärchen oder Brownies dürfen in Deutschland nicht verkauft oder öffentlich abgegeben werden. Auch Cannabis Social Clubs dürfen keine Cannabis-Zubereitungen herstellen oder verteilen, da THC-haltige Lebensmittel laut Konsumcannabisgesetz (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 KCanG) nicht verkehrsfähig sind. Was jedoch erlaubt ist: Erwachsene dürfen sich Edibles privat zu Hause selbst zubereiten – etwa aus den Pflanzen ihres eigenen, legalen Anbaus. Voraussetzung ist, dass sie die Edibles nicht weitergeben oder verkaufen. Darüber hinaus können Patient:innen mit entsprechender ärztlicher Verordnung in Apotheken Cannabis-Zubereitungen auf Basis standardisierter THC- und CBD-Destillate erhalten, aus denen sich Edibles gezielt und kontrolliert herstellen lassen.
Die Wirkung von Cannabis-Edibles ist deutlich stärker und länger anhaltend als beim Rauchen. Das liegt an der Art, wie der Körper das THC verarbeitet: Wird es gegessen, gelangt es zunächst durch Magen und Leber. Dort wird es in eine Substanz namens 11-Hydroxy-THC umgewandelt – ein besonders potenter Wirkstoff, der leichter ins Gehirn gelangt und intensiver wirken kann. Beginn der Wirkung: meist nach 30 bis 90 Minuten, manchmal auch später Höhepunkt (Peak): etwa nach 2 bis 4 Stunden Gesamtdauer der Wirkung: 6 bis 12 Stunden, in Einzelfällen auch länger
Edibles wirken langsamer, dafür intensiver und länger als gerauchtes Cannabis – die Wirkung setzt oft erst nach 30 bis 90 Minuten ein und kann bis zu 12 Stunden anhalten. Deshalb gilt: niedrig dosieren, abwarten, nicht nachlegen. Iss nicht auf nüchternen Magen und vermeide Mischkonsum mit Alkohol. Besonders für Unerfahrene ist ein ruhiges Umfeld ohne Verpflichtungen wichtig.
Cannabis-Edibles gibt es in vielen Formen: Zu den Klassikern zählen Backwaren wie Brownies oder Kekse. Daneben sind Süßwaren wie Gummibärchen, Schokolade und Lutscher weit verbreitet – oft einzeln portioniert. Auch Getränke wie THC-haltige Tees, Limonaden oder Sprudel gehören zum Sortiment. Für die eigene Herstellung werden häufig Cannabisbutter oder Öle verwendet. In Regionen mit legalem Freizeitkonsum gibt es zudem herzhafte Edibles wie Chips, Popcorn oder Gewürzmischungen. Die Auswahl reicht von hausgemacht bis high-end – diskret, vielseitig und in unterschiedlichsten Dosierungen erhältlich.
Ja – Edibles wirken oft stärker als Joints, weil der Körper das THC beim Essen anders verarbeitet: In der Leber entsteht dabei der Wirkstoff 11-Hydroxy-THC, der potenter ist und länger wirkt als inhaliertes THC. Die Wirkung setzt langsamer ein (nach 30–90 Minuten), hält aber deutlich länger an – oft bis zu 12 Stunden. Das kann zu intensiveren Rauscherfahrungen führen, besonders bei hohen Dosen oder Unerfahrenen.[1,2,3]

Quellen

[1] Barrus, D. G. et al. (2016). Tasty THC: Promises and Challenges of Cannabis Edibles. RTI Press Research Report, 2016: RTI Press OP-0035-1611

[2] Zipursky, J. S., Bogler, O. D. & Stall, N. M. (2020). Edible cannabis. CMAJ – Canadian Medical Association Journal, 192(7), E162.

[3] Monte, A. A. et al. (2019). Acute illness associated with cannabis use, by route of exposure: An observational study. Annals of Internal Medicine, 170(8), 531–537.

[4] Zamarripa, C. A. et al. (2023). Assessment of orally administered Δ⁹-tetrahydrocannabinol when coadministered with cannabidiol on Δ⁹-tetrahydrocannabinol pharmacokinetics and pharmacodynamics in healthy adults: A randomized clinical trial. JAMA Network Open, 6(2), e2254752.

Cannabis gegen Schmerzen

Schmerz ist ein ständiger Begleiter für Millionen von Menschen in Deutschland: chronische Rückenschmerzen, Migräne, Nervenschmerzen oder rheumatische Erkrankungen. Für viele Patient:innen bedeutet das jahrelange Therapien, zahlreiche Medikamente – und oft dennoch nur unzureichende Linderung. Kein Wunder also, dass das Interesse an Cannabis als Schmerzmittel wächst. Doch was kann die Pflanze wirklich leisten und wo liegen die Grenzen?


Key Facts


Cannabis gegen Schmerzen verschreiben lassen: Kann ich in Deutschland Cannabis-Patient werden?

Gerade für Menschen mit chronischen Schmerzen kann Cannabis eine Option sein, wenn andere Therapien nicht ausreichend helfen. Seit 2017 dürfen Ärzt:innen in Deutschland medizinisches Cannabis verschreiben – allerdings nur, wenn herkömmliche Schmerzmittel oder Verfahren wie Physiotherapie, Operationen oder andere Medikamente nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben oder starke Nebenwirkungen verursachen.

Ob Cannabis zum Einsatz kommen kann, prüft immer die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt. Grundlage ist eine klare Diagnose und die Einschätzung, dass Cannabis eine sinnvolle Ergänzung oder Alternative sein könnte. Mit einem Cannabis-Rezept dürfen Patient:innen dann Cannabisblüten oder standardisierte Cannabis-Extrakte in der Apotheke beziehen – beides wird streng kontrolliert und geprüft.

Wer darf Cannabis verschreiben?

Im Prinzip können alle niedergelassenen Ärzt:innen Cannabis verordnen – auch Hausärzte. Ausgenommen sind nur Zahnärzte und Tierärzte. Besonders häufig stellen Fachärzt:innen für Schmerztherapie, Neurologie, Orthopädie, Rheumatologie oder Palliativmedizin Rezepte aus, da sie oft mit schwer behandelbaren chronischen Schmerzen konfrontiert sind.

Für Schmerzpatient:innen ist wichtig: Die Krankenkassen übernehmen die Kosten nur nach vorherigem Antrag. Dabei muss der Arzt oder die Ärztin begründen, warum andere Therapien nicht ausreichend wirken. Manche Anträge werden abgelehnt, sodass Betroffene die Behandlung im Zweifel selbst bezahlen müssen.

Immer mehr chronische Schmerzpatient:innen wenden sich an Telemedizin-Anbieter, weil hier die Beratung oft schneller und unkomplizierter abläuft. Nach einer Online-Konsultation kann ein Privat-Rezept ausgestellt und das Cannabis-Medikament direkt über eine Partner-Apotheke verschickt werden – ohne lange Wartezeiten auf Facharzttermine.

Bei diesen Schmerzen kann grundsätzlich Cannabis verschrieben werden

Cannabis kann in Deutschland vor allem dann verschrieben werden, wenn es sich um chronische Schmerzen handelt, die mit herkömmlichen Therapien nicht ausreichend gelindert werden können. Typische Einsatzgebiete sind:

Wichtig ist: Cannabis ist kein Schmerzmittel erster Wahl, sondern kommt ins Spiel, wenn andere Optionen nicht ausreichend wirksam oder nicht verträglich sind.

Infografik zur Wirkung von Cannabis gegen Schmerzen: THC kann Schmerzs-Signale im Nervensystem blockieren, CBD kann Entzündungen im Immunsystem modulieren, und CBG könnte Schmerzimpulse unabhängig vom Endocannabinoidsystem hemmen. Forschung zu CBG läuft.

Wie wirkt Cannabis bei Schmerzen?

Cannabis kann Schmerzen auf mehreren Wegen lindern. Zum einen wirken die Inhaltsstoffe THC und CBD im Endocannabinoidsystem – einem körpereigenen Netzwerk, das an der Schmerzregulation beteiligt ist. Sie können dort an spezielle Schaltstellen, die sogenannten CB1- und CB2-Rezeptoren, andocken: CB1 sitzt vor allem im Nervensystem und kann die Weiterleitung von Schmerzsignalen bremsen, CB2 findet sich verstärkt im Immunsystem und kann entzündliche Prozesse dämpfen. Beides zusammen kann dazu beitragen, Schmerzen zu verringern. [1]

Darüber hinaus weisen neuere Forschungen darauf hin, dass auch andere Cannabinoide wie CBG unabhängig vom Endocannabinoidsystem wirken können. Sie blockieren ein bestimmtes Protein in den Nervenzellen, das eine wichtige Rolle bei der Weiterleitung von Schmerzsignalen spielt. Wird dieser Mechanismus gehemmt, kann es dazu kommen, dass weniger Schmerzimpulse ins zentrale Nervensystem gelangen – was eine spürbare Linderung ermöglichen könnte. [2,3]

Cannabis-Therapie für Patienten mit chronischen Schmerzen – was sagt die Wissenschaft?

Die Forschung zu Cannabis bei chronischen Schmerzen ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Vor allem bei Nervenschmerzen, Multipler Sklerose oder Fibromyalgie gibt es Hinweise darauf, dass Patient:innen von Cannabis profitieren können. Studien zeigen: Cannabis kann Schmerzen lindern, die Häufigkeit von Symptomen verringern und in manchen Fällen auch den Schlaf verbessern.[1]

Im Vergleich zu klassischen Schmerzmitteln, vor allem Opioiden, schneidet Cannabis überraschend gut ab. Erste Studien zeigen: In manchen Fällen wirkt es ähnlich stark, in anderen sogar besser. Ein Beispiel: 20 mg THC konnten in einer Untersuchung mehr Schmerzen lindern als eine mittlere Dosis Codein. Besonders wichtig ist aber der Unterschied bei den Risiken: Opioide können schnell abhängig machen und im schlimmsten Fall tödlich wirken, während Cannabis meist Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel oder Konzentrationsprobleme verursacht – unangenehm, aber in der Regel nicht lebensgefährlich.[1]

Unser Tipp: Mehr Infos dazu findest du in unserem Artikel "Medizinisches Cannabis – Nebenwirkungen und Wirkung".

Infografik Cannabis gegen Schmerzen: Vorteile sind reduzierter Opioidverbrauch, vielversprechender Therapiebaustein und Alternative bei Unwirksamkeit klassischer Ansätze. Nachteile sind wenig Forschung, kleine Studien und unterschiedliche Cannabis-Produkte.

