Neue Grenzwerte für THC im Straßenverkehr lassen viele Fragen offen

Gut drei Monate nach der Teil-Legalisierung haben Bundestag und Bundesrat eine Anpassung der https://www.arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de/2024/05/20/acm-mitteilungen-vom-18-mai-2024/#1 Straßenverkehrsordnung (StVO) an die neue Gesetzeslage beschlossen. Doch die Expert:innenkommission zur Grenzwertfindung zeigt sich enttäuscht: ihre zahlreichen Vorschläge wurden nur teilweise berücksichtigt. Wie ist nun die aktuelle Lage?

Anfang Juni haben Bundestag und Bundesrat eine Anpassung der StVO an die neue Gesetzeslage beschlossen. Der bisherige Grenzwert von 1 Nanogramm (ng) THC pro Milliliter Blutserum wurde durch den neuen Grenzwert von 3,5 ng THC pro Milliliter Blutserum ersetzt. Für Heranwachsende unter 21 gilt mit Inkrafttreten der Reform “Zero Tolerance”, also ein Grenzwert von 0,0 ng. Nachdem der Bundestag der Änderung am 5. Juli zugestimmt hatte, werden die neuen Grenzwerte voraussichtlich im Spätsommer in Kraft treten. Bis dahin gilt für Verkehrsteilnehmende der alte Grenzwert von 1 ng/ml Blutserum. Doch während die Koalition die neue Regelung als Erfolg verbucht, ist die von der Regierung beauftragte “interdisziplinäre Expertengruppe” zur Grenzwertfindung ob des Ergebnisses enttäuscht. Denn von den zahlreichen Anregungen und Vorschlägen der siebenköpfigen Gruppe schaffte es nur ein Bruchteil in den mittlerweile verabschiedeten Gesetzentwurf.

Expert:innengruppe ist mit dem Ergebnis unzufrieden
Zwar sei der neue Grenzwert von 3,5 ng auch Teil ihres Vorschlags gewesen, aber nicht das zentrale Element: „Im Detail geht es darum, dass der Grenzwert eigentlich nicht das zentrale Element des Vorschlags gewesen ist, sondern ein Speichelvortest. Dabei ging es um eine Anlage, eine kurze Version der Langfassung sowie den Text im niederländischen Gesetz, in dem dieser Vortest verankert ist. Mit dem Vortest werden falsch Positive aussortiert. Man kann dann 5 oder 20 ng/ml THC Blutserum haben und gilt trotzdem als fahrsicher, wenn der Speicheltest negativ ist und anzeigt, dass beispielsweise 6-8 Stunden vorher kein Cannabis konsumiert worden ist, je nach Empfindlichkeit des Testes“, erklärt Kommissionsmitglied Dr. Franjo Grotenhermen.

Der Gesetzgeber hat anscheinend den niedrigsten Wert aus dem 12-seitigen Gutachten herausgefischt, um ihn als neue, allgemeingültige Obergrenze zu definieren. Dabei ist das ursprüngliche Ziel, Cannabis und Alkohol im Rahmen der Straßenverkehrs- sowie der Fahrerlaubnisverordnung gleichzustellen, aus dem Fokus geraten: Der jetzt festgelegte Grenzwert von 3,5ng entspricht laut der Expert:innenkommission ungefähr einem Blutalkoholwert von 0,2 Promille. Wer also mit mehr als 3,5 ng THC/ml Blutserum oder mit über 0,5 Promille fährt, bewegt sich bis zu einem Wert von 1,1 Promille im Bereich einer Ordnungswidrigkeit. Für eine Ordnungswidrigkeit gibt es beim ersten Vergehen auch keine Aufforderung zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), im Volksmund auch als Idiotentest bekannt. Trotzdem ist eine solche Drogenfahrt nicht gerade folgenlos, weil man dafür 500 Euro Geldbuße, zwei Punkte in Flensburg sowie einen Monat Fahrverbot erhält. Mischkonsum ist per se untersagt. Wer mit Alkohol und THC im Blut erwischt wird, begeht –  abhängig von den Blutwerten – eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat.

Die MPU bleibt ein cannaphobes Damokles-Schwert
Doch während bei einer Alkoholfahrt keine weiteren Konsequenzen drohen, können Cannabiskonsumierende – dank einer verklausulierten Formulierung im neuen Gesetz – weiterhin eine Vorladung zur MPU erhalten und dadurch den Führerschein auf unbestimmte Zeit verlieren. Eine MPU kann immer noch angeordnet werden, wenn:„[…] ein Cannabiskonsum mit nicht fernliegender, verkehrssicherheitsrelevanter Wirkung beim Führen eines Fahrzeugs vorliegt.“ Vor der Reform stand dort: „[…] das Führen von Fahrzeugen und ein die Fahrsicherheit betreffender Cannabiskonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können.“

Die neue Rechtslage, wer aus welchen Gründen zur MPU muss, ist bei Cannabis weiterhin ähnlich unscharf wie die alte. Es liegt demnach weiterhin im Ermessen der kontrollierenden Beamt:innen und der Führerscheinbehörden, ob neben der Ordnungsbuße für die einmalige Rauschfahrt weiteres Ungemach in Form eines Idiotentests droht. Das ist, als ob Verkehrsteilnehmende ab einem Wert von 0,2 Promille eine Vorladung zur MPU befürchten müssten. Die Erhöhung auf 3,5 ng war überfällig und in der Koalition unumstritten, allerdings können nicht bekiffte Fahrer:innen aufgrund des fehlenden Speicheltests und der zuvor erwähnten „MPU-Klausel“ weiterhin die Fahrerlaubnis verlieren. Einen zur Vermeidung dieses Szenarios von der interdisziplinären Expert:innengruppe empfohlenen Speichelvortests hatten die SPD-Vertreter:innen im Verkehrsausschuss abgelehnt, während Grüne und FDP dem Vorschlag durchaus offen gegenüber gestanden hatten.

Grenzwertbestimmung komplizierter als bei Alkohol
In ihrem Gutachten haben die Expert:innen festgestellt, dass Cannabis, anders als Alkohol, nicht linear abgebaut wird. Das wiederum hat der zuständige Ausschuss beim Ausarbeiten des Gesetzentwurfs zum Anlass genommen, sich lediglich mit den niedrigsten aller im Gutachten erwähnten THC-Werte zu befassen, um diesen zum allgemein gültigen Grenzwert zu erklären. Ein Blick in das Papier offenbart jedoch, dass die Expert:innen zwar auf das im Vergleich mit Alkohol komplexere Abbauverhalten von THC hinweisen, jedoch andere Lösungen hierfür fordern und auch vorschlagen. Dabei geht es nicht um den bereits erwähnten Speichelvortest, der bekiffte und unbekiffte Fahrer:innen wie in den Niederlanden innerhalb weniger Sekunden voneinander trennt.

Es geht aber auch darum, Begriffe wie relative Fahruntüchtigkeit, absolute Fahruntüchtigkeit, die Abgrenzung zur Straftat sowie einen Wert, der 0,5 Promille Blutalkohol entspricht, zu benennen. Denn die Expert:innengruppe hatte sich über all solche Details bereits im Vorfeld Gedanken gemacht und einen Vorschlag, der all das berücksichtigt, für das Parlament  ausgearbeitet. So findet man in dem Papier, dass 0,5 Promille ungefähr einem Wert von sieben Nanogram entsprechen. Beim Spurhalten sind es sogar 10 ng THC, die einer Beeinflussung von 0,5 Promille entsprechen. Wer mit 13,8-18,4 ng unterwegs ist, hat laut der Expert:innen ähnliche Beeinträchtigungen wie eine Person mit 0,8 Promille. Der Deutsche Anwalt Verein (DAV) forderte als Pendant zu den 0,5 Promille aufgrund dieser Erkenntnisse einen abgestuften Grenzwert von 4-16 ng THC.

„Wissen­schaftliche Studien belegen, dass erst ab einem THC-Wert von 2 – 4 ng/ml überhaupt von einer Beeinträch­tigung gesprochen werden kann und zudem eine der Promil­le­grenze von 0,5 Promille vergleichbare Größen­ordnung von 4 – 16 ng/ml vorliegen müsste”, so Rechts­anwalt Andreas Krämer von der DAV-Arbeits­ge­mein­schaft Verkehrsrecht in einer Pressemeldung. Folgt man den Ausführungen der sieben Expert:innen zu den Werten eines in den Niederlanden seit Jahren erfolgreich eingesetzten Speichelvortests, scheint die Forderung des DAV näher an der Kommission zu sein als das reformierte Gesetz. Allerdings wurde die Expert:innengruppe nicht vom DAV, sondern vom Verkehrsministerium beauftragt.

