Cannabis – Einstiegsdroge oder Ausstiegsdroge?

Der Begriff „Einstiegsdroge“ begleitet Cannabis seit Jahrzehnten – als politisches Schlagwort, als Warnung, als Mythos. Doch während sich das Bild vom gefährlichen Türöffner hartnäckig hält, wächst die Zahl der Hinweise, dass Cannabis auch als Ausstiegsdroge wirken könnte – therapeutisch, substituierend, entlastend.



Es ist eines dieser hartnäckigen Narrative, das sich zäh durch die Jahrzehnte zieht – und bis heute in so mancher Talkshow für besorgte Stirnfalten sorgt: Wer mit Cannabis-Konsum beginnt, landet im Grunde unweigerlich bei Heroin und CO.. Die sogenannte Gateway-Theorie (also die Theorie, Cannabis sei eine Einstiegsdroge und führt zum Konsum härterer Drogen) dient seit jeher als Begründung für eine restriktive Drogenpolitik – und macht Cannabis zum moralischen Sündenbock.

Dabei gerät zunehmend aus dem Blick, dass dieses Bild längst Risse bekommen hat. Und zwar nicht nur in wissenschaftlichen Fachpublikationen, sondern mitten in der Realität therapeutischer Praxis. In Entzugskliniken, Schmerzambulanzen und Suchttherapien wird Cannabis heute nicht mehr nur als Gefahr diskutiert, sondern zunehmend als mögliche Perspektive: nicht der Einstieg in eine Drogenkarriere, sondern der Ausstieg aus der Abhängigkeit.

Teilliberalisiert, aber nicht rehabilitiert: Deutschlands gespaltenes Verhältnis zu Cannabis

Mit dem neuen Cannabis-Gesetz, das 2024 in Kraft trat, hat sich der rechtliche Rahmen in Deutschland grundlegend verändert. Die Teillegalisierung erlaubt Erwachsenen den Besitz kleiner Mengen und eröffnet durch die Gründung von Cannabis Clubs neue Wege des gemeinschaftlich organisierten Konsums. Doch obwohl die Gesetzeslage liberaler geworden ist, bleibt der therapeutische Umgang mit Cannabis vielerorts zögerlich, der unkomplizierte Zugang zu medizinischem Cannabis für Patient:innen in Zukunft fraglich.

Während in Nordamerika längst systematisch erforscht wird, wie sich riskante Substanzen durch medizinisches Cannabis substituieren lassen, wird in Deutschland vor allem gestritten: über Bürokratie, über Jugendschutz, über symbolische Grenzen. Die Realität vieler Patient:innen gerät dabei leicht aus dem Fokus.

Bleibt die Frage: Reicht die Teillegalisierung, um auch das therapeutische Potenzial von Cannabis endlich ernst zu nehmen? Oder bleibt das neue Gesetz ein politisches Feigenblatt – während das alte Bild vom Konsum von Cannabis als Einstieg in den Abgrund weiterwirkt?

Einstiegsdroge Cannabis – ist da wirklich was dran?

Bereits 2010 wies das Aufklärungsportal der Bundesregierung drugcom.de darauf hin, dass sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und dem späteren Gebrauch harter Drogen nicht belegen lässt.[1]

Auch das US-amerikanische National Institute on Drug Abuse (NIDA), das einen grundsätzlich restriktiven Umgang mit psychoaktiven Substanzen vertritt, räumt ein, dass „die meisten Cannabis-Konsument:innen keine härteren Drogen konsumieren“. Die sogenannte Gateway-Theorie erscheint vor diesem Hintergrund zunehmend überholt.[2]

Vom Stigma zur Strategie

Parallel zur Erosion der Gateway-Theorie vollzieht sich in der Forschung ein bemerkenswerter Perspektivwechsel. Aus medizinischer Sicht könnte Cannabis unter bestimmten Voraussetzungen zunehmend die Kriterien einer Substitutions- oder Ausstiegsdroge erfüllen. Besonders in Nordamerika wird untersucht, inwiefern der gezielte Einsatz von medizinischem Cannabis dazu beitragen kann, den Konsum gesundheitlich riskanter Substanzen wie Opioide, Benzodiazepine oder Alkohol zu reduzieren – mit ersten belastbaren Ergebnissen.

US-amerikanische Forschungsteams plädieren inzwischen dafür, medizinisches Cannabis explizit in therapeutische Konzepte zu integrieren – als Alternative zu stärker abhängig machenden Substanzen. Der Ansatz folgt einer pragmatischen Logik: Statt Abstinenz um jeden Preis anzustreben, soll der Schaden begrenzt werden – ein Prinzip, das in der modernen Drogenpolitik als harm reduction längst etabliert ist.[3]

Statistische Analysen deuten darauf hin, dass dieser Weg Wirkung zeigen könnte. In den Vereinigten Staaten ist die Zahl der Todesfälle infolge von Opioid-Überdosierungen seit der Jahrtausendwende dramatisch gestiegen. Doch ausgerechnet in jenen Bundesstaaten, die Cannabis legalisiert haben – sei es zu medizinischen oder nicht-medizinischen Zwecken –, zeigt sich seit 2014 ein auffälliger Trend: Die Mortalitätsraten im Zusammenhang mit Opioiden sind dort signifikant gesunken.[4]

Cannabis als Substitut: Die Studienlage ist vielversprechend

Das therapeutische Potenzial von Cannabis als schadensmindernde Substanz wird inzwischen durch eine wachsende Zahl von Studien gestützt – vor allem in Nordamerika. Bereits eine frühe Untersuchung der Universität Berkeley aus dem Jahr 2009 legte erste Grundlagen. Auch wenn die Erhebung methodisch noch zurückhaltend angelegt war, weisen die Ergebnisse in dieselbe Richtung wie zahlreiche spätere Studien: Cannabis wird von Patient:innen gezielt zur Substitution anderer Substanzen eingesetzt – mit dem Ziel, Nebenwirkungen zu verringern und die Lebensqualität zu verbessern.[5]

Die Befragung umfasste 350 Mitglieder eines medizinischen Cannabis-Kollektivs in Kalifornien. 71 Prozent der Teilnehmenden litten an einer chronischen Erkrankung, mehr als die Hälfte gab an, Cannabis zur Behandlung von Schmerzen zu verwenden, drei Viertel bei psychischen Beschwerden. Besonders aufschlussreich war die Frage nach dem Substitutionsverhalten:

Als häufigste Gründe wurden genannt: weniger Nebenwirkungen (65 %), bessere Symptomlinderung (57 %) und eine geringere Ausprägung von Entzugssymptomen (34 %).

Die Ergebnisse legen nahe, dass Patient:innen medizinisches Cannabis nicht als Ergänzung, sondern als gezielte Alternative verstehen – als eigenverantwortlichen Beitrag zur Schadensminderung in einem oft unzureichend versorgten therapeutischen Umfeld.[5]

Substitution ohne System: Wie Patient:innen eigenverantwortlich handeln

Drei Jahre nach der kalifornischen Erhebung folgte eine kanadische Studie, die den Substitutionseffekt von medizinischem Cannabis in einem realweltlichen Kontext genauer untersuchte. In vier Cannabisapotheken der Provinz British Columbia erhoben Forschende gemeinsam mit Apothekenpersonal und Patient:innen detaillierte Daten zum aktuellen und früheren Gebrauch von Cannabis, Alkohol und anderen Substanzen. Ziel war es, zu analysieren, ob der Konsum bestimmter Substanzen durch die Verfügbarkeit von Medizinalhanf beeinflusst wird.[6]

Die Erhebung umfasste 404 anonymisierte Patient:innen, deren Angaben auf ein konsistentes Muster hinwiesen:

Die Motive für den Substitutionsgebrauch ähnelten jenen der US-amerikanischen Studien: weniger Entzugserscheinungen (68 %), geringere Nebenwirkungen (60 %) und ein insgesamt verbessertes Symptommanagement.

Bemerkenswert: Drei Viertel der Befragten gaben an, mindestens eine andere, gesundheitlich riskantere Substanz dauerhaft durch Cannabis ersetzt zu haben. Die Autor:innen der Studie schlussfolgerten, dass viele Patient:innen – trotz fehlender institutioneller Programme – bereits heute selbstbestimmt substituieren. Cannabis fungiert dabei nicht als Ersatz im pharmakologischen Sinne, sondern als Alternative im Alltag chronisch kranker oder psychisch belasteter Menschen.[6]

Medizinisches Cannabis und Opioidmissbrauch

"Der krisenhafte Opioidkonsum und -missbrauch  in den Vereinigten Staaten hat im Laufe des letzten Jahrzehnts die Forschung zur Ausstiegsdroge Cannabis intensiviert. Deren Ergebnisse wiederum haben die Akzeptanz US-amerikanischer Mediziner:innen für medizinisches Cannabis positiv beeinflusst",

erklärt Autor und Cannabis-Journalist Micha Knodt.

"Medizinisches Cannabis wird in den USA aktuell sowohl als Ersatz für opioidbasierte Schmerzmittel, als auch als potentielles Mittel zur Behandlung von Opioidabhängigkeit verschrieben. Eine Reihe von Umfragen deutet zudem auf eine wachsende Präferenz für medizinisches Cannabis als erstes Mittel der Wahl bei der Behandlung chronischer Schmerzen hin."

Als Vorteile von Cannabis gegenüber Opioiden werden geringere Nebenwirkungen, ein geringeres Risiko einer physischen Abhängigkeit sowie im Falle einer Abhängigkeit die sanfteren Entzugserscheinungen genannt. Schon 2016 bewies eine Studie, dass die Legalisierung von medizinischem Cannabis auf bundesstaatlicher Ebene zu einem Rückgang der Verschreibungen von Opioiden um bis zu 12 Prozent geführt hat.[7]

Eine 2021 veröffentlichte Studie aus Delaware, in deren Rahmen Patient:innen Opioide zur Schmerzbehandlung einnahmen, ergab, dass die Aufnahme von medizinischem Cannabis in Behandlungsprogramme zu einem durchschnittlichen Rückgang der Opioideinnahme um 31 Prozent führte.[8]

In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2020, sollten die Proband:innen über einen Zeitraum von drei Monaten und länger Opioid-Medikamente einnehmen. Die Aufnahme von medizinischem Cannabis in ihre Behandlungsprogramme führte zu einem Rückgang der Opioideinnahme um 45 Prozent. Darüber hinaus konnten etwa 40 Prozent der befragten Patient:innen die Einnahme von Opioiden ganz einstellen.[9]

Auch eine Umfrage unter etwa 200 Personen, die sich in einem Opioidentzug befanden, ergab, dass die Mehrheit der Befragten Cannabis nicht wie ein klassisches Opioid- oder Opiat-Substitut, sondern gezielt zur Linderung ihrer Entzugssymptome nutzen. Darüber hinaus gab die Studie Hinweise darauf, dass die Verabschiedung von Gesetzen zu medizinischem Cannabis zu einer geringeren Sterblichkeitsrate bei Opioidüberdosierungen auf Landesebene führen kann.[10]

Ausstiegsdroge Cannabis: „Cannabis nimmt mir den Saufdruck“

Auch in Deutschland mehren sich Berichte über den gezielten Einsatz von Cannabis als Substitutionsmittel – wenngleich die nationale Studienlage bislang spärlich ist. Die wissenschaftliche Forschung steckt noch in den Anfängen, systematische Erhebungen fehlen. Und doch zeigen einzelne Fälle, dass die Praxis der Selbstsubstitution längst begonnen hat – jenseits offizieller Programme.

Bereits 2015 berichtete die Süddeutsche Zeitung über Karl „Shorty“ Huber, einen langjährigen Alkoholkranken, der seinen Konsum nicht mit klassischen Entzugsmedikamenten, sondern mit Cannabis in den Griff bekam. Zunächst über den Schwarzmarkt, später im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung, schließlich ärztlich verordnet, nutzt Huber seither medizinische Cannabisblüten – mit Erfolg.

„Cannabis nimmt mir den Saufdruck. Alkohol ist ein Rauschgift, Cannabis ein Rauschmittel“,

zitiert ihn die Zeitung. Eine klare Unterscheidung – für Huber nicht semantisch, sondern existenziell. Die Therapie ermöglichte ihm ein stabiles Leben, ein intaktes soziales Umfeld, eine Rückkehr in den Alltag.[11]

Cannabis statt Alkohol: Was Studien nahelegen

Was im Einzelfall wie bei Karl Huber sichtbar wird, findet inzwischen auch in der Forschung ein breiteres Echo. Eine bereits 2009 im Harm Reduction Journal veröffentlichte Untersuchung unter kalifornischen Ärzt:innen, die auf medizinisches Cannabis spezialisiert sind, dokumentiert ein klares Muster: Alle elf befragten Mediziner:innen behandelten Patient:innen, die Cannabis gezielt als Ersatz für Alkohol einsetzten. In 90 Prozent dieser Fälle wurde ein Rückgang des Alkoholkonsums nach Beginn der Therapie beobachtet.[12]

In derselben Publikation findet sich eine ergänzende Umfrage unter alkoholabhängigen Personen, die ihre eigene Substitutionserfahrung schilderten. Die Bewertungen fielen eindeutig aus: Die Hälfte der Befragten beschrieb die Wirkung von Cannabis als „sehr wirksam“, die andere Hälfte als „wirksam“. Zehn Prozent lebten nach eigenen Angaben bereits seit über einem Jahr abstinent – ausgelöst durch die Cannabistherapie. Gleichzeitig berichteten 21 Prozent von einem Rückfall, sobald sie den Cannabiskonsum unterbrachen. Die Daten deuten auf ein sensibles Gleichgewicht hin: Cannabis als Brücke zur Abstinenz – aber auch als potenziell notwendige Stütze.[13]

Eine Langzeitstudie aus dem US-Bundesstaat Colorado, die über fünf Jahre hinweg den parallelen Konsum von Alkohol und Cannabis untersuchte, kam zu einem differenzierten Ergebnis. Der Cannabiskonsum war mit einem Rückgang des Alkoholkonsums um durchschnittlich 29 Prozent assoziiert. Noch deutlicher war der Effekt bei Alkoholexzessen: Hier reduzierte sich die Häufigkeit um die Hälfte – unabhängig von Geschlecht oder Konsumfrequenz.[14]

Auch in Kanada wurden ähnliche Tendenzen dokumentiert. Eine im Jahr 2019 durchgeführte Umfrage unter Patient:innen in medizinischer Behandlung mit Cannabis ergab: Der Alkoholkonsum sank während der Therapie im Durchschnitt um 44 Prozent. Besonders ausgeprägt war der Effekt bei jüngeren Teilnehmer:innen sowie bei jenen, die gezielt wegen problematischen Alkoholkonsums mit Cannabis behandelt wurden.[15]

Eine weitere Studie aus dem Jahr 2020 bestätigte diesen Zusammenhang auf indirekte Weise. Darin zeigte sich: Junge Erwachsene, die ihren Cannabiskonsum unterbrachen, steigerten ihren Alkoholkonsum im Durchschnitt um 60 Prozent. Nach Wiederaufnahme der Cannabiseinnahme sank er auf das Ausgangsniveau zurück.[16]

Die Befunde sind nicht frei von Widersprüchen – doch sie sprechen eine gemeinsame Sprache: Für bestimmte Gruppen, unter bestimmten Voraussetzungen, könnte Cannabis eine ernstzunehmende Rolle in der Alkoholtherapie spielen. Noch fehlt es an Langzeitdaten und kontrollierten klinischen Studien. Doch der klinische Alltag ist der Forschung an vielen Stellen bereits voraus.

Cannabis gegen die Cannabisabhängigkeit?

Was zunächst paradox erscheint, ist in Wahrheit ein therapeutischer Ansatz mit wachsender wissenschaftlicher Substanz: die Behandlung von Cannabis-Konsumstörungen mithilfe eines cannabisbasierten Wirkstoffs – genauer gesagt: mit Cannabidiol, kurz CBD. Anders als THC wirkt CBD nicht berauschend, sondern kann anxiolytisch, antipsychotisch und potenziell stabilisierend wirken. Die Konsumstörung wiederum bezieht sich auf den übermäßigen und dysfunktionalen Gebrauch von THC-dominantem Cannabis.

Einer der zentralen Beiträge zur Erforschung dieses Therapieansatzes erschien im Juli 2020 in The Lancet Psychiatry. In einer randomisierten Studie wurden Erwachsene mit diagnostizierter Cannabis-Konsumstörung über mehrere Wochen hinweg mit unterschiedlichen Dosen von CBD behandelt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass hochdosiertes Cannabidiol die Symptome mittlerer bis schwerer Störungen signifikant lindern kann – insbesondere das Craving, also das Verlangen nach weiteren Konsumeinheiten.[17]

Auch wenn die Datenlage noch überschaubar ist, liefern Fallstudien wichtige Impulse. So beschreibt ein Bericht die Therapie eines männlichen Patienten mit bipolarer Störung und langjähriger THC-Abhängigkeit. Im Rahmen der Behandlung wurde ihm gestattet, weiterhin Cannabis zu konsumieren – allerdings unter gleichzeitiger Gabe von CBD-Öl. Im Therapieverlauf reduzierten sich nicht nur Angst und Schlafstörungen, sondern auch der tägliche THC-Konsum.[18]

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei einer Patientin mit ausgeprägten Entzugssymptomen: Angstzustände, dissoziative Episoden, innere Unruhe. Im Verlauf einer zehntägigen CBD-Therapie klangen die Symptome vollständig ab. Die behandelnden Ärzt:innen schlossen daraus, dass Cannabidiol potenziell geeignet ist, das Cannabisentzugssyndrom zu lindern – möglicherweise sogar nachhaltig.[19]

Was hier sichtbar wird, ist weniger ein Widerspruch als ein differenziertes Verständnis von Substanzen und ihrer Wirkung. Nicht das Etikett „Cannabis“ entscheidet über Nutzen oder Risiko, sondern die genaue Zusammensetzung, Dosis, Begleiterkrankung – und das therapeutische Ziel.

Und was ist mit Kokain?

Während die Opioidkrise weiterhin das mediale und politische Augenmerk auf sich zieht, bleibt ein anderer Befund oft im Schatten: die nach wie vor hohe Prävalenz des Kokainmissbrauchs – insbesondere in den USA. Im Jahr 2020 wurden fast 20.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Kokain registriert, die Mehrzahl davon in Kombination mit Opioiden. Doch auch der alleinige Konsum der Stimulanz fordert jährlich tausende Leben.

Inzwischen mehren sich Hinweise darauf, dass auch hier Cannabidiol (CBD) therapeutisches Potenzial entfalten könnte.[20] Zwar befinden sich die Forschungen noch im vorklinischen Stadium, doch erste Ergebnisse aus Tiermodellen sind vielversprechend. So berichtet die Fachzeitschrift Addiction Biology von einer Studie, in der kokainabhängigen Labormäusen CBD verabreicht wurde – mit dem Effekt, dass die Tiere ihre selbst gewählte Kokain-Dosis deutlich reduzierten.[21]

Weitere Versuchsreihen zeigen, dass CBD die durch Kokain aktivierten Belohnungssysteme im Gehirn modulieren kann – ein möglicher Schlüssel zur Erklärung des beobachteten Rückgangs. Auf Grundlage einer systematischen Auswertung von 52 Einzelstudien kommen die Autor:innen zu einem vorsichtigen, aber hoffnungsvollen Fazit: CBD könnte als ergänzende Therapie bei der Behandlung von Kokainabhängigkeit künftig eine Rolle spielen.[22]

Doch auch hier gilt: Die bisherigen Ergebnisse stammen ausschließlich aus Tierversuchen. Eine Übertragung auf den Menschen bleibt spekulativ, klinische Studien stehen noch aus.

Ein Blick nach Europa: Die Forschungslücke bleibt bestehen

Während in Nordamerika bereits konkrete Substitutionsansätze mit Cannabis erforscht und teils praktiziert werden, bleibt Europa zurückhaltend. Die gesellschaftlichen Herausforderungen – Alkohol, Benzodiazepine, Opioide, Stimulanzien – sind auf beiden Seiten des Atlantiks vergleichbar. Doch therapeutisch ist die Diskrepanz groß.

In Deutschland, wie in weiten Teilen Europas, ist die Substitution problematischer Substanzen durch Cannabis bislang die Ausnahme – nicht die Regel. Strukturelle Hürden, fehlende Studien und politische Zurückhaltung bremsen die Entwicklung. Dabei könnten gerade die nordamerikanischen Daten und die wachsende Zahl individueller Therapieerfolge Anlass genug sein, das medizinische Potenzial von Cannabis stärker in den Fokus zu rücken.

Denn eines bleibt unbestritten: An einer Überdosis Cannabis ist – anders als bei allen hier genannten Substanzen – bis heute weltweit kein Todesfall dokumentiert worden.