Weniger Opioide durch medizinisches Cannabis

Ein weiterer spannender Aspekt: Viele Patient:innen berichten, dass sie durch Cannabis deutlich weniger Opioide benötigen. Manche konnten ihre Dosis halbieren, andere ganz absetzen. In großen Studien mit tausenden Teilnehmenden sank der Opioidverbrauch bei einem Teil der Betroffenen um bis zu 60 Prozent. Das ist vor allem in Ländern wie den USA bedeutsam, wo die Opioidkrise seit Jahren ein massives Gesundheitsproblem darstellt.[1]

Trotz dieser positiven Ergebnisse bleibt ein Haken: Die wissenschaftliche Datenlage ist noch nicht stabil genug, um Cannabis in allen Leitlinien als Standardtherapie zu empfehlen. Viele Studien sind klein, dauern nur wenige Wochen oder unterscheiden sich stark in den verwendeten Cannabisprodukten. Fachleute sind sich deshalb einig: Cannabis ist kein Allheilmittel, aber ein vielversprechender Baustein in der Schmerztherapie – vor allem dann, wenn andere Medikamente nicht wirken oder nicht vertragen werden.[1]

Neue Hoffnung aus der Forschung: Cannabinoide ohne Rauscheffekt

Eine aktuelle Studie der Yale University bringt frischen Schwung in die Schmerzforschung. Die Wissenschaftler:innen haben sich drei Substanzen aus der Cannabispflanze angesehen, die nicht berauschend wirken: Cannabidiol (CBD), Cannabigerol (CBG) und Cannabinol (CBN). Ihr Ziel: herauszufinden, ob diese Stoffe Nervenreizungen dämpfen können – also genau die Signale, die bei chronischen Schmerzen ständig ans Gehirn geschickt werden.[2,3]

Im Mittelpunkt stand dabei ein bestimmtes Protein in den Nervenzellen, das Nav1.8 heißt. Dieses Protein ist so etwas wie ein Schalter für Schmerzsignale: Es sorgt dafür, dass die Nervenzellen immer wieder feuern und den Schmerz weiterleiten. Die Yale-Studie konnte zeigen: Alle drei Cannabinoide blockieren Nav1.8 – und bremsen so die Übertragung von Schmerzen. Besonders wirksam war dabei CBG, das die Aktivität der Nervenzellen am stärksten senkte.[2,3]

Das Besondere daran: Diese Substanzen verändern nicht die Psyche, sie machen also nicht „high“. Gleichzeitig scheinen sie eine sichere Alternative zu herkömmlichen Schmerzmitteln zu sein, die oft starke Nebenwirkungen oder sogar Abhängigkeiten verursachen können.[2,3]

Noch sind die Ergebnisse vor allem aus Zell- und Tierversuchen bekannt, doch die Richtung ist vielversprechend. Die Forschenden hoffen, dass daraus neue Medikamente entstehen, die chronische Schmerzen lindern können – ohne die Risiken, die viele bisherige Therapien mit sich bringen.[2,3]

So stark ist Cannabis als Schmerzmittel

Cannabis kann Schmerzen lindern – doch wie stark die Wirkung ist, hängt stark von der jeweiligen Person und der Art der Schmerzen ab. Studien zeigen: Für viele Patient:innen liegt die Wirkung im mittleren Bereich. Das heißt: Cannabis wirkt oft spürbar, aber nicht so stark wie klassische Opioide. Dafür ist es oft besser verträglich. Besonders bei chronischen Schmerzen, die schwer zu behandeln sind – etwa Nervenschmerzen oder Fibromyalgie – berichten viele Betroffene von einer Entlastung.[1]

Cannabis als Baustein in der Schmerztherapie

Cannabis kann für viele Schmerzpatient:innen eine neue Perspektive eröffnen – gerade dann, wenn herkömmliche Therapien nicht ausreichen oder zu viele Nebenwirkungen haben. Die Forschung zeigt, dass die Pflanze Schmerzen lindern, Entzündungen dämpfen und den Bedarf an Opioiden senken kann. Besonders spannend ist, dass neue Cannabinoide wie CBG in Zukunft vielleicht ganz ohne Rauscheffekt wirksam sein könnten.

Trotzdem gilt: Cannabis ist kein Wundermittel und ersetzt keine fundierte Schmerztherapie. Ob eine Behandlung sinnvoll ist, hängt immer vom Einzelfall ab. Deshalb sollte eine Cannabis-Therapie niemals in Eigenregie begonnen werden. Gerade wer bereits Medikamente gegen Schmerzen oder andere Erkrankungen einnimmt, braucht ärztliche Begleitung, um Risiken und Wechselwirkungen zu vermeiden.


FAQ

Wie schnell Cannabis gegen Schmerzen wirkt, hängt von der Art der Einnahme ab. Beim Inhalieren – etwa mit einem Vaporizer – kann die Wirkung schon nach wenigen Minuten einsetzen. Allerdings lässt der Effekt auch schneller wieder nach. Wer Cannabis als Öl, Kapsel oder Essware einnimmt, muss sich etwas gedulden: Hier dauert es meist 30 bis 90 Minuten, bis eine Wirkung spürbar wird. Dafür hält die Schmerzlinderung in der Regel länger und gleichmäßiger an.[1]
Die Forschung zeigt, dass es nicht die eine „beste“ Cannabissorte gegen Schmerzen gibt – sondern verschiedene Wirkstoffe und Kombinationen helfen können. Laut einer Übersichtsarbeit von 2023 greifen viele Patient:innen mit chronischen Schmerzen zu Produkten mit einem ausgewogenen Verhältnis von THC und CBD oder zu CBD-reichen Präparaten. Nur wenige bevorzugen sehr THC-dominante Produkte, da diese häufiger Nebenwirkungen haben können.[1] Wichtig: Eine Cannabis-Therapie sollte niemals auf eigene Faust begonnen werden. Gerade Schmerzpatient:innen, die oft bereits andere Medikamente einnehmen, brauchen ärztliche Begleitung, um Wechselwirkungen und Nebenwirkungen zu vermeiden.

Quellen

[1] Hameed, M., Prasad, S., Jain, E., Dogrul, B. N., Al-Oleimat, A., Pokhrel, B., Chowdhury, S., Co, E. L., Mitra, S., Quinonez, J., Ruxmohan, S., & Stein, J. (2023). Medical cannabis for chronic nonmalignant pain management. Current Pain and Headache Reports, 27(4), 57–63.

[2] Bangalore, L. (2025, 21. Januar). Cannabinoids offer new hope for safe and effective pain relief. Yale News. Abgerufen am [aktuelles Datum], von https://news.yale.edu/2025/01/21/cannabinoids-offer-new-hope-safe-and-effective-pain-relief[3] Ghovanloo, M.-R., Tyagi, S., Zhao, P., & Waxman, S. G. (2025). Nav1.8, an analgesic target for nonpsychotomimetic phytocannabinoids. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 122(4), e2416886122.

Cannabis auf Rezept: Alle Infos zu Voraussetzungen, Kosten & Co.

Medizinisches Cannabis kann für Patient:innen eine Alternative sein, wenn klassische Therapien versagen oder zu starke Nebenwirkungen verursachen. Doch trotz gesetzlicher Zulassung herrscht oft Unsicherheit: Wer bekommt überhaupt Cannabis auf Rezept? Welche Voraussetzungen gelten? Und wie funktioniert der Ablauf – vom ersten Arztgespräch bis zur Einlösung des Rezepts in der Apotheke? In diesem Artikel findest du alle wichtigen Infos zur medizinischen Cannabistherapie in Deutschland – verständlich erklärt, praxisnah und auf dem neuesten Stand.

Seit 2017 bedarf es in Deutschland keiner Ausnahmeregelung mehr, um sich Cannabis auf Rezept verschreiben zu lassen. Wer sich fragt: „Wie bekommt man Cannabis auf Rezept?“, sieht sich jedoch mit strengen Formalien und einer teils undurchsichtigen Informationslage konfrontiert.

Welche drei Schritte es auf dem Weg zur Therapie mit Cannabis als Medizin in Deutschland zu durchlaufen gilt und welche Regelungen dabei gelten, erfährst Du hier.

In 3 Schritten zum Cannabis-Rezept

1. Beratung durch Telemediziner:innen & Ärzt:innen

Grundsätzlich führen zwei Wege zum Cannabis-Rezept. Der klassische Weg geht über die Hausärztin oder den Facharzt. Ärzt:innen aller Fachrichtungen – mit Ausnahme von Zahn- und Tiermedizin – dürfen medizinisches Cannabis verschreiben. Ob sie es auch tatsächlich tun, ist allerdings eine andere Frage. Einige Portale bieten Verzeichnisse mit Ärzt:innen, die bereits Erfahrung mit der Cannabistherapie haben – zum Beispiel auf dieser Website.

Alternativ kannst du dich auch an Telemedizin-Plattformen wenden. Sie ermöglichen eine bequeme, ortsunabhängige Einschätzung per Video-Call oder Online-Fragebogen. Stuft die Ärztin oder der Arzt deine Situation als behandlungswürdig ein, wird das Rezept digital ausgestellt – und direkt an eine Versandapotheke oder eine Apotheke deiner Wahl weitergeleitet.

2. Indikationsprüfung und Rezeptausstellung

Die Ärzt:innen auf der Plattform werten kostenlos deine Daten aus und melden sich bei eventuellen Rückfragen. Sobald deine Angaben geprüft und bestätigt wurden und du für eine Cannabis-Therapie infrage kommst, wird dir ein Cannabis-Rezept ausgestellt.

3. Cannabis im Live-Bestand auswählen und Online-Rezept einlösen

Du kannst dir das Rezept für medizinisches Cannabis zusenden lassen und es in einer Apotheke deiner Wahl einlösen. Oder du nutzt eine der Partner-Apotheken der gewählten Plattform – dann kommt das Medikament, je nach Verfügbarkeit, direkt und unkompliziert zu dir nach Hause. Einige Telemedizin-Plattformen, die auf Cannabis spezialisert sind, bieten auch einen Live-Bestand für verfügbare Cannabis-Produkte, über die Patient:innen bereits Produktwünsche äußern können. Dies kann von Vorteil sein, wenn Patient:innen zum Beispiel bereits gute Erfahrungen mit einem bestimmten Cannabisprodukt gemacht haben.

Auswahl an Telemedizin-Plattformen

Bei diesen Krankheiten könnte man medizinisches Cannabis auf Rezept bekommen

Die Entscheidung, ob medizinisches Cannabis verschrieben werden darf, hängt maßgeblich von der sogenannten Indikation ab – also der ärztlichen Einschätzung, ob eine Cannabis-Therapie bei einer konkreten Erkrankung medizinisch sinnvoll und vertretbar ist. Voraussetzung ist stets, dass eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und andere Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft oder nicht verträglich sind.

Obwohl das Gesetz keine abschließende Liste nennt, hat sich in der Praxis ein klarer Anwendungsbereich herausgebildet. Zu den häufigsten Erkrankungen, bei denen Cannabis erfolgreich als Therapie eingesetzt wird, gehören:

Auch bei anderen seltenen oder komplexen Krankheitsbildern könnte eine Cannabis-Therapie infrage kommen – vorausgesetzt, die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt sieht eine begründete Aussicht auf Linderung der Beschwerden.