Vier gegen einen? 0,3; 0,5; 1,1 und 1,6 Promille vs 3,5 ng
Zwar gilt bei Alkohol grundsätzlich die 0,5 Promille-Grenze, aber trotzdem unterteilt die Rechtsprechung hier ein wenig genauer:

Da der Gesetzgeber auf eine Definition dieser juristisch sowie versicherungstechnisch wichtigen Werte bei Cannabis verzichtet hat, werden sich Gerichte in naher Zukunft damit beschäftigen müssen, welche THC-Grenzwerte neben den 3,5 ng zukünftig definiert werden müssen, um eine Rechtsgleichheit mit Alkoholfahrten sicherzustellen. Insbesondere die fehlende Definition der relativen und der absoluten Fahruntüchtigkeit bei Cannabis ist problematisch. Erst wenn Gerichte über das Thema entscheiden sollen, werden die Vorschläge der interdisziplinären Expert:innengruppe Gehör finden.

Die Expertinnengruppe hat ein Jahr gearbeitet und dem Parlament dabei auch sehr differenzierte Vorschläge zur Lösung der zuvor erwähnten Probleme und Hindernisse bei der Umsetzung unterbreitet. Leider hat es ein großer Teil dieser Ideen nicht ins Gesetz geschafft. Also werden Richterinnen und Richter wieder einmal geraderücken müssen, was ein Gesetzgeber mit ein paar Federstrichen umsetzen könnte – sofern der politische Wille vorhanden ist.

Angst vor hohen Zahlen?
Vielleicht hat auch die Angst vor zu hohen Zahlen eine Übernahme der Vorschläge verhindert? Denn das von der Kommission vorgeschlagene Vorgehen hätte Deutschland, insbesondere beim Speichelvortest, im internationalen Vergleich relativ hohe Grenzwerte beschert. Da schon die Grenzwerterhöhung auf 3,5 ng innerhalb der Ampel, insbesondere der SPD-Fraktion, ohnehin umstritten war, war eine Übernahme gut vorbereiteter Expertise politisch nicht durchsetzbar. Um sich nicht vorwerfen zu lassen, man habe die Expert:innen ignoriert, beruft sich das neue Gesetz zwar auf deren Einschätzung, lässt aber viele ihrer Vorschläge einfach weg. Frei nach dem Motto: ich esse nur, was mir schmeckt, der Rest geht zurück.

Da bei Cannabis lediglich ein Wert definiert wurde, bei dem nicht einmal ganz klar ist, wie Gerichte dessen Überschreitung in Zukunft bewerten, müssen Autofahrende wohl noch eine ganze Weile warten, bevor eine ähnlich sichere und genau durchdeklinierte Rechtslage wie bei Alkohol herrscht.

Und was gilt für Patient:innen?
Für Cannabis-Patient:innen ist die Reform nicht relevant. Aber sie können sich trotz einer positiven Stellungnahme der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ihres Führerscheins nicht sicher sein. Eigentlich gilt für medizinisches Cannabis genau das Gleiche wie für  verschreibungspflichtige Betäubungsmittel. Denn weder vom Arzt verordnetes Tilidin, Ritalin noch Critical Kush aus der Apotheke schließen die Fahreignung per se aus. Hier gilt:

Natürlich ist hier, wie bei allen anderen verschreibungsfähigen Medikamenten auch, ein Missbrauch nicht vollends auszuschließen. Den gibt es aber auch bei den legalen Varianten von Speed (Amphetamine), Opiaten und Opioiden.


Quellenverzeichnis:

Das neue Gesetz im Wortlaut:
Bundesrat, (2024, Juli 05). Sechsundfünfzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften  https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2024/0301-0400/321-24(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1 

Das Papier der Kommission (“Expertengruppe):
Prof. Dr. med. Backmund, M. et al., (2024, März). Empfehlungen der interdisziplinären Expertengruppe für die Festlegung eines THC-Grenzwertes im Straßenverkehr (§ 24a Straßenverkehrsgesetz) 
https://bmdv.bund.de/SharedDocs/DE/Anlage/K/cannabis-expertengruppe-langfassung.pdf?__blob=publicationFile

Ein Jahr Arbeitsgruppe:
Suliak, H., (2023, Juni 22). Wissing gründet Arbeitskreis. Legal Tribune Online. https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/cannabis-grenzwert-thc-anhebung-wissing-bmdv-arbeitsgruppe-legalisierung/

Die SPD blockiert:
Micha, (2024, Mai 30). Nicht bekifft und trotzdem MPU? Die Ampel ignoriert ihre eigenen Experten! [Video]. YouTube.
https://www.youtube.com/watch?v=qZXWERylj4Y&t=14s

Anwaltverein fordert 4-16 ng:
Deutscher Anwalt Verein, (2022, August 17). PM VGT 2/22: Verkehrs­rechts­anwälte: Nur berauschte Fahrer krimina­li­sieren.
https://anwaltverein.de/de/newsroom/pm-vgt-2-22-verkehrsrechtsanwaelte-nur-berauschte-fahrer-kriminalisieren     

Absolute und relative Fahruntüchtigkeit:
ADAC, (2024, Februar 21). Alkohol am Steuer: Strafen und Promillegrenze im Auto. https://www.adac.de/verkehr/recht/verkehrsvorschriften-deutschland/promillegrenze-auto/

Studie zum vorgeschlagenen Speichelvortest:
Robertson, M.B. et al., (2022, Mai 16).  Correlation between oral fluid and blood THC concentration: A systematic review and discussion of policy implications.
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35640367/

Stellungnahme BASt zu med. Cannabis:
Dr. Knoche, A., (2014, Januar 15). Straßenverkehrssicherheitsforschung. https://old.cannabis-med.org/german/fuehrerschein_bast_2014


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik

Cannabis kommt nicht vom Klapperstorch

Wie ich meinem Kind erkläre, dass ich Cannabis konsumiere

Seit der Teil-Legalisierung von Cannabis könnten Eltern viel sorgenfreier mit ihren Kindern über ihren eigenen Konsum reden – sofern sie es möchten. Die Frage ist nur: Wie? Neben den richtigen Tipps brauchen Eltern eigentlich einen Ausdruck des KCanG (Konsumcannabisgesetz), um im Rahmen einer zeitgemäßen und somit Konsum akzeptierenden Aufklärung nicht gegen das neue Gesetz zu verstoßen.

Die Zeiten ändern sich

Als Kind der 1970er Jahre bin ich mit Kinderbowle, Schokoladenzigaretten und Apfelschnaps-Bonbons groß geworden. Damals hat sich kaum jemand Gedanken darüber gemacht, dass ein allzu sorgloser Umgang mit legalen Substanzen den Nachwuchs eventuell zu deren späterem Missbrauch animieren könnte. Zu Silvester durfte man sogar mit einem Schlückchen echten Sekt, gemischt mit O-Saft, anstoßen oder auch mal eine Schnaps getränkte Erdbeere aus der damals auf jeder Party obligatorischen Bowle naschen. Der Geruch von kalten Kippen und verqualmte Räume waren für uns Kinder damals so alltäglich wie Schlaghosen und Toast-Hawaii. Über die Folgeschäden des Aktiv- und Passivrauchens machten die Erwachsenen allenfalls schlechte Witze, über die heute keiner mehr lachen würde. Kurzum, damals mussten Eltern ihre Laster und Abhängigkeiten nicht vor dem Nachwuchs verbergen, im Gegenteil: Man wurde schon früh darauf vorbereitet, welche Substanzen zum Alltag der Erwachsenenwelt gehören, wobei für illegale Substanzen dabei natürlich kein Platz war.

Zwar gehen wir mit Kaugummizigaretten, Kinderbier und Weckmann-Pfeifen heutzutage ein wenig kritischer um, aber Alkohol ist in Sachen Jugendschutz immer noch weitaus laxer reguliert als Cannabis. Ein von der ehemaligen Gesundheitsministerin Künast geplantes Gesetzesvorhaben, die Kinderzigaretten verbieten wollte, wurde bis heute nie umgesetzt, Traubensaft heißt bei edlen Winzern nicht selten Kinderwein. Doch trotz der legalen Verfügbarkeit von Nikotin sinkt der Anteil jugendlicher Raucher:innen dank einer guten Präventionskampagne und Werbeverboten auch ohne neue Verbote seit Jahren.