FAQ

Nein, im klassischen Sinne ist Cannabis keine Einstiegsdroge. Die sogenannte Gateway-Theorie, nach der der Konsum von Cannabis zwangsläufig zu härteren Drogen wie Heroin führt, gilt in der heutigen Wissenschaft als überholt. Es gibt keinen belastbaren Nachweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Cannabis und dem späteren Gebrauch harter Drogen.
Die häufigsten Einstiegsdrogen – im Sinne der ersten konsumierten psychoaktiven Substanz, die später mit einem riskanteren Drogenkonsum assoziiert ist – sind Alkohol und Tabak. Diese werden in zahlreichen Studien und Erhebungen genannt.
Für den Einstieg könnten sich Sorten mit niedrigem THC-Gehalt (unter 10 %) und idealerweise einem ausgleichenden CBD-Anteil eignen. Wichtig: Langsam herantasten – und bei Cannabis auf Rezept stets in Absprache mit einer Ärztin oder einem Arzt.

Mehr Infos erhältst du in unserem Artikel "Cannabis auf Rezept: Tipps für den Therapie-Start".


Quellen

[1] Drugcom. (22.10.2010). Bedeutung von Cannabis als Einstiegsdroge überschätzt. Drugcom. Abgerufen am [18.07.2025], von https://www.drugcom.de/news/bedeutung-von-cannabis-als-einstiegsdroge-ueberschaetzt/

[2] National Institute on Drug Abuse. Cannabis (marijuana). Abgerufen am 18. Juli 2025 von https://nida.nih.gov/research-topics/cannabis-marijuana

[3] Wiese, B., & Wilson-Poe, A. R. (2018). Emerging evidence for cannabis' role in opioid use disorder. Cannabis and Cannabinoid Research, 3(1), 179–189.

[4] Bachhuber, M. A., Saloner, B., Cunningham, C. O., & Barry, C. L. (2014). Medical cannabis laws and opioid analgesic overdose mortality in the United States, 1999–2010. JAMA Internal Medicine, 174(10), 1668–1673.

[5] Reiman, A. (2009). Cannabis as a substitute for alcohol and other drugs. Harm Reduction Journal, 6(1), 35.

[6] Lucas, P., Reiman, A., Earleywine, M., McGowan, S. K., Oleson, M., Coward, M. P., & Thomas, B. (2012). Cannabis as a substitute for alcohol and other drugs: A dispensary-based survey of substitution effect in Canadian medical cannabis patients. Addiction Research & Theory, 21(5), 435–442.

[7] Bradford, A. C., & Bradford, W. D. (2016). Medical marijuana laws reduce prescription medication use in Medicare Part D. Health Affairs, 35(7), 1230–1236.

[8] Balu, A., Mishra, D., Marcu, J., & et al. (2021, December 7). Medical cannabis certification is associated with decreased opiate use in patients with chronic pain: A retrospective cohort study in Delaware. Cureus, 13(12), e20240.

[9] Takakuwa, K. M., & Sulak, D. (2020). A survey on the effect that medical cannabis has on prescription opioid medication usage for the treatment of chronic pain at three medical cannabis practice sites. Cureus, 12(12), e11848.

[10] Bergeria, C. L., Huhn, A. S., & Dunn, K. E. (2022). The impact of naturalistic cannabis use on self-reported opioid withdrawal. Drug and Alcohol Dependence, 233, 109376.

[11] Sabrina Ebitsch. (2015, 12. November). Ungewöhnliches Mittel gegen Alkoholsucht: „Ohne Cannabis wäre ich schon lange tot“. Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 17. Juli 2025 von https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/ungewoehnliches-mittel-gegen-alkoholsucht-ohne-cannabis-waere-ich-schon-lange-tot-1.2716561

[12] Reiman, A. (2009). Cannabis as a substitute for alcohol and other drugs. Harm Reduction Journal, 6(1), 35.

[13] Reiman, A. (2009). Cannabis as a substitute for alcohol and other drugs. Harm Reduction Journal, 6(1), 35.

[14] Karoly, H. C., Ross, J. M., Prince, M. A., Zabelski, A. E., & Hutchison, K. E. (2021). Effects of cannabis use on alcohol consumption in a sample of treatment-engaged heavy drinkers in Colorado. Addiction, 116(9), 2529–2537.

[15] Lucas, P., Boyd, S., Milloy, M.-J., & Walsh, Z. (2020). Reductions in alcohol use following medical cannabis initiation: Results from a large cross-sectional survey of medical cannabis patients in Canada.International Journal of Drug Policy, 86, 102963.

[16] Schuster, R. M., Potter, K., Lamberth, E., Rychik, N., Hareli, M., Allen, S., Broos, H. C., Mustoe, A., Gilman, J. M., Pachas, G., & Evins, A. E. (2021). Alcohol substitution during one month of cannabis abstinence among non-treatment seeking youth. Progress in Neuro-Psychopharmacology & Biological Psychiatry, 107, 110205.

[17] Freeman, T. P., Hindocha, C., Baio, G., Shaban, N. D. C., Thomas, E. M., Astbury, D., Freeman, A. M., Lees, R., Craft, S., Mokrysz, C., Curran, H. V., & Morgan, C. J. A. (2020). Cannabidiol for the treatment of cannabis use disorder: a phase 2a, double-blind, placebo-controlled, randomised, adaptive Bayesian trial. The Lancet Psychiatry, 7(10), 865–874.

[18] Shannon, S., & Opila-Lehman, J. (2015). Cannabidiol oil for decreasing addictive use of marijuana: A case report. Integrative Medicine (Encinitas), 14(6), 31–35.

[19] Crippa, J. A., Hallak, J. E., Machado-de-Sousa, J. P., Queiroz, R. H., Bergamaschi, M., Chagas, M. H., & Zuardi, A. W. (2013). Cannabidiol for the treatment of cannabis withdrawal syndrome: a case report. Journal of Clinical Pharmacy and Therapeutics, 38(2), 162–164.

[20] Luján, M. Á., Cantacorps, L., & Valverde, O. (2019). The pharmacological reduction of hippocampal neurogenesis attenuates the protective effects of cannabidiol on cocaine voluntary intake.Addiction Biology, 25(2), e12746.

[21] Galaj, E., Bi, G.-H., Yang, H.-J., & Xi, Z.-X. (2020). Cannabidiol attenuates the rewarding effects of cocaine in rats by CB2, 5-HT1A and TRPV1 receptor mechanisms. Neuropharmacology, 167, 107740.

[22] Rodrigues, L. A., Caroba, M. E. S., Taba, F. K., Filev, R., & Gallassi, A. D. (2020). Evaluation of the potential use of cannabidiol in the treatment of cocaine use disorder: A systematic review. Pharmacology Biochemistry and Behavior, 196, 172982.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Neuer THC-Grenzwert: Auto fahren nach Cannabis-Konsum?

Seit der Teillegalisierung von Cannabis gelten neue Regeln – doch gerade im Straßenverkehr sorgt das Thema weiterhin für Unsicherheit. Wie viel THC ist am Steuer erlaubt? Wann drohen Bußgeld, Punkte oder gar der Führerscheinentzug? Mit dem neuen Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum gibt es endlich eine gesetzliche Orientierung. Doch was bedeutet das konkret für Konsumierende – und was für Cannabis-Patient:innen? Dieser Artikel liefert die wichtigsten Antworten – wissenschaftlich fundiert, verständlich erklärt und mit einem Blick auf die aktuellen Studien.



Seit dem 1. April 2024 ist Cannabis in Deutschland teilweise legalisiert – Erwachsene dürfen seither unter bestimmten Bedingungen Cannabis konsumieren und besitzen. Doch wer glaubt, dass die neue Gesetzeslage auch für den Straßenverkehr mehr Spielraum lässt, irrt: Am Steuer gelten weiterhin strenge Regeln. Wer bekifft Auto fährt, riskiert nach wie vor Punkte, Bußgeld – und im Zweifel den Führerschein.

Mit dem neuen Gesetz, das am 22. August in Kraft trat, gibt es nun einen offiziellen Grenzwert für THC im Blut. Das Ziel: mehr Rechtssicherheit für Konsumierende – ohne die Verkehrssicherheit zu gefährden. Denn während der Umgang mit Alkohol im Straßenverkehr seit Jahrzehnten durch die 0,5-Promille-Grenze geregelt ist, fehlte beim Cannabis lange eine vergleichbare Orientierung. Der bislang geltende Richtwert von 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum galt in der Fachwelt als problematisch – er war so niedrig angesetzt, dass er häufig noch Tage nach dem Konsum überschritten wurde, obwohl längst keine Rauschwirkung mehr vorlag. Expert:innen forderten daher seit Jahren eine realistischere Schwelle.

THC-Grenzwert im Straßenverkehr – was ist neu für Autofahrer?

Seit dem 22. August 2024 gilt ein gesetzlich festgelegter Grenzwert für THC im Straßenverkehr:

3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum. Dieser Wert ist vergleichbar mit der 0,5-Promille-Grenze für Alkohol – er soll anzeigen, ab wann eine tatsächliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit wahrscheinlich ist.

Cannabis am Steuer: Konsequenzen bei Überschreitung des Grenzwerts

Null Toleranz für Fahranfänger

Für Menschen unter 21 Jahren und für alle in der zweijährigen Führerschein-Probezeit gilt ein generelles THC-Verbot am Steuer – unabhängig vom Blutwert. Bereits kleinste Mengen gelten als Verstoß.

Cannabis im Verkehr: Neue Bestimmungen und Bußgelder im Überblick

SituationErlaubt?Strafe bei Verstoß
< 3,5 ng/ml THC im BlutJa (für Erwachsene über 21)Keine
≥ 3,5 ng/ml THC im BlutNein500 € + Fahrverbot + Punkte
THC + AlkoholNein1.000 € + Fahrverbot + Punkte
Unter 21 Jahre / in ProbezeitNein – kein THC erlaubt250 € + Punkte

Wissenschaftliche Grundlage: Was hinter den 3,5 Nanogramm steckt

Der neue Grenzwert basiert auf den Empfehlungen einer von der Bundesregierung eingesetzten interdisziplinären Expertengruppe. Diese kommt zu dem Schluss: Ein THC-Wert von bis zu 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum sei bei erfahrenen Konsumierenden nicht mit einer signifikanten Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit verbunden – vergleichbar mit der Wirkung von etwa 0,5 Promille Alkohol. Der Wert markiert damit eine Grenze, bei der Verkehrssicherheit und Verhältnismäßigkeit aus Sicht der Fachleute miteinander vereinbar erscheinen.

Diagnose unklar: Das Problem mit der Messbarkeit

Dennoch bleibt die rechtliche und medizinische Lage kompliziert. Denn THC ist kein Stoff, der sich so einfach erfassen lässt wie Alkohol. Der Wirkstoff kann im Blut noch Tage nach dem Konsum nachweisbar sein – auch dann, wenn die akute Wirkung längst abgeklungen ist. Gleichzeitig fehlt bislang ein Verfahren, das – wie der Atemalkoholtest – zuverlässig misst, ob jemand aktuell beeinträchtigt ist.

Zwar werden alternative Testmethoden, etwa Speichelanalysen oder mobile Reaktionstests, diskutiert und in einzelnen Ländern bereits eingesetzt, doch gelten sie in Deutschland derzeit noch als nicht ausreichend validiert. Solange ein solcher Echtzeittest fehlt, bleibt der THC-Grenzwert ein statistischer Kompromiss.

Verantwortung bleibt entscheidend

Der neue Grenzwert schafft mehr Orientierung und schützt vor pauschaler Kriminalisierung. Doch er entbindet nicht von Verantwortung. Wer auf der sicheren Seite sein will, bleibt beim Fahren nüchtern. Bei Konsumierenden bleiben auch mit den neuen Regelungen, viele Fragen offen.

THC im Blut: Was bedeutet der Grenzwert in der Praxis?

Wie schnell der gesetzliche Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (entspricht etwa 2,3 ng/mL im Vollblut) erreicht wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab – etwa vom Konsummuster, dem THC-Gehalt des Produkts, der Inhalationstiefe sowie der individuellen Stoffwechselrate. Gelegenheitskonsumierende erreichen bereits wenige Minuten nach dem Konsum Blutkonzentrationen von über 2 ng/mL, teils auch über 5 ng/mL – insbesondere bei hochdosierten Produkten und tiefer Inhalation. In einer Studie lagen die THC-Werte bei Gelegenheitskonsumierenden nach rund 3,3 Stunden unter 5 ng/mL und nach 4,8 Stunden unter 2 ng/mL.[1]

Die reine Nachweisbarkeit von THC im Blut bedeutet jedoch nicht automatisch, dass eine Person noch berauscht oder fahruntüchtig ist. Besonders bei regelmäßigem Konsum kann THC noch Tage nach dem letzten Konsum im Blut messbar sein – ohne dass zwingend eine Beeinträchtigung vorliegt.[1]

Mehrere Studien dokumentieren bei regelmäßig Konsumierenden Blutwerte über 2 ng/mL, selbst nach 6 bis 10 Tagen Abstinenz. In Einzelfällen ließ sich THC sogar noch 30 Tage nach dem letzten Konsum nachweisen.[1]

Der Grund dafür liegt im langsamen Abbau von THC – insbesondere bei häufigem Gebrauch. Der Wirkstoff lagert sich im Körperfett ein und wird von dort über längere Zeiträume hinweg wieder in den Blutkreislauf abgegeben.[1,2]

Bei Gelegenheitskonsum sinkt der THC-Wert im Blutserum meist innerhalb von 4 bis 6 Stunden unter die kritische Nachweisgrenze – abhängig von der Dosis und der Konsumform. Wer hingegen regelmäßig konsumiert, braucht dafür deutlich mehr Zeit – in vielen Fällen mehrere Tage, um sicher unter den gesetzlichen Grenzwert zu fallen.[1]

Eine pauschale Empfehlung zur Wartezeit lässt sich daher nicht geben. Besonders bei regelmäßigem oder medizinischem Konsum können dauerhaft erhöhte THC-Werte bestehen, auch wenn keine akute Wirkung mehr spürbar ist.[1]

Führerschein weg und MPU – wann ist das der Fall?

Ein einmaliger Verstoß gegen den neuen THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blut führt nicht automatisch zum Entzug der Fahrerlaubnis, sondern zunächst zu einem Bußgeld von 500 Euro, einem Monat Fahrverbot und zwei Punkten in Flensburg. Der Führerschein wird dabei lediglich für 30 Tage entzogen, nicht dauerhaft. Strenger wird es bei wiederholten Verstößen oder bei Mischkonsum mit Alkohol – hier steigt nicht nur das Bußgeld, sondern auch das Risiko, dass die Führerscheinstelle eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) anordnet.

Wer diese MPU nicht besteht oder verweigert, verliert in der Regel dauerhaft die Fahrerlaubnis. Auch bei Fahranfänger:innen in der Probezeit oder unter 21 Jahren gilt: Schon bei geringen THC-Werten drohen Sanktionen, da hier ein striktes Cannabisverbot gilt – unabhängig vom Grenzwert. Wiederholte Verstöße führen auch in dieser Gruppe zur MPU-Pflicht und im Zweifel zum Führerscheinentzug.

Darüber hinaus kann die Fahrerlaubnis auch unabhängig vom gemessenen THC-Wert entzogen werden – etwa wenn jemand durch unsicheres Fahrverhalten auffällt, in einen Unfall verwickelt ist oder regelmäßig konsumiert, ohne eine klare Trennung von Konsum und Teilnahme am Straßenverkehr nachweisen zu können. Wer auf der sicheren Seite sein will, sollte also nicht nur unter dem Grenzwert bleiben, sondern im Zweifel ganz auf das Autofahren nach dem Kiffen verzichten.

"Die neue Rechtslage, wer aus welchen Gründen zur MPU muss, ist bei Cannabis weiterhin ähnlich unscharf wie die alte. Es liegt demnach weiterhin im Ermessen der kontrollierenden Beamt:innen und der Führerscheinbehörden, ob neben der Ordnungsbuße für die einmalige Rauschfahrt weiteres Ungemach in Form eines Idiotentests droht. Damit bleibt die MPU ein cannaphobes Damokles-Schwert", kritisiert Autor und Cannabis-Journalist Micha Knodt.

Medizinisches Cannabis und Auto fahren: Was gilt für Cannabis-Patienten?

Für Menschen, die Cannabis aus medizinischen Gründen einnehmen, gelten beim Autofahren andere Maßstäbe als für Konsumierende im Freizeitbereich – zumindest auf den ersten Blick. Denn grundsätzlich dürfen Cannabis-Patient:innen unter bestimmten Voraussetzungen am Straßenverkehr teilnehmen. Die rechtliche Grundlage hierfür ist in § 24a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geregelt. Demnach gilt: Wer ein Medikament auf ärztliche Verordnung einnimmt, handelt nicht ordnungswidrig – auch wenn der Wirkstoff THC die gesetzliche Grenze von 3,5 Nanogramm überschreitet.

Voraussetzung ist jedoch, dass die Einnahme bestimmungsgemäß erfolgt und keine verkehrssicherheitsrelevante Beeinträchtigung vorliegt. Das heißt: Die Patientin oder der Patient darf durch das Medikament nicht berauscht oder fahruntüchtig sein. Wer unter akuter Wirkung leidet – etwa Müdigkeit, verlangsamter Reaktion oder Koordinationsproblemen – darf nicht fahren, auch wenn das Cannabis ärztlich verschrieben wurde. In solchen Fällen kann die Polizei den Führerschein zumindest vorübergehend einziehen, bis ein medizinisch-psychologisches Gutachten (MPU) oder ein ärztlicher Nachweis über die Fahrtauglichkeit vorliegt.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Ärztlich verordnetes Cannabis schützt nicht automatisch vor Sanktionen, wenn die Polizei im Einzelfall Zweifel an der Fahrtüchtigkeit äußert. Viele Ärzt:innen stellen auf Wunsch eine Fahrtauglichkeitsbescheinigung aus – rechtlich verpflichtend ist das nicht, kann aber im Zweifel vor Ort oder gegenüber der Führerscheinstelle helfen. Auch ein Cannabis-Ausweis für Patient:innen, wie ihn einige Patient:innenverbände empfehlen, kann im Fall einer Kontrolle zur besseren Einordnung beitragen – ersetzt aber nicht die Beurteilung der tatsächlichen Fahrtüchtigkeit.

Medizinisches Cannabis erlaubt also das Autofahren unter Auflagen. Entscheidend ist nicht allein die ärztliche Verordnung, sondern der Zustand der Person beim Fahren. Wer sich selbstkritisch einschätzt, keine akute Rauschwirkung verspürt und das Präparat über längere Zeit stabil eingenommen hat, darf in der Regel ein Fahrzeug führen. Im Zweifel gilt aber: lieber stehen lassen.

Kritik am Grenzwert: Viel Expertise, wenig Umsetzung

Während die Bundesregierung den neuen THC-Grenzwert als wichtigen Schritt hin zu mehr Rechtssicherheit feiert, äußern sich Fachleute, die an der Erarbeitung beteiligt waren, kritisch. Besonders die von der Regierung eingesetzte interdisziplinäre Expertengruppe, die über ein Jahr lang Empfehlungen für eine faire und wissenschaftlich fundierte Regelung ausgearbeitet hatte, zeigt sich enttäuscht. Zwar war der Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum Teil ihres Papiers – er sei jedoch nicht das zentrale Element des Vorschlags gewesen.

„Im Mittelpunkt stand ein Speichelvortest“, erklärt Dr. Franjo Grotenhermen, Mitglied der Expertengruppe. Dieses Verfahren, das sich etwa in den Niederlanden bewährt habe, könne durch die Messung frischer Cannabinoid-Rückstände im Mundraum besser beurteilen, ob jemand tatsächlich unter akutem Einfluss steht oder lediglich Restwerte im Blut hat. „Man kann dann 5 oder 20 ng/ml THC im Blut haben und gilt trotzdem als fahrsicher, wenn der Speicheltest negativ ist“, so Grotenhermen. Diese Möglichkeit zur differenzierten Einschätzung sei im neuen Gesetz nicht berücksichtigt worden.

Deutlicher wird der Cannabis-Journalist Micha Knodt, der die gesetzliche Umsetzung scharf kritisiert. Im Interview mit avaay Medical bezeichnet er das Gesetz als verkürzt und populistisch. Der Gesetzgeber habe sich „den niedrigsten Wert aus dem 12-seitigen Gutachten herausgefischt“, so Knodt, und damit wesentliche Teile der fachlichen Empfehlungen ignoriert. Insbesondere der ursprüngliche Plan, THC im Verkehrsrecht ähnlich wie Alkohol zu behandeln, sei nicht konsequent umgesetzt worden. Laut Knodt entsprechen 3,5 ng/ml THC eher einem Blutalkoholwert von 0,2 Promille – während die Expertengruppe in ihrem Papier ausführlich darlege, dass etwa 7 Nanogramm mit 0,5 Promille, und 13,8 bis 18,4 ng mit 0,8 Promille vergleichbar seien – je nach Testkriterium.