Grafik zeigt die drei Voraussetzungen für Cannabis auf Rezept: Eine schwerwiegende Erkrankung, Aussicht auf Besserung durch Cannabis und das Ausschöpfen anderer Therapien.

Diese Voraussetzungen braucht man für ein Cannabis-Rezept

Wer Cannabis aus medizinischen Gründen erhalten möchte, muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Im Mittelpunkt steht dabei die sogenannte Indikation – also die ärztlich fundierte Einschätzung, dass der Einsatz von Cannabis bei einer Erkrankung therapeutisch sinnvoll und vertretbar ist. Ein Cannabis-Rezept darf nur dann ausgestellt werden, wenn tatsächlich eine medizinische Notwendigkeit besteht. Konkret bedeutet das:

1. Schwerwiegende Erkrankung

Laut Gesetz muss eine „schwerwiegende Erkrankung“ vorliegen.

2. Ausschöpfung anderer Therapien

3. Aussicht auf Besserung

Wie viel kostet Cannabis auf Rezept?

Wird der Antrag auf Kostenübernahme von Cannabis von der Krankenkasse genehmigt, müssen Patient:innen lediglich die Rezeptgebühr von 5 bis 10 Euro zahlen. Sofern Patient:innen das medizinische Cannabis selbst zahlen, hängen die Kosten unter anderem von der Art des Cannabis-Produkts sowie dessen Menge und Herkunft ab.

Für medizinische Cannabisblüten aus deutschem Anbau etwa liegen die Abgabepreise der Apotheken an Patient:innen derzeit bei 10,30 Euro pro Gramm. Die Bestände an deutschem Cannabis sind jedoch begrenzt und die Preise für medizinische Cannabisblüten aus dem Ausland deutlich höher (Stand: Dezember 2022).

Was meint man mit einem Privatrezept für eine Cannabistherapie?

Privatrezept: Selbst zahlen, schneller starten

Ein Privatrezept für eine Cannabis-Therapie bedeutet, dass du das verschriebene medizinische Cannabis selbst bezahlst – also ohne Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse (GKV). Das bedeutet: Du erhältst die gleichen Medikamente (Blüten, Extrakte oder Fertigarzneimittel) wie bei einem Kassenrezept – aber du zahlst sie selbst.

Ein Privatrezept kann sinnvoll sein, wenn…

Grafik vergleicht Privat- und Kassenrezept für Cannabis auf Rezept: Privatrezept ermöglicht schnelle Therapie bei Selbstzahlung, Kassenrezept erfordert Genehmigung, wird aber von der Krankenkasse übernommen.

Unterschied zwischen einem Kassenrezept vs. Privatrezept für Cannabis

Privatrezept (Selbstzahlung)

Kassenrezept (Kostenübernahme durch GKV)

Wichtig:

VoraussetzungPrivatrezeptKassenrezept
Schwerwiegende Erkrankung
Ausschöpfung anderer TherapienempfohlenPflicht
Ärztliches Gutachten nötig
Genehmigung durch Krankenkasse
Sofortige Verordnung möglich❌ (Wartezeit)
Kostenübernahme durch GKV

Formen von medizinischem Cannabis: Cannabisblüten vs. Cannabisextrakte vs. Dronabinol

Medizinisches Cannabis ist nicht gleich Cannabis – denn je nach Diagnose, Therapieziel und individueller Reaktion stehen unterschiedliche Darreichungsformen zur Verfügung. Am häufigsten kommen Cannabisblüten, Cannabisextrakte und das synthetisch hergestellte Dronabinol zum Einsatz. Jede Form hat ihre eigenen Besonderheiten – und potenziellen Vorteile.

Cannabisblüten

Cannabisblüten sind die getrockneten weiblichen Blüten der Hanfpflanze. Sie enthalten natürliche Konzentrationen von THC, CBD und weiteren Cannabinoiden sowie Terpenen, die gemeinsam den sogenannten Entourage-Effekt auslösen könnten – also eine mögliche verstärkte Wirkung durch das Zusammenspiel der Inhaltsstoffe.[1]

Anwendung:

Vorteile:

Cannabisextrakte

Cannabisextrakte sind standardisierte Zubereitungen in flüssiger Form (z. B. Öle oder Tropfen), die entweder THC-dominant, CBD-dominant oder ausgewogen zusammengesetzt sind. Sie werden oral eingenommen, zum Beispiel als Tropfen unter die Zunge oder in Kapseln.

Anwendung:

Vorteile:

Dronabinol (THC in Reinform)

Dronabinol ist der internationale Name für Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) in reiner Form. Es wird in Deutschland als ölige Lösung oder Kapsel individuell von Apotheken hergestellt und meist tropfenweise oral verabreicht.

Anwendung:

Vorteile:

FAQ

Sofern eine Kostenübernahme der Cannabis-Therapie gewünscht ist, reichst Du nun den entsprechenden Antrag bei der Krankenkasse ein. Dieser besteht aus zwei Teilen: Einem schriftlichen formlosen Antrag von Deiner Seite sowie einem ärztlichen Fragebogen, den der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin ausfüllt. Beide Teile des Antrags lässt Du als Patient:in gesammelt Deiner Krankenkasse zukommen.  Im ärztlichen Fragebogen des Antrags müssen Ärzt:innen exakte Angaben zur Behandlung und dem Cannabis Medikament machen. Darüber hinaus sind genaue Informationen zur Dosierung und Darreichungsform sowie eine eingehende Begründung erforderlich, warum nur eine Therapie mit Cannabis auf Rezept infrage kommt. Beim Ausfüllen des Antrags ist besondere Vorsicht geboten: Ein nicht ausreichend gewissenhaft ausgefüllter Antrag auf Kostenübernahme ist einer der Hauptgründe für eine Ablehnung. Grundsätzlich darf eine Ablehnung des Antrags auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse nur in begründeten Ausnahmefällen erfolgen. Innerhalb von drei bis fünf Wochen müssen die gesetzlichen Krankenkassen über den Antrag auf Kostenübernahme entscheiden. Eine Ausnahme gilt, wenn eine Cannabis Therapie im Krankenhaus begonnen wurde oder im Rahmen der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung stattfinden soll. Dann liegt die Frist bei nur drei Tagen.
In aller Regel gilt: Krankenkassen dürfen den Antrag auf Kostenübernahme von Cannabis ablehnen und prüfen daher jeden Einzelfall. Wann die Kosten für Cannabis auf Rezept von welcher Krankenkasse übernommen werden, lässt sich daher nicht pauschal beurteilen. 2022 beschloss der erste Senat als höchstes deutsches Sozialgericht, dass ein Antrag auf Kostenübernahme von Cannabis von ärztlicher Seite eine „besonders sorgfältige und umfassende Einschätzung“ beinhalten muss. Dazu gehören neben der Beschreibung des Gesundheitszustands, des Krankheitsbilds und des angestrebten Behandlungsziels schon erprobte Therapien sowie deren Ergebnisse und mögliche Nebenwirkungen. Sofern eine entsprechende Erklärung bei der Krankenkasse vorgelegt wird, eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind und eine Aussicht auf eine positive Auswirkung von Cannabis auf den Krankheitsverlauf besteht, darf die Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme entsprechend § 31 Abs. 6 SGB V nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen.
Ja, Cannabis Rezepte können auch in Online-Apotheken eingelöst werden - zumindest theoretisch. Denn nicht jede Apotheke führt Cannabisarzneimittel. Darüber hinaus kann es auch vorkommen, dass die benötigte Darreichungsform oder Menge derzeit nicht vorliegt. Es gibt jedoch auch Apotheken-Plattformen online, die sich auf Cannabis spezialisiert haben.
Bei Cannabis-Online-Rezepten solltest du darauf achten, dass die Plattform seriös ist, mit approbierten Ärzt:innen arbeitet und eine echte medizinische Einschätzung erfolgt. Die Behandlung ist meist kostenpflichtig und wird von der Krankenkasse nur selten übernommen.
Nein – als Cannabispatient:in wirst du nicht zentral „gemeldet“ oder in einem öffentlichen Register erfasst. Es gibt keine Datenbank, die Polizei, Arbeitgeber oder Nachbarn einsehen könnten. Die Behandlung mit medizinischem Cannabis ist eine ganz normale ärztliche Therapie – vertraulich und vom Arztgeheimnis geschützt. Wenn du medizinisches Cannabis auf Privatrezept erhältst und die Behandlung selbst bezahlst, wird auch deine gesetzliche Krankenkasse nicht automatisch über die Cannabistherapie informiert. Es gibt keine Meldung, keine Rechnung an die Kasse, und auch keine Dokumentation im System der GKV – denn bei einem Privatrezept handelt es sich um eine eigenverantwortlich finanzierte Behandlung, die außerhalb des GKV-Leistungskatalogs erfolgt.
Als Cannabis-Patient mit ärztlichem Rezept darfst du Auto fahren, solange du nicht fahruntüchtig bist. Das bedeutet, du musst dich in einem stabil eingestellten Zustand befinden und deine Fahrtüchtigkeit darf durch das Medikament nicht beeinträchtigt sein. Bei einer Verkehrskontrolle kann ein Drogentest durchgeführt werden. Ist dieser positiv und besteht der Verdacht auf Fahruntüchtigkeit, können ein ärztliches Gutachten, eine MPU oder sogar der Führerscheinentzug die Folge sein. Du trägst eine besondere Verantwortung. Fahrlässiger Umgang oder Fahren unter akuter Wirkung kann ernsthafte Konsequenzen haben. Wer sich sicher fühlt, stabil eingestellt ist und die Einnahme belegen kann, muss den Führerschein nicht fürchten.
Vor allem im Alltag und im Umgang mit Behörden könnte es Nachteile haben. Auch wenn die Behandlung legal ist, berichten viele Patient:innen von Vorurteilen, etwa im medizinischen Umfeld, am Arbeitsplatz oder im sozialen Umfeld. Im Straßenverkehr kann es bei Kontrollen zu Rückfragen kommen – hier hilft ein Rezept oder eine ärztliche Bescheinigung. Bei Reisen ins Ausland ist Vorsicht geboten: In vielen Ländern ist medizinisches Cannabis trotz Rezept verboten. Zudem übernehmen gesetzliche Krankenkassen die Kosten nur unter engen Voraussetzungen.
Obwohl alle Apotheken in Deutschland grundsätzlich berechtigt sind, medizinisches Cannabis abzugeben, führen nicht alle entsprechende Produkte. Was bedeutet das für dich? Vorab informieren: Es ist ratsam, sich vor dem Besuch einer Apotheke telefonisch oder online zu erkundigen, ob die gewünschte Cannabissorte vorrätig ist. Spezialisierte Apotheken nutzen: Es gibt Apotheken, die sich auf die Abgabe von Medizinalcannabis spezialisiert haben und oft einen größeren Bestand sowie Erfahrung in der Beratung bieten. Online-Services in Anspruch nehmen: Einige spezialisierte Apotheken bieten Online-Dienste an, bei denen du dein Rezept einreichen und die Verfügbarkeit prüfen kannst.
Ein Arztwechsel während einer Cannabistherapie ist grundsätzlich möglich, aber nicht immer unkompliziert. Der neue Arzt ist nicht verpflichtet, die Therapie fortzusetzen und wird in der Regel eine ausführliche medizinische Dokumentation sowie eine Prüfung der Indikation verlangen. Bei Privatrezepten ist der Wechsel meist unkomplizierter, jedoch trägst du die Kosten einer Neuverschreibung durch den neuen Arzt selbst. Bei Kassenrezepten kann ein Wechsel die Kostenübernahme durch die Krankenkasse beeinflussen, besonders wenn die ursprüngliche Genehmigung vom alten Arzt eingeholt wurde. Wichtig ist immer: Lass dir alle relevanten Unterlagen (Rezept, Begründung, Dosierungsempfehlung, ggf. Krankenkassengenehmigung) mitgeben. Ein offenes Gespräch und eine strukturierte Übergabe erhöhen die Chancen auf eine reibungslose Fortsetzung deiner Therapie.