Neben der öffentlichen Aufklärung hat die Vorbildfunktion der Eltern den entscheidenden Einfluss auf das, was sich die nächste Generation später mal konsumiert. Bei Alkohol können Mütter und Väter den Nachwuchs zu gegebener Zeit an eigenen Konsumerlebnissen teilhaben lassen: Mit 14 Jahren dürfen Jugendliche unter Aufsicht ihrer Eltern alkoholische Getränke wie Bier oder Wein probieren. Der Gedanke hinter dem „begleitenden Konsum“ ist, dass unproblematischer Alkoholkonsum von den Eltern gelehrt und von den Jugendlichen gelernt wird. Bei Cannabis bleibt diese Art der Konsumbegleitung weiterhin verboten.

Vertuschen funktioniert nicht

Cannabis-Patient:innen mit Kindern haben es da noch am einfachsten, weil man selbst den Kleinsten erklären kann, dass Papas oder Mamas Medizin aus der Apotheke kommt und nicht in Kinderhände gehört.

Wie aber erklären verantwortungsbewusste Eltern dem eigenen Nachwuchs, dass sie nach Feierabend ab und an Cannabis konsumieren? Schließlich ist es nicht mehr verboten. Ist man dann ein schlechtes Vorbild oder animiert so sein Kind gar zum Kiffen? Sollten Eltern lieber heimlich konsumieren, selbst wenn es jetzt legal ist? Gesellschaftliche Erfahrungswerte wie beim Alkohol gibt es kaum, weil sich unsere Eltern und Großeltern nie ernsthaft mit Cannabis auseinandergesetzt hatten: Als die Hanfpflanze Ende der 1960er und in den 1970er Jahre eine Renaissance feierte, war Cannabis Teil der 68er Jugend- und Studentenbewegung. Hippies fanden Hanf prima, alle anderen fanden Kiffen doof. Jetzt, wo die zweite und dritte Generation Cannabis als Genussmittel oder als Medizin konsumiert und der Besitz teil-legalisiert ist, gibt es aber immer mehr cannafine  Eltern (Eltern mit Cannabiserfahrung) – und damit auch viele Kinder, die Fragen stellen.

Beim Freizeitkonsum aber haben viele Eltern ein Problem, gegenüber dem eigenen Nachwuchs ehrlich zu sein. Immerhin ist Gras nur halb legal und trotz neuer Gesetzeslage noch immer gesellschaftlich stigmatisiert. Sollte man mit den eigenen Kindern überhaupt über den eigenen Konsum reden, oder lügt man sie besser an, um kein schlechtes Vorbild zu sein?

Geht es um die Drogenmündigkeit des eigenen Nachwuchses, sind Lügen und ausweichende Antworten die schlechteste aller Optionen. Wer meint, das Vertuschen des Feierabend-Joints funktioniere, macht sich meistens was vor. Die konischen Zigaretten mit Kräutertabak, lange Papers oder Pfeifen werfen selbst dann Fragen auf, wenn man denkt, sie kindersicher versteckt und immer nur klammheimlich oder mehrere Stunden nach dem Sandmännchen konsumiert zu haben. Ist man dann irgendwann selbst als Lügner oder Heuchler enttarnt, wird es umso schwerer, den gewünschten Einfluss auf die ersten Erfahrungen der Kinder zu nehmen.

Selbstkritik als Referenz

Einem Kleinkind kann man noch erklären, dass Zigaretten giftig und nur für Erwachsene seien. Aber welcher Raucher gesteht der 12-jährigen Tochter oder dem 14-jährigen Sohn ein paar Jahre später, stark nikotinabhängig zu sein? Welcher Bierliebhaber erzählt seinem Nachwuchs schon, dass Alkoholmissbrauch ähnliche Folgen wie der Konsum harter Drogen haben kann?

Kurzum: Problematische Konsummuster oder auch Substanzmissbrauch werden zu selten am eigenen, oft nicht ganz vorbildhaften Verhalten erläutert. Dazu gehören eben aber auch das Feierabend-Bier, die Zigarette nach dem Essen oder der gelegentliche  Feierabend-Joint auf dem Balkon. Wer nur heimlich konsumiert, wird trotzdem eines Tages gefragt werden: „Warum rauchst du eigentlich jeden Tag?“ 

“Weil ich abhängig bin. Ich habe zu früh angefangen und danach schon oft versucht, damit aufzuhören. Aber dann bekomme ich schlechte Laune und schlafe schlecht, bis ich wieder anfange, obwohl das schädlich ist. Das nennt man abhängig, genau gesagt nikotinabhängig.“ Eine solche Antwort fällt vielen schwer, wäre aber ehrlich und für die eigenen Kinder ein anschauliches Beispiel für ein problematisches Konsummuster.

Die Alternative klingt so: „Meine Eltern geben nicht mal zu, dass sie abends heimlich kiffen/rauchen/trinken. Und die wollen mir das verbieten.“ Bevor so etwas passiert, sollte man den inneren Schweinehund einmal überwinden und dem Nachwuchs den eigenen Konsum erläutern – auch wenn die Reflexion des eigenen Konsummusters manchmal schwerfällt.

Selbst Eltern, die nur ab und zu Cannabis konsumieren, sollten ihr unproblematisches Konsummuster vermitteln, bevor es der eigene Nachwuchs eventuell falsch interpretiert und Cannabis für absolut unbedenklich hält. Die Bundesregierung geht auf Grundlage der Capris Studie aus dem Jahr 2021 von 9 % Cannabis-User:innen aus, die problematisch konsumieren. Der Deutsche Hanfverband schreibt, die Art und Weise der statistischen Erfassung der vergangenen Jahre habe mehr Problemkonsumierende erschaffen, als es gäbe. Beim DHV liest man deshalb, es handele sich lediglich um 4-7 % aller Cannabis-Konsumierenden.

Wer diesen Mut nicht hat oder auch um den eigenen Vorbildcharakter fürchtet, muss sich nicht wundern, es mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen und selbst angelogen zu werden und somit keinen blassen Schimmer zu haben, was sich das eigene Kind “reinzieht”.

Der eigene Konsum, sei er auch noch so moderat, verpflichtet zur lückenlosen Aufklärung über Alkohol und über Cannabis sowie alle anderen Substanzen, die einem heutzutage im Laufe des Lebens so über den Weg laufen werden. Eine von der Substanz unabhängige Drogenaufklärung kann nur wirken, bevor die Probierphase bei den Jugendlichen anfängt.

Wenn Du kiffst, dann ..….“

Die Androhung repressiver Maßnahmen kann das Konsumverhalten junger Menschen seit 40 Jahren nicht beeinflussen – gleiches im familiären Kreis, um die Neugier der Sprösslinge zu zügeln.

„Wenn ihr schon kiffen müsst, raucht wenigstens nicht“ wird eher als freundschaftlicher Rat wahrgenommen als ein kategorisches „Nein“, ein altbackenes „Trink doch lieber ein Bier“ oder ein ambivalentes „Mach doch, was Du willst“.

Begleitenden Konsum wie bei Alkohol erlauben?

Man kann nicht früh genug damit anfangen, die eigenen Kinder über Cannabis aufzuklären, um spätere Probleme zu vermeiden. Anders verhält es sich jedoch, wenn es ums Probieren geht. Hier ist eine gesetzliche Altersgrenze notwendig, um Jugendliche vor den Folgen eines zu frühen Einstiegs und den damit verbundenen Folgen zu schützen. Der Gesetzgeber sieht hier jedoch vor, dass jedwede Cannabiserfahrung unter 18 Jahren sanktioniert wird. Das ist absolut realitätsfern, da die Probierphase bei Jugendlichen durchschnittlich im 17. Lebensjahr anfängt. Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren nicht Konsum akzeptierend beraten zu können, ist – egal, ob im Rahmen einer staatlichen Drogenberatung oder im familiären Kreis – kontraproduktiv. Insbesondere für Eltern, die selbst Erfahrungen mit Cannabis gesammelt haben, ist es kaum nachvollziehbar, dass es keine ähnliche Regelung wie bei Alkohol gibt. Allerdings ist die Regelung für begleitendes Trinken reformbedürftig, 14 Jahre sind definitiv ein zu früher Zeitpunkt – egal, ob für die ersten Alkohol- oder Cannabiserfahrungen. Grundsätzlich wäre die Regulierung von Cannabis ein guter Anlass, den Jugendschutz beim Alkohol etwas strenger zu handhaben und gleichzeitig die Maßnahmen für Cannabis an diese anzulehnen.

Doch bis dahin darf man dem eigenen Nachwuchs nicht vor dem 18. Geburtstag Konsum akzeptierend beraten. Wer es trotzdem tut, verletzt streng genommen seine elterliche Fürsorgepflicht.