Diese Einschätzung wird auch vom Deutschen Anwaltverein (DAV) geteilt. Rechtsanwalt Andreas Krämer verweist in einer Pressemitteilung [3] auf Studien, die zeigen, dass erst ab 2–4 ng/ml THC von einer tatsächlichen Beeinträchtigung ausgegangen werden kann. Der DAV sprach sich daher für abgestufte Grenzwerte zwischen 4 und 16 Nanogramm aus – analog zur Alkoholregelung, die zwischen 0,3 und 1,6 Promille verschiedene rechtliche Konsequenzen kennt.

Laut Knodt besonders brisant: Während es bei Alkohol klare juristische Kategorien für relative und absolute Fahruntüchtigkeit gibt, fehlen diese beim Cannabis völlig. Wer mit mehr als 3,5 ng/ml THC im Blut kontrolliert wird, begeht zwar eine Ordnungswidrigkeit – doch ob daraus eine Straftat wird, hängt vom Einzelfall ab, etwa vom Polizeiprotokoll oder der Einschätzung der Fahrerlaubnisbehörde. Für Knodt ist das ein strukturelles Defizit: „Die Verantwortung für eine juristisch konsistente Einordnung wird nun auf die Gerichte abgeschoben.“

Auch die politische Dimension ist für ihn spannend: Dass viele Vorschläge der Kommission – darunter auch der Speichelvortest – keinen Eingang ins Gesetz gefunden haben, sei möglicherweise auch taktischem Kalkül geschuldet. Höhere Grenzwerte hätten in der öffentlichen Wahrnehmung zu weich gewirkt – besonders innerhalb der SPD-Fraktion sei die 3,5-ng-Regelung schwer durchsetzbar gewesen, so Knodt. Man berufe sich nun zwar auf die wissenschaftliche Expertise, ignoriere jedoch ihre Substanz. „Frei nach dem Motto: Ich esse nur, was mir schmeckt – der Rest geht zurück.“


FAQ

Der Führerschein ist nicht automatisch dauerhaft weg, sobald der THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum überschritten wird – zumindest nicht beim ersten Verstoß. Erst bei wiederholten Verstößen, bei Mischkonsum mit Alkohol, bei Fahrfehlern oder auffälligem Verhalten kann die Fahrerlaubnisbehörde eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) anordnen. Bestehst du diese MPU nicht – oder verweigerst sie –, wird der Führerschein dauerhaft entzogen. Besonders streng sind die Regeln für Fahranfänger:innen in der Probezeit und für Menschen unter 21 Jahren: Für sie gilt eine Null-Toleranz-Regel – bereits jeder THC-Nachweis im Blut gilt als Verstoß. Auch hier kann es bei Wiederholung oder zusätzlichen Auffälligkeiten zum Führerscheinentzug kommen.
Wer seinen Führerschein vor Einführung des neuen THC-Grenzwerts verloren hat, kann nicht automatisch auf eine Rückgabe hoffen – aber unter bestimmten Voraussetzungen lohnt sich ein Antrag auf Wiedererteilung oder Überprüfung des Falls. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Entscheidung heute unter den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen noch Bestand hätte. Wer etwa wegen eines THC-Werts sanktioniert wurde, der nach heutigem Recht unter 3,5 ng/ml liegt, kann unter Umständen einen Antrag auf Überprüfung oder Wiedererteilung der Fahrerlaubnis stellen. Allerdings wird dabei stets geprüft, ob damals bereits Zweifel an der Fahrtüchtigkeit oder dem Trennungsvermögen vorlagen – etwa durch Mischkonsum, Ausfallerscheinungen oder regelmäßigen Konsum. Auch eine MPU kann weiterhin erforderlich sein. Die Erfolgschancen hängen vom Einzelfall ab – eine anwaltliche Beratung ist in jedem Fall sinnvoll. Die Cannabis-Legalisierung allein führt nicht automatisch zur Rückgabe des Führerscheins, kann aber eine Neubewertung erleichtern.
Eine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) wird nach Cannabiskonsum nicht automatisch angeordnet, aber immer dann, wenn die Fahrerlaubnisbehörde Zweifel an der Fahreignung oder am Trennungsvermögen zwischen Konsum und Autofahren hat. Das kann etwa bei wiederholtem Verstoß gegen den THC-Grenzwert, Mischkonsum mit Alkohol, Fahrfehlern, auffälligem Verhalten oder regelmäßigem Konsum der Fall sein. Auch Cannabis-Patient:innen mit ärztlichem Rezept können zur MPU verpflichtet werden, wenn der Verdacht besteht, dass sie unter akuter Rauschwirkung gefahren sind. Wer die MPU verweigert oder nicht besteht, verliert den Führerschein in der Regel dauerhaft.
Wer wegen eines THC-Verstoßes zur medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) muss, sollte sich gut vorbereiten – denn ohne glaubhafte Verhaltensänderung bestehen viele nicht. Wichtig ist, das frühere Konsumverhalten ehrlich zu reflektieren und nachzuweisen, dass man heute verantwortungsvoll mit Cannabis und Straßenverkehr umgeht. Das gelingt am besten mit einer dokumentierten Abstinenz (z. B. durch Urinscreenings oder Haaranalysen über sechs bis zwölf Monate) oder – bei gelegentlichem Konsum – mit einem schlüssigen Nachweis darüber, dass man konsequent nicht fährt, wenn konsumiert wurde. In der MPU zählt vor allem, wie glaubwürdig man im psychologischen Gespräch erklären kann, warum es zum Verstoß kam, was sich seitdem geändert hat und wie man künftige Risiken ausschließt. Eine professionelle Vorbereitung, etwa durch Verkehrspsycholog:innen oder MPU-Beratungsstellen, ist deshalb sehr zu empfehlen.
Erwachsene dürfen seit der Teillegalisierung von Cannabis in Deutschland am 1. April 2024 legal bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum in der Öffentlichkeit mit sich führen. In der eigenen Wohnung sind zusätzlich bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis erlaubt. Außerdem ist es Erwachsenen gestattet, bis zu drei Cannabispflanzen für den privaten Gebrauch anzubauen – ebenfalls ausschließlich zum Eigenkonsum. Wichtig: Diese Mengen gelten nur für Personen ab 18 Jahren und ausschließlich für nicht-medizinischen, privaten Gebrauch. Der Besitz über die erlaubten Mengen hinaus ist weiterhin strafbar. Auch der Konsum bleibt in bestimmten Bereichen – etwa in Schulen, Fußgängerzonen (tagsüber) oder in der Nähe von Kindern und Jugendlichen – verboten.

Quelle

[1] Peng, Y. W., Desapriya, E., Chan, H. & Brubacher, J. R. (2020). Residual blood THC levels in frequent cannabis users after over four hours of abstinence: A systematic review. Drug and Alcohol Dependence, 216, 108177.

[2] Sharma, P., Murthy, P. & Bharath, M. M. S. (2012). Chemistry, Metabolism, and Toxicology of Cannabis: Clinical Implications. Iranian Journal of Psychiatry, 7(4), 149–156.

[3] Deutscher Anwaltverein. (2022, 17. August). PM VGT 2/22: Verkehrsrechtsanwälte: Nur berauschte Fahrer kriminalisieren.

Cannabis kommt nicht vom Klapperstorch

Wie ich meinem Kind erkläre, dass ich Cannabis konsumiere

Seit der Teil-Legalisierung von Cannabis könnten Eltern viel sorgenfreier mit ihren Kindern über ihren eigenen Konsum reden – sofern sie es möchten. Die Frage ist nur: Wie? Neben den richtigen Tipps brauchen Eltern eigentlich einen Ausdruck des KCanG (Konsumcannabisgesetz), um im Rahmen einer zeitgemäßen und somit Konsum akzeptierenden Aufklärung nicht gegen das neue Gesetz zu verstoßen.

Die Zeiten ändern sich

Als Kind der 1970er Jahre bin ich mit Kinderbowle, Schokoladenzigaretten und Apfelschnaps-Bonbons groß geworden. Damals hat sich kaum jemand Gedanken darüber gemacht, dass ein allzu sorgloser Umgang mit legalen Substanzen den Nachwuchs eventuell zu deren späterem Missbrauch animieren könnte. Zu Silvester durfte man sogar mit einem Schlückchen echten Sekt, gemischt mit O-Saft, anstoßen oder auch mal eine Schnaps getränkte Erdbeere aus der damals auf jeder Party obligatorischen Bowle naschen. Der Geruch von kalten Kippen und verqualmte Räume waren für uns Kinder damals so alltäglich wie Schlaghosen und Toast-Hawaii. Über die Folgeschäden des Aktiv- und Passivrauchens machten die Erwachsenen allenfalls schlechte Witze, über die heute keiner mehr lachen würde. Kurzum, damals mussten Eltern ihre Laster und Abhängigkeiten nicht vor dem Nachwuchs verbergen, im Gegenteil: Man wurde schon früh darauf vorbereitet, welche Substanzen zum Alltag der Erwachsenenwelt gehören, wobei für illegale Substanzen dabei natürlich kein Platz war.

Zwar gehen wir mit Kaugummizigaretten, Kinderbier und Weckmann-Pfeifen heutzutage ein wenig kritischer um, aber Alkohol ist in Sachen Jugendschutz immer noch weitaus laxer reguliert als Cannabis. Ein von der ehemaligen Gesundheitsministerin Künast geplantes Gesetzesvorhaben, die Kinderzigaretten verbieten wollte, wurde bis heute nie umgesetzt, Traubensaft heißt bei edlen Winzern nicht selten Kinderwein. Doch trotz der legalen Verfügbarkeit von Nikotin sinkt der Anteil jugendlicher Raucher:innen dank einer guten Präventionskampagne und Werbeverboten auch ohne neue Verbote seit Jahren.

Neben der öffentlichen Aufklärung hat die Vorbildfunktion der Eltern den entscheidenden Einfluss auf das, was sich die nächste Generation später mal konsumiert. Bei Alkohol können Mütter und Väter den Nachwuchs zu gegebener Zeit an eigenen Konsumerlebnissen teilhaben lassen: Mit 14 Jahren dürfen Jugendliche unter Aufsicht ihrer Eltern alkoholische Getränke wie Bier oder Wein probieren. Der Gedanke hinter dem „begleitenden Konsum“ ist, dass unproblematischer Alkoholkonsum von den Eltern gelehrt und von den Jugendlichen gelernt wird. Bei Cannabis bleibt diese Art der Konsumbegleitung weiterhin verboten.

Vertuschen funktioniert nicht

Cannabis-Patient:innen mit Kindern haben es da noch am einfachsten, weil man selbst den Kleinsten erklären kann, dass Papas oder Mamas Medizin aus der Apotheke kommt und nicht in Kinderhände gehört.

Wie aber erklären verantwortungsbewusste Eltern dem eigenen Nachwuchs, dass sie nach Feierabend ab und an Cannabis konsumieren? Schließlich ist es nicht mehr verboten. Ist man dann ein schlechtes Vorbild oder animiert so sein Kind gar zum Kiffen? Sollten Eltern lieber heimlich konsumieren, selbst wenn es jetzt legal ist? Gesellschaftliche Erfahrungswerte wie beim Alkohol gibt es kaum, weil sich unsere Eltern und Großeltern nie ernsthaft mit Cannabis auseinandergesetzt hatten: Als die Hanfpflanze Ende der 1960er und in den 1970er Jahre eine Renaissance feierte, war Cannabis Teil der 68er Jugend- und Studentenbewegung. Hippies fanden Hanf prima, alle anderen fanden Kiffen doof. Jetzt, wo die zweite und dritte Generation Cannabis als Genussmittel oder als Medizin konsumiert und der Besitz teil-legalisiert ist, gibt es aber immer mehr cannafine  Eltern (Eltern mit Cannabiserfahrung) – und damit auch viele Kinder, die Fragen stellen.

Beim Freizeitkonsum aber haben viele Eltern ein Problem, gegenüber dem eigenen Nachwuchs ehrlich zu sein. Immerhin ist Gras nur halb legal und trotz neuer Gesetzeslage noch immer gesellschaftlich stigmatisiert. Sollte man mit den eigenen Kindern überhaupt über den eigenen Konsum reden, oder lügt man sie besser an, um kein schlechtes Vorbild zu sein?

Geht es um die Drogenmündigkeit des eigenen Nachwuchses, sind Lügen und ausweichende Antworten die schlechteste aller Optionen. Wer meint, das Vertuschen des Feierabend-Joints funktioniere, macht sich meistens was vor. Die konischen Zigaretten mit Kräutertabak, lange Papers oder Pfeifen werfen selbst dann Fragen auf, wenn man denkt, sie kindersicher versteckt und immer nur klammheimlich oder mehrere Stunden nach dem Sandmännchen konsumiert zu haben. Ist man dann irgendwann selbst als Lügner oder Heuchler enttarnt, wird es umso schwerer, den gewünschten Einfluss auf die ersten Erfahrungen der Kinder zu nehmen.

Selbstkritik als Referenz

Einem Kleinkind kann man noch erklären, dass Zigaretten giftig und nur für Erwachsene seien. Aber welcher Raucher gesteht der 12-jährigen Tochter oder dem 14-jährigen Sohn ein paar Jahre später, stark nikotinabhängig zu sein? Welcher Bierliebhaber erzählt seinem Nachwuchs schon, dass Alkoholmissbrauch ähnliche Folgen wie der Konsum harter Drogen haben kann?

Kurzum: Problematische Konsummuster oder auch Substanzmissbrauch werden zu selten am eigenen, oft nicht ganz vorbildhaften Verhalten erläutert. Dazu gehören eben aber auch das Feierabend-Bier, die Zigarette nach dem Essen oder der gelegentliche  Feierabend-Joint auf dem Balkon. Wer nur heimlich konsumiert, wird trotzdem eines Tages gefragt werden: „Warum rauchst du eigentlich jeden Tag?“ 

“Weil ich abhängig bin. Ich habe zu früh angefangen und danach schon oft versucht, damit aufzuhören. Aber dann bekomme ich schlechte Laune und schlafe schlecht, bis ich wieder anfange, obwohl das schädlich ist. Das nennt man abhängig, genau gesagt nikotinabhängig.“ Eine solche Antwort fällt vielen schwer, wäre aber ehrlich und für die eigenen Kinder ein anschauliches Beispiel für ein problematisches Konsummuster.

Die Alternative klingt so: „Meine Eltern geben nicht mal zu, dass sie abends heimlich kiffen/rauchen/trinken. Und die wollen mir das verbieten.“ Bevor so etwas passiert, sollte man den inneren Schweinehund einmal überwinden und dem Nachwuchs den eigenen Konsum erläutern – auch wenn die Reflexion des eigenen Konsummusters manchmal schwerfällt.

Selbst Eltern, die nur ab und zu Cannabis konsumieren, sollten ihr unproblematisches Konsummuster vermitteln, bevor es der eigene Nachwuchs eventuell falsch interpretiert und Cannabis für absolut unbedenklich hält. Die Bundesregierung geht auf Grundlage der Capris Studie aus dem Jahr 2021 von 9 % Cannabis-User:innen aus, die problematisch konsumieren. Der Deutsche Hanfverband schreibt, die Art und Weise der statistischen Erfassung der vergangenen Jahre habe mehr Problemkonsumierende erschaffen, als es gäbe. Beim DHV liest man deshalb, es handele sich lediglich um 4-7 % aller Cannabis-Konsumierenden.

Wer diesen Mut nicht hat oder auch um den eigenen Vorbildcharakter fürchtet, muss sich nicht wundern, es mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen und selbst angelogen zu werden und somit keinen blassen Schimmer zu haben, was sich das eigene Kind “reinzieht”.

Der eigene Konsum, sei er auch noch so moderat, verpflichtet zur lückenlosen Aufklärung über Alkohol und über Cannabis sowie alle anderen Substanzen, die einem heutzutage im Laufe des Lebens so über den Weg laufen werden. Eine von der Substanz unabhängige Drogenaufklärung kann nur wirken, bevor die Probierphase bei den Jugendlichen anfängt.

Wenn Du kiffst, dann ..….“

Die Androhung repressiver Maßnahmen kann das Konsumverhalten junger Menschen seit 40 Jahren nicht beeinflussen – gleiches im familiären Kreis, um die Neugier der Sprösslinge zu zügeln.

„Wenn ihr schon kiffen müsst, raucht wenigstens nicht“ wird eher als freundschaftlicher Rat wahrgenommen als ein kategorisches „Nein“, ein altbackenes „Trink doch lieber ein Bier“ oder ein ambivalentes „Mach doch, was Du willst“.

Begleitenden Konsum wie bei Alkohol erlauben?

Man kann nicht früh genug damit anfangen, die eigenen Kinder über Cannabis aufzuklären, um spätere Probleme zu vermeiden. Anders verhält es sich jedoch, wenn es ums Probieren geht. Hier ist eine gesetzliche Altersgrenze notwendig, um Jugendliche vor den Folgen eines zu frühen Einstiegs und den damit verbundenen Folgen zu schützen. Der Gesetzgeber sieht hier jedoch vor, dass jedwede Cannabiserfahrung unter 18 Jahren sanktioniert wird. Das ist absolut realitätsfern, da die Probierphase bei Jugendlichen durchschnittlich im 17. Lebensjahr anfängt. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren nicht Konsum akzeptierend beraten zu können, ist – egal, ob im Rahmen einer staatlichen Drogenberatung oder im familiären Kreis – kontraproduktiv. Insbesondere für Eltern, die selbst Erfahrungen mit Cannabis gesammelt haben, ist es kaum nachvollziehbar, dass es keine ähnliche Regelung wie bei Alkohol gibt. Allerdings ist die Regelung für begleitendes Trinken reformbedürftig, 14 Jahre sind definitiv ein zu früher Zeitpunkt – egal, ob für die ersten Alkohol- oder Cannabiserfahrungen. Grundsätzlich wäre die Regulierung von Cannabis ein guter Anlass, den Jugendschutz beim Alkohol etwas strenger zu handhaben und gleichzeitig die Maßnahmen für Cannabis an diese anzulehnen.

Doch bis dahin darf man dem eigenen Nachwuchs nicht vor dem 18. Geburtstag Konsum akzeptierend beraten. Wer es trotzdem tut, verletzt streng genommen seine elterliche Fürsorgepflicht.

Doch selbst wenn begleitendes Kiffen erlaubt wäre, sollten sich betroffene Eltern fragen, ob Mama und/oder Papa das richtige Setting bieten. Man sollte sich bei der geplanten Heldentat vielleicht auch fragen, ob es wirklich geil gewesen wäre, die ersten Munchies und Lachflashs mit den Eltern durchlebt zu haben? In der Regel gilt: Eltern informieren, konsumiert wird in der Clique. Sobald Kontrolle gegenseitigem Vertrauen weicht, kommt der Rest von selbst. Vorher riskiert man, wahlweise als Kiffer-Held, Depp oder hippiesker Hasch-Verherrlicher dazustehen. Nicht der erste gemeinsame Joint, sondern Cannabis-Kompetenz und Authentizität verschaffen Autorität und die damit verbundene Vorbildfunktion als Elternteil. Authentische Eltern, egal ob sie gar nicht, selten oder regelmäßig kiffen, beeinflussen den Probierdrang viel besser als Taschengeldentzug oder der besorgte Drogenfahnder mit Haschklumpen im Schulunterricht.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik

Reisen mit Cannabis als Medizin – Was man wissen sollte

Immer mehr EU-Länder verabschieden Gesetze zur Verwendung von medizinischem Cannabis. Doch die Gesetzgebung ist sehr uneinheitlich, weshalb Cannabis-Patienten und -Patientinnen, die sich mit ihrer Medizin auf Reisen begeben wollen, einige Dinge beachten müssen.

Bis März 2017 war Cannabis in Deutschland immer noch eine illegale Substanz, die unter Anlage eins des Betäubungsmittelgesetzes fiel und nur mit einer „Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis Flos“ erworben werden durfte. Seit der Gesetzesänderung Anfang März 2017 fällt medizinisches Cannabis unter Anlage drei und wurde dadurch ein „verkehrsfähiges Betäubungsmittel“. Deshalb sind ärztlich verordnete und in der Apotheke erworbene Medizinalhanfblüten verkehrsfähig und dürfen innerhalb des Schengenraums, zu dem auch die Schweiz als einziges Nicht-EU Mitglied gehört, mitgeführt werden.