Quellen

[1] FAQ-Liste zum Einsatz von Cannabis in der Medizin der Bundesärztekammer

[2] Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften in der Bekanntmachung vom 6. März 2017 (BGBl. I S. 403-405)

[3] Beitrag „Arzneimittel-Verordnung: Cannabis verordnen“ auf der Website der Kassenärztlichen Bundesvereinigung https://www.kbv.de/html/cannabis-verordnen.php

Cannabis auf Rezept: Tipps für den Therapie-Start

Cannabis gewinnt immer mehr an Bedeutung als medizinische Alternative zu herkömmlichen Arzneimitteln – etwa bei chronischen Schmerzen oder Schlafstörungen. Seit 2017 ist es auf Rezept erhältlich. Mit der Gesetzesänderung 2024 wurde der Zugang weiter erleichtert: Medizinisches Cannabis fällt seither nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Dadurch ist die Verschreibung für Ärzt:innen und die Abgabe in Apotheken deutlich unbürokratischer geworden. Doch viele Fragen bleiben: Wer kann ein Rezept bekommen? Zahlt die Krankenkasse die Kosten? Und welche Hürden gibt es beim Thema Cannabis auf Rezept zurzeit noch? In diesem Artikel geben wir dir einen Überblick, wie der Weg zur Cannabistherapie aussehen kann.



Wann dürfen Ärzte Medizinal-Cannabis verschreiben?

Nicht jede Erkrankung rechtfertigt eine Behandlung mit Cannabis, doch unter bestimmten Bedingungen kann es als Medikament eingesetzt werden. Ärzt:innen dürfen es verschreiben, wenn eine medizinische Notwendigkeit besteht – also wenn herkömmliche Therapien nicht ausreichend wirksam waren oder starke Nebenwirkungen verursacht haben.

Häufig wird medizinisches Cannabis bei folgenden Erkrankungen eingesetzt:

Grafik mit dem Titel „Medizinal-Cannabis-Verschreibung“. In einem kreisförmigen Diagramm sind sechs Indikationen dargestellt, bei denen Ärzt:innen medizinisches Cannabis verschreiben können:
1.	Autoimmunerkrankungen (z. B. Morbus Crohn)
2.	Chronische Schmerzen (z. B. Rheuma, Fibromyalgie)
3.	Neurologische Erkrankungen (z. B. Multiple Sklerose, Epilepsie)
4.	Schlafstörungen (z. B. Schlaflosigkeit, stressbedingte Probleme)
5.	Psychische Erkrankungen (z. B. Angst, Depression)
6.	Appetitlosigkeit und Übelkeit (z. B. durch Therapien)
In der Mitte befindet sich ein Symbol mit einem Cannabisblatt und einem medizinischen Kreuz.

Ob eine Cannabis-Therapie in einem konkreten Fall sinnvoll ist, entscheidet die behandelnde Ärztin oder der Arzt individuell.

Medizinisches Cannabis auf Rezept: Was es zu beachten gilt

Medizinal-Cannabis ist für viele Patient:innen eine wertvolle Therapieoption – doch der Weg zum Rezept wirft oft Fragen auf. Welche Ärzt:innen verschreiben es? Wie läuft die Beantragung ab? Und welche Darreichungsform passt am besten? Sieben Schritte zur Cannabis-Therapie.

1) Den richtigen Mediziner / Die richtige Medizinerin finden

Auch wenn alle Ärzt:innen in Deutschland Cannabis verschreiben dürfen (abgesehen von Zahnärzt:innen), tun es nicht unbedingt alle. Nicht alle Mediziner:innen haben Erfahrung mit der Verordnung von Cannabis oder stehen der Therapie aufgeschlossen gegenüber. Dein:e erste:r Ansprechpartner:in kann deine Hausärztin oder dein Hausarzt sein. Falls dort keine Erfahrung mit Cannabis-Therapien besteht, bieten sich Schmerzmediziner:innen, Neurolog:innen oder Palliativmediziner:innen an. Eine Alternative können Telemedizin-Plattformen sein, die eine Beratung unter anderem per Video anbieten und bei medizinischer Eignung ein Rezept ausstellen können.

2) Gut vorbereitet ins Gespräch gehen

Eine gute Vorbereitung erhöht die Chancen auf eine Verschreibung. Hilfreich ist es, wenn du:

Je besser du deine Symptome beschreiben kannst, desto gezielter kann deine Ärztin oder dein Arzt die Cannabistherapie planen.

3) Die passende Darreichungsform wählen

Medizinisches Cannabis gibt es in verschiedenen Formen – welche die richtige ist, hängt von den individuellen Bedürfnissen ab:

Besprich mit deiner Ärztin oder deinem Arzt, welche Form für dich am besten geeignet ist.

4) Kassenrezept oder Privatrezept?

Wenn deine Ärztin oder dein Arzt eine Cannabis-Therapie empfiehlt, erhältst du ein Rezept – doch es gibt zwei Varianten:

Welche Option die bessere ist, hängt von der individuellen Situation ab. Wer schnell mit der Therapie beginnen möchte, entscheidet sich oft für ein Privatrezept.

5) Cannabis-Rezept einlösen: Apotheke oder Versand?

Sobald das Rezept vorliegt, kann es in einer Apotheke eingelöst werden:

Welche Variante die richtige ist, hängt von den individuellen Vorlieben ab.

6) Fortschritte dokumentieren: Ein Therapietagebuch führen

Um die Wirkung und mögliche Nebenwirkungen besser nachvollziehen zu können, lohnt sich ein Tagebuch zur Cannabis-Therapie. Notiere:

Diese Dokumentation hilft nicht nur deiner Ärztin oder deinem Arzt bei der optimalen Anpassung der Therapie, sondern kann auch bei Anträgen auf Kostenübernahme unterstützend wirken.

7) Die richtige Dosierung finden

Cannabis kann bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlich wirken. Deshalb ist es wichtig, die Dosierung langsam anzupassen:

Illustration mit dem Titel „Medizinische Cannabistherapie beginnen“. Eine Straße mit mehreren Etappen symbolisiert die einzelnen Schritte zur Therapie:	1.	Den richtigen Arzt finden (Ärzt:in mit Cannabis-Erfahrung suchen)	2.	Gut vorbereitet ins Gespräch gehen (medizinische Unterlagen mitbringen)	3.	Rezeptart bestimmen (Kassen- oder Privatrezept wählen)	4.	Passende Darreichungsform wählen (Blüten, Öle, Fertigarzneien etc.)	5.	Rezept einlösen (stationäre oder Versandapotheke)	6.	Therapie dokumentieren (Tagebuch führen zur Nachverfolgung der Wirkung)

Fazit: Cannabis als Medikament – einfacher, aber nicht ganz unkompliziert

Medizinisches Cannabis ist heute leichter zugänglich als früher, aber es gibt immer noch einige Hürden. Ärzt:innen entscheiden individuell, ob eine Verordnung sinnvoll ist. Wer eine Therapie mit Cannabis erwägt, sollte sich gut vorbereiten und alle Möglichkeiten – von der Wahl der Ärztin oder des Arztes bis hin zur Kostenübernahme – genau prüfen.


FAQ

Die gesetzliche Höchstgrenze für medizinisches Cannabis in Deutschland liegt bei 100 Gramm Cannabisblüten pro Monat. In Ausnahmefällen kann diese Menge überschritten werden, wenn eine besondere medizinische Notwendigkeit vorliegt. Wie viel Cannabis tatsächlich verschrieben wird, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören die Art der Erkrankung und die individuellen Symptome, da manche Patient:innen eine höhere oder niedrigere Dosis benötigen. Die gewählte Verabreichungsform – ob Blüten, Öle oder Extrakte – beeinflusst die verschriebene Menge, da sich die Wirkweisen unterscheiden. Die genaue Dosis wird individuell festgelegt.
Ob du während einer Cannabistherapie Auto fahren darfst, hängt von deiner individuellen Reaktionsfähigkeit ab. Auch wenn medizinisches Cannabis legal verschrieben wird, gilt für Patient:innen dieselbe Regel wie für alle anderen Verkehrsteilnehmer:innen: Wer sich nicht fahrtüchtig fühlt, darf nicht fahren. THC kann die Reaktionsgeschwindigkeit und das Urteilsvermögen beeinflussen, insbesondere zu Beginn der Therapie oder bei einer Dosisanpassung. Regelmäßige Einnahme kann unter bestimmten Umständen toleriert werden, wenn keine Fahruntauglichkeit besteht – das bedeutet jedoch nicht, dass man automatisch rechtlich sicher fahren darf. Zudem können Polizeikontrollen problematisch sein, da ein positiver THC-Nachweis im Blut bei Anzeichen einer Beeinträchtigung Konsequenzen haben kann. Patient:innen sollten daher mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt besprechen, ob und unter welchen Bedingungen sie am Straßenverkehr teilnehmen können.
Wie schnell du ein Rezept für medizinisches Cannabis bekommst, hängt davon ab, ob es sich um ein Privatrezept oder ein Kassenrezept handelt. Ein Privatrezept wird meist innerhalb weniger Stunden oder Tage ausgestellt, insbesondere wenn die Beratung über eine Telemedizin-Plattform erfolgt. Da hier keine Genehmigung durch die Krankenkasse erforderlich ist, kannst du das Rezept direkt in einer Apotheke einlösen. Ein Kassenrezept hingegen nimmt mehr Zeit in Anspruch, da die Krankenkasse zunächst die Kostenübernahme prüfen muss. Dieser Prozess kann mehrere Wochen dauern und falls der Antrag abgelehnt wird, verlängert ein möglicher Widerspruch die Wartezeit zusätzlich. Wer die Therapie schnell starten möchte, wählt daher häufig ein Privatrezept, um Verzögerungen zu vermeiden. Allerdings ist das nicht für alle Patient:innen eine Option – denn die Kosten für Medizinalcannabis müssen bei einem Privatrezept selbst getragen werden, was sich nicht jede:r leisten kann.
Ja, grundsätzlich kann jede Ärztin und jeder Arzt in Deutschland (außer Zahnärzt:innen) medizinisches Cannabis verschreiben. Allerdings haben nicht alle Erfahrung mit der Therapie. Viele Patient:innen wenden sich daher an spezialisierte Ärzt:innen für Schmerzmedizin, Neurologie oder Palliativmedizin. Auch Telemedizin-Plattformen können eine Möglichkeit sein, ein Rezept zu erhalten.