Doch selbst wenn begleitendes Kiffen erlaubt wäre, sollten sich betroffene Eltern fragen, ob Mama und/oder Papa das richtige Setting bieten. Man sollte sich bei der geplanten Heldentat vielleicht auch fragen, ob es wirklich geil gewesen wäre, die ersten Munchies und Lachflashs mit den Eltern durchlebt zu haben? In der Regel gilt: Eltern informieren, konsumiert wird in der Clique. Sobald Kontrolle gegenseitigem Vertrauen weicht, kommt der Rest von selbst. Vorher riskiert man, wahlweise als Kiffer-Held, Depp oder hippiesker Hasch-Verherrlicher dazustehen. Nicht der erste gemeinsame Joint, sondern Cannabis-Kompetenz und Authentizität verschaffen Autorität und die damit verbundene Vorbildfunktion als Elternteil. Authentische Eltern, egal ob sie gar nicht, selten oder regelmäßig kiffen, beeinflussen den Probierdrang viel besser als Taschengeldentzug oder der besorgte Drogenfahnder mit Haschklumpen im Schulunterricht.


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Reisen mit Cannabis als Medizin – Was man wissen sollte

Immer mehr EU-Länder verabschieden Gesetze zur Verwendung von medizinischem Cannabis. Doch die Gesetzgebung ist sehr uneinheitlich, weshalb Cannabis-Patienten und -Patientinnen, die sich mit ihrer Medizin auf Reisen begeben wollen, einige Dinge beachten müssen.

Bis März 2017 war Cannabis in Deutschland immer noch eine illegale Substanz, die unter Anlage eins des Betäubungsmittelgesetzes fiel und nur mit einer „Ausnahmeerlaubnis zur Selbsttherapie mit Cannabis Flos“ erworben werden durfte. Seit der Gesetzesänderung Anfang März 2017 fällt medizinisches Cannabis unter Anlage drei und wurde dadurch ein „verkehrsfähiges Betäubungsmittel“. Deshalb sind ärztlich verordnete und in der Apotheke erworbene Medizinalhanfblüten verkehrsfähig und dürfen innerhalb des Schengenraums, zu dem auch die Schweiz als einziges Nicht-EU Mitglied gehört, mitgeführt werden.

Aus Ländern wie den Niederlanden, Italien, Tschechien oder Deutschland, wo Medizinalhanfblüten ebenso wie bei uns als verkehrsfähiges Arzneimittel gelten, können Patienten und Patientinnen ihren benötigten 30-Tage-Bedarf ins EU-Ausland mit sich führen. Hierzu müssen sie lediglich eine “Bescheinigung für das Mitführen von Betäubungsmitteln im Rahmen einer ärztlichen Behandlung – Artikel 75 des Schengener Durchführungsabkommens”, den so genannten Schengen-Schein, dabei haben. Das Dokument muss zuvor von der behandelnden Ärztin / dem behandelnden Arzt ausgestellt sowie dem zuständigen Gesundheitsamt beglaubigt werden. Deshalb empfiehlt es sich, sich bereits ein paar Wochen vor Reiseantritt um den Schengen-Schein zu kümmern. 

Das Procedere ist genau wie bei den Fertigpräparaten, wobei auch bei Blüten die Wirkstoffmenge in Milligramm angegeben werden muss. So darf ein:e Patient:in, der/die zum Beispiel drei Gramm “Lemon Sherbet” mit 22 Prozent THC am Tag verschrieben bekommt, 90 Gramm Blüten aus der Apotheke mit sich führen. Zudem muss vermerkt sein, dass die 90 Gramm bei einem THC-Gehalt von 22 Prozent genau 18,48 Gramm THC enthalten. Ansonsten gelten die gleichen Regeln wie für Fertigpräparate. Die Arznei sollte zudem im versiegelten Originalbehälter mitgeführt werden. Verschreibungspflichtige Betäubungsmittel wie Cannabis müssen immer im Handgepäck mitgeführt werden, um einen Zugriff durch Dritte auszuschließen. Auch eine Aufforderung des Bordpersonals, das Handgepäck wegen Platzmangel kurzfristig im Gepäckraum verstauen zu lassen, verstieße gegen die Sorgfaltspflicht von Patienten und Patientinnen.

EU-Recht zufolge ist es also möglich, legal Cannabisblüten in Länder wie Österreich, Belgien oder Frankreich mitzunehmen, in denen diese aufgrund der jeweiligen gesetzlichen Lage selbst als Medizin noch komplett illegal sind. Bislang sind noch keine Fälle bekannt, bei denen Patienten oder Patientinnen bei Vorweisen der entsprechenden Dokumente strafrechtliche Konsequenzen erleiden mussten.

Mit Inkrafttreten des Cannabisgesetzes ändert sich auch der betäubungsmittelrechtliche Status von medizinischen Cannabisprodukten vom Betäubungsmittel zum verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Eine aktuelle Nachfrage beim BfarM hat ergeben, dass für die Mitnahme von Cannabis im Schengenraum jedoch weiterhin das gleiche Dokument wie zuvor benötigt wird. Denn beim kleinen und großen Grenzverkehr gilt weiterhin internationales, nicht deutsches Recht.

Medizinisches Cannabis aus der EU ausführen

Jetzt wird es komplizierter. Wer medizinisches Cannabis in ein Nicht-EU Land mitnehmen muss, kann den Export aus Deutschland mit diesem Formular beantragen, das zum Export eines 30-Tage-Bedarfs berechtigt. Parallel dazu muss sich der Patient oder die Patientin eine Import-Genehmigung des Ziellandes besorgen. Das funktioniert meist nur dann, wenn beide Länder über ein medizinisches Cannabisprogramm auf Bundesebene verfügen, da Einreiseformalitäten weltweit von Bundesbehörden kontrolliert werden. Für Jamaika oder Südafrika zum Beispiel ist das kein Problem, aber selbst Staaten mit medizinischem Cannabisgesetz erteilen nicht unbedingt eine Importgenehmigung für medizinisches Cannabis.

So erklärt das kanadische Gesundheitsministerium Health Canada auf Nachfrage, ein Import von medizinischem Cannabis für Patienten und Patientinnen könne nur in Ausnahmefällen wie zum Beispiel Palliativpatienten und -patientinnen genehmigt werden:

Es ist illegal, Cannabis in jeglicher Form, einschließlich Cannabidiol (CBD), über die kanadische Grenze zu bringen, auch wenn es für medizinische Zwecke bestimmt ist. Dies gilt sowohl bei der Einreise als auch bei der Ausreise aus dem Land. Anträge auf eine reisebezogene Ausnahmegenehmigung gemäß dem Cannabisgesetz werden individuell geprüft. Nur unter seltenen und außergewöhnlichen Umständen, z. B. in palliativen Fällen, kann Health Canada eine Ausnahmegenehmigung erteilen, damit ein Reisender Cannabis für den individuellen medizinischen Gebrauch über die internationale Grenze bringen kann.“

Kanada lässt sowohl Einheimischen als auch Besuchern keine Möglichkeit, ihre Cannabis-Therapie auf Auslandsreisen fortzusetzen. Einzig Palliativpatienten und -patientinnen haben Aussicht auf eine Ausnahmegenehmigung zum Import, müssen diese aber lange im Voraus beantragen. Während kanadische Produzenten seit Jahren Exportlizenzen erhalten, um kanadische Blüten in die ganze Welt zu verkaufen, müssen Patienten und Patientinnen auf Reisen in Kanada Cannabis zum Freizeitkonsum kaufen, sich illegal versorgen oder die Therapie abbrechen. Denn auch Cannabis-Rezepte gibt es nur für in Kanada gemeldete Personen. Das führt zu der skurrilen Situation, dass selbst legal in Kanada angebaute Blüten, die von Patienten und Patientinnen in Deutschland legal in der Apotheke erworben werden, beim Re-Import illegal werden.

Ähnlich verhält es sich mit Israel. Trotz Exports nach Deutschland stehen Patienten und Patientinnen, die nach Israel reisen wollen, wie der sprichwörtliche Ochse vor dem Berg. Israels Gesundheitsministerium, das auch über ein medizinisches Cannabisprogramm verfügt, hat sich trotz mehrmaliger schriftlicher und telefonischer Anfragen nicht geäußert und bislang auch keinerlei Informationen zu medizinischem Cannabis auf Reisen veröffentlicht.

Kanada und Israel brauchen eine Lösung für Patienten und Patientinnen

Um sich nicht vorwerfen lassen zu müssen, wirtschaftliche Interessen stünden bei den Internationalen Regelungen zu medizinischem Cannabis über den Belangen und Bedürfnissen von Cannabis-Patienten und -Patientinnen, sollten Länder wie Israel oder Kanada schnell eine rechtsverbindliche Lösung finden, die die Mitnahme legal produzierter und erworbener Medizinalhanfblüten auch über Grenzen hinweg ermöglicht.