Aus Ländern wie den Niederlanden, Italien, Tschechien oder Deutschland, wo Medizinalhanfblüten ebenso wie bei uns als verkehrsfähiges Arzneimittel gelten, können Patienten und Patientinnen ihren benötigten 30-Tage-Bedarf ins EU-Ausland mit sich führen. Hierzu müssen sie lediglich eine “Bescheinigung für das Mitführen von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung - Artikel 75 des Schengener Durchführungsabkommens”, den so genannten Schengen-Schein, dabei haben. Das Dokument muss zuvor von der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt ausgestellt sowie dem zuständigen Gesundheitsamt beglaubigt werden. Deshalb empfiehlt es sich, sich bereits ein paar Wochen vor Reiseantritt um den Schengen-Schein zu kümmern. 

Das Procedere ist genau wie bei den Fertigpräparaten, wobei auch bei Blüten die Wirkstoffmenge in Milligramm angegeben werden muss. So darf ein:e Patient:in, der/die zum Beispiel drei Gramm “Lemon Sherbet” mit 22 Prozent THC am Tag verschrieben bekommt, 90 Gramm Blüten aus der Apotheke mit sich führen. Zudem muss vermerkt sein, dass die 90 Gramm bei einem THC-Gehalt von 22 Prozent genau 18,48 Gramm THC enthalten. Ansonsten gelten die gleichen Regeln wie für Fertigpräparate. Die Arznei sollte zudem im versiegelten Originalbehälter mitgeführt werden. Verschreibungspflichtige Betäubungsmittel wie Cannabis müssen immer im Handgepäck mitgeführt werden, um einen Zugriff durch Dritte auszuschließen. Auch eine Aufforderung des Bordpersonals, das Handgepäck wegen Platzmangel kurzfristig im Gepäckraum verstauen zu lassen, verstieße gegen die Sorgfaltspflicht von Patienten und Patientinnen.

EU-Recht zufolge ist es also möglich, legal Cannabisblüten in Länder wie Österreich, Belgien oder Frankreich mitzunehmen, in denen diese aufgrund der jeweiligen gesetzlichen Lage selbst als Medizin noch komplett illegal sind. Bislang sind noch keine Fälle bekannt, bei denen Patienten oder Patientinnen bei Vorweisen der entsprechenden Dokumente strafrechtliche Konsequenzen erleiden mussten.

Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes ändert sich auch der betäubungsmittelrechtliche Status von medizinischen Cannabisprodukten vom Betäubungsmittel zum verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Eine aktuelle Nachfrage beim BfarM hat ergeben, dass für die Mitnahme von Cannabis im Schengenraum jedoch weiterhin das gleiche Dokument wie zuvor benötigt wird. Denn beim kleinen und großen Grenzverkehr gilt weiterhin internationales, nicht deutsches Recht.

Medizinisches Cannabis aus der EU ausführen

Jetzt wird es komplizierter. Wer medizinisches Cannabis in ein Nicht-EU Land mitnehmen muss, kann den Export aus Deutschland mit diesem Formular beantragen, das zum Export eines 30-Tage-Bedarfs berechtigt. Parallel dazu muss sich der Patient oder die Patientin eine Import-Genehmigung des Ziellandes besorgen. Das funktioniert meist nur dann, wenn beide Länder über ein medizinisches Cannabisprogramm auf Bundesebene verfügen, da Einreiseformalitäten weltweit von Bundesbehörden kontrolliert werden. Für Jamaika oder Südafrika zum Beispiel ist das kein Problem, aber selbst Staaten mit medizinischem Cannabisgesetz erteilen nicht unbedingt eine Importgenehmigung für medizinisches Cannabis.

So erklärt das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada auf Nachfrage, ein Import von medizinischem Cannabis für Patienten und Patientinnen könne nur in Ausnahmefällen wie zum Beispiel Palliativpatienten und -patientinnen genehmigt werden:

Es ist illegal, Cannabis in jeglicher Form, einschließlich Cannabidiol (CBD), über die kanadische Grenze zu bringen, auch wenn es für medizinische Zwecke bestimmt ist. Dies gilt sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise aus dem Land. Anträge auf eine reisebezogene Ausnahmegenehmigung gemäß dem Cannabisgesetz werden individuell geprüft. Nur unter seltenen und außergewöhnlichen Umständen, z. B. in palliativen Fällen, kann Health Canada eine Ausnahmegenehmigung erteilen, damit ein Reisender Cannabis für den individuellen medizinischen Gebrauch über die internationale Grenze bringen kann.“

Kanada lässt sowohl Einheimischen als auch Besuchern keine Möglichkeit, ihre Cannabis-Therapie auf Auslandsreisen fortzusetzen. Einzig Palliativpatienten und -patientinnen haben Aussicht auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import, müssen diese aber lange im Voraus beantragen. Während kanadische Produzenten seit Jahren Exportlizenzen erhalten, um kanadische Blüten in die ganze Welt zu verkaufen, müssen Patienten und Patientinnen auf Reisen in Kanada Cannabis zum Freizeitkonsum kaufen, sich illegal versorgen oder die Therapie abbrechen. Denn auch Cannabis-Rezepte gibt es nur für in Kanada gemeldete Personen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass selbst legal in Kanada angebaute Blüten, die von Patienten und Patientinnen in Deutschland legal in der Apotheke erworben werden, beim Re-Import illegal werden.

Ähnlich verhält es sich mit Israel. Trotz Exports nach Deutschland stehen Patienten und Patientinnen, die nach Israel reisen wollen, wie der sprichwörtliche Ochse vor dem Berg. Israels Gesundheitsministerium, das auch über ein medizinisches Cannabisprogramm verfügt, hat sich trotz mehrmaliger schriftlicher und telefonischer Anfragen nicht geäußert und bislang auch keinerlei Informationen zu medizinischem Cannabis auf Reisen veröffentlicht.

Kanada und Israel brauchen eine Lösung für Patienten und Patientinnen

Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, wirtschaftliche Interessen stünden bei den Internationalen Regelungen zu medizinischem Cannabis über den Belangen und Bedürfnissen von Cannabis-Patienten und -Patientinnen, sollten Länder wie Israel oder Kanada schnell eine rechtsverbindliche Lösung finden, die die Mitnahme legal produzierter und erworbener Medizinalhanfblüten auch über Grenzen hinweg ermöglicht.

Südafrika und Jamaika hingegen sind sehr transparent. Beiden Ländern reicht das weiter oben erwähnte Dokument sowie eine Rezeptkopie der aktuellen Verordnung. Auch lassen beide eine Registrierung von Besucher:innen als Cannabis-Patienten und -Patientinnen vor. Voraussetzung dafür ist natürlich die Vorsprache bei einer Ärztin oder einem Arzt vor Ort.

Es gibt aber auch viele Länder wie zum Beispiel die Türkei oder Ägypten, die weder den Import von Medizinalhanfblüten noch den von Cannabis basierten Fertigarzneimitteln erlauben. Um zu erfahren, welche Regeln für den Import von medizinischem Cannabis gelten, ist es außerhalb des Schengen Raums in den Fällen unbedingt notwendig, mit den zuständigen Gesundheitsbehörden vorab in Kontakt zu treten. Denn, anders als in Europa, wird der Besitz von Cannabis besonders im Nahen und Fernen Osten als schwere Straftat angesehen – mit allen Konsequenzen.

Vorsicht ist trotzdem geboten

Aber auch innerhalb des Schengenraums ist Vorsicht geboten. Das Schengen-Formular existiert lediglich in drei Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch). Sollten Zoll- oder Polizeibeamte den Inhalt und/oder die Beschriftung auf der Arzneimittelverpackung nicht verstehen, wird man bis zur Klärung des Sachverhalts schlimmstenfalls wegen illegalem Cannabisbesitz festgesetzt. Deshalb empfehle ich für Reisen in  Länder mit sehr strenger Cannabis-Gesetzgebung, wie zum Beispiel Griechenland oder Bulgarien, die Mitnahme einer beglaubigten Übersetzung des Mitnahme-Dokuments. Wer ganz sicher gehen möchte, lässt sich die Übersetzung noch einmal vom jeweiligen Konsulat beglaubigen.

Ein Tipp zum Schluss

Auch wenn der Import in Schengen-Länder und einige andere Staaten ohne ein Gesetz für Cannabis als Medizin legal ist, sollten sich Patienten und Patientinnen dort beim Konsum bedeckt halten. Denn weder Polizei noch die Bevölkerung kennen diese Ausnahme für Cannabis-Patienten und Patientinnen aus anderen EU-Ländern im Regelfall. Man geht erst einmal davon aus, dass es sich um Freizeitkonsum und -besitz handelt. Ohne Sprachkenntnisse und einem für Beamte fremdsprachigen Dokument in der Hand, haben Patienten und Patientinnen eine äußerst schlechte Verhandlungsbasis. Das mehrstündige Procedere zur Abklärung des legalen Status kann sehr unangenehm und zeitraubend sein. Deshalb ist es in solchen Ländern ratsam, die Medizin außerhalb der Seh- und Riechweite anderer einzunehmen.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Was das neue Cannabis-Gesetz für Patient:innen bedeutet

Das neue Cannabisgesetz tritt voraussichtlich im April 2024 in Kraft. Obwohl es im Gesetz maßgeblich um Freizeitkonsum, Eigenanbau sowie Cannabis Clubs geht, wird sich auch für Cannabis-Patient:innen einiges ändern. Denn mit dem Wegfall von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz verliert auch medizinisches Cannabis seine Klassifikation als Betäubungsmittel, wodurch nicht nur die Verordnung für alle Seiten etwas unkomplizierter wird.

Cannabis-Rezepte werden dann für Kassenpatient:innen in Form des rosa Standardrezeptes ausgestellt. Für Selbstzahlende werden blaue Privatrezepte ausgestellt.  Die Gültigkeit verlängert sich damit von 7 auf 28 Tage, Privatrezepte für medizinisches Cannabis werden mit Inkrafttreten des Gesetzes sogar drei Monate gültig sein. Allerdings werden Medizinalblüten auch nach Gesetzesreform kein Fertigarzneimittel sein, sondern bleiben zumindest vorerst eine Rezeptursubstanz.

Ein E-Rezept spart Wege

Sobald medizinisches Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist, wird es auch möglich sein, Cannabis-basierte Arzneimittel auf E-Rezept zu erhalten. Mit dem schrittweisen Inkrafttreten der E-Rezept Verordnung seit März 2023 können sich Cannabis-Patientinnen und -Patienten zukünftig viele Wege und somit auch eine Menge Zeit sparen. Denn beim seit Januar 2024 obligatorischen E-Rezept sind sogenannte Wiederholungsrezepte möglich. Die Grundlage hierfür wurde bereits 2020 mit Inkrafttreten Änderungen im  V. Sozialgesetzbuchs aus dem Jahr 2020 geschaffen. Auf dessen Grundlage können Ärztinnen und Ärzte mit Einführung des elektronischen Rezepts Wiederholungsrezepte mit Ausnahme von Betäbungsmittel (BTM)-Rezepten auch elektronisch ausstellen. Patientinnen und Patienten, die regelmäßig die gleichen Wirkstoffe oder Präparate brauchen, dürfen Ärztinnen und  Ärzten bis zu vier sogenannte E-Rezept-Token ausstellen. Das unterteilt eine Mehrfachverordnung in bis zu vier eigenständige Teile. Später einzulösende Teile der Mehrfachverordnung bleiben bis zum auf dem Rezept vermerkten Zeitraum gesperrt. Die eigenständigen Token können innerhalb der Einlösefrist auch in unterschiedlichen Apotheken eingelöst werden.

In der Praxis heißt das, dass sich gut eingestellte, langjährige Cannabis-Patientinnen und -Patienten den monatlichen Weg zur Rezeptabholung mithilfe des E-Rezepts dann sparen und sich alle Beteiligten auf die wirklich wichtigen, persönlichen Termine zur Gesundheitsvorsorge und -erhaltung konzentrieren können. Kassenpatientinnen und -patienten müssen seit dem 01.01.2024 verpflichtend ein E-Rezept ausgestellt bekommen. Wer Papier bevorzugt, kann sich das E-Rezept auch weiterhin wie ein herkömmliches Rezept ausdrucken lassen. Bei Privatrezepten war die technische Umstellung zum 01.01.2024 anscheinend so schwierig, dass es hier eine Übergangsfrist für Ärztinnen und Ärzte und Kassen gibt. Doch auch hier bieten bereits viele Praxen und Kassen die Option des E-Rezepts an.

Auch die Lagerung wird für die Apotheken unkomplizierter, weil medizinische Cannabisprodukte nicht mehr in einem Betäubungsmittelschrank gelagert werden müssen. Die Lagerung als normales Medikament ist im Vergleich zur BTM-Lagerung platz- und kostensparender. Auch der Transport, Versand und die Dokumentation von Medizinalcannabis werden ohne betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen unkomplizierter und somit günstiger.

Sind die Präparate untereinander austauschbar?

Außerhalb des BTM-Bereichs bieten Rezepte auch die Möglichkeit einer relativ einfachen „Aut Idem“-Verordnung. Das lateinische "Aut idem" heißt zu Deutsch "oder das Gleiche".

Bisher durften Apotheken bei medizinischem Cannabis nur das Präparat wechseln, wenn das verordnete nicht lieferbar war. Dazu bedarf es einer dokumentierten Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt und einer nachträglichen Änderung des Rezeptformulars. Bei einer „Aut Idem“-Verordnung außerhalb des BTM-Bereichs kann die Apotheke das Präparat einfacher wechseln. Setzt die Ärztin oder der Arzt hier sein Kreuz, darf die Apotheke statt eines von der Ärztin oder dem Arzt verordneten Arzneimittels ein anderes, wirkstoffgleiches Präparat an die Patienten oder den Patienten abgeben.

Im Falle einer Kassenverordnung muss das gewählte Arzneimittel im Vergleich zum ursprünglich verordneten wirtschaftlich sein, bei Privatpatientinnen und -patienten ist die Wirtschaftlichkeit ohnehin Sache der Patientin oder des Patienten. Denn es gibt für Privatversicherte keine Verpflichtung, eine kostengünstigere Alternative zu wählen. Sie können frei nach den für sie wichtigen Kriterien wie Preis, Handhabbarkeit oder Verträglichkeit entscheiden, welches geeignete Arzneimittel sie nehmen möchten.

Auch die Möglichkeit eines Rezepts für Cannabisblüten lediglich unter Angabe der Gehalte an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) könnte zukünftig intensiver genutzt werden.

Eine solche Verordnung ist im Prinzip auch jetzt schon möglich, wird aber aufgrund der komplizierten und zeitaufwändigen “Aut-Idem”-Voraussetzungen bei Cannabis selten ausgestellt.

Auf die Frage, ob die Ärzteschaft eher spezifische Sorten oder allgemein Cannabisblüten unter Angabe des THC- und CBD-Gehalts verordnen werden, antwortete der damalige Präsident Andreas Kiefer der Apothekenkammer der Pharmazeutischen Zeitung bereits im März 2017 :

Beides ist möglich. Entscheidend ist, dass die Verordnung eindeutig ist. Der Apotheker muss im Rahmen der Plausibilitätsprüfung verstehen, was gemeint ist. Die Ärzteschaft und die Bundesopiumstelle empfehlen eine Sortenverordnung. Damit sind die Gehalte an Cannabinoiden eindeutig bestimmt.[…]“ [Quelle].

Das war 2017, als es noch sehr wenige Cannabis basierte Medizinalprodukte gab. Angesichts der vielen unterschiedlichen Präparate und Sorten, die heute verordnet werden können, wird die Nutzung dieser Möglichkeit auch für alle Beteiligten immer interessanter. Denn das ermöglicht besonders Patientinnen und Patienten und Apotheken mehr Flexibilität sowie eine umfassendere Beratung vor Ort als derzeit möglich.

Solange Cannabis gesetzlich noch als Betäubungsmittel eingestuft ist, bleibt es jedoch abzuwarten, welche Rolle die Austauschbarkeit bei medizinischem Cannabis künftig spielen wird. Denn hier spielen auch mit den Kassen bereits ausgehandelte, noch zu schließende Rabattverträge sowie der Status von medizinischen Cannabisblüten als Rezeptursubstanz eine entscheidende Rolle. Auf diese beiden Faktoren hat das neue Gesetz keinen messbaren Einfluss.

Auch am Prozedere der Kostenübernahme für medizinisches Cannabis wird das Gesetz nichts ändern. Selbst ohne die Klassifizierung als Betäubungsmittel ist medizinisches Cannabis meist nur eine Option für die gesetzlichen Kassen, wenn schulmedizinisch alle Alternativen, inklusive verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel, ausgeschöpft sind.

Dürfen Patienten und Patientinnen auch kiffen und anbauen?

Cannabis-Patientinnen und -Patienten sind aber auch Mitbürger:innen, die, zumindest theoretisch, mit Inkrafttreten des Gesetzes, Cannabis zum Freizeitkonsum für den Eigenbedarf anbauen und besitzen dürfen. Auch eine Clubmitgliedschaft kann nicht aufgrund des Patientinnen- bzw. Patienten-Status verwehrt oder in Frage gestellt werden. Ebenso ist der Konsum von Cannabis zum Freizeitkonsum, zumindest strafrechtlich, auch für Patientinnen und Patienten nicht relevant – aber: Auch wenn Cannabis kein BTM mehr ist, sind Patientinnen und Patienten nach wie vor zur Compliance verpflichtet. Darunter versteht man die Mitarbeit und Kooperation der Patientin bzw. des Patienten bei einer medizinischen Behandlung, zum Beispiel durch Einhalten von Verhaltensregeln wie das genaue Einhalten der ärztlichen Verordnung. Das ist bei zusätzlichem Freizeitkonsum in den meisten Fällen nicht möglich. Denn eine Ärztin oder ein Arzt darf Patientinnen und Patienten nicht empfehlen, medizinisches durch selbst angebautes oder im Club erhaltenes Cannabis zu ersetzen. Das entspricht nicht den strengen medizinischen Standards und darf deshalb auch nicht ersatzweise angewendet werden.

Cannabis-Patientinnen und Patienten brauchen meist höhere Dosen als Menschen, die Cannabis ab und an zur Entspannung konsumieren. Sie könnten bei zusätzlichem oder gar regelmäßigem Freizeitkonsum ihre Toleranz steigern und so die Therapie beeinflussen.

Ob man als Cannabis-Patientin auch mal Cannabis zum Vergnügen rauchen darf und unter welchen Umständen das sein könnte, ist keine Frage des Strafrechts mehr, sondern vielmehr eine des gesunden Menschenverstandes. Schließlich ist es auch kein Verbrechen, entgegen dem ärztlichen Rat Medikamente und Alkohol zu mischen. Trotzdem ist es in den meisten Fällen ungesund und nicht selten sogar lebensgefährlich. Wer es trotzdem macht, ist mit dem Tragen der gesundheitlichen Konsequenzen ohnehin gestraft genug.*

Wie sich ein:e Patient:in in Zukunft gegenüber legalem Cannabis zum Freizeitkonsum verhalten soll, muss schlussendlich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt entscheiden. Nur Mediziner:innen können anhand von Faktoren wie Therapiedauer, individueller Dosierung, dem Krankheitsbild und anderen Parametern der Cannabis-Therapie entscheiden, ob man als Patient:in auch mal einen dampfen darf oder besser die Finger davon lässt. Ohne eine solche Absprache wäre der Freizeitkonsum von Patientinnen und Patienten zwar keine Straftat, aber ein Hinweis auf mangelnde Compliance. Eine solche Non-Compliance ist für viele Mediziner:innen bereits heute ein guter Grund, eine Therapie zu beenden oder wenigstens infrage zu stellen. Damit es gar nicht so weit kommt, sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt jederzeit wissen, was ihr:e/sein:e Patient:in neben der Therapie einnimmt. Denn ohne Angst vor Strafverfolgung oder Stigmatisierung ist es eben viel einfacher, offen und ehrlich zu bleiben.


Hinweis: Teile dieses Artikels geben die Meinung des Autoren – nicht die des Unternehmens – wieder.

Part 2: Das Kap der Grünen Hoffnung – Die Produktion von medizinischem Cannabis in Südafrika

Nach meinem Besuch einer Medical Dispensary sollten ein paar tiefere Einblicke in die Produktion von medizinischem Cannabis am Kap das zweite Highlight meiner Südafrika-Reise im Frühjahr 2024 werden. Vor den Toren der Kapmetropole hat die Firma Chronico ihren Sitz. Als einer der ersten Produzenten des Landes baut Chronico seit 2021 medizinisches Cannabis an. Unser Weg in die heiligen Hallen führt über die Obstfarm, auf der Chronicos Partner, die Familie van der Merwe, seit 1743 Obstanbau betreibt.