Reisen mit Cannabis als Medizin – Was man wissen sollte

Immer mehr EU-Länder verabschieden Gesetze zur Verwendung von medizinischem Cannabis. Doch die Gesetzgebung ist sehr uneinheitlich, weshalb Cannabis-Patienten und -Patientinnen, die sich mit ihrer Medizin auf Reisen begeben wollen, einige Dinge beachten müssen.

Bis März 2017 war Cannabis in Deutschland immer noch eine illegale Substanz, die unter Anlage eins des Betäubungsmittelgesetzes fiel und nur mit einer „Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis Flos“ erworben werden durfte. Seit der Gesetzesänderung Anfang März 2017 fällt medizinisches Cannabis unter Anlage drei und wurde dadurch ein „verkehrsfähiges Betäubungsmittel“. Deshalb sind ärztlich verordnete und in der Apotheke erworbene Medizinalhanfblüten verkehrsfähig und dürfen innerhalb des Schengenraums, zu dem auch die Schweiz als einziges Nicht-EU Mitglied gehört, mitgeführt werden.

Aus Ländern wie den Niederlanden, Italien, Tschechien oder Deutschland, wo Medizinalhanfblüten ebenso wie bei uns als verkehrsfähiges Arzneimittel gelten, können Patienten und Patientinnen ihren benötigten 30-Tage-Bedarf ins EU-Ausland mit sich führen. Hierzu müssen sie lediglich eine “Bescheinigung für das Mitführen von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung - Artikel 75 des Schengener Durchführungsabkommens”, den so genannten Schengen-Schein, dabei haben. Das Dokument muss zuvor von der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt ausgestellt sowie dem zuständigen Gesundheitsamt beglaubigt werden. Deshalb empfiehlt es sich, sich bereits ein paar Wochen vor Reiseantritt um den Schengen-Schein zu kümmern. 

Das Procedere ist genau wie bei den Fertigpräparaten, wobei auch bei Blüten die Wirkstoffmenge in Milligramm angegeben werden muss. So darf ein:e Patient:in, der/die zum Beispiel drei Gramm “Lemon Sherbet” mit 22 Prozent THC am Tag verschrieben bekommt, 90 Gramm Blüten aus der Apotheke mit sich führen. Zudem muss vermerkt sein, dass die 90 Gramm bei einem THC-Gehalt von 22 Prozent genau 18,48 Gramm THC enthalten. Ansonsten gelten die gleichen Regeln wie für Fertigpräparate. Die Arznei sollte zudem im versiegelten Originalbehälter mitgeführt werden. Verschreibungspflichtige Betäubungsmittel wie Cannabis müssen immer im Handgepäck mitgeführt werden, um einen Zugriff durch Dritte auszuschließen. Auch eine Aufforderung des Bordpersonals, das Handgepäck wegen Platzmangel kurzfristig im Gepäckraum verstauen zu lassen, verstieße gegen die Sorgfaltspflicht von Patienten und Patientinnen.

EU-Recht zufolge ist es also möglich, legal Cannabisblüten in Länder wie Österreich, Belgien oder Frankreich mitzunehmen, in denen diese aufgrund der jeweiligen gesetzlichen Lage selbst als Medizin noch komplett illegal sind. Bislang sind noch keine Fälle bekannt, bei denen Patienten oder Patientinnen bei Vorweisen der entsprechenden Dokumente strafrechtliche Konsequenzen erleiden mussten.

Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes ändert sich auch der betäubungsmittelrechtliche Status von medizinischen Cannabisprodukten vom Betäubungsmittel zum verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Eine aktuelle Nachfrage beim BfarM hat ergeben, dass für die Mitnahme von Cannabis im Schengenraum jedoch weiterhin das gleiche Dokument wie zuvor benötigt wird. Denn beim kleinen und großen Grenzverkehr gilt weiterhin internationales, nicht deutsches Recht.

Medizinisches Cannabis aus der EU ausführen

Jetzt wird es komplizierter. Wer medizinisches Cannabis in ein Nicht-EU Land mitnehmen muss, kann den Export aus Deutschland mit diesem Formular beantragen, das zum Export eines 30-Tage-Bedarfs berechtigt. Parallel dazu muss sich der Patient oder die Patientin eine Import-Genehmigung des Ziellandes besorgen. Das funktioniert meist nur dann, wenn beide Länder über ein medizinisches Cannabisprogramm auf Bundesebene verfügen, da Einreiseformalitäten weltweit von Bundesbehörden kontrolliert werden. Für Jamaika oder Südafrika zum Beispiel ist das kein Problem, aber selbst Staaten mit medizinischem Cannabisgesetz erteilen nicht unbedingt eine Importgenehmigung für medizinisches Cannabis.

So erklärt das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada auf Nachfrage, ein Import von medizinischem Cannabis für Patienten und Patientinnen könne nur in Ausnahmefällen wie zum Beispiel Palliativpatienten und -patientinnen genehmigt werden:

Es ist illegal, Cannabis in jeglicher Form, einschließlich Cannabidiol (CBD), über die kanadische Grenze zu bringen, auch wenn es für medizinische Zwecke bestimmt ist. Dies gilt sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise aus dem Land. Anträge auf eine reisebezogene Ausnahmegenehmigung gemäß dem Cannabisgesetz werden individuell geprüft. Nur unter seltenen und außergewöhnlichen Umständen, z. B. in palliativen Fällen, kann Health Canada eine Ausnahmegenehmigung erteilen, damit ein Reisender Cannabis für den individuellen medizinischen Gebrauch über die internationale Grenze bringen kann.“

Kanada lässt sowohl Einheimischen als auch Besuchern keine Möglichkeit, ihre Cannabis-Therapie auf Auslandsreisen fortzusetzen. Einzig Palliativpatienten und -patientinnen haben Aussicht auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import, müssen diese aber lange im Voraus beantragen. Während kanadische Produzenten seit Jahren Exportlizenzen erhalten, um kanadische Blüten in die ganze Welt zu verkaufen, müssen Patienten und Patientinnen auf Reisen in Kanada Cannabis zum Freizeitkonsum kaufen, sich illegal versorgen oder die Therapie abbrechen. Denn auch Cannabis-Rezepte gibt es nur für in Kanada gemeldete Personen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass selbst legal in Kanada angebaute Blüten, die von Patienten und Patientinnen in Deutschland legal in der Apotheke erworben werden, beim Re-Import illegal werden.

Ähnlich verhält es sich mit Israel. Trotz Exports nach Deutschland stehen Patienten und Patientinnen, die nach Israel reisen wollen, wie der sprichwörtliche Ochse vor dem Berg. Israels Gesundheitsministerium, das auch über ein medizinisches Cannabisprogramm verfügt, hat sich trotz mehrmaliger schriftlicher und telefonischer Anfragen nicht geäußert und bislang auch keinerlei Informationen zu medizinischem Cannabis auf Reisen veröffentlicht.

Kanada und Israel brauchen eine Lösung für Patienten und Patientinnen

Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, wirtschaftliche Interessen stünden bei den Internationalen Regelungen zu medizinischem Cannabis über den Belangen und Bedürfnissen von Cannabis-Patienten und -Patientinnen, sollten Länder wie Israel oder Kanada schnell eine rechtsverbindliche Lösung finden, die die Mitnahme legal produzierter und erworbener Medizinalhanfblüten auch über Grenzen hinweg ermöglicht.

Südafrika und Jamaika hingegen sind sehr transparent. Beiden Ländern reicht das weiter oben erwähnte Dokument sowie eine Rezeptkopie der aktuellen Verordnung. Auch lassen beide eine Registrierung von Besucher:innen als Cannabis-Patienten und -Patientinnen vor. Voraussetzung dafür ist natürlich die Vorsprache bei einer Ärztin oder einem Arzt vor Ort.

Es gibt aber auch viele Länder wie zum Beispiel die Türkei oder Ägypten, die weder den Import von Medizinalhanfblüten noch den von Cannabis basierten Fertigarzneimitteln erlauben. Um zu erfahren, welche Regeln für den Import von medizinischem Cannabis gelten, ist es außerhalb des Schengen Raums in den Fällen unbedingt notwendig, mit den zuständigen Gesundheitsbehörden vorab in Kontakt zu treten. Denn, anders als in Europa, wird der Besitz von Cannabis besonders im Nahen und Fernen Osten als schwere Straftat angesehen – mit allen Konsequenzen.

Vorsicht ist trotzdem geboten

Aber auch innerhalb des Schengenraums ist Vorsicht geboten. Das Schengen-Formular existiert lediglich in drei Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch). Sollten Zoll- oder Polizeibeamte den Inhalt und/oder die Beschriftung auf der Arzneimittelverpackung nicht verstehen, wird man bis zur Klärung des Sachverhalts schlimmstenfalls wegen illegalem Cannabisbesitz festgesetzt. Deshalb empfehle ich für Reisen in  Länder mit sehr strenger Cannabis-Gesetzgebung, wie zum Beispiel Griechenland oder Bulgarien, die Mitnahme einer beglaubigten Übersetzung des Mitnahme-Dokuments. Wer ganz sicher gehen möchte, lässt sich die Übersetzung noch einmal vom jeweiligen Konsulat beglaubigen.