Südafrika und Jamaika hingegen sind sehr transparent. Beiden Ländern reicht das weiter oben erwähnte Dokument sowie eine Rezeptkopie der aktuellen Verordnung. Auch lassen beide eine Registrierung von Besucher:innen als Cannabis-Patienten und -Patientinnen vor. Voraussetzung dafür ist natürlich die Vorsprache bei einer Ärztin oder einem Arzt vor Ort.

Es gibt aber auch viele Länder wie zum Beispiel die Türkei oder Ägypten, die weder den Import von Medizinalhanfblüten noch den von Cannabis basierten Fertigarzneimitteln erlauben. Um zu erfahren, welche Regeln für den Import von medizinischem Cannabis gelten, ist es außerhalb des Schengen Raums in den Fällen unbedingt notwendig, mit den zuständigen Gesundheitsbehörden vorab in Kontakt zu treten. Denn, anders als in Europa, wird der Besitz von Cannabis besonders im Nahen und Fernen Osten als schwere Straftat angesehen – mit allen Konsequenzen.

Vorsicht ist trotzdem geboten

Aber auch innerhalb des Schengenraums ist Vorsicht geboten. Das Schengen-Formular existiert lediglich in drei Sprachen (Englisch, Deutsch, Französisch). Sollten Zoll- oder Polizeibeamte den Inhalt und/oder die Beschriftung auf der Arzneimittelverpackung nicht verstehen, wird man bis zur Klärung des Sachverhalts schlimmstenfalls wegen illegalem Cannabisbesitz festgesetzt. Deshalb empfehle ich für Reisen in  Länder mit sehr strenger Cannabis-Gesetzgebung, wie zum Beispiel Griechenland oder Bulgarien, die Mitnahme einer beglaubigten Übersetzung des Mitnahme-Dokuments. Wer ganz sicher gehen möchte, lässt sich die Übersetzung noch einmal vom jeweiligen Konsulat beglaubigen.

Ein Tipp zum Schluss

Auch wenn der Import in Schengen-Länder und einige andere Staaten ohne ein Gesetz für Cannabis als Medizin legal ist, sollten sich Patienten und Patientinnen dort beim Konsum bedeckt halten. Denn weder Polizei noch die Bevölkerung kennen diese Ausnahme für Cannabis-Patienten und Patientinnen aus anderen EU-Ländern im Regelfall. Man geht erst einmal davon aus, dass es sich um Freizeitkonsum und -besitz handelt. Ohne Sprachkenntnisse und einem für Beamte fremdsprachigen Dokument in der Hand, haben Patienten und Patientinnen eine äußerst schlechte Verhandlungsbasis. Das mehrstündige Procedere zur Abklärung des legalen Status kann sehr unangenehm und zeitraubend sein. Deshalb ist es in solchen Ländern ratsam, die Medizin außerhalb der Seh- und Riechweite anderer einzunehmen.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Was das neue Cannabis-Gesetz für Patient:innen bedeutet

Das neue Cannabisgesetz tritt voraussichtlich im April 2024 in Kraft. Obwohl es im Gesetz maßgeblich um Freizeitkonsum, Eigenanbau sowie Cannabis Clubs geht, wird sich auch für Cannabis-Patient:innen einiges ändern. Denn mit dem Wegfall von Cannabis aus dem Betäubungsmittelgesetz verliert auch medizinisches Cannabis seine Klassifikation als Betäubungsmittel, wodurch nicht nur die Verordnung für alle Seiten etwas unkomplizierter wird.

Cannabis-Rezepte werden dann für Kassenpatient:innen in Form des rosa Standardrezeptes ausgestellt. Für Selbstzahlende werden blaue Privatrezepte ausgestellt.  Die Gültigkeit verlängert sich damit von 7 auf 28 Tage, Privatrezepte für medizinisches Cannabis werden mit Inkrafttreten des Gesetzes sogar drei Monate gültig sein. Allerdings werden Medizinalblüten auch nach Gesetzesreform kein Fertigarzneimittel sein, sondern bleiben zumindest vorerst eine Rezeptursubstanz.

Ein E-Rezept spart Wege

Sobald medizinisches Cannabis kein Betäubungsmittel mehr ist, wird es auch möglich sein, Cannabis-basierte Arzneimittel auf E-Rezept zu erhalten. Mit dem schrittweisen Inkrafttreten der E-Rezept Verordnung seit März 2023 können sich Cannabis-Patientinnen und -Patienten zukünftig viele Wege und somit auch eine Menge Zeit sparen. Denn beim seit Januar 2024 obligatorischen E-Rezept sind sogenannte Wiederholungsrezepte möglich. Die Grundlage hierfür wurde bereits 2020 mit Inkrafttreten Änderungen im  V. Sozialgesetzbuchs aus dem Jahr 2020 geschaffen. Auf dessen Grundlage können Ärztinnen und Ärzte mit Einführung des elektronischen Rezepts Wiederholungsrezepte mit Ausnahme von Betäbungsmittel (BTM)-Rezepten auch elektronisch ausstellen. Patientinnen und Patienten, die regelmäßig die gleichen Wirkstoffe oder Präparate brauchen, dürfen Ärztinnen und  Ärzten bis zu vier sogenannte E-Rezept-Token ausstellen. Das unterteilt eine Mehrfachverordnung in bis zu vier eigenständige Teile. Später einzulösende Teile der Mehrfachverordnung bleiben bis zum auf dem Rezept vermerkten Zeitraum gesperrt. Die eigenständigen Token können innerhalb der Einlösefrist auch in unterschiedlichen Apotheken eingelöst werden.

In der Praxis heißt das, dass sich gut eingestellte, langjährige Cannabis-Patientinnen und -Patienten den monatlichen Weg zur Rezeptabholung mithilfe des E-Rezepts dann sparen und sich alle Beteiligten auf die wirklich wichtigen, persönlichen Termine zur Gesundheitsvorsorge und -erhaltung konzentrieren können. Kassenpatientinnen und -patienten müssen seit dem 01.01.2024 verpflichtend ein E-Rezept ausgestellt bekommen. Wer Papier bevorzugt, kann sich das E-Rezept auch weiterhin wie ein herkömmliches Rezept ausdrucken lassen. Bei Privatrezepten war die technische Umstellung zum 01.01.2024 anscheinend so schwierig, dass es hier eine Übergangsfrist für Ärztinnen und Ärzte und Kassen gibt. Doch auch hier bieten bereits viele Praxen und Kassen die Option des E-Rezepts an.

Auch die Lagerung wird für die Apotheken unkomplizierter, weil medizinische Cannabisprodukte nicht mehr in einem Betäubungsmittelschrank gelagert werden müssen. Die Lagerung als normales Medikament ist im Vergleich zur BTM-Lagerung platz- und kostensparender. Auch der Transport, Versand und die Dokumentation von Medizinalcannabis werden ohne betäubungsmittelrechtliche Bestimmungen unkomplizierter und somit günstiger.

Sind die Präparate untereinander austauschbar?

Außerhalb des BTM-Bereichs bieten Rezepte auch die Möglichkeit einer relativ einfachen „Aut Idem“-Verordnung. Das lateinische “Aut idem” heißt zu Deutsch “oder das Gleiche”.

Bisher durften Apotheken bei medizinischem Cannabis nur das Präparat wechseln, wenn das verordnete nicht lieferbar war. Dazu bedarf es einer dokumentierten Rücksprache mit der Ärztin oder dem Arzt und einer nachträglichen Änderung des Rezeptformulars. Bei einer „Aut Idem“-Verordnung außerhalb des BTM-Bereichs kann die Apotheke das Präparat einfacher wechseln. Setzt die Ärztin oder der Arzt hier sein Kreuz, darf die Apotheke statt eines von der Ärztin oder dem Arzt verordneten Arzneimittels ein anderes, wirkstoffgleiches Präparat an die Patienten oder den Patienten abgeben.

Im Falle einer Kassenverordnung muss das gewählte Arzneimittel im Vergleich zum ursprünglich verordneten wirtschaftlich sein, bei Privatpatientinnen und -patienten ist die Wirtschaftlichkeit ohnehin Sache der Patientin oder des Patienten. Denn es gibt für Privatversicherte keine Verpflichtung, eine kostengünstigere Alternative zu wählen. Sie können frei nach den für sie wichtigen Kriterien wie Preis, Handhabbarkeit oder Verträglichkeit entscheiden, welches geeignete Arzneimittel sie nehmen möchten.

Auch die Möglichkeit eines Rezepts für Cannabisblüten lediglich unter Angabe der Gehalte an Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) könnte zukünftig intensiver genutzt werden.