Chronico – Medizinisches Cannabis aus Überzeugung

Nach erfolgreicher Passage der Sicherheitsschleuse werden wir vom gesamten Chronico-Team herzlich empfangen. Auf meine Frage, wieso man neben Obst und Gemüse seit 2021 denn auch medizinisches Cannabis anbaue, erklärt mir Chronico-Chef James:

Ich bin selbst von medizinischem Cannabis überzeugt und glaube fest an dessen Vorteile. Vor etwas mehr als drei Jahren haben die Familie van der Merwe und ich uns kennengelernt, um danach den Anbau von medizinischem Cannabis als Zusatzmodul zum bestehenden, landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. Die Farm hier baut eigentlich Zitrusfrüchte an, die wir Naches nennen. Bei Euch heißen die Mandarinen. Mit Terpenen kennen wir uns also aus.“

Genug geredet. Ich will jetzt selbst sehen, wie hier „Blueberry Haze“, „Slurricane“ oder „Black Cherry Punch“ gedeihen. James bittet seine Chefgärtner Josh und Saul, mit mir eine Runde durch die Anlage zu drehen. Saul stammt aus der Gegend und erklärt mir auf dem Weg in die Facility, dass in der Region ein ähnliches Klima wie in Kalifornien herrsche. Es ähnele dem mediterranen Klima und sei für Cannabis perfekt. Die trockene Luft, viel Sonne und ein fruchtbarer Boden machen die Kapregion ohnehin zu einer der fruchtbarsten Gegenden weltweit.

Zum Anbau von medizinischem Cannabis bedarf es einer soliden Grundlage, die James und Saul im Gewächshaus für Mutterpflanzen und deren Ableger schaffen. Hier erfahre ich auch, dass sowohl unter Kunstlicht als auch unter Sonnenlicht angebaut wird. Das Kunstlicht geht erst dann an, wenn die Sonne nicht mehr genug Licht liefert. Mutterpflanzen und Stecklinge werden jedoch zu 100 Prozent unter Kunstlicht angebaut. In der vegetativen Sektion von Chronico versuchen Seth und Saul, äußere Einflüsse so gering wie möglich zu halten und haben sich deshalb für Kunstlicht entschieden. Chronico verwendet noch kein Saatgut, sondern nutzt Ableger als Grundlage der eigenen Produktion.

„In Zukunft werden wir definitiv auch zertifizierte Samen nutzen, um unsere eigenen Sorten zu entwickeln. Wir werden Phenotypen selektieren und solche Sachen. Aber derzeit, ich nenne es mal in unserer Orientierungsphase, ist es viel einfacher und unkomplizierter, mit Ablegern zu arbeiten. Im Moment haben wir hier eine „Slurricane“ und die „Black Cherry Punch“ und ein paar „Blueberry Haze“. Wir lassen unsere Mutterpflanzen nicht zu alt werden. Hier wird alle paar Monate geräumt und wir fangen von vorne an. Zum besseren Wachstum und zur Schädlings- sowie Pilzprophylaxe nutzen wir eine Kombination aus nützlichen Pilz- und Bakterienkulturen sowie Nützlingen.“

Die Mutterpflanzen und Ableger der Chronico-Strains sind wirklich beeindruckend und bei Patienten und Patientinnen in Deutschland, Australien und Südafrika so begehrt, dass man mit der Produktion kaum hinterherkommt. Deshalb können mir Seth und Saul zum Zeitpunkt meines Besuchs leider keine blühenden Medizinal-Cannabispflanzen zeigen.

FarmaGrowers – Nachhaltiger High Tech Anbau der Extraklasse

Die bekomme ich dafür 1400 Kilometer weiter nördlich beim nächsten Stopp in der Nähe von Johannesburg zu sehen. Hier treffe ich Marc, den Senior-Grower von Farmagrowers.

Vorm Betreten der Produktionsanlage muss ich pusten, damit sich das Drehkreuz öffnet. Mein Begleiter klärt mich auf: „Pusten ist in sensiblen Bereichen jedes südafrikanisches Betriebs Standard.“ Bevor ich mit bestätigten 0,0 Promille endlich zu den Pflanzen darf, versorgt mich Marc eben jenen sterilen Klamotten aus, die bei der Medizinal-Cannabis Produktion weltweit vorgeschrieben sind.

Frisch umgezogen treffen wir dann auf die ersten blühenden Hanfdamen. Das Team ist gerade dabei, Netze über den Köpfen der „Critical Kush“ zu spannen. Denn kurz vor der Ernte werden die Topbuds so schwer und voluminös, dass sie ohne die Netze ins Schwanken geraten oder schlimmstenfalls abknicken könnten. Ein anderer Teil des Teams ist dabei, die großen Blätter von den Stielen zu entfernen. Beim so genannten Ausgeizen werden in der Blütephase immer wieder Blätter und Triebe von der Pflanze entfernt, die nicht optimal mit Licht versorgt werden. So stellt man sicher, dass sich die verbleibenden Triebe optimal entwickeln. „Zudem fördert es die Luftzirkulation sowie ein gleichmäßiges Cannabinoidprofil“ erklärt mir der Senior-Grower der Farmagrower.

Hybrid-Technik – Viel Licht und niedrige Energiekosten

Wir befinden uns hier in einem Hybrid-Gewächshaus, wo sowohl Sonnen- als auch Kunstlicht verwendet wird. Unterschreitet das Sonnenlicht einen gewissen Wert, schalten sich automatisch LED-Lampen mit einer Leistung von 150 Watt/m² hinzu. So kommen beim Anbau der FarmaGrowers-Strains durchschnittlich 25 Prozent Kunstlicht zum Einsatz. Im Sommer ist es weniger, im Winter etwas mehr. Der Strom für die Gewächshäuser wird von einer Solaranlage auf dem Betriebsgelände erzeugt. Das sei, so Marc, nicht nur nachhaltig, sondern senke die Kosten immens. Marc erklärt mir auch, dass der Ertrag und die Qualität sehr stark von der Lichtmenge abhingen und sein Team deshalb eine möglichst hohe, tägliche Lichtmenge für die Pflanzen anstrebe: “Ganz einfach, Cannabis liebt Licht“, erfahre ich auf dem Weg in den nächsten Raum.

Dort angekommen, rieche ich das Terpenprofil der „Royal Gorilla“ sogar durch die obligatorische Schutzmaske. Jede Pflanze hat vier bis sechs Topbuds, die zu 100 Prozent mit Kunstlicht bestrahlt werden. Anders als im vorherigen Raum handelt es sich hier um ein reines Indoor-Gewächshaus. Die Pflanzen blühen seit sechs Wochen und sollen in gut zwei Wochen geerntet werden. Auch in diesem Raum hat das Team im unteren Bereich ordentlich ausgegeizt, damit sich die oberen Medizinalblüten gleichmäßiger entwickeln.

„Wenn die unteren Blüten nicht die gleiche Menge an Licht bekommen wie die oberen, entwickeln sie ein anderes Cannabinoidprofil. Um dieses Problem zu lösen, entfernen wir sie einfach. Wir nutzen die Pflanzenenergie lieber für die großen Topbuds,“ erklärt mein Gegenüber.

Künstliche Cannabis-Intelligenz in der Schaltzentrale

Unsere nächste Station ist der Kontrollraum. Hier werden alle Parameter, die während des Anbauprozesses wichtig sind, eingestellt, geändert und kontrolliert. Ein System steuert die gesamte aeroponische Hardware, also die Bewässerung und die Nährstoffmischung für alle Räume. Ein zweites System steuert Licht, Klima sowie die CO2-Zufuhr in den Gewächshäusern. Von hier aus kann man auch den Zustand jeder einzelnen Pflanze checken und eventuelle Mängel oder Probleme so sehr früh erkennen.

„Ich verbringe hier eine Menge Zeit“, erzählt Marc. Er ist der Guardian Grow Manager, mit dem wir von hier aus einen Blick auf den Blühraum werfen können. “Da werden alle sieben Reihen von Raum eins angezeigt: Der EC- und pH-Wert, die Wassertemperatur, der Wasserdruck, Raumumgebung. Dadurch können wir uns jede Reihe aussuchen, um zu sehen, was dort gerade passiert. Wir können auch noch einen Schritt weiter und in den Wachstumsplan für genau diese Reihe gehen. Wie du siehst, können mit dem Tool sämtliche Zyklen programmiert werden – Woche eins, Woche zwei, Woche drei und so weiter. Wer will, kann es noch weiter aufschlüsseln.“

Ich kann die Begeisterung für das High-Tech Setup meines Tour-Guides förmlich spüren und muss ihn ein wenig drängeln, mir die Pumpstation zu zeigen. Dort angekommen stehen wir vor einer riesigen Umkehrosmose-Anlage, die mit einem Hochdruck-Pumpensystem verbunden ist. Die Umkehrosmose-Anlage entsalzt und filtert das Wasser, damit die Pflanzen mit einer für sie optimalen Nährstoffkombination versorgt werden können. Von hier aus werden zwei Gewächshäuser und zwei Indoor-Hallen mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Da Cannabis in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstadien verschiedene Nährstoffe benötigt, muss jeder Pflanzraum mit einer individuellen Nährlösung versorgt werden. Das passiert mithilfe von Dosierpumpen und Messgeräten, die vom zuvor besuchten Kontrollraum aus gesteuert werden. Nach unserer kurzen Stippvisite in der Pumpstation bekomme ich zum ersten Mal das fast fertige Produkt zu Gesicht.

Fachkräfte mit Adleraugen und flinken Fingern

Im Trimraum werden die zuvor geernteten Pflanzen von großen Blättern und den Stielen getrennt. Zum Grobschnitt verwenden die Mitarbeiter:innen einen so genannten Trimmer, der dem Team einen Berg Arbeit abnimmt. Ich möchte von Marc wissen, wieso sein Team hier erst maschinell und danach per Hand trimmt.

„Es gibt immer ein paar Blätter, Stiele oder andere Anomalien, die die Maschine dran gelassen hat. Man kann den Trimmer so einstellen, dass er nicht so viel abnimmt und ähnlich wie von Hand trimmt, also weniger rabiat mit den Blüten umgeht. Mit dieser Starthilfe schaffen wir eine ganze Charge, einen ganzen Raum in etwa sechs Stunden.“

Nach dem maschinellen Trim werfen die Teammitglieder einen letzten Blick auf jede einzelne Blüte und arbeiten, falls notwendig, nach. So wird sichergestellt, dass weder Blätter noch andere, unerwünschte Anhaftungen ins Produkt gelangen. Danach werden Trimreste und das Produkt getrennt. Die immer noch potenten Reste werden mithilfe eines Filterbeutels an der Seite aufgefangen. Dann wird das notwendige Extraktions-Zertifikat bei den Behörden beantragt. Sobald das da ist, wird der Trim zur Extraktion an eine andere Firma verschickt.

Die frisch geernteten Medizinalblüten kommen nach dem Trimvorgang in den Trockenraum. Den möchte ich als krönenden Abschluss meiner Tour auf jeden Fall einmal sehen. Marc erklärt mir, dass ich ihn gerne ansehen darf – allerdings nur in leerem Zustand.

„Ich wünschte, ich hätte fertig getrocknete Blüten zum Zeigen. Aber derzeit ist die Nachfrage höher als die Produktion und deshalb hängen gerade keine Pflanzen da.“

Eine schonende Trocknung braucht Zeit

Ich erfahre, dass die frischen Pflanzen ungefähr zwei Wochen bei 16 Grad Raumtemperatur und einer Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent trocknen. Die langsame Trocknung bei niedrigen Temperaturen schont die Terpene. Nach dem Trocknen werden die Blüten im Lagerraum in Plastikfässern noch ein bis zwei Wochen gecured – also regelmäßig gelüftet und gewendet. Denn erst während des Curing-Prozesses entfaltet Cannabis das volle Spektrum seiner Terpene und somit den sortentypischen Geschmack und Geruch.

Bevor mein Rundgang zu Ende geht, möchte ich von meinem Gegenüber noch erfahren, wo man lernt, so gut wie er Cannabis anzubauen. Ist ja schließlich selbst in den Ländern, die medizinisches Cannabis produzieren, kein Lehrberuf.

„Ich würde mich einen Autodidakten nennen. Ich baue seit etwa 15 Jahren Cannabis an, die letzten vier im kommerziellen Maßstab. Ich habe mich schon immer für Cannabis interessiert. Es ist eine Pflanze, die sich auf so mannigfaltige Arten selbst ausdrückt. All die verschiedene Terpenprofile, die unterschiedlichen Phänotypen und Pflanzenstrukturen. Man kann behaupten, ich bin etwas besessen vom Cannabisanbau. Das treibt mich an, immer wieder und wieder neue Samen keimen zu lassen, nach neuen Sorten zu suchen und einfach das bestmögliche, medizinische Cannabis anzubauen.“

Marc hat mir heute eine wirklich beachtliche Anlage gezeigt. Sein Wissen und seine Fähigkeiten sind so beeindruckend, dass er mittlerweile ein gefragter Mann ist. Der Flieger, der ihn zum nächsten medizinischen Cannabis-Projekt auf die andere Seite des Globus bringt, geht in zwei Stunden. Ich verabschiede mich von Marc, wünsche ihm einen guten Flug und viel Erfolg bei seinen kommenden Cannabis-Großprojekten.

Wie grün ist die Zukunft Südafrikas?

Ich habe mittlerweile Produktionsanlagen für medizinisches Cannabis auf drei Kontinenten besucht. Südafrikas Branche hat mich hinsichtlich der Professionalität und Qualität der Produkte sehr positiv überrascht. Hier treffen europäische Gründlichkeit und Standards beim Anbau auf die Experimentierfreudigkeit und Sortenvielfalt der kanadischen und der US-Westküste. Das Klima eignet sich zudem perfekt für den Anbau von Cannabis, Solarenergie gibt es im Überfluss und auch Behörden und Regierung sind bereit, den rechtlichen Rahmen im Sinne von Patienten und Patientinnen sowie Produzenten und Produzentinnen zu gestalten. Südafrika ist heute schon ein Hotspot auf der Weltkarte für medizinisches Cannabis.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Part 1: Das Kap der Grünen Hoffnung – Südafrika setzt voll auf Cannabis

Nicht einmal 12 Stunden nach der Landung in Kapstadt sitze ich in einem Cannabis Social Club für Patienten und Patientinnen. Sieht aus und klingt, zumindest wenn die Locals ihre Medizin am Tresen ordern, fast wie in Amsterdam. Denn Afrikaans hört sich fast an wie niederländisch und ist am Westkap die meist gesprochene der 11 südafrikanischen Amtssprachen.

Die Sortenauswahl ist immens und dank meiner Dokumente, die meinen Status als Deutscher Cannabis-Patient belegen, darf ich die Medizin hier auch probieren. Bis 2022 gab es in Südafrika auch Cannabis Social Clubs für Erwachsene ohne medizinische Verordnung. Doch seit einem höchstrichterlichen Urteil von 2022 dürfen Cannabis Social Clubs in Südafrika nur Patienten und Patientinnen aufnehmen, die Vereine für Freizeit-Cannaseur:innen wurden über Nacht illegal. Der Hintergrund der bis heute relativ unklaren Rechtslage rund um Cannabis ist ein Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2018. Damals wurden Konsum, Anbau und Besitz für den Eigenkonsum über Nacht legal – allerdings ohne definiert zu haben, wie viel Gras man besitzen oder anbauen darf. Die Regierung wurde im Zuge dieses Urteils zudem verpflichtet, Cannabis innerhalb der nächsten Jahre irgendwie zu regulieren. Doch wie fast überall auf der Welt waren die Betroffenen schneller als die Regierung und so schossen nach dem Urteil Cannabis Social Clubs wie Pilze aus dem Boden. Parallel dazu fing die südafrikanische Regierung an, Anbaulizenzen für medizinisches Cannabis zu verteilen, bevor es wirklich legale und regulierte Vertriebswege dafür gab.

Nach dem Club-Verbot von 2022 bekamen die bereits bestehenden Clubs die Möglichkeit, als medizinische Cannabis Clubs weiter und – statt in einer Grauzone – in einem von den Gesundheitsbehörden vorgegebenen Rahmen zu agieren. Denn die südafrikanische Cannabis-Agentur hatte im Rahmen der Lizenzvergabe glatt vergessen, dass medizinisches Cannabis auch Vertriebswege auf nationaler Ebene braucht. Wieso also nicht aus der Not der über Nacht illegalen Clubs eine Tugend machen, indem man mithilfe deren Infrastruktur Patienten und Patientinnen versorgt? Denn das Modell in Südafrika hatte von Anfang an ein grundlegendes Problem.

Die SAHPRA (South African Health Products Regulatory Authority) hatte sich in der Hoffnung auf ausländische Investoren auf große Exportvolumina fokussiert, während Patienten und Patientinnen vor Ort von Anfang an Schwierigkeiten hatten, in Südafrika angebautes, medizinisches Cannabis legal zu beziehen.

Mittlerweile kooperiert die Cannabis Agentur in Südafrika mit zahlreichen medizinischen Cannabis Clubs. Die Clubs helfen den Patienten und Patientinnen bei der Arztsuche und stellen den Kontakt zur SAHPRA her. Der Rest ist meist Formsache, Patienten und Patientinnen können so im Durchschnitt ein bis drei Tage nach der ärztlichen Diagnose Medizinalblüten von dem Club beziehen, der Ihren Antrag bei der SAHPRA eingereicht hat. Klingt unkompliziert und so sollte ein Besuch in einem Club für Cannabis-Patienten und -Patientinnen zeigen, wie diese in Südafrika mit legaler Medizin versorgt werden.

Ein Besuch bei den 420 Doctors

Während ich meine eigene Medizin aus Deutschland dank einer deutschen Export- und einer südafrikanischen Importgenehmigung mitnehmen durfte, hat sich mein Reisebegleiter in der Hoffnung auf südafrikanische Medizin die zeitraubende Antragstellung gespart und auf eine schnelle Lösung vor Ort gesetzt. Die sollte dann in Form der 420 Doctors nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem Gründer Leon ursprünglich einen Cannabis-Club betrieben hatte, wurde die Rechtslage 2022 so unsicher, dass er sich zu einer Zusammenarbeit mit der SAHPRA entschloss.

Die Räumlichkeiten des Clubs erinnern an US-amerikanische Abgabestellen. Die Auswahl ist immens, zur Zeit unseres Besuchs im Frühjahr 2023 können Patienten und Patientinnen unter mehr als 20 Sorten mit SAHPRA-Siegel auswählen. Meine Reisebegleitung muss als allererstes einen Antrag ausfüllen, der postwendend an einen von der SAHPRA lizenzierten Arzt geschickt wird.

Moderate Preise – Hohe Qualität

Die Preise für medizinisches Cannabis sind aufgrund des Lohngefüges niedriger als in Europa. Ein Gramm kostet zwischen 2,50 und 10 Euro. Die Qualität ist ähnlich, auch wenn die Produktionsparameter in der EU noch ein wenig strenger sind als am Kap. Doch die südafrikanische Cannabis-Industrie wächst mit ihren Aufgaben und verfügt mittlerweile über internationale Standards. Hinzu kommt das für Cannabis perfekte Klima sowie der kulturelle Aspekt. Anders als Marihuana in der Bundesrepublik oder der DDR war „Dagga“ in Südafrika nie das Hippiekraut einer ungeliebten Randgruppe, sondern seit grauer Vorzeit Volksdroge. Das hat auch das Gericht in seinem wegweisenden Urteil von 2018 anerkannt. Und anders als in den meisten EU-Ländern ist der Konsum von Dagga zu 100 Prozent entkriminalisiert. Dort, wo Zigaretten geraucht werden, darf auch gekifft werden, die Eigenbedarfsregelung ist zudem sehr liberal. Als Eigenbedarf gilt gemeinhin alles, was in eine Schachtel für den persönlichen Bedarf passt – Hauptsache es deutet nichts auf Verkauf und Weitergabe hin. Die Größe der Schachtel spielt da eher eine Nebenrolle, auch eine genaue Definition, wie viel Gramm als Eigenbedarf durchgehen, sucht man vergeblich.

Mein Begleiter wird kurz nach unserem Club-Besuch von der SAHPRA mit der Bitte angeschrieben, der Ärztin seine deutschen Unterlagen zukommen zu lassen. Einen Tag und ein Telefonat später ist mein Reisepartner südafrikanischer Cannabispatient. Beim nächsten Besuch der 420 Doctors entscheidet er sich im Rahmen einer olfaktorischen Prüfung der zahlreichen Medizinalblüten, seine Therapie mit „Apple Jax“ und „Fight Club“ fortzusetzen. 420-Inhaber Leon erklärt mir derweil, dass für Extrakte sogar eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich sei. Anders als in Deutschland sei die bei Blüten aber grundsätzlich nicht möglich. Auf meine Frage, wo man denn als Patient ungestört konsumieren könne, lotst mich Club-Gründer Leon einen Raum weiter.