Ein Tipp zum Schluss

Auch wenn der Import in Schengen-Länder und einige andere Staaten ohne ein Gesetz für Cannabis als Medizin legal ist, sollten sich Patienten und Patientinnen dort beim Konsum bedeckt halten. Denn weder Polizei noch die Bevölkerung kennen diese Ausnahme für Cannabis-Patienten und Patientinnen aus anderen EU-Ländern im Regelfall. Man geht erst einmal davon aus, dass es sich um Freizeitkonsum und -besitz handelt. Ohne Sprachkenntnisse und einem für Beamte fremdsprachigen Dokument in der Hand, haben Patienten und Patientinnen eine äußerst schlechte Verhandlungsbasis. Das mehrstündige Procedere zur Abklärung des legalen Status kann sehr unangenehm und zeitraubend sein. Deshalb ist es in solchen Ländern ratsam, die Medizin außerhalb der Seh- und Riechweite anderer einzunehmen.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Was das neue Cannabis-Gesetz für Patient:innen bedeutet

Das neue Cannabisgesetz tritt voraussichtlich im April 2024 in Kraft. Obwohl es im Gesetz maßgeblich um Freizeitkonsum, Eigenanbau sowie Cannabis Clubs geht, wird sich auch für Cannabis-Patient:innen einiges ändern. Denn mit dem Wegfall von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz verliert auch medizinisches Cannabis seine Klassifikation als Betäubungsmittel, wodurch nicht nur die Verordnung für alle Seiten etwas unkomplizierter wird.

Cannabis-Rezepte werden dann für Kassenpatient:innen in Form des rosa Standardrezeptes ausgestellt. Für Selbstzahlende werden blaue Privatrezepte ausgestellt.  Die Gültigkeit verlängert sich damit von 7 auf 28 Tage, Privatrezepte für medizinisches Cannabis werden mit Inkrafttreten des Gesetzes sogar drei Monate gültig sein. Allerdings werden Medizinalblüten auch nach Gesetzesreform kein Fertigarzneimittel sein, sondern bleiben zumindest vorerst eine Rezeptursubstanz.

Ein E-Rezept spart Wege

Sobald medizinisches Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist, wird es auch möglich sein, Cannabis-basierte Arzneimittel auf E-Rezept zu erhalten. Mit dem schrittweisen Inkrafttreten der E-Rezept Verordnung seit März 2023 können sich Cannabis-Patientinnen und -Patienten zukünftig viele Wege und somit auch eine Menge Zeit sparen. Denn beim seit Januar 2024 obligatorischen E-Rezept sind sogenannte Wiederholungsrezepte möglich. Die Grundlage hierfür wurde bereits 2020 mit Inkrafttreten Änderungen im  V. Sozialgesetzbuchs aus dem Jahr 2020 geschaffen. Auf dessen Grundlage können Ärztinnen und Ärzte mit Einführung des elektronischen Rezepts Wiederholungsrezepte mit Ausnahme von Betäbungsmittel (BTM)-Rezepten auch elektronisch ausstellen. Patientinnen und Patienten, die regelmäßig die gleichen Wirkstoffe oder Präparate brauchen, dürfen Ärztinnen und  Ärzten bis zu vier sogenannte E-Rezept-Token ausstellen. Das unterteilt eine Mehrfachverordnung in bis zu vier eigenständige Teile. Später einzulösende Teile der Mehrfachverordnung bleiben bis zum auf dem Rezept vermerkten Zeitraum gesperrt. Die eigenständigen Token können innerhalb der Einlösefrist auch in unterschiedlichen Apotheken eingelöst werden.

In der Praxis heißt das, dass sich gut eingestellte, langjährige Cannabis-Patientinnen und -Patienten den monatlichen Weg zur Rezeptabholung mithilfe des E-Rezepts dann sparen und sich alle Beteiligten auf die wirklich wichtigen, persönlichen Termine zur Gesundheitsvorsorge und -erhaltung konzentrieren können. Kassenpatientinnen und -patienten müssen seit dem 01.01.2024 verpflichtend ein E-Rezept ausgestellt bekommen. Wer Papier bevorzugt, kann sich das E-Rezept auch weiterhin wie ein herkömmliches Rezept ausdrucken lassen. Bei Privatrezepten war die technische Umstellung zum 01.01.2024 anscheinend so schwierig, dass es hier eine Übergangsfrist für Ärztinnen und Ärzte und Kassen gibt. Doch auch hier bieten bereits viele Praxen und Kassen die Option des E-Rezepts an.

Auch die Lagerung wird für die Apotheken unkomplizierter, weil medizinische Cannabisprodukte nicht mehr in einem Betäubungsmittelschrank gelagert werden müssen. Die Lagerung als normales Medikament ist im Vergleich zur BTM-Lagerung platz- und kostensparender. Auch der Transport, Versand und die Dokumentation von Medizinalcannabis werden ohne betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen unkomplizierter und somit günstiger.

Sind die Präparate untereinander austauschbar?

Außerhalb des BTM-Bereichs bieten Rezepte auch die Möglichkeit einer relativ einfachen „Aut Idem“-Verordnung. Das lateinische "Aut idem" heißt zu Deutsch "oder das Gleiche".

Bisher durften Apotheken bei medizinischem Cannabis nur das Präparat wechseln, wenn das verordnete nicht lieferbar war. Dazu bedarf es einer dokumentierten Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt und einer nachträglichen Änderung des Rezeptformulars. Bei einer „Aut Idem“-Verordnung außerhalb des BTM-Bereichs kann die Apotheke das Präparat einfacher wechseln. Setzt die Ärztin oder der Arzt hier sein Kreuz, darf die Apotheke statt eines von der Ärztin oder dem Arzt verordneten Arzneimittels ein anderes, wirkstoffgleiches Präparat an die Patienten oder den Patienten abgeben.

Im Falle einer Kassenverordnung muss das gewählte Arzneimittel im Vergleich zum ursprünglich verordneten wirtschaftlich sein, bei Privatpatientinnen und -patienten ist die Wirtschaftlichkeit ohnehin Sache der Patientin oder des Patienten. Denn es gibt für Privatversicherte keine Verpflichtung, eine kostengünstigere Alternative zu wählen. Sie können frei nach den für sie wichtigen Kriterien wie Preis, Handhabbarkeit oder Verträglichkeit entscheiden, welches geeignete Arzneimittel sie nehmen möchten.

Auch die Möglichkeit eines Rezepts für Cannabisblüten lediglich unter Angabe der Gehalte an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) könnte zukünftig intensiver genutzt werden.

Eine solche Verordnung ist im Prinzip auch jetzt schon möglich, wird aber aufgrund der komplizierten und zeitaufwändigen “Aut-Idem”-Voraussetzungen bei Cannabis selten ausgestellt.

Auf die Frage, ob die Ärzteschaft eher spezifische Sorten oder allgemein Cannabisblüten unter Angabe des THC- und CBD-Gehalts verordnen werden, antwortete der damalige Präsident Andreas Kiefer der Apothekenkammer der Pharmazeutischen Zeitung bereits im März 2017 :

Beides ist möglich. Entscheidend ist, dass die Verordnung eindeutig ist. Der Apotheker muss im Rahmen der Plausibilitätsprüfung verstehen, was gemeint ist. Die Ärzteschaft und die Bundesopiumstelle empfehlen eine Sortenverordnung. Damit sind die Gehalte an Cannabinoiden eindeutig bestimmt.[…]“ [Quelle].

Das war 2017, als es noch sehr wenige Cannabis basierte Medizinalprodukte gab. Angesichts der vielen unterschiedlichen Präparate und Sorten, die heute verordnet werden können, wird die Nutzung dieser Möglichkeit auch für alle Beteiligten immer interessanter. Denn das ermöglicht besonders Patientinnen und Patienten und Apotheken mehr Flexibilität sowie eine umfassendere Beratung vor Ort als derzeit möglich.

Solange Cannabis gesetzlich noch als Betäubungsmittel eingestuft ist, bleibt es jedoch abzuwarten, welche Rolle die Austauschbarkeit bei medizinischem Cannabis künftig spielen wird. Denn hier spielen auch mit den Kassen bereits ausgehandelte, noch zu schließende Rabattverträge sowie der Status von medizinischen Cannabisblüten als Rezeptursubstanz eine entscheidende Rolle. Auf diese beiden Faktoren hat das neue Gesetz keinen messbaren Einfluss.

Auch am Prozedere der Kostenübernahme für medizinisches Cannabis wird das Gesetz nichts ändern. Selbst ohne die Klassifizierung als Betäubungsmittel ist medizinisches Cannabis meist nur eine Option für die gesetzlichen Kassen, wenn schulmedizinisch alle Alternativen, inklusive verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel, ausgeschöpft sind.

Dürfen Patienten und Patientinnen auch kiffen und anbauen?

Cannabis-Patientinnen und -Patienten sind aber auch Mitbürger:innen, die, zumindest theoretisch, mit Inkrafttreten des Gesetzes, Cannabis zum Freizeitkonsum für den Eigenbedarf anbauen und besitzen dürfen. Auch eine Clubmitgliedschaft kann nicht aufgrund des Patientinnen- bzw. Patienten-Status verwehrt oder in Frage gestellt werden. Ebenso ist der Konsum von Cannabis zum Freizeitkonsum, zumindest strafrechtlich, auch für Patientinnen und Patienten nicht relevant – aber: Auch wenn Cannabis kein BTM mehr ist, sind Patientinnen und Patienten nach wie vor zur Compliance verpflichtet. Darunter versteht man die Mitarbeit und Kooperation der Patientin bzw. des Patienten bei einer medizinischen Behandlung, zum Beispiel durch Einhalten von Verhaltensregeln wie das genaue Einhalten der ärztlichen Verordnung. Das ist bei zusätzlichem Freizeitkonsum in den meisten Fällen nicht möglich. Denn eine Ärztin oder ein Arzt darf Patientinnen und Patienten nicht empfehlen, medizinisches durch selbst angebautes oder im Club erhaltenes Cannabis zu ersetzen. Das entspricht nicht den strengen medizinischen Standards und darf deshalb auch nicht ersatzweise angewendet werden.

Cannabis-Patientinnen und Patienten brauchen meist höhere Dosen als Menschen, die Cannabis ab und an zur Entspannung konsumieren. Sie könnten bei zusätzlichem oder gar regelmäßigem Freizeitkonsum ihre Toleranz steigern und so die Therapie beeinflussen.

Ob man als Cannabis-Patientin auch mal Cannabis zum Vergnügen rauchen darf und unter welchen Umständen das sein könnte, ist keine Frage des Strafrechts mehr, sondern vielmehr eine des gesunden Menschenverstandes. Schließlich ist es auch kein Verbrechen, entgegen dem ärztlichen Rat Medikamente und Alkohol zu mischen. Trotzdem ist es in den meisten Fällen ungesund und nicht selten sogar lebensgefährlich. Wer es trotzdem macht, ist mit dem Tragen der gesundheitlichen Konsequenzen ohnehin gestraft genug.*

Wie sich ein:e Patient:in in Zukunft gegenüber legalem Cannabis zum Freizeitkonsum verhalten soll, muss schlussendlich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt entscheiden. Nur Mediziner:innen können anhand von Faktoren wie Therapiedauer, individueller Dosierung, dem Krankheitsbild und anderen Parametern der Cannabis-Therapie entscheiden, ob man als Patient:in auch mal einen dampfen darf oder besser die Finger davon lässt. Ohne eine solche Absprache wäre der Freizeitkonsum von Patientinnen und Patienten zwar keine Straftat, aber ein Hinweis auf mangelnde Compliance. Eine solche Non-Compliance ist für viele Mediziner:innen bereits heute ein guter Grund, eine Therapie zu beenden oder wenigstens infrage zu stellen. Damit es gar nicht so weit kommt, sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt jederzeit wissen, was ihr:e/sein:e Patient:in neben der Therapie einnimmt. Denn ohne Angst vor Strafverfolgung oder Stigmatisierung ist es eben viel einfacher, offen und ehrlich zu bleiben.