Eine solche Verordnung ist im Prinzip auch jetzt schon möglich, wird aber aufgrund der komplizierten und zeitaufwändigen “Aut-Idem”-Voraussetzungen bei Cannabis selten ausgestellt.

Auf die Frage, ob die Ärzteschaft eher spezifische Sorten oder allgemein Cannabisblüten unter Angabe des THC- und CBD-Gehalts verordnen werden, antwortete der damalige Präsident Andreas Kiefer der Apothekenkammer der Pharmazeutischen Zeitung bereits im März 2017 :

Beides ist möglich. Entscheidend ist, dass die Verordnung eindeutig ist. Der Apotheker muss im Rahmen der Plausibilitätsprüfung verstehen, was gemeint ist. Die Ärzteschaft und die Bundesopiumstelle empfehlen eine Sortenverordnung. Damit sind die Gehalte an Cannabinoiden eindeutig bestimmt.[…]“ [Quelle].

Das war 2017, als es noch sehr wenige Cannabis basierte Medizinalprodukte gab. Angesichts der vielen unterschiedlichen Präparate und Sorten, die heute verordnet werden können, wird die Nutzung dieser Möglichkeit auch für alle Beteiligten immer interessanter. Denn das ermöglicht besonders Patientinnen und Patienten und Apotheken mehr Flexibilität sowie eine umfassendere Beratung vor Ort als derzeit möglich.

Solange Cannabis gesetzlich noch als Betäubungsmittel eingestuft ist, bleibt es jedoch abzuwarten, welche Rolle die Austauschbarkeit bei medizinischem Cannabis künftig spielen wird. Denn hier spielen auch mit den Kassen bereits ausgehandelte, noch zu schließende Rabattverträge sowie der Status von medizinischen Cannabisblüten als Rezeptursubstanz eine entscheidende Rolle. Auf diese beiden Faktoren hat das neue Gesetz keinen messbaren Einfluss.

Auch am Prozedere der Kostenübernahme für medizinisches Cannabis wird das Gesetz nichts ändern. Selbst ohne die Klassifizierung als Betäubungsmittel ist medizinisches Cannabis meist nur eine Option für die gesetzlichen Kassen, wenn schulmedizinisch alle Alternativen, inklusive verschreibungspflichtiger Betäubungsmittel, ausgeschöpft sind.

Dürfen Patienten und Patientinnen auch kiffen und anbauen?

Cannabis-Patientinnen und -Patienten sind aber auch Mitbürger:innen, die, zumindest theoretisch, mit Inkrafttreten des Gesetzes, Cannabis zum Freizeitkonsum für den Eigenbedarf anbauen und besitzen dürfen. Auch eine Clubmitgliedschaft kann nicht aufgrund des Patientinnen- bzw. Patienten-Status verwehrt oder in Frage gestellt werden. Ebenso ist der Konsum von Cannabis zum Freizeitkonsum, zumindest strafrechtlich, auch für Patientinnen und Patienten nicht relevant – aber: Auch wenn Cannabis kein BTM mehr ist, sind Patientinnen und Patienten nach wie vor zur Compliance verpflichtet. Darunter versteht man die Mitarbeit und Kooperation der Patientin bzw. des Patienten bei einer medizinischen Behandlung, zum Beispiel durch Einhalten von Verhaltensregeln wie das genaue Einhalten der ärztlichen Verordnung. Das ist bei zusätzlichem Freizeitkonsum in den meisten Fällen nicht möglich. Denn eine Ärztin oder ein Arzt darf Patientinnen und Patienten nicht empfehlen, medizinisches durch selbst angebautes oder im Club erhaltenes Cannabis zu ersetzen. Das entspricht nicht den strengen medizinischen Standards und darf deshalb auch nicht ersatzweise angewendet werden.

Cannabis-Patientinnen und Patienten brauchen meist höhere Dosen als Menschen, die Cannabis ab und an zur Entspannung konsumieren. Sie könnten bei zusätzlichem oder gar regelmäßigem Freizeitkonsum ihre Toleranz steigern und so die Therapie beeinflussen.

Ob man als Cannabis-Patientin auch mal Cannabis zum Vergnügen rauchen darf und unter welchen Umständen das sein könnte, ist keine Frage des Strafrechts mehr, sondern vielmehr eine des gesunden Menschenverstandes. Schließlich ist es auch kein Verbrechen, entgegen dem ärztlichen Rat Medikamente und Alkohol zu mischen. Trotzdem ist es in den meisten Fällen ungesund und nicht selten sogar lebensgefährlich. Wer es trotzdem macht, ist mit dem Tragen der gesundheitlichen Konsequenzen ohnehin gestraft genug.*

Wie sich ein:e Patient:in in Zukunft gegenüber legalem Cannabis zum Freizeitkonsum verhalten soll, muss schlussendlich die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt entscheiden. Nur Mediziner:innen können anhand von Faktoren wie Therapiedauer, individueller Dosierung, dem Krankheitsbild und anderen Parametern der Cannabis-Therapie entscheiden, ob man als Patient:in auch mal einen dampfen darf oder besser die Finger davon lässt. Ohne eine solche Absprache wäre der Freizeitkonsum von Patientinnen und Patienten zwar keine Straftat, aber ein Hinweis auf mangelnde Compliance. Eine solche Non-Compliance ist für viele Mediziner:innen bereits heute ein guter Grund, eine Therapie zu beenden oder wenigstens infrage zu stellen. Damit es gar nicht so weit kommt, sollte die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt jederzeit wissen, was ihr:e/sein:e Patient:in neben der Therapie einnimmt. Denn ohne Angst vor Strafverfolgung oder Stigmatisierung ist es eben viel einfacher, offen und ehrlich zu bleiben.


Hinweis: Teile dieses Artikels geben die Meinung des Autoren – nicht die des Unternehmens – wieder.

Part 2: Das Kap der Grünen Hoffnung – Die Produktion von medizinischem Cannabis in Südafrika

Nach meinem Besuch einer Medical Dispensary sollten ein paar tiefere Einblicke in die Produktion von medizinischem Cannabis am Kap das zweite Highlight meiner Südafrika-Reise im Frühjahr 2024 werden. Vor den Toren der Kapmetropole hat die Firma Chronico ihren Sitz. Als einer der ersten Produzenten des Landes baut Chronico seit 2021 medizinisches Cannabis an. Unser Weg in die heiligen Hallen führt über die Obstfarm, auf der Chronicos Partner, die Familie van der Merwe, seit 1743 Obstanbau betreibt.

Chronico – Medizinisches Cannabis aus Überzeugung

Nach erfolgreicher Passage der Sicherheitsschleuse werden wir vom gesamten Chronico-Team herzlich empfangen. Auf meine Frage, wieso man neben Obst und Gemüse seit 2021 denn auch medizinisches Cannabis anbaue, erklärt mir Chronico-Chef James:

Ich bin selbst von medizinischem Cannabis überzeugt und glaube fest an dessen Vorteile. Vor etwas mehr als drei Jahren haben die Familie van der Merwe und ich uns kennengelernt, um danach den Anbau von medizinischem Cannabis als Zusatzmodul zum bestehenden, landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen. Die Farm hier baut eigentlich Zitrusfrüchte an, die wir Naches nennen. Bei Euch heißen die Mandarinen. Mit Terpenen kennen wir uns also aus.“

Genug geredet. Ich will jetzt selbst sehen, wie hier „Blueberry Haze“, „Slurricane“ oder „Black Cherry Punch“ gedeihen. James bittet seine Chefgärtner Josh und Saul, mit mir eine Runde durch die Anlage zu drehen. Saul stammt aus der Gegend und erklärt mir auf dem Weg in die Facility, dass in der Region ein ähnliches Klima wie in Kalifornien herrsche. Es ähnele dem mediterranen Klima und sei für Cannabis perfekt. Die trockene Luft, viel Sonne und ein fruchtbarer Boden machen die Kapregion ohnehin zu einer der fruchtbarsten Gegenden weltweit.

Zum Anbau von medizinischem Cannabis bedarf es einer soliden Grundlage, die James und Saul im Gewächshaus für Mutterpflanzen und deren Ableger schaffen. Hier erfahre ich auch, dass sowohl unter Kunstlicht als auch unter Sonnenlicht angebaut wird. Das Kunstlicht geht erst dann an, wenn die Sonne nicht mehr genug Licht liefert. Mutterpflanzen und Stecklinge werden jedoch zu 100 Prozent unter Kunstlicht angebaut. In der vegetativen Sektion von Chronico versuchen Seth und Saul, äußere Einflüsse so gering wie möglich zu halten und haben sich deshalb für Kunstlicht entschieden. Chronico verwendet noch kein Saatgut, sondern nutzt Ableger als Grundlage der eigenen Produktion.