Hier bauen wir gerade unsere Vapo-Lounge. In medizinischen Clubs darf natürlich nicht geraucht, sondern nur vaporisiert werden,“ erklärt mir der cannafine Jungunternehmer aus Kapstadt.

Das Einnehmen der Medizin außerhalb der Clubs ist, anders als in einigen US-Bundesstaaten oder in Spanien, jedoch auch kein Problem. Denn der Konsum von Cannabis, egal ob medizinisch oder zum Spaß, ist dem Rauchen von Kippen rechtlich gleichgestellt. Deshalb findet in Südafrika jede:r einen ruhigen Ort, ungestört seine oder ihre Medizin einzunehmen – unabhängig von der Applikationsform“, berichtet Leon weiter.

Nachdem der wichtigste Punkt nach der Ankunft jetzt abgehakt ist, folgen wir Leons Tipp und machen der Kapstädter Cannabis-Messe unsere Aufwartung. Denn die findet, ohne dass wir es vorher mitbekommen haben, genau an dem Wochenende unseres Besuchs in der Kapregion statt.

Südafrikas Cannabis-Industrie verharrt in den Startlöchern

Zwei Uber später finden wir uns im Sun Convention Center als Gäste der CannabisExpo wieder. Rein äußerlich unterscheidet sich das Event nicht von europäischen Hanfmessen: Speziallampen zum Anbau, Düngerhersteller, Longpaper-Stände und Cannabis-Aktive dominieren die Gänge, aber auch unsere Freunde von den 420 Doctors sind mit einem Stand vertreten. Die Präsenz der SAHPRA überrascht mich dann doch ein wenig – weil sich unsere Cannabis-Agentur wohl kaum auf der Mary-Jane oder der Cannafair blicken lassen würde. Doch der Stand der Cannabis-Agentur auf einem 420-Event steht auch für Aufbruchsstimmung und Pioniergeist, der an jedem einzelnen Stand in Kapstadt zu spüren ist.

Ich treffe Silas Howarth, der die erste Cannabis-Fachmesse Südafrikas auf die Beine gestellt hat, und möchte von ihm mehr über die Entwicklung der südafrikanischen Cannabis-Industrie wissen.

Die erste Expo gab es 2018 in unserer Hauptstadt Pretoria, dann kamen Kapstadt, Johannesburg und Durban. Seitdem gibt es hier (in Südafrika) insgesamt drei Expos im Jahr. Wir hatten ziemliches Glück. Nachdem wir unser erstes Event das ganze Jahr über geplant hatten und im September 2018 das Urteil (red. Anmerkung: zur Verfassungswidrigkeit des Cannabis-Verbots in Südafrika) gesprochen wurde, fand unsere Veranstaltung nur einen Monat später statt. Damit waren wir die erste Veranstaltung dieser Art, die in diesen aufregenden Zeiten stattgefunden hat.

Wenn man in der Öffentlichkeit darauf pochen kann, dass Cannabis legal ist und Leute wirklich auch zuhause rauchen dürfen, fragt sich die Öffentlichkeit auch: „Gibt es da schon eine Branche?“

Und genau zu diesem Zeitpunkt fand die erste Expo statt.“

Silas Howarth im Gespräch mit Michael Knodt

Ich schildere Silas meine Befürchtungen, dass so lockere, aber unklare Regeln zum Freizeitkonsum doch schlussendlich in einer schwer zu kontrollierenden Grauzone enden könnten.

Es besteht bereits eine riesige Grauzone. Das ist einer der Bereiche, in denen die Regierung zu langsam arbeitet, würde ich sagen – wie überall auf der Welt. Es ist schon erstaunlich, dass vor der Expo die Branche selbst gar nicht mitbekommen hat, wie groß sie eigentlich ist. Und deshalb bis dahin auch keine:r die Vorteile und Chancen erkannt hat, die eine neue Branche im Rahmen der Legalisierung ergreifen kann. Die Möglichkeiten für Cannabis-Unternehmen sind riesig, wir bieten hier einen neuen Spielplatz und ein eimaliges Potential für Unternehmen, besonders jetzt in den Anfangsjahren.“

Fachgeschäfte vs. rechtliche Grauzonen

Was Silas mit dieser Grauzone meint, erklärt mir Phil* aus Johannesburg während der obligatorischen Inhalations-Pause im Freien: „Es gibt immer noch Clubs, die ohne Schild und ohne Lizenz arbeiten. Das kostet dann eine Art Extra-Gebühr, über die hier niemand redet. Ich habe auch schon erlebt, dass bei einer Verkehrskontrolle eine 200 g Box als Eigenbedarf durchgeht oder eine große Tüte einfach verschwindet. Du musst wissen, wir sind das Land der Road-Blocks, also Polizeikontrollen wie ihr in Deutschland sagt. Die sind hier, anders als ihr das kennt, eine Säule der Kriminalitätsbekämpfung. Leider weiß hier auch jedes Kind, dass jedwedes Vergehen seinen Preis hat. Den kann man meist direkt und ganz ohne Quittung bezahlen. Und weil Kleinstmengen ja seit 2018 keine Straftat mehr sind, geht es heutzutage eben um mehr als ein paar Gramm. Alle wollen legal verkaufen. Bis das irgendwann möglich ist, erreicht man das Ziel über Umwege. Mehr will ich dazu gar nicht sagen“, erklärt mir mein Gesprächspartner.

Südafrika ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Cannabis umfassend entkriminalisiert wird, ohne den Handel im gleichen Zuge zu regulieren. Im Prinzip hat das Verfassungsgericht durch sein Urteil 2018 ein rechtlich unscharfes Pendant zu der deutschen Säule eins geschaffen. Zwar wird die medizinische Cannabisbranche trotz einiger Startschwierigkeiten immer professioneller und unterliegt mittlerweile klaren Spielregeln. Doch die riesige Grauzone, in der sich Südafrikas Freizeitkonsumenten und -konsumentinnen tummeln, konnte nur entstehen, weil es de Regierung seit sechs Jahren nicht geschafft hat, Anbau und Verkauf von Freizeit-Cannabis zu regulieren, während Weed im Alltag entkriminalisiert und omnipräsent ist. Deutschland könnte Ähnliches blühen, falls zwischen Säule eins (Entkriminalisierung zum 1.4.24) und Säule zwei (Produktion und Verkauf) zu viel Zeit vergehen sollte.

*Name vom Autor geändert


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Cannabis Clubs ohne Vereinsleben - Wie soll das funktionieren?

Die Deutsche Angst vor innovativer Cannabis-Kultur

Cannabis soll in zwei Schritten legalisiert werden. Der erste, von der Ampel-Koalition „Säule eins“ genannt, sieht vor, Erwachsenen ab 2024 den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis, den Anbau von drei Pflanzen und die Mitgliedschaft in einem Cannabis Club zu gestatten. So ziemlich alles andere, darunter auch eine versteuerte Abgabe über Fachgeschäfte, bleibt bis zur Verabschiedung von Säule zwei illegal. Wann und ob Säule zwei das Parlament passiert, ist noch völlig unklar.

Anders als zum Beispiel in Uruguay oder Spanien sollen die Clubs in Deutschland nicht „social“ sein, also beim soziokulturellen Aspekt im Umgang mit Cannabis außen vor bleiben. Wer mit Freund:innen und Bekannten kiffen will oder einfach nur Infos über Cannabis austauschen möchte, den Umgang mit der Substanz erlernen oder mehr über den Anbau erfahren möchte, soll das, sollte das Gesetz wie derzeit geplant umgesetzt werden, weiterhin im Verborgenen tun.


Alle Vereine sind gesellig, nur Cannabis-Clubs nicht?

Im Vereinsrecht nennt sich der soziokulturelle Aspekt des Vereinslebens „Geselligkeit“. Die ist eine Säule des hiesigen Vereinslebens und soll Cannasseur:innen vorenthalten bleiben. In Spanien, wo ab 2007 die ersten Clubs weltweit entstanden, ist genau dieser soziale Aspekt die rechtliche Grundlage für die Existenz von Cannabis Social Clubs. Nicht die Abgabe gegen einen Unkostenbeitrag steht im Mittelpunkt des Vereinslebens, sondern Anbau und Konsum ohne kommerziellen Hintergrund sowie die Schaffung einer ganzheitlichen Cannabiskultur. Dazu veranstalten die Vereine Anbau-, Präventions- oder auch Extraktions-Seminare und ermöglichen ihren Mitgliedern ganz nebenbei, das selbst ergärtnerte Kraut in den Vereinsräumen zu beziehen und danach gemeinsam zu genießen.

So muss niemand mehr mit seinen Freund:innen im Park oder vor der Kneipe kiffen. Der soziale Aspekt fördert den öffentlichen Konsum nicht zwangsläufig, im Gegenteil. Im Cannabis-Club-Paradies Barcelona wird der öffentliche Konsum von Cannabis mit hohen, dreistelligen Geldbußen geahndet – weil man ja auch in einem Club hätte rauchen oder vaporisieren können. Die Clubs selbst dürfen als solche von außen nicht erkennbar sein. Zudem sind die Betreibenden verpflichtet, mithilfe von professionellen Abluftsystemen die Luft in und besonders vor den Clubräumen rein zu halten. So gut getarnt erfüllen diese nicht sicht- und riechbaren Clubs alle Voraussetzungen für einen funktionierenden Jugendschutz besser als jede Abstandsregel.

Man stelle sich einmal vor, ein Hobbybrauer-Verein dürfe sein Bier brauen und an die Mitglieder verkaufen, aber nicht gemeinsam verkosten. Da würde jedes deutsche Amtsgericht den Vereinszweck infrage stellen. Cannabis-Clubs hingegen sollen nicht wie klassische Vereine, sondern als reine Cannabis-Abgabevereinen agieren.

Fehlende Fachgeschäfte erschweren die geplante Rolle der Clubs

Der DHV Vorsitzende Georg Wurth hat es mit den Worten „Nicht jede:r, die:der Joghurt mag, will eine Kuh“, auf einen einfachen Nenner gebracht.

Cannabis (Social) Clubs sind eine Nische für Cannabis-Enthuisiast:innen und dem Ansturm, der sich schon jetzt abzeichnet, als unkommerzielle Organisation gar nicht gewachsen. Wer nur sporadisch kifft oder seinen Jahresbedarf mit drei Balkon-Pflanzen nicht decken kann, möchte nicht unbedingt an einem Cannabis-Vereinsleben teilnehmen müssen, um Samstag Abend einen Joint vor dem Kinogang zu rauchen.

Die erste Phase der Legalisierung berücksichtigt demnach lediglich Enthusiast:innen, die ihre Freizeit dem Anbau und/oder dem Vereinsleben widmen. Wer schnell und unkompliziert mal einen Joint rauchen möchte, hat weiterhin ein Problem. Gleichzeitig ist es Privatpersonen gestattet, bis zu 25 g Cannabis und drei Pflanzen zu besitzen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Fachgeschäfte geben wird, werden die, die weder Clubmitglied sein noch Weed anbauen möchten, ihr Cannabis, wie all die Jahre zuvor, illegal beziehen. Die, die es verkaufen, werden aber noch schwerer zu fassen sein als zu Zeiten des Verbots. Denn weder der Besitz von bis zu 25 g noch der Geruch nach Cannabis dürfen dann als Rechtfertigung repressiver Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Personenkontrollen dienen. Zudem sinkt die Hemmschwelle der Konsumierenden, weil ihr Handeln nicht mehr strafbar ist. Wenn der Gesetzgeber denkt, die entstehende Lücke werde nicht ausgenutzt, hilft ein Blick nach Nevada. Erst als Dealer offen mit gefüllten Grasbeuteln vor den Casinos standen, gab es Lizenzen für Shops im Touristenviertel “The Strip”. Bis dahin dachte man ernsthaft, man könne Cannabis nur für Einheimische legalisieren, indem man in der Nähe von touristischen Hotspots keine Fachgeschäfte zulässt. Das ist ebenso utopisch wie die Vorstellung, man könne den Schwarzmarkt ganz ohne Fachgeschäfte kleinkriegen.

Clubs für alle?
Natürlich bestünde die Möglichkeit, dass Clubs auch Menschen mitversorgen, die bei freier Wahl lieber ins Fachgeschäft gehen würden. Das wiederum gefährdet allein aufgrund der Menge den unkommerziellen Charakter der Clubs, der von der Regierung ausdrücklich angestrebt wird und der das Vereinsleben in Deutschland auch grundsätzlich auszeichnet. Wenn alle fünf bis acht Millionen Kiffer:innen ihr Weed legal über einen Verein bezögen, bräuchten wir über kurz oder lang 10.000 + x große (500 Mitglieder) Cannabis Clubs. Clubs in Spanien sollten gemäß eines Urteils des Obersten Gerichts übrigens nicht mehr als 300 Mitglieder haben, um eben diesen unkommerziellen Charakter zu bewahren.

Egal, von welcher Seite aus man es betrachtet: ohne zeitgleich oder wenigstens zeitnah Fachgeschäft-Projekte zu ermöglichen, scheint die Regierung den Missbrauch der grundsätzlich überfälligen Entkriminalisierung wissend in Kauf zu nehmen. Je länger diese tolerierte Grauzone besteht, umso stabilere Strukturen bilden sich in ihr aus. Als bestes Beispiel dienen hier die Coffeeshops in den Niederlanden oder auch die Vergabe der Cannabis Social Club-Lizenzen in und um Barcelona. Besonders in den Niederlanden haben sich auf dem Cannabis-Schwarzmarkt hochkriminelle Strukturen etabliert, weil Handel und Weitergabe von Kleinstmengen seit 50 Jahren entkriminalisiert, Produktion und Großhandel aber illegal sind und seit einigen Jahren oft sogar härter als hierzulande bestraft werden.

Deutschland plant zwar keine Coffeeshops, aber im Grunde genommen ein ähnliches Konstrukt: Im Kleinen ist es legal, aber der Großhandel bleibt tabu. Je länger dieser Zustand bestehen bleibt, desto schwerer wird es, den jetzt schon unüberschaubaren Schwarzmarkt später wirklich durch eine kontrollierte Lieferkette zu ersetzen.


Ein Blick über den Tellerrand hilft
Anders als der Gesetzentwurf in Deutschland wurde der Schweizer Experimentierartikel, der als Grundlage für die dortigen Cannabis-Pilotversuche dient, nicht mit der heißen Nadel gestrickt. Hier hat sich das Bundesamt für Gesundheit viel Zeit genommen und zwei grundlegende Fehler vermieden:

- Cannabis SOCIAL Clubs dürfen dort auch soziokulturelle Aufgaben wahrnehmen

- Neben Clubs dürfen auch Fachgeschäfte und Apotheken Cannabis im Rahmen der Pilotprojekte abgeben.

So können unsere Nachbarn nach der fünfjährigen Pilotphase entscheiden, welches Abgabe-Modell funktioniert. Konsumierende haben zudem einen Ort, sich abseits öffentlicher Räume oder Grünflächen zu treffen und auszutauschen. Wissenschaftliche Forschung zum Umgang mit Weed wird dort in Form eines Arbeitsmoduls zur Konsumkompetenz erst durch die Social-Club-Mitglieder möglich. In Deutschland will man wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, indem man den Clubs eine gesellschaftlich notwendige Funktion nicht zutraut und sie zu reinen Cannabis-Anbau- und Abgabestellen degradiert. Genau diese Art der Zwangs-Kommerzialisierung lädt zum Missbrauch ein. Hier sind nicht die Niederlande, sondern die Clubs in Barcelona, von denen ein Großteil wie Coffeeshops agiert, als Beispiel für die Fehlinterpretation des ursprünglichen Club-Gedankens anzuführen. Diese Art von Missbrauch der lokalen Cannabis-Gesetze wiederum ist jedoch nicht Schuld der Betreiber, sondern das Ergebnis einer 15 Jahre geduldeten Grauzone, die aufgrund des rechtlichen Status von Cannabis in Spanien immer noch keine Fachgeschäfte zulässt.

In weniger liberalen Landstrichen von Spanien werden Clubs übrigens bis heute strenger von den Behörden und der Polizei kontrolliert als an den cannafinen Hotspots wie Katalonien oder den Kanaren. So gibt es in Madrid oder Valencia zwar auch Cannabis-Clubs, die Touristen jedoch verschlossen bleiben. Solche Clubs haben selten mehr als 300 Mitglieder und dienen der lokalen Bevölkerung als Weed-Quelle für den Feierabend-Joint ohne weitere Verpflichtungen. Wer Interesse hat, kann – muss aber nicht – beim Anbau helfen.

In den großen Clubs der katalanischen Metropole bauen die Mitglieder schon seit 2019 gar nicht mehr selbst an, sondern lassen ihr Gras von professionellen Gärtner:innen produzieren. Das entspricht eigentlich nicht den Vorgaben für Social Clubs, wird aber von der Lokalregierung toleriert. Ohnehin hat man in Barcelona das Gefühl, die lokale Cannabis-Politik habe auch etwas mit dem Konflikt um die katalanische Unabhängigkeit zu tun. Denn die Zentralregierung hat dort ganz andere Probleme als ein paar Social Clubs, die nicht nach den Vorstellungen und Gesetzen der Zentralregierung in Madrid, sondern gemäß eines Beschlusses der Lokalregierung wie Shops agieren.

Clubs, die, wie von der Regierung in Spanien oder bald auch in Deutschland gewünscht, unkommerziell agieren, dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Der Schwarzmarkt blüht auch in Spanien weiter im Verborgenen. Nur in Barcelona, wo Clubs aufgrund der lokalen Gesetzgebung im Prinzip wie 18+ Fachgeschäfte agieren können, sind die Dealer, die einst die Ramblas bevölkerten, ganz verschwunden. Im Rest des Landes existieren Cannabis-Clubs und Schwarzmarkt nebeneinander her. Während die vielen Gelegenheitskiffer:innen und Tourist:innen in einer durchschnittlichen spanischen Stadt auf dem omnipräsenten Schwarzmarkt kaufen, treffen sich eingefleischte Cannasseur:innen und mangels Gesetz auch Patient:innen in den örtlichen Cannabis-Clubs.

Der perfekte Club…
… kann eigentlich nur parallel zu Cannabis-Fachgeschäften für Erwachsene existieren. Nur so ist eine Kommerzialisierung, ob von den Betreibenden gewollt oder nicht, aus oben angeführten Gründen vermeidbar. Außerdem sollte er andere Aufgaben, als dem Gesetzgeber derzeit vorschweben, erfüllen:

- Der Anbau sollte erfahrenen Mitgliedern überlassen werden, die dazu auch Lust und Zeit haben und nicht, wie aktuell geplant, obligatorisch für alle sein. Ähnlich wie in anderen Vereinen mit einer Verpflichtung zur Mitarbeit, könnten solche Pflichten auch durch andere Tätigkeiten für den Verein oder eine finanzielle Kompensation beglichen werden.

- Um das Vereinsleben auszugestalten, sollte der Verein Aufklärungsarbeit zu Cannabis leisten. Hier stehen Konsumkompetenz sowie das Vermitteln schadstoffarmer Konsumformen im Fokus. Ähnlich wie ein Obst- und Gartenbauverein kann auch Wissen über den Anbau, Ernte und Veredelung in Form von theoretischen und praktischen Fortbildungsveranstaltungen stattfinden. Besonders die Produktveredelung, also im Falle von Cannabis die Extraktion, sollte nicht grundsätzlich verboten, sondern, ähnlich wie die Herstellung von Obstwein im Obst- und Gartenbauverein, Teil der Club-Kultur sein. Dabei könnte Colorado als Beispiel dienen. Dort ist es Privatpersonen gestattet, Extrakte mit Hilfe nicht explosiver Lösungsmittel wie Alkohol oder einer mechanischen Presse zu extrahieren. Gefährlichere Extraktionsmethoden mit explosiven Lösungsmitteln, wie zum Beispiel Butan, dürfen hingegen nur von lizenzierten Fachbetrieben durchgeführt werden.

- Die geplante Abstandsregel zu Schulen sollte durch eine obligatorische Kooperation mit den Schulsozialstationen und/oder der Schulleitung ersetzt werden. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage: Wie soll ein von außen nicht wahrnehmbarer Vereinsraum das Konsumverhalten minderjähriger Schüler:innen beeinflussen, die nicht mal in die Vereinsräume schauen, geschweige denn Mitglied werden dürfen? Zudem schafft ein persönlicher Kontakt zu den Schulen ein Vertrauensverhältnis und könnte zukünftig auch als Vorbild für schulnahe Kneipen dienen.

- Mehrfachmitgliedschaften sollten möglich sein. Sie fördern den Wissensaustausch und erhöhen die legale Besitzmenge nicht.