Hinweis: Teile dieses Artikels geben die Meinung des Autoren – nicht die des Unternehmens – wieder.

Part 1: Das Kap der Grünen Hoffnung – Südafrika setzt voll auf Cannabis

Nicht einmal 12 Stunden nach der Landung in Kapstadt sitze ich in einem Cannabis Social Club für Patienten und Patientinnen. Sieht aus und klingt, zumindest wenn die Locals ihre Medizin am Tresen ordern, fast wie in Amsterdam. Denn Afrikaans hört sich fast an wie niederländisch und ist am Westkap die meist gesprochene der 11 südafrikanischen Amtssprachen.

Die Sortenauswahl ist immens und dank meiner Dokumente, die meinen Status als Deutscher Cannabis-Patient belegen, darf ich die Medizin hier auch probieren. Bis 2022 gab es in Südafrika auch Cannabis Social Clubs für Erwachsene ohne medizinische Verordnung. Doch seit einem höchstrichterlichen Urteil von 2022 dürfen Cannabis Social Clubs in Südafrika nur Patienten und Patientinnen aufnehmen, die Vereine für Freizeit-Cannaseur:innen wurden über Nacht illegal. Der Hintergrund der bis heute relativ unklaren Rechtslage rund um Cannabis ist ein Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2018. Damals wurden Konsum, Anbau und Besitz für den Eigenkonsum über Nacht legal – allerdings ohne definiert zu haben, wie viel Gras man besitzen oder anbauen darf. Die Regierung wurde im Zuge dieses Urteils zudem verpflichtet, Cannabis innerhalb der nächsten Jahre irgendwie zu regulieren. Doch wie fast überall auf der Welt waren die Betroffenen schneller als die Regierung und so schossen nach dem Urteil Cannabis Social Clubs wie Pilze aus dem Boden. Parallel dazu fing die südafrikanische Regierung an, Anbaulizenzen für medizinisches Cannabis zu verteilen, bevor es wirklich legale und regulierte Vertriebswege dafür gab.

Nach dem Club-Verbot von 2022 bekamen die bereits bestehenden Clubs die Möglichkeit, als medizinische Cannabis Clubs weiter und – statt in einer Grauzone – in einem von den Gesundheitsbehörden vorgegebenen Rahmen zu agieren. Denn die südafrikanische Cannabis-Agentur hatte im Rahmen der Lizenzvergabe glatt vergessen, dass medizinisches Cannabis auch Vertriebswege auf nationaler Ebene braucht. Wieso also nicht aus der Not der über Nacht illegalen Clubs eine Tugend machen, indem man mithilfe deren Infrastruktur Patienten und Patientinnen versorgt? Denn das Modell in Südafrika hatte von Anfang an ein grundlegendes Problem.

Die SAHPRA (South African Health Products Regulatory Authority) hatte sich in der Hoffnung auf ausländische Investoren auf große Exportvolumina fokussiert, während Patienten und Patientinnen vor Ort von Anfang an Schwierigkeiten hatten, in Südafrika angebautes, medizinisches Cannabis legal zu beziehen.

Mittlerweile kooperiert die Cannabis Agentur in Südafrika mit zahlreichen medizinischen Cannabis Clubs. Die Clubs helfen den Patienten und Patientinnen bei der Arztsuche und stellen den Kontakt zur SAHPRA her. Der Rest ist meist Formsache, Patienten und Patientinnen können so im Durchschnitt ein bis drei Tage nach der ärztlichen Diagnose Medizinalblüten von dem Club beziehen, der Ihren Antrag bei der SAHPRA eingereicht hat. Klingt unkompliziert und so sollte ein Besuch in einem Club für Cannabis-Patienten und -Patientinnen zeigen, wie diese in Südafrika mit legaler Medizin versorgt werden.

Ein Besuch bei den 420 Doctors

Während ich meine eigene Medizin aus Deutschland dank einer deutschen Export- und einer südafrikanischen Importgenehmigung mitnehmen durfte, hat sich mein Reisebegleiter in der Hoffnung auf südafrikanische Medizin die zeitraubende Antragstellung gespart und auf eine schnelle Lösung vor Ort gesetzt. Die sollte dann in Form der 420 Doctors nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem Gründer Leon ursprünglich einen Cannabis-Club betrieben hatte, wurde die Rechtslage 2022 so unsicher, dass er sich zu einer Zusammenarbeit mit der SAHPRA entschloss.

Die Räumlichkeiten des Clubs erinnern an US-amerikanische Abgabestellen. Die Auswahl ist immens, zur Zeit unseres Besuchs im Frühjahr 2023 können Patienten und Patientinnen unter mehr als 20 Sorten mit SAHPRA-Siegel auswählen. Meine Reisebegleitung muss als allererstes einen Antrag ausfüllen, der postwendend an einen von der SAHPRA lizenzierten Arzt geschickt wird.

Moderate Preise – Hohe Qualität

Die Preise für medizinisches Cannabis sind aufgrund des Lohngefüges niedriger als in Europa. Ein Gramm kostet zwischen 2,50 und 10 Euro. Die Qualität ist ähnlich, auch wenn die Produktionsparameter in der EU noch ein wenig strenger sind als am Kap. Doch die südafrikanische Cannabis-Industrie wächst mit ihren Aufgaben und verfügt mittlerweile über internationale Standards. Hinzu kommt das für Cannabis perfekte Klima sowie der kulturelle Aspekt. Anders als Marihuana in der Bundesrepublik oder der DDR war „Dagga“ in Südafrika nie das Hippiekraut einer ungeliebten Randgruppe, sondern seit grauer Vorzeit Volksdroge. Das hat auch das Gericht in seinem wegweisenden Urteil von 2018 anerkannt. Und anders als in den meisten EU-Ländern ist der Konsum von Dagga zu 100 Prozent entkriminalisiert. Dort, wo Zigaretten geraucht werden, darf auch gekifft werden, die Eigenbedarfsregelung ist zudem sehr liberal. Als Eigenbedarf gilt gemeinhin alles, was in eine Schachtel für den persönlichen Bedarf passt – Hauptsache es deutet nichts auf Verkauf und Weitergabe hin. Die Größe der Schachtel spielt da eher eine Nebenrolle, auch eine genaue Definition, wie viel Gramm als Eigenbedarf durchgehen, sucht man vergeblich.

Mein Begleiter wird kurz nach unserem Club-Besuch von der SAHPRA mit der Bitte angeschrieben, der Ärztin seine deutschen Unterlagen zukommen zu lassen. Einen Tag und ein Telefonat später ist mein Reisepartner südafrikanischer Cannabispatient. Beim nächsten Besuch der 420 Doctors entscheidet er sich im Rahmen einer olfaktorischen Prüfung der zahlreichen Medizinalblüten, seine Therapie mit „Apple Jax“ und „Fight Club“ fortzusetzen. 420-Inhaber Leon erklärt mir derweil, dass für Extrakte sogar eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich sei. Anders als in Deutschland sei die bei Blüten aber grundsätzlich nicht möglich. Auf meine Frage, wo man denn als Patient ungestört konsumieren könne, lotst mich Club-Gründer Leon einen Raum weiter.

Hier bauen wir gerade unsere Vapo-Lounge. In medizinischen Clubs darf natürlich nicht geraucht, sondern nur vaporisiert werden,“ erklärt mir der cannafine Jungunternehmer aus Kapstadt.

Das Einnehmen der Medizin außerhalb der Clubs ist, anders als in einigen US-Bundesstaaten oder in Spanien, jedoch auch kein Problem. Denn der Konsum von Cannabis, egal ob medizinisch oder zum Spaß, ist dem Rauchen von Kippen rechtlich gleichgestellt. Deshalb findet in Südafrika jede:r einen ruhigen Ort, ungestört seine oder ihre Medizin einzunehmen – unabhängig von der Applikationsform“, berichtet Leon weiter.

Nachdem der wichtigste Punkt nach der Ankunft jetzt abgehakt ist, folgen wir Leons Tipp und machen der Kapstädter Cannabis-Messe unsere Aufwartung. Denn die findet, ohne dass wir es vorher mitbekommen haben, genau an dem Wochenende unseres Besuchs in der Kapregion statt.

Südafrikas Cannabis-Industrie verharrt in den Startlöchern

Zwei Uber später finden wir uns im Sun Convention Center als Gäste der CannabisExpo wieder. Rein äußerlich unterscheidet sich das Event nicht von europäischen Hanfmessen: Speziallampen zum Anbau, Düngerhersteller, Longpaper-Stände und Cannabis-Aktive dominieren die Gänge, aber auch unsere Freunde von den 420 Doctors sind mit einem Stand vertreten. Die Präsenz der SAHPRA überrascht mich dann doch ein wenig – weil sich unsere Cannabis-Agentur wohl kaum auf der Mary-Jane oder der Cannafair blicken lassen würde. Doch der Stand der Cannabis-Agentur auf einem 420-Event steht auch für Aufbruchsstimmung und Pioniergeist, der an jedem einzelnen Stand in Kapstadt zu spüren ist.

Ich treffe Silas Howarth, der die erste Cannabis-Fachmesse Südafrikas auf die Beine gestellt hat, und möchte von ihm mehr über die Entwicklung der südafrikanischen Cannabis-Industrie wissen.

Die erste Expo gab es 2018 in unserer Hauptstadt Pretoria, dann kamen Kapstadt, Johannesburg und Durban. Seitdem gibt es hier (in Südafrika) insgesamt drei Expos im Jahr. Wir hatten ziemliches Glück. Nachdem wir unser erstes Event das ganze Jahr über geplant hatten und im September 2018 das Urteil (red. Anmerkung: zur Verfassungswidrigkeit des Cannabis-Verbots in Südafrika) gesprochen wurde, fand unsere Veranstaltung nur einen Monat später statt. Damit waren wir die erste Veranstaltung dieser Art, die in diesen aufregenden Zeiten stattgefunden hat.