„In Zukunft werden wir definitiv auch zertifizierte Samen nutzen, um unsere eigenen Sorten zu entwickeln. Wir werden Phenotypen selektieren und solche Sachen. Aber derzeit, ich nenne es mal in unserer Orientierungsphase, ist es viel einfacher und unkomplizierter, mit Ablegern zu arbeiten. Im Moment haben wir hier eine „Slurricane“ und die „Black Cherry Punch“ und ein paar „Blueberry Haze“. Wir lassen unsere Mutterpflanzen nicht zu alt werden. Hier wird alle paar Monate geräumt und wir fangen von vorne an. Zum besseren Wachstum und zur Schädlings- sowie Pilzprophylaxe nutzen wir eine Kombination aus nützlichen Pilz- und Bakterienkulturen sowie Nützlingen.“

Die Mutterpflanzen und Ableger der Chronico-Strains sind wirklich beeindruckend und bei Patienten und Patientinnen in Deutschland, Australien und Südafrika so begehrt, dass man mit der Produktion kaum hinterherkommt. Deshalb können mir Seth und Saul zum Zeitpunkt meines Besuchs leider keine blühenden Medizinal-Cannabispflanzen zeigen.

FarmaGrowers – Nachhaltiger High Tech Anbau der Extraklasse

Die bekomme ich dafür 1400 Kilometer weiter nördlich beim nächsten Stopp in der Nähe von Johannesburg zu sehen. Hier treffe ich Marc, den Senior-Grower von Farmagrowers.

Vorm Betreten der Produktionsanlage muss ich pusten, damit sich das Drehkreuz öffnet. Mein Begleiter klärt mich auf: „Pusten ist in sensiblen Bereichen jedes südafrikanisches Betriebs Standard.“ Bevor ich mit bestätigten 0,0 Promille endlich zu den Pflanzen darf, versorgt mich Marc eben jenen sterilen Klamotten aus, die bei der Medizinal-Cannabis Produktion weltweit vorgeschrieben sind.

Frisch umgezogen treffen wir dann auf die ersten blühenden Hanfdamen. Das Team ist gerade dabei, Netze über den Köpfen der „Critical Kush“ zu spannen. Denn kurz vor der Ernte werden die Topbuds so schwer und voluminös, dass sie ohne die Netze ins Schwanken geraten oder schlimmstenfalls abknicken könnten. Ein anderer Teil des Teams ist dabei, die großen Blätter von den Stielen zu entfernen. Beim so genannten Ausgeizen werden in der Blütephase immer wieder Blätter und Triebe von der Pflanze entfernt, die nicht optimal mit Licht versorgt werden. So stellt man sicher, dass sich die verbleibenden Triebe optimal entwickeln. „Zudem fördert es die Luftzirkulation sowie ein gleichmäßiges Cannabinoidprofil“ erklärt mir der Senior-Grower der Farmagrower.

Hybrid-Technik – Viel Licht und niedrige Energiekosten

Wir befinden uns hier in einem Hybrid-Gewächshaus, wo sowohl Sonnen- als auch Kunstlicht verwendet wird. Unterschreitet das Sonnenlicht einen gewissen Wert, schalten sich automatisch LED-Lampen mit einer Leistung von 150 Watt/m² hinzu. So kommen beim Anbau der FarmaGrowers-Strains durchschnittlich 25 Prozent Kunstlicht zum Einsatz. Im Sommer ist es weniger, im Winter etwas mehr. Der Strom für die Gewächshäuser wird von einer Solaranlage auf dem Betriebsgelände erzeugt. Das sei, so Marc, nicht nur nachhaltig, sondern senke die Kosten immens. Marc erklärt mir auch, dass der Ertrag und die Qualität sehr stark von der Lichtmenge abhingen und sein Team deshalb eine möglichst hohe, tägliche Lichtmenge für die Pflanzen anstrebe: “Ganz einfach, Cannabis liebt Licht“, erfahre ich auf dem Weg in den nächsten Raum.

Dort angekommen, rieche ich das Terpenprofil der „Royal Gorilla“ sogar durch die obligatorische Schutzmaske. Jede Pflanze hat vier bis sechs Topbuds, die zu 100 Prozent mit Kunstlicht bestrahlt werden. Anders als im vorherigen Raum handelt es sich hier um ein reines Indoor-Gewächshaus. Die Pflanzen blühen seit sechs Wochen und sollen in gut zwei Wochen geerntet werden. Auch in diesem Raum hat das Team im unteren Bereich ordentlich ausgegeizt, damit sich die oberen Medizinalblüten gleichmäßiger entwickeln.

„Wenn die unteren Blüten nicht die gleiche Menge an Licht bekommen wie die oberen, entwickeln sie ein anderes Cannabinoidprofil. Um dieses Problem zu lösen, entfernen wir sie einfach. Wir nutzen die Pflanzenenergie lieber für die großen Topbuds,“ erklärt mein Gegenüber.

Künstliche Cannabis-Intelligenz in der Schaltzentrale

Unsere nächste Station ist der Kontrollraum. Hier werden alle Parameter, die während des Anbauprozesses wichtig sind, eingestellt, geändert und kontrolliert. Ein System steuert die gesamte aeroponische Hardware, also die Bewässerung und die Nährstoffmischung für alle Räume. Ein zweites System steuert Licht, Klima sowie die CO2-Zufuhr in den Gewächshäusern. Von hier aus kann man auch den Zustand jeder einzelnen Pflanze checken und eventuelle Mängel oder Probleme so sehr früh erkennen.

„Ich verbringe hier eine Menge Zeit“, erzählt Marc. Er ist der Guardian Grow Manager, mit dem wir von hier aus einen Blick auf den Blühraum werfen können. “Da werden alle sieben Reihen von Raum eins angezeigt: Der EC- und pH-Wert, die Wassertemperatur, der Wasserdruck, Raumumgebung. Dadurch können wir uns jede Reihe aussuchen, um zu sehen, was dort gerade passiert. Wir können auch noch einen Schritt weiter und in den Wachstumsplan für genau diese Reihe gehen. Wie du siehst, können mit dem Tool sämtliche Zyklen programmiert werden – Woche eins, Woche zwei, Woche drei und so weiter. Wer will, kann es noch weiter aufschlüsseln.“

Ich kann die Begeisterung für das High-Tech Setup meines Tour-Guides förmlich spüren und muss ihn ein wenig drängeln, mir die Pumpstation zu zeigen. Dort angekommen stehen wir vor einer riesigen Umkehrosmose-Anlage, die mit einem Hochdruck-Pumpensystem verbunden ist. Die Umkehrosmose-Anlage entsalzt und filtert das Wasser, damit die Pflanzen mit einer für sie optimalen Nährstoffkombination versorgt werden können. Von hier aus werden zwei Gewächshäuser und zwei Indoor-Hallen mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Da Cannabis in seinen unterschiedlichen Entwicklungsstadien verschiedene Nährstoffe benötigt, muss jeder Pflanzraum mit einer individuellen Nährlösung versorgt werden. Das passiert mithilfe von Dosierpumpen und Messgeräten, die vom zuvor besuchten Kontrollraum aus gesteuert werden. Nach unserer kurzen Stippvisite in der Pumpstation bekomme ich zum ersten Mal das fast fertige Produkt zu Gesicht.

Fachkräfte mit Adleraugen und flinken Fingern

Im Trimraum werden die zuvor geernteten Pflanzen von großen Blättern und den Stielen getrennt. Zum Grobschnitt verwenden die Mitarbeiter:innen einen so genannten Trimmer, der dem Team einen Berg Arbeit abnimmt. Ich möchte von Marc wissen, wieso sein Team hier erst maschinell und danach per Hand trimmt.

„Es gibt immer ein paar Blätter, Stiele oder andere Anomalien, die die Maschine dran gelassen hat. Man kann den Trimmer so einstellen, dass er nicht so viel abnimmt und ähnlich wie von Hand trimmt, also weniger rabiat mit den Blüten umgeht. Mit dieser Starthilfe schaffen wir eine ganze Charge, einen ganzen Raum in etwa sechs Stunden.“

Nach dem maschinellen Trim werfen die Teammitglieder einen letzten Blick auf jede einzelne Blüte und arbeiten, falls notwendig, nach. So wird sichergestellt, dass weder Blätter noch andere, unerwünschte Anhaftungen ins Produkt gelangen. Danach werden Trimreste und das Produkt getrennt. Die immer noch potenten Reste werden mithilfe eines Filterbeutels an der Seite aufgefangen. Dann wird das notwendige Extraktions-Zertifikat bei den Behörden beantragt. Sobald das da ist, wird der Trim zur Extraktion an eine andere Firma verschickt.