- Clubs sollten die Möglichkeit haben, überschüssiges Cannabis aus Privatanbau zu testen und, so es denn sauber ist, anzukaufen. So wird es für Privatpersonen unattraktiv, überschüssiges Cannabis aus dem legalen Eigenanbau auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Ähnlich wie die jährlichen 200 Liter beim Brauen von Bier wäre nur eine für den eigenen Bedarf definierte Menge steuerfrei. Wer zuhause sauberes Weed anbaut, könnte sich sogar ein legales Zubrot verdienen und den Schwarzmarkt im Sinne der Behörden aktiv bekämpfen.

- Für eventuell anzustellendes Personal sollte ausschließlich das Vereinsrecht gelten. Sonderregeln wie die geplante Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse beim Cannabis-Anbau haben im Verein nichts zu suchen.

- Beschränkungen für Saatgut und Stecklinge sollten komplett wegfallen.

- Die Mitgliederzahl sollte nur dann begrenzt werden, wenn die Hürden zum Betrieb eines Clubs nicht so hoch wie derzeit geplant sind. Was hilft es, wenn ein Club statistisch 5000 Personen versorgen muss, aber nur 500 versorgen darf – oder auch umgekehrt? Wer profitiert, wenn die 4500, die nicht mehr in den Club kommen, trotz Entkriminalisierung schwarz einkaufen?

Clubs sind nicht für jede:n was
Die ursprüngliche Idee von Cannabis-Clubs war es, kleinen Grower:innen und Kiffer:innen eine Möglichkeit zu geben, ihr Gras für den eigenen Bedarf straffrei anbauen, besitzen und im Freundeskreis genießen zu dürfen. Durch den eigenen, teilweise ehrenamtlichen Anbau und die ausschließliche Abgabe an Mitglieder, ein Werbeverbot für Clubs oder ihr Produkt unterliegt von Clubs angebautes Cannabis nicht den Mechanismen des Freien Marktes. Ähnlich wie die im Obst- und Gartenbauverein angebauten Äpfel erhalten Club-Mitglieder die Früchte ihrer Arbeit deshalb zu anderen Konditionen, als die Kund:innen eines Obstladens. Wäre ja auch unlogisch, wenn man zur Pflege seines Hobbys extra einem Verein beitritt, der am Ende nur Geld und Aufwand, aber keinerlei Vorteile mit sich bringt. Deshalb ist das selbst ergärtnerte Gras in den Clubs ohne Touristen-Zugang in Spanien für die Mitglieder meistens auch viel günstiger als das in niederländischen Coffeeshops oder den Touristen-freundlichen Clubs Barcelonas.

Deshalb sind Cannabis (Social) Clubs für “cannaffine” Zeitgenossen und Zeitgenossinnen  gemacht, die sich einer jetzt zu schaffenden Cannabis-Kultur widmen wollen. Wer keinen Bock hat, Cannabis-Kulturschaffende:r zu werden, wäre im Fachgeschäft eigentlich weitaus besser aufgehoben – wenn das denn möglich wäre. Doch so heißt es wohl auch für Quartals- und Gelegenheitskiffer:innen ab 2024: Willkommen im Club! Wer darauf keine Lust oder zu wenig Zeit für das Formale hat, darf auch 25 g besitzen – und das mangels Fachgeschäften ganz ohne Herkunftsnachweis. Ein Dach mit nur einer Säule ist eben nicht belastbar und kippt sofort. Deshalb könnte, falls die Säule zwei nicht sehr zeitnah verabschiedet wird, die tragende Rolle der zweiten Säule bis auf Weiteres von einem Schwarzmarkt mit viel weniger Hemmungen als momentan ersetzt werden. 

Schaut euch zu diesem Thema auch Michas aktuelles Video auf Youtube an!

Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Legal – illegal – Weedpokal: Die Grundlagen der modernen Cannabis-Zucht

Fast alle Cannabis-Sorten haben wohlklingende Namen. Manche sind einer highteren Phantasie entsprungen, andere beschreiben die Eigenschaften sowie die Wirkung eines Strains. Einige Züchter:innen halten es wie Biolog:innen und nutzen den eigenen Namen zur Benennung einer neuen Cannabis-Sorte.

Insbesondere die erste Generation der zu dieser Zeit ausnahmslos männlichen, damals noch kriminellen Cannabis-Züchter hat eine Reihe von Legenden hervorgebracht: Die Haze-Brüder, David Watson aka Sam the Skunkman, Neville Schoenmakers, Scott Blakey aka Shantibaba, Karel Schelfhout, Ben Dronkers, Soma sowie einige andere haben mit ihren Sorten zwischen 1970 und 2000 die Grundlagen der modernen Cannabiszucht geschaffen. Der lange illegale Status ihres Treibens hat natürlich einen großen Teil zur Legendenbildung beigetragen.

Not macht erfinderisch – zu den Ursprüngen der Cannabislegenden

Den größten Verdienst an der weltweiten Breeder-PR haben allerdings die Strafverfolgungsbehörden. Alle Breeder der modernen Cannabis-Zucht wurden früher oder später aufgrund ihrer Aktivitäten kriminalisiert, eingesperrt und nicht selten mit de facto Berufsverboten belegt. Schlussendlich hat die weltweite Verfolgung von Breedern nicht die Entwicklung neuer Cannabissorten verhindert, sondern zur Heroisierung ihrer Entwickler geführt.

Die meisten dieser Weed-Pioniere können heute trotz aller Schwierigkeiten auf eine erfolgreiche Karriere als Cannabis-Züchter zurückblicken. Einige wie Karel Schelfhout oder Ben Dronkers konnten aus dem einst halb-legalem Business sogar ein erfolgreiches Familienunternehmen machen und ihr Wissen in diesem Zuge erfolgreich ihren Söhnen vermitteln.

Die Cannabis-Zucht: oft ein Familien- und Männerbusiness

So war Ben Dronkers Sohn Alan maßgeblich an der Schaffung von „Jack Herer“ und anderen Sensi-Strains beteiligt. Auch Karels Sohn Kees ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat mit „Creamy Kees“ eine sehr terpenreiche Medizinal-Hanfsorte erschaffen, die allerhöchste Standards erfüllt.

Leider haben es nicht alle Cannabis-Enthusiast:innen der vergangenen 50 Jahre geschafft, aus ihrer Passion ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu machen. Denn zur Produktion von Cannabissamen, die in vielen Ländern dieser Welt legal sind, muss man Cannabis zuerst in großem Stil anbauen. Das wiederum ist fast überall verboten.

Obwohl einige Länder inzwischen Ausnahmen für den Anbau von medizinischem Cannabis machen, darf Cannabis zum Freizeitgebrauch derzeit nur in Kanada angebaut werden. Erlaubt ist das auch in einigen US-Bundesstaaten, wo es aber dem US-Bundesrecht widerspricht. Nachdem bis vor wenigen Jahren noch alle Zuchtaktivitäten im Untergrund stattfanden, kann immerhin die Produktion medizinischer Sorten nun also die Angst vor Strafverfolgung peu à peu ablösen.

Da es bei der Entwicklung einer wohlschmeckenden und wirksamen Sorte heutzutage auch ums Geld geht, verweisen viele Samenbanken bei ihren Strains auch auf deren legendäre Schöpfer:innen, die lange Historie oder sonstige Besonderheiten einer Sorte. So entstanden neben wahren Legenden auch zahlreiche Halbwahrheiten und Gerüchte rund um die einst illegale Kunst der Cannabis-Zucht. Ein Blick zurück bis in die späten 1960er-Jahre kann helfen, einige dieser Cannabis-Mythen zu entwirren:

Die 1960er-Jahre: Nebulöse Anfangsjahre

Ursprünglich ging es bei der Selektion von Cannabis nicht ums große Geld, sondern eher darum, dem kalifornischen Klima ein Schnippchen zu schlagen. In Kalifornien fingen Ende der 1960er-Jahre ein paar ambitionierte Hippies an, verschiedene Cannabis-Sorten untereinander zu kreuzen.

Zu den bekanntesten Sorten aus dieser Zeit gehören „Accapulco Gold“ oder „Haze“. Letzteres wurde von einem kalifornischen Brüder- und Breederpaar, den „Haze-Brothers“, aus den damals besten Sativas aus Kolumbien, Mexiko, Thailand und Südindien gekreuzt. Denn anders als Strains aus dem kälteren Nordindien, Pakistan oder Nepal zählen südindische Cannabis-Landrassen zu den Sativa-Strains.

Das Problem mit den meist aus Mexiko oder karibischen Staaten wie Kolumbien, Jamaika oder Panama stammenden Sativa-Landrassen lag in deren langen Blühperioden – sie konnten im weiter nördlich gelegenen Kalifornien nicht richtig ausreifen.

Die 1970er-Jahre: Fernöstliche Einflüsse verändern die Cannabis-Zucht

Das änderte sich, als der Ferne Osten zum Reiseziel US-amerikanischer Hippies wurde. Nach ihrer Rückkehr kreuzten sie Indica-Landrassen aus den nördlichen Bergregionen des Subkontinents mit kalifornischen Sorten. So brachte unter anderem die „Brotherhood of Eternal Love“ gezielt Indica-Saatgut nach Kalifornien.

Die kürzere Blühzeit von Indica-Pflanzen sollte sich nach dem Kreuzen mit Sativa-Pflanzen als der entscheidende Baustein für eine schnellere Reifezeit und somit für die gesamte Cannabis-Zucht erweisen – und das nicht nur in nördlichen Breitengraden.

Zu den bekanntesten Züchtern dieser ersten Breeder-Generation Kaliforniens zählen David Watson aka Sam the Skunkman, Medecino Joe aka Romulan Joe und Maple Leaf Wilson.

Watson, Joe und Wilson gründeten Mitte der 1970er-Jahre „Sacred Seeds“ und züchteten mit „Skunk#1“ den ersten Hybrid, von dem 1978/79 die ersten Anzeigen und Fotos im „Homegrown“-Magazin aus Großbritannien erschienen. Andere Sacred Seeds Sorten der ersten Stunde waren „Haze El Primo“ oder „Afghani Hindu Kush“.

Das Amsterdam der 1980er-Jahre – Die Keimzelle der Sortenvielfalt 

Als David Watson und seine Mitstreiter Anfang der 1980er-Jahre ins Visier der Behörden gerieten und Sacred Seeds im Jahr 1982 von der DEA dicht gemacht wurde, entschied sich Watson, seine züchterischen und geschäftlichen Aktivitäten in die Niederlande zu verlegen.

Dort hatte sich wenige Jahre zuvor eine liberale Cannabis-Politik durchgesetzt, wodurch Coffeeshops und damals auch deren Lieferanten fast unbehelligt von den niederländischen Strafverfolgungsbehörden agieren konnten. Der Anbau von Cannabis war zu dieser Zeit in den Niederlanden noch kein Thema. In den Coffeeshops dominierte importiertes Haschisch.

Das Gras stammte meistens aus Afrika, Kolumbien oder Fernost, war voller Samen, roch muffig und war fast immer von absolut minderer Qualität. Wirklich leckere Buds waren eine echte Rarität, der Indoor Anbau von Cannabis noch gar nicht erfunden.

Fruchtbare Cannabis-Kooperationen entstehen

In Amsterdam kam es dann zu einer Begegnung, die wegweisend für die weltweite Cannabiszucht sein sollte. Watson traf den Australier Neville Schoenmakers. Auch Schoenmakers war ambitionierter Grower und hatte von seinen Weltreisen insbesondere asiatische Cannabissorten mitgebracht.

Sam und Neville tauschten Wissen und Saatgut untereinander aus und Neville eröffnete dann 1984 mit „The Seed Bank of Holland“ den ersten Cannabis-Samenshop. Bestseller war das einst von der Sacred-Seed-Gang eingeschmuggelte, kalifornische „Skunk#1”. So wurde der Hybrid schnell zum Bestseller und gleichzeitig zur Urmutter vieler Cannabis-Hybriden. Andere Frühwerke Nevilles wie „Afghan No.1“ oder „Mazar“ besitzen heutzutage ebenfalls Legendenstatus. 

Bald schon interessierten sich auch einheimische Cannabis-Liebhaber für die neue Genetik. So lernte Schoenmakers Karel Schelfhout und Ben Dronkers kennen. Schelfhout unterstützte Schoenmakers bei seinen Zuchtversuchen, machte sich aber alsbald als Spezialist für Haze-Selektionen selbstständig. So schuf Karel mit „Karel’s Haze“ schon 1985 seine erste eigene Sorte und gründete mit dem „Super Sativa Club“ eine Samenbank, die sich sehr früh der Zucht von Sativa-lastigen Strains widmete.

Dronkers hingegen hatte vor der Gründung von „Sensi Seeds“ in Zentral- und Südostasien sowie aus dem asiatischen Subkontinent Cannabis-Genetik gesammelt. Aus Dronkers Kreuzungen mit kalifornischen Skunk-Hybriden entstanden die ersten Indica-dominanten Hybride wie „Early Girl“ oder „Early Pearl“.

Die 1990er-Jahre: Von draußen nach drinnen – Cannabis unter Kunstlicht

Doch die klimatischen Bedingungen in den Niederlanden waren viel schlechter als in Kalifornien. Für gute Ernten benötigte man Gewächshäuser und orientierte sich an der Technik niederländischer Gemüsebauer:innen. Diese optimierten ihre Erträge nicht nur mithilfe von Gewächshäusern, sondern nutzten zusätzlich Kunstlicht.

Die Beleuchtung steigerte nicht nur den Ertrag, sondern erhöhte nebenbei den Tarneffekt der damals schon illegalen Aktivitäten. Als die Polizei in den Niederlanden Ende der 1980er-Jahre anfing, den Cannabisanbau nicht mehr im großen Stil zu dulden, tauschten die Akteure ihre Glashäuser gegen feste Wände und installierten immer mehr Lampen. So entstand der Indoor-Anbau ursprünglich nicht aus ökonomischen Gründen, sondern zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen.

Schoenmakers ließ sich im Cannabis Castle, einem alten Herrenhaus im niederländischen Arnheim, nieder. Dort konnte er seine bis dato halb-professionelle Selektion unter optimalen Bedingungen intensivieren. Bis heute gilt das Cannabis Castle als Brutstätte vieler legendärer Cannabis-Sorten wie „Northern Light #5 Haze“. 

Der Austausch von Cannabis-Samen und Wissen in Kombination mit den niederländischen Fähigkeiten beim Anbau unter Kunstlicht katapultierte die Cannabis-Zucht in bislang ungeahnte Dimensionen. Mit dem Arnheimer Cannabis-Schloss schufen die Pioniere der 1980er-Jahre in den Niederlanden die Grundlage für eine Disziplin, die man heute weltweit als „Homegrowing“ kennt.

Die “Operation Green Merchant” 

Schoenmakers Seed Bank hatte seit 1985 auch Saatgut in die USA versendet und war so ins Visier der DEA geraten. Die hatte nach David Watsons Flucht aus den USA in 1982 ohnehin die gesamte Szene im Visier und nahm Schoenmakers Samenhandel 1989 als Anlass zur „Operation Green Merchant“. Nevilles „Seed Bank of Holland“ sowie das „High Times“- und das „Sensimilla“-Magazin wurden des internationalen Drogenhandels beschuldigt.

Schoenmakers verkaufte daraufhin seine Samenbank an Ben Dronkers und aus „Sensi Seeds“ wurde die „Sensi Seed Bank“. Neville Schoenmakers tauchte aus Angst, in die USA ausgeliefert zu werden, für ein paar Jahre ab. Trotz Schoenmakers Befürchtungen stimmten die Niederlande dem Auslieferungsantrag der USA nie zu.

Nachdem sich Neville einige Jahre versteckt hatte, gründete er 1997 zusammen mit Arjan Roskam „Greenhouse Seeds”. Hier arbeitete er mit seinem Landsmann Scott Blakey aka Shantibaba an Sorten wie „Neville’s Haze“, „G13xHashplant“ oder „Super Silver Haze“. Ihre Kreationen gewannen zahlreiche Cups und galten damals als beste Genetik weltweit.

Aufgrund wachsender Differenzen verließen Schoenmakers und Shantibaba Greenhouse Seeds nach nur wenigen Jahren. Shantibaba gründete mit dem Ex-Hasch Schmuggler Howard Marks (aka Mr.Nice) die Mr. Nice Seedbank und kümmert sich seit 2013 mit der CBD-Crew auch um die Zucht medizinischer Sorten.

Schoenmakers kehrte nach Australien zurück und widmete sich der Forschung an Cannabis auf wissenschaftlicher Ebene. Neville durfte seit 2015 federführend an der Entwicklung des staatlichen Anbauprogramms für medizinisches Cannabis mitarbeiten. Er starb 2019 im Alter von 62 Jahren im australischen Osbourne Park.

Die 2000er-Jahre: Umzug in wärmere Gefilde

Bis zum Jahr 2000 hatten sich in den Niederlanden aufgrund der sehr liberalen Gesetzeslage zahlreiche Hanfsamen-Produzent:innen etabliert. Mit dem Rechtsruck der Politik Anfang der 2000er-Jahre begann man der niederländischen Cannabis-Industrie langsam den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Aus einer umfassenden Duldungspolitik wurde ein Cannabis-politisches Regelwerk, das nicht nur wegen der Backdoor-Problematik eines Rechtsstaates nicht würdig ist.

So wurde es fast unmöglich, in den Niederlanden professionell Samen zu produzieren. Spätestens mit dem Growshop-Gesetz von 2015 hatten immer mehr Samenproduzent:innen entschieden, ihre Aktivitäten nach Spanien zu verlegen.

Seitdem produzieren nicht nur Paradise Seeds sondern auch Dutch Passion, Barneys Farm, Royal Queen Seeds und Sensi Seeds, oft mit Unterstützung geduldeter Cannabis Social Clubs, ihr Saatgut in Spanien.

Die Feminisierung von Cannabissamen schreitet voran 

Ebenso zu Anfang der 2000er-Jahre entwickelte ein ambitioniertes Breeder-Kollektiv im Baskenland die bereits bekannte Technik zur Feminisierung von Cannabissamen weiter. 

Die Breeder, aus denen später die Seedbank Dinafem werden sollte, vereinfachten die Zucht ausschließlich weiblicher Hanfpflanzen immens. Damals galt diese Technik unter echten Cannabis-Enthusiast:innen noch als ziemlich uncool, weil die Pflanzen zur Gewinnung des Saatgut chemisch behandelt werden, um im Anschluss fast ausschließlich weibliche Samen zu produzieren. 

Nach ein paar Jahren konnten die Breeder des La Motta Kollektivs fast jede Sorte als verweiblichte Variante anbieten und wurden zu Dinafem.

Die Einkreuzung von Cannabis Ruderalis

Der nächste und bislang letzte Meilenstein war die Einkreuzung von Cannabis Ruderalis Samen, an deren Ende so genannte Automatic-Sorten standen. Erstmals war der Ruderalhanf 1942 in Sibirien als eigene Art identifiziert und wissenschaftlich beschrieben worden. 

Anders als Cannabis Sativa oder Cannabis Indica hängt der Beginn der Blütezeit bei Cannabis Ruderalis nicht von der Photoperiode (Indoor von der Belichtungszeit) ab. 

Egal, wie lange oder intensiv es Licht bekommt, blüht Ruderalhanf sechs bis acht Wochen nach seiner Aussaat ganz von selbst. Verantwortlich dafür ist ein Cannabis-Genom, das in Sativa oder Indica Sorten rezessiv und nur beim Ruderalhanf dominant ist.

Die Geburt der Automatic-Sorten

Als erste Automatic-Sorte gilt eine Kreuzung einer „Mexican Sativa“ und einer unbekannten Ruderalis, die ein gewisser Joint-Doctor gut 20 Jahre zuvor selektiert hatte. Er nannte die wenig potente Sorte „RudiMex“.

Grundsätzlich weisen Automatic-Varianten aufgrund der schnellen Entwicklungszeit einen niedrigeren Wirkstoffgehalt auf als reguläre oder feminisierte Pflanzen der gleichen Sorte. Um den Wirkstoffgehalt zu steigern, kreuzte der unbekannte Cannaseur seine „RudiMex“ mit einer „Williams Wonder x Northern Lights“. 

Nach der Stabilisierung ihrer Eigenschaften durch natürliche Selektion nannte Joint-Doctor sein Baby „Lowryder“ und brachte sie als erste kommerzielle Automatic-Sorte auf den Markt. Aus deren Kreuzung mit einer „New York Diesel“ wiederum wurde „Diesel Ryder“. Die war ertragreicher als die „Lowryder“-Genetik und mit 17-19 % Wirkstoffgehalt auch fast so potent wie reguläre Sorten.