Wenn man in der Öffentlichkeit darauf pochen kann, dass Cannabis legal ist und Leute wirklich auch zuhause rauchen dürfen, fragt sich die Öffentlichkeit auch: „Gibt es da schon eine Branche?“

Und genau zu diesem Zeitpunkt fand die erste Expo statt.“

Silas Howarth im Gespräch mit Michael Knodt

Ich schildere Silas meine Befürchtungen, dass so lockere, aber unklare Regeln zum Freizeitkonsum doch schlussendlich in einer schwer zu kontrollierenden Grauzone enden könnten.

Es besteht bereits eine riesige Grauzone. Das ist einer der Bereiche, in denen die Regierung zu langsam arbeitet, würde ich sagen – wie überall auf der Welt. Es ist schon erstaunlich, dass vor der Expo die Branche selbst gar nicht mitbekommen hat, wie groß sie eigentlich ist. Und deshalb bis dahin auch keine:r die Vorteile und Chancen erkannt hat, die eine neue Branche im Rahmen der Legalisierung ergreifen kann. Die Möglichkeiten für Cannabis-Unternehmen sind riesig, wir bieten hier einen neuen Spielplatz und ein eimaliges Potential für Unternehmen, besonders jetzt in den Anfangsjahren.“

Fachgeschäfte vs. rechtliche Grauzonen

Was Silas mit dieser Grauzone meint, erklärt mir Phil* aus Johannesburg während der obligatorischen Inhalations-Pause im Freien: „Es gibt immer noch Clubs, die ohne Schild und ohne Lizenz arbeiten. Das kostet dann eine Art Extra-Gebühr, über die hier niemand redet. Ich habe auch schon erlebt, dass bei einer Verkehrskontrolle eine 200 g Box als Eigenbedarf durchgeht oder eine große Tüte einfach verschwindet. Du musst wissen, wir sind das Land der Road-Blocks, also Polizeikontrollen wie ihr in Deutschland sagt. Die sind hier, anders als ihr das kennt, eine Säule der Kriminalitätsbekämpfung. Leider weiß hier auch jedes Kind, dass jedwedes Vergehen seinen Preis hat. Den kann man meist direkt und ganz ohne Quittung bezahlen. Und weil Kleinstmengen ja seit 2018 keine Straftat mehr sind, geht es heutzutage eben um mehr als ein paar Gramm. Alle wollen legal verkaufen. Bis das irgendwann möglich ist, erreicht man das Ziel über Umwege. Mehr will ich dazu gar nicht sagen“, erklärt mir mein Gesprächspartner.

Südafrika ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Cannabis umfassend entkriminalisiert wird, ohne den Handel im gleichen Zuge zu regulieren. Im Prinzip hat das Verfassungsgericht durch sein Urteil 2018 ein rechtlich unscharfes Pendant zu der deutschen Säule eins geschaffen. Zwar wird die medizinische Cannabisbranche trotz einiger Startschwierigkeiten immer professioneller und unterliegt mittlerweile klaren Spielregeln. Doch die riesige Grauzone, in der sich Südafrikas Freizeitkonsumenten und -konsumentinnen tummeln, konnte nur entstehen, weil es de Regierung seit sechs Jahren nicht geschafft hat, Anbau und Verkauf von Freizeit-Cannabis zu regulieren, während Weed im Alltag entkriminalisiert und omnipräsent ist. Deutschland könnte Ähnliches blühen, falls zwischen Säule eins (Entkriminalisierung zum 1.4.24) und Säule zwei (Produktion und Verkauf) zu viel Zeit vergehen sollte.

*Name vom Autor geändert


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Antonia Menzel, Sanity Group: “Großes Potential für Medizinalcannabis”

Seit fast vier Jahren leitet Antonia die Public Affairs-Abteilung der Sanity Group und repräsentiert die Gruppe als Unternehmenssprecherin auf öffentlichen Veranstaltungen wie Messen, Konferenzen und Podiumsdiskussionen. Lest hier ihre Bewertung der gerade laufenden Gesetzesänderungen zur Cannabis-Legalisierung und zum Potential von Cannabis im medizinischen Bereich

“Wir waren noch nie so weit wie jetzt.”

Schon während ihres Studiums (International Business Management und Global Political Economy) in Berlin, Kassel und St. Petersburg, war es ihr wichtig, sich an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Politik zu bewegen. Das brachte sie beruflich in den Public Affairs-Bereich. Gleich nach ihrem Studium hat sich Antonia auf die Gesundheitspolitik konzentriert und Kunden aus der pharmazeutischen Industrie, der Biotechnologie und Medizintechnik, aber auch der digitalen Gesundheit zu ihren Public Affairs-Aktivitäten beraten. Und obwohl das noch zu Zeiten war, bevor das Gesetz zum medizinischen Cannabis 2017 in Deutschland eingeführt wurde, hat Antonia schon die ersten Cannabis-Unternehmen aus den USA und Kanada zu ihrem geplanten Markteintritt nach Deutschland beraten.

Von der Beratung wechselte Antonia dann auf die Verbandsseite und arbeitete für den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) im Bereich industrielle Gesundheitswirtschaft. Als stellvertretende Vorstandsvorsitzende im Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V. (BPC) und Mitglied des Vorstandes im europäischen Verband Medicinal Cannabis Europe (MCE) setzt sich Antonia Menzel auch jetzt aktiv für die Interessen der Cannabisindustrie auf nationaler und internationaler Ebene ein.

Antonia, wie bewertest du die geplanten Gesetzesvorhaben zur Legalisierung?

Kurz und knapp: Wir waren noch nie so weit wie jetzt. Das darf man in der ganzen Debatte nicht unter den Tisch fallen lassen, dass wir gerade an einem Punkt sind, wo Deutschland Geschichte schreiben kann und wir jetzt den Umschwung zu einer veränderten Drogenpolitik schaffen können. Die Bestrebungen seitens der Bundesregierung sind da. Was die konkrete Ausgestaltung des Gesetzesentwürfe angeht, die jetzt vorliegen, sehe ich jedoch noch sehr viel Luft nach oben. 

Was meinst du konkret?

Die Tatsache, dass überhaupt darüber diskutiert wird, dass Cannabis kein Betäubungsmittel mehr sein soll, die Tatsache, dass wir darüber reden, dass sich in Zukunft Cannabis- Anbauvereinigungen gründen dürfen, dass man vielleicht auch Pilotprojekte startet – so etwas hat es davor noch nie in Deutschland gegeben. Ich finde, das kann man erst einmal anerkennen. Jetzt geht es darum, wirklich ein Gesetz zu schaffen, das für alle beteiligten Stakeholder eine gute Möglichkeit der Umsetzung bietet. Und da sehe ich noch sehr viele Hürden im aktuellen Gesetzesentwurf. Gleichzeitig bieten sich im parlamentarischen Verfahren auch noch Möglichkeiten, dass man gewisse Dinge positiv verändern kann. 

Was bedeutet das für den Bereich Medizinalcannabis?

Für den Bereich Medizinalcannabis finde ich es auf jeden Fall richtig und wichtig, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen und reklassifiziert wird. Ich sehe da sehr viele Vorteile sowohl für Patient:innen als auch für die Ärzteschaft: zum Beispiel, dass eine Verschreibung leichter wird, und dass es weniger Sicherungsanforderungen und weniger Dokumentationsaufwand geben wird. Doch es gibt auch noch sehr viel Verbesserungspotential im Medizinalcannabisgesetz, denn es wurden sehr viele Regelungen einfach aus dem Betäubungsmittelgesetz übernommen, was nicht zielführend ist. Da hätte man ein bisschen mehr auf die Patient:innen gucken müssen, was tatsächlich praktikabel im Alltag ist.

Welches Potenzial siehst du beim Einsatz von Medizinalcannabis?

Ich sehe da großes Potenzial, einfach weil Cannabis als Medizin in so vielen Indikationsfeldern eingesetzt werden kann: von der Schmerztherapie über die Palliativmedizin bis hin zum Bereich Frauengesundheit gibt es ganz viele Indikationsfelder, in denen Patient:innen chronisch krank sind und bislang keine wirkliche Aussicht auf Linderung ihrer Leiden hatten oder eben durch eine starke Opiattherapie sehr viele Nebenwirkungen haben. Da hat Cannabis das große Potenzial, eine sehr gute Add-on-Therapie zu sein.
Cannabis ist eine gute Begleittherapie, zum Beispiel insbesondere im Palliativbereich, wo die Menschen nicht mehr viel Zeit haben, ihren Lebensalltag zu gestalten. Solchen Patient:innen ein bisschen Lebensqualität zurückzugeben oder auch anderen chronisch schwerkranken Menschen in ihrem Alltag die Möglichkeit zu geben, wieder partizipieren zu können, wieder arbeiten gehen zu können und überhaupt irgendwie einen normalen Alltag zu leben, motiviert mich jeden Tag aufs Neue in dieser Industrie zu arbeiten.

Gibt es denn schon genug wissenschaftliche Evidenz für die Wirkung von Medizinalcannabis?

Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Forschungsvorhaben in verschiedenen Bereichen weiter vorangetrieben werden. Es gibt schon sehr viel Evidenz. Aber es wird eben auch häufig kritisiert, dass die Evidenz noch nicht ausreichend ist. Und je mehr man an Forschung leistet, desto besser wird es auch irgendwann akzeptiert und anerkannt.

Bist du mit der Gesetzgebung zu den Cannabis Social Clubs zufrieden?

Im Bereich Cannabis Clubs halte ich es für einen großen Fehler, dass es keine Cannabis Social Clubs sein sollten, d.h. dass der Konsum komplett ausgeklammert wird. Da muss auf jeden Fall nachgebessert werden. Aber auch an vielen anderen Detailstellen, wie z.B. den Abstandsregelungen, bleibt der Gesetzentwurf weit hinter seinen Erwartungen zurück. Sehr kritisch sehe ich außerdem die Entkoppelung von Säule 1 und Säule 2, sprich, dass man die Pilotprojekte in einem separaten Gesetz behandelt. Man hätte jetzt alles in einem Aufwasch behandeln sollen, weil wir sonst Gefahr laufen, dass die Pilotprojekte in dieser Legislaturperiode vielleicht gar nicht mehr umgesetzt werden.

Hast du Wünsche und Ziele, was den Cannabis-Markt angeht?

Mein Ziel ist es auf jeden Fall, dass wir zum Anfang 2024 ein gutes und final abgestimmtes Cannabis-Gesetz haben werden, sprich, dass Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz herausgenommen wird, dass wir gute Regelungen zu den Cannabis Social Clubs und zum Eigenanbau haben werden, und Verbesserungen für Patient:innen im Bereich Medizinalcannabis umgesetzt werden. Mittelfristig möchte ich, dass wir dasselbe auch noch in dieser Legislaturperiode für die Pilotprojekte aus der Säule 2 schaffen. 
Vielen Dank für deine Einschätzung, liebe Antonia.

Auch interessant: Lest
hier auf unserem Blog der Sanity Group, was Antonia zur Rolle von Frauen in der Cannabis-Branche sagt

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