Die frisch geernteten Medizinalblüten kommen nach dem Trimvorgang in den Trockenraum. Den möchte ich als krönenden Abschluss meiner Tour auf jeden Fall einmal sehen. Marc erklärt mir, dass ich ihn gerne ansehen darf – allerdings nur in leerem Zustand.

„Ich wünschte, ich hätte fertig getrocknete Blüten zum Zeigen. Aber derzeit ist die Nachfrage höher als die Produktion und deshalb hängen gerade keine Pflanzen da.“

Eine schonende Trocknung braucht Zeit

Ich erfahre, dass die frischen Pflanzen ungefähr zwei Wochen bei 16 Grad Raumtemperatur und einer Luftfeuchtigkeit von 55 Prozent trocknen. Die langsame Trocknung bei niedrigen Temperaturen schont die Terpene. Nach dem Trocknen werden die Blüten im Lagerraum in Plastikfässern noch ein bis zwei Wochen gecured – also regelmäßig gelüftet und gewendet. Denn erst während des Curing-Prozesses entfaltet Cannabis das volle Spektrum seiner Terpene und somit den sortentypischen Geschmack und Geruch.

Bevor mein Rundgang zu Ende geht, möchte ich von meinem Gegenüber noch erfahren, wo man lernt, so gut wie er Cannabis anzubauen. Ist ja schließlich selbst in den Ländern, die medizinisches Cannabis produzieren, kein Lehrberuf.

„Ich würde mich einen Autodidakten nennen. Ich baue seit etwa 15 Jahren Cannabis an, die letzten vier im kommerziellen Maßstab. Ich habe mich schon immer für Cannabis interessiert. Es ist eine Pflanze, die sich auf so mannigfaltige Arten selbst ausdrückt. All die verschiedene Terpenprofile, die unterschiedlichen Phänotypen und Pflanzenstrukturen. Man kann behaupten, ich bin etwas besessen vom Cannabisanbau. Das treibt mich an, immer wieder und wieder neue Samen keimen zu lassen, nach neuen Sorten zu suchen und einfach das bestmögliche, medizinische Cannabis anzubauen.“

Marc hat mir heute eine wirklich beachtliche Anlage gezeigt. Sein Wissen und seine Fähigkeiten sind so beeindruckend, dass er mittlerweile ein gefragter Mann ist. Der Flieger, der ihn zum nächsten medizinischen Cannabis-Projekt auf die andere Seite des Globus bringt, geht in zwei Stunden. Ich verabschiede mich von Marc, wünsche ihm einen guten Flug und viel Erfolg bei seinen kommenden Cannabis-Großprojekten.

Wie grün ist die Zukunft Südafrikas?

Ich habe mittlerweile Produktionsanlagen für medizinisches Cannabis auf drei Kontinenten besucht. Südafrikas Branche hat mich hinsichtlich der Professionalität und Qualität der Produkte sehr positiv überrascht. Hier treffen europäische Gründlichkeit und Standards beim Anbau auf die Experimentierfreudigkeit und Sortenvielfalt der kanadischen und der US-Westküste. Das Klima eignet sich zudem perfekt für den Anbau von Cannabis, Solarenergie gibt es im Überfluss und auch Behörden und Regierung sind bereit, den rechtlichen Rahmen im Sinne von Patienten und Patientinnen sowie Produzenten und Produzentinnen zu gestalten. Südafrika ist heute schon ein Hotspot auf der Weltkarte für medizinisches Cannabis.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Part 1: Das Kap der Grünen Hoffnung – Südafrika setzt voll auf Cannabis

Nicht einmal 12 Stunden nach der Landung in Kapstadt sitze ich in einem Cannabis Social Club für Patienten und Patientinnen. Sieht aus und klingt, zumindest wenn die Locals ihre Medizin am Tresen ordern, fast wie in Amsterdam. Denn Afrikaans hört sich fast an wie niederländisch und ist am Westkap die meist gesprochene der 11 südafrikanischen Amtssprachen.

Die Sortenauswahl ist immens und dank meiner Dokumente, die meinen Status als Deutscher Cannabis-Patient belegen, darf ich die Medizin hier auch probieren. Bis 2022 gab es in Südafrika auch Cannabis Social Clubs für Erwachsene ohne medizinische Verordnung. Doch seit einem höchstrichterlichen Urteil von 2022 dürfen Cannabis Social Clubs in Südafrika nur Patienten und Patientinnen aufnehmen, die Vereine für Freizeit-Cannaseur:innen wurden über Nacht illegal. Der Hintergrund der bis heute relativ unklaren Rechtslage rund um Cannabis ist ein Urteil des südafrikanischen Verfassungsgerichts aus dem Jahre 2018. Damals wurden Konsum, Anbau und Besitz für den Eigenkonsum über Nacht legal – allerdings ohne definiert zu haben, wie viel Gras man besitzen oder anbauen darf. Die Regierung wurde im Zuge dieses Urteils zudem verpflichtet, Cannabis innerhalb der nächsten Jahre irgendwie zu regulieren. Doch wie fast überall auf der Welt waren die Betroffenen schneller als die Regierung und so schossen nach dem Urteil Cannabis Social Clubs wie Pilze aus dem Boden. Parallel dazu fing die südafrikanische Regierung an, Anbaulizenzen für medizinisches Cannabis zu verteilen, bevor es wirklich legale und regulierte Vertriebswege dafür gab.

Nach dem Club-Verbot von 2022 bekamen die bereits bestehenden Clubs die Möglichkeit, als medizinische Cannabis Clubs weiter und – statt in einer Grauzone – in einem von den Gesundheitsbehörden vorgegebenen Rahmen zu agieren. Denn die südafrikanische Cannabis-Agentur hatte im Rahmen der Lizenzvergabe glatt vergessen, dass medizinisches Cannabis auch Vertriebswege auf nationaler Ebene braucht. Wieso also nicht aus der Not der über Nacht illegalen Clubs eine Tugend machen, indem man mithilfe deren Infrastruktur Patienten und Patientinnen versorgt? Denn das Modell in Südafrika hatte von Anfang an ein grundlegendes Problem.

Die SAHPRA (South African Health Products Regulatory Authority) hatte sich in der Hoffnung auf ausländische Investoren auf große Exportvolumina fokussiert, während Patienten und Patientinnen vor Ort von Anfang an Schwierigkeiten hatten, in Südafrika angebautes, medizinisches Cannabis legal zu beziehen.

Mittlerweile kooperiert die Cannabis Agentur in Südafrika mit zahlreichen medizinischen Cannabis Clubs. Die Clubs helfen den Patienten und Patientinnen bei der Arztsuche und stellen den Kontakt zur SAHPRA her. Der Rest ist meist Formsache, Patienten und Patientinnen können so im Durchschnitt ein bis drei Tage nach der ärztlichen Diagnose Medizinalblüten von dem Club beziehen, der Ihren Antrag bei der SAHPRA eingereicht hat. Klingt unkompliziert und so sollte ein Besuch in einem Club für Cannabis-Patienten und -Patientinnen zeigen, wie diese in Südafrika mit legaler Medizin versorgt werden.

Ein Besuch bei den 420 Doctors

Während ich meine eigene Medizin aus Deutschland dank einer deutschen Export- und einer südafrikanischen Importgenehmigung mitnehmen durfte, hat sich mein Reisebegleiter in der Hoffnung auf südafrikanische Medizin die zeitraubende Antragstellung gespart und auf eine schnelle Lösung vor Ort gesetzt. Die sollte dann in Form der 420 Doctors nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem Gründer Leon ursprünglich einen Cannabis-Club betrieben hatte, wurde die Rechtslage 2022 so unsicher, dass er sich zu einer Zusammenarbeit mit der SAHPRA entschloss.

Die Räumlichkeiten des Clubs erinnern an US-amerikanische Abgabestellen. Die Auswahl ist immens, zur Zeit unseres Besuchs im Frühjahr 2023 können Patienten und Patientinnen unter mehr als 20 Sorten mit SAHPRA-Siegel auswählen. Meine Reisebegleitung muss als allererstes einen Antrag ausfüllen, der postwendend an einen von der SAHPRA lizenzierten Arzt geschickt wird.

Moderate Preise – Hohe Qualität

Die Preise für medizinisches Cannabis sind aufgrund des Lohngefüges niedriger als in Europa. Ein Gramm kostet zwischen 2,50 und 10 Euro. Die Qualität ist ähnlich, auch wenn die Produktionsparameter in der EU noch ein wenig strenger sind als am Kap. Doch die südafrikanische