Da die verkürzte Blüh- und Wachstumsphase bis zu drei Outdoor-Ernten im Jahr ermöglicht, erfreuen sich Automatic-Sorten besonders unter südeuropäischen Weed-Enthusiast:innen bis heute großer Beliebtheit.

Die Mitte der 2020er-Jahre: Blühende Zukunft nach der Legalisierung? 

Egal ob regulär, feminisiert, auto- oder autofem – nach der geplanten Politikwende sollten Samenbanken in eine blühende Zukunft schauen können. 

Noch fehlen Gesetze und Regelwerke, die den Firmen Rechtssicherheit von Seed bis hin zum Sale verschaffen. Hier ist, besonders im Samenverbotsland Deutschland, die Politik gefragt. Weil man zur Saatgutproduktion echtes Weed anbauen muss, kann eine solche Rechtssicherheit nur durch eine umfassende Regulierung des Freizeitmarktes gewährleistet werden.

Aber auch die Samenbanken sind gefragt, ein Regelwerk für die längst überfällige Standardisierung ihrer Seeds zu entwickeln. Geht es um Details wie den durchschnittlichen Ertrag, Topfgröße/Stelldichte der Pflanzen, Dauer der Blühperiode sowie andere Kriterien zur Zucht, hat fast jede Seedbank ihre eigenen Parameter. Das ist nicht sehr kundenfreundlich und so sollte die Einigung auf gemeinsame Parameter selbstverständlicher Teil eines zukünftig regulierten Cannabismarktes sein.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Cannabis und Führerschein - Wilde Verfolgungsjagd fordert immer mehr Opfer

Die Zahl der Cannabiskonsument:innen, bei denen eine Fahreignungsüberprüfung angeordnet wird, steigt seit Mitte der 1990er-Jahre kontinuierlich an. Wenn im Rahmen einer Verkehrsteilnahme mehr als 1 Nanogramm (ng) des Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum nachgewiesen wird, muss der Führerschein durch die Fahrerlaubnisbehörde entzogen werden.

Doch bei 1 ng THC liegt keinerlei Rauschwirkung mehr vor, der deutsche Grenzwert ist im Vergleich mit anderen Ländern, die einen THC-Grenzwert definiert haben, weltweit der strengste. Deren Messergebnisse werden im Gesamtblut bestimmt. In der Bundesrepublik hingegen wird der Wert im Blutserum bestimmt. Das führt im Vergleich zu anderen Ländern zu einem mehr als doppelt so hohen Wert.

Verkehrs - vs. Verwaltungsrecht

Was die ganze Angelegenheit noch komplizierter macht, ist die parallele Anwendung verschiedener Rechtsnormen. Während die Strafe in Höhe von 500 Euro auf dem Verkehrsrecht beruht, hat man es bei Entzug und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis mit dem Verwaltungsrecht zu tun.

Ein Beispiel: Fahrer:in XY wird mit 1,2 ng THC im Blut erwischt. Daraufhin wird, genau wie bei einer Alkoholfahrt, das Bußgeld für die Drogenfahrt sowie ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Verkehrsrechtlich ist der Fall damit eigentlich abgeschlossen.

Die Bußgeldstelle gibt den Vorgang wegen des THCs im Blut jedoch auch an die Führerscheinstelle weiter. Ab jetzt gilt das Verwaltungsrecht. Laut diesem kann die Behörde wegen der 1,2 ng THC den Führerschein einziehen und der/dem Betroffenen Maßnahmen wie ein fachärztliches Gutachten oder den berühmten Idiotentest (MPU - Medizinisch Psychologische Untersuchung) auferlegen. 

Dagegen ist auch mit nur 1,2 ng kein Widerspruch möglich, da es sich beim Entzug um einen reinen Verwaltungsakt handelt. Selbst auf Verkehrsrecht spezialisierten Anwält:innen ist das zu Anfang eines solchen Verfahrens oft gar nicht bewusst. Deshalb wählen viele Betroffene einen auf Verwaltungsrecht spezialisierten Rechtsbeistand.

Cannabis Führerschein: THC im Blut oder im Blutserum messen?

Der in Deutschland geltende Grenzwert von 1 ng THC/ml Blut wird im Blutserum gemessen. Andere Länder messen diesen Wert im Gesamtblut. Der Unterschied mag unerheblich klingen, führt aber zu spürbaren Konsequenzen.

Der Schweizer THC-Grenzwert, der mit der 0,0-Promille-Grenze für Taxifahrer vergleichbar ist, liegt bei 1,5 ng/ml THC im Gesamtblut. Auf den ersten Blick scheint der in Deutschland geltende Grenzwert von 1 ng/ml kaum tiefer zu liegen. Berücksichtigt man nun allerdings den Umstand, dass der Schweizer Grenzwert im Gesamtblut und nicht im Serum bestimmt wird, ergibt sich rechnerisch ein Grenzwert von 3 ng/ml Serum.

So liegt der Grenzwert für das Fahrpersonal in der Schweiz nach deutscher Lesart bei 3 ng/ml Serum, also dreimal höher als in Deutschland. Im Umkehrschluss heißt das, dass man mit 3 ng im Blutserum in der Schweiz Personen befördern darf, während der gleiche Wert in Deutschland als Drogenfahrt mit allen Konsequenzen gilt.

Ebenso umstritten ist die Bestimmung des THC-COOH-Wertes (THC-Carbonsäure Wertes), um so angeblich die Konsumintensität und somit die Konsumfrequenz zu ermitteln. „Bisher galt es als gesichert, dass zumindest der Nachweis spezifischer Abbauprodukte des Cannabis-Hauptwirkstoffs THC im Haar einen Konsum zweifelsfrei beweise. Forscher am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Freiburg um den Toxikologen Prof. Dr. Volker Auwärter haben durch experimentelle Arbeiten festgestellt, dass dieser Schluss so nicht zulässig ist“ schreibt das Fachmagazin „Scientific Reports“ im Oktober 2015.

Viele Länder wie etwa Tschechien, oder auch die US-Bundesstaaten, wo Cannabis auch zum Freizeitkonsum für Erwachsene reguliert wurde, verzichten vollkommen auf die Messung von solchen THC-Abbauprodukten. Dort ist lediglich der aktive THC Wert relevant, um nachzuweisen, ob eine Rauschfahrt vorliegt oder nicht. Schließlich werden die Leberwerte auch nicht im Rahmen einer richterlich angeordneten Blutprobe, sondern allenfalls bei einem später angeordneten Medizinisch Psychologischen Gutachten abgefragt.

In Kanada gilt seit der Legalisierung ein Höchstwert von 4 ng/ml, wobei man dort den Mischkonsum mit Alkohol zusätzlich reguliert hat. Die meisten US-Bundesstaaten mit legalem Cannabiskonsum bemessen die Grenze bei 5 ng/ml  im Blut, was im Serum, und damit nach deutscher Messart, 10 ng/ml entspräche. 

Laut einer Studie der National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) liegt das Unfallrisiko für Cannabis noch deutlich unter dem bisher angenommenen. Dabei liegt der Grenzwert zehnmal höher als der deutsche. Die Autor:innen der US-Studie weisen zudem darauf hin, dass viele Cannabiskonsument:innen trotz positivem THC-Befund nicht unbedingt berauscht waren, sondern es sich um zurückliegenden Konsum handelte.

Cannabis Führerschein: Expert:innen fordern Anpassung der Rechtslage

Der Deutsche Verkehrsgerichtstag hatte im August 2022 eine angemessene Anhebung des THC-Grenzwertes gefordert, wobei es hier um Werte von 3-5 ng ging. Eine konkrete Zahl wurde schlussendlich nicht genannt.

Auch Prof. Volker Auwärter kritisiert als Mitglied im Sachverständigenausschusses für Betäubungsmittel in der Bundesopiumstelle zu Bonn die aktuelle Praxis seit vielen Jahren. Bei Mengen, die praktisch ohne Wirkung seien, drohe der Entzug der Fahrerlaubnis. Das Unfallrisiko sei bei legalen 0,5 Promille Alkohol doppelt so hoch wie mit 0,0 Promille. Beim geltenden Grenzwert von 1 ng THC/ml Blutserum sei die Wirkung hingegen längst verflogen.

Außerdem verursachten Verkehrsteilnehmende unter Cannabis-Einfluss seltener Unfälle als alkoholisierte Fahrer:innen. Weil Cannabis, anders als Alkohol, nicht enthemme, sei das Trennungsvermögen besser ausgeprägt. Wer zu viel gekifft habe, fahre deshalb meist gar nicht mehr. Und wenn doch gefahren wird, fahre ein unter Cannabis stehender Autofahrer sehr viel defensiver als ein alkoholisierter Mensch, sagte Auwärter 2014 auf der Fachtagung der Stadt Frankfurt zum Thema Cannabis-Modellprojekte.

Auwärter hält den derzeit geltenden Grenzwert für zu niedrig und sprach sich gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ schon 2015  für eine Anpassung auf „2-5 ng” aus.

Cannabis Legalisierung Führerschein: Kein Handlungsbedarf im Verkehrsministerium

Doch nicht nur Auwärter ruft nach Anpassung. Bei der vom Bundesverkehrsministerium berufenen Grenzwertkommission handelt es sich um eine gemeinsame Arbeitsgruppe der Gesellschaft für Toxikologische und Forensische Chemie (GTFCh), der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (DGRM) und der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM).

Die Arbeitsgruppe forderte bereits 2015 in einem Artikel der Fachzeitschrift „Blutalkohol“, den THC-Grenzwert von einem auf drei Nanogramm anzuheben. Leider sucht man deren Position zum THC-Grenzwert auf der Webseite des Bundesverkehrsministeriums vergebens. Dazu gibt es lediglich ein Interview mit Verkehrsminister Volker Wissing. Der vermeidet es, trotz der Legalisierungspläne seiner Regierung, sich konkret zur Anhebung des THC-Grenzwertes zu äußern.

Wissing appelliert stattdessen möglichst unscharf und fordert, sich nicht bekifft hinters Steuer zu setzen. Deutschlands Autofahrer:innen wären dankbar zu wissen, was genau das heißen soll. Derzeit heißt das, dass man mehrere Tage vor Fahrtantritt nicht kiffen darf. Ob man wirklich bekifft fährt, spielt bis heute eine untergeordnete Rolle.

Die Rechtssprechung zu Cannabis im Straßenverkehr

Auf Grundlage dieser Empfehlung hatten 2016 sogar fünf Autofahrer aus dem Ruhrgebiet gegen den Entzug ihrer Fahrerlaubnis geklagt. Bei ihnen war im Rahmen einer Verkehrskontrolle ein THC-Gehalt zwischen 1 und 2,9 ng nachgewiesen worden. Das Amtsgericht Gelsenkirchen hörte den Vorsitzenden der Kommission, Thomas Daldrup, als Sachverständigen an. Der sprach sich für eine Grenzwerterhöhung auf – das Gericht wies die Klage der fünf trotzdem ab.

Im Jahr darauf bestätigte das Oberverwaltungsgericht Münster den Entzug. Auch das Oberverwaltungsgericht Berlin schloss sich kurz darauf der Rechtsauffassung aus Gelsenkirchen an. Beobachter halten diese Entscheidungen für außergewöhnlich, da die Verwaltungsgerichte den Empfehlungen der Grenzwertkommission bislang meist gefolgt sind.

Die Richter:innen des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig kritisierten 2014 in einem Urteil bezüglich der 1 ng-Grenze, dass der Interessenvertreter der damaligen Bundesregierung beim Bundesverwaltungsgericht in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur der Auffassung sei, eine Beurteilung des Trennungsvermögens auf den gemessenen THC-Wert sei „ohne Abschlag abzustellen.“ 

Klingt kompliziert, soll jedoch heißen, dass Gelegenheitskonsument:innen grundsätzlich nicht zugetraut wird, das Auto nach dem Konsum stehen zu lassen und erst wieder zu fahren, wenn der Rausch vorüber ist. Auch das zeigt, dass es sich bei der 1ng Grenze eher um einen politischen als einen wissenschaftlichen Grenzwert handelt.

Rechtsbeugung durch die Führerscheinbehörden

Dass man es eigentlich gar nicht so kompliziert machen muss, hatte das Bundesverfassungsgericht schon 2003 festgestellt: Wenn der Grenzwert von 1ng nicht überschritten wird, liegt demnach weder eine Straftat noch ein ordnungswidriges Verhalten vor. 

Je nach Region spielt es in der Realität kaum eine Rolle, ob man den Grenzwert von 1ng/THC ml Blutserum überschritten hat oder ganz ohne Auto beim Konsumieren oder mit Cannabisprodukten erwischt wurde: Im Vorabgespräch entscheiden Sachbearbeiter ohne spezialisierte Qualifikation, ob man ein Problem mit Cannabis hat.

Abhängig von der Entscheidung der Sachbearbeiterin oder des Sachbearbeiters bestehen die nächsten Schritte aus einem sechsmonatigen Abstinenznachweis, einem fachärztlichen Gutachten und meist noch einer MPU. 

Von der Anordnung der MPU erfährt man meist erst, nachdem das fachärztliche Gutachten die Abstinenz bestätigt hat. Denn der Abstinenznachweis reicht der Behörde oft nicht, woraufhin trotz des ersten, positiven Gutachtens eine zusätzliche MPU verlangt wird. Da es sich beim Entzug des Führerscheins um einen Verwaltungsakt handelt, ist ein Einspruch im Prinzip auch erst dann möglich, wenn dieser abgeschlossen, also der Führerschein weg ist.

Zwei Einzelfälle werfen ein Licht auf das willkürliche Vorgehen einzelner Sachbearbeiter:innen:

Das Zeit-Magazin hatte 2014 über eine Frau berichtet, die im Sommer 2014 bei Anreise zu einem Festival als Fahrgast in einem Taxi mit 2,5 g Cannabisprodukten erwischt worden war. Kurz darauf erhielt die 33-Jährige ein Schreiben der Führerscheinbehörde, das Zweifel an ihrer Fahreignung bekundete. Sie sollte innerhalb von drei Tagen ein Drogenscreening auf eigene Kosten erstellen lassen. Sollte sie dieses Gutachten nicht innerhalb von 14 Tagen einreichen, müsse man auf Ihre Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, was dann den sofortigen Entzug der Fahrerlaubnis zur Folge habe. Sie konnte die Begründung nicht nachvollziehen und weigerte sich, der Aufforderung Folge zu leisten, um diesen Unsinn gerichtlich klären zu lassen.Nachdem sich die Betroffene einen erfahrenen Rechtsbeistand geholt und sich an höchster Stelle beschwert hatte, konnte sie ihren Führerschein nach langem Hin und Her wieder erlangen. Die meisten Betroffenen wehren sich allerdings nicht.

Auch wenn das Delikt in keinem Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht, vermutet die Führerscheinstelle oft mangelndes Trennungsvermögen und somit die potentielle Gefahr einer zukünftigen Rauschfahrt. Die mangelnde Trennungsbereitschaft der Führerscheinstellen, die selbst sehr gelegentlichen oder lange zurückliegenden Konsum als Anzeichen einer Fahruntauglichkeit ansehen, ist eher Regel denn Ausnahme. „Ja, das machen wir hier öfter so“ bestätigte eine Sachbearbeiterin der Mainzer Führerscheinbehörde 2014 gegenüber „Zeit“.

Ein Fall aus München

In München wurde ein Mann im August 2015 mit 0,89 ng THC im Blutserum getestet. Obwohl er bis dahin polizeilich nie aufgefallen war, sollte der nüchterne Verkehrsteilnehmer 740 Euro Strafe zahlen, zwei Punkte in Flensburg erhalten und einen Monat lang auf seine Fahrerlaubnis verzichten. 

Liegt die kontrollierte Person, wie in diesem Fall, unter dem Grenzwert, muss sie schon massive, Cannabis-typische Ausfallerscheinungen aufweisen, um fahruntüchtig zu sein. Die seien, so die zuständige Pressestelle, von den Beamten vor Ort festgestellt worden. Doch dann läge eine Straftat nach §316 StGB und keine Ordnungswidrigkeit nach §24a mehr vor. Ausfallerscheinungen unter Drogeneinfluss werden, genau wie eine Alkoholfahrt mit mehr als 1,1 Promille, als Straftat bewertet. Ein Ordnungsgeld hätte deshalb gar nicht verhängt werden dürfen.

Cannabis Rezept Führerschein – Sonderfall Cannabispatient:innen

Auch Cannabispatient:innen können sich trotz einer positiven Stellungnahme der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ihres Führerscheins nicht sicher sein. Eigentlich gilt für medizinisches Cannabis genau das Gleiche wie für andere, verschreibungspflichtige Betäubungsmittel. Denn weder vom Arzt verordnetes Tildin oder Ritalin noch Critical Kush schließen die Fahreignung per se aus. 

Für Cannabispatient:innen im Straßenverkehr gilt:

- Die Einnahme (Dosis und Einnahmeform) muss genau der Verordnung entsprechen.

- Eine Verkehrsteilnahme findet nur in Absprache mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin statt.

- Bei einer Neuverordnung sollte das Auto so lange stehen bleiben, bis sich eine Toleranz aufgebaut hat. Zu diesem Zweck wird das Betäubungsmittel während der sogenannten Einschleichphase langsam immer höher dosiert. Ist der Patient oder die Patientin so auf die schlussendlich notwendige Dosis eingestellt, treten starke Nebenwirkungen eher selten auf.

- Treten nach der Einschleichphase keine Ausfallerscheinungen oder andere Einschränkungen auf, darf man nach Absprache mit dem Arzt oder der Ärztin wieder Auto fahren.

Natürlich ist hier, wie bei allen anderen verschreibungsfähigen Betäubungsmitteln auch, ein Missbrauch nicht vollends auszuschließen. Den gibt es aber auch bei den legalen Varianten von Speed (Amphetamine) und Heroin (Methadon und andere Substitute, sowie Opiate und Opioide). Anders als bei Cannabis hat das bisher allerdings kaum jemanden interessiert. Da muss man sich schon fragen, weshalb autofahrende Cannabispatient:innen fast schon ein Politikum sind, während Opiatabhängige oder auch substituierte Menschen seit mehr als 50 Jahren mit viel härteren Sachen im Blut durch die Gegend gondeln.

Die Polizei kontrolliert Cannabis-Patient:innen genauer als Verkehrsteilnehmende, die andere Betäubungsmittel verschrieben bekommen. Neben der Kontrolle des Rezepts und der Verpackung werden auch die Einnahmeform- und -frequenz genau abgefragt. In einigen Gegenden von Deutschland interpretiert die Polizei das Rauchen oder auch die orale Applikation von Cannabis als missbräuchliche Einnahmeformen, für die verkehrsrechtliche Konsequenzen drohen. Das ist rechtlich zwar fragwürdig, wird aber von einigen Verkehrsmediziner:innen im Rahmen diverser Fortbildungen genau so gelehrt. Bei aller Skepsis darf man nicht vergessen, dass diese Ausnahme vor Jahrzehnten für chronisch kranke Menschen geschaffen wurde – und nicht erst 2017 für ein paar Kiffer, die das allzu strenge Führerscheinrecht austricksen wollten.

Cannabis und der Führerschein: Zeit zu handeln

Ein Missbrauchspotential, das nicht größer als das bei anderen Medikamenten ist, darf nicht Grundlage für die Ungleichbehandlung von Cannabis-Patient:innen gegenüber chronisch kranker Menschen mit einer „Standard”-BTM-Verordnung im Straßenverkehr sein. Auch Expert:innen wie der Freiburger Professor Auwärter oder die Grenzwertkommission dürfen nicht weiter ungehört bleiben. Eine Änderung des Grenzwertes ist, anders als die Legalisierung von Cannabis, auf administrativer Ebene kein Problem. Eine Anhebung auf 3ng im Vollblut statt im Serum wäre lediglich eine gesetzliche Anpassung, die dank der Unterstützung aller zuständigen Expert:innen kurzfristig umgesetzt werden könnte. Um hier Gerechtigkeit zu schaffen, muss Herr Wissing nicht warten, bis seine Kolleg:innen im BMG ihre Hausaufgaben gemacht haben. Doch danach sieht es aktuell nicht aus.

Quellen:

Metaanalyse bestehender Forschungsergebnisse von Schulz/Vollrath im Auftrag der BASt: „Fahruntüchtigkeit durch Cannabis, Amphetamine und Cocain“. Mensch und Sicherheit, Heft M82

Theo Pütz/ Steffen Geyer: Cannabis und Führerschein

Finding cannabinoids in hair does not prove cannabis consumption

THC Grenzwerte für Autofahrer

Blutalkohol

Tagestzeitung Zeit

Strafgesetzbuch (StGB) § 316 Trunkenheit im Verkehr

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

Urteil Cannabis Konsum Fahrerlaubnis

Fehlen der Fahreignung

Bfarm Begleiterhebung

Führerschein Cannabis Med


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik

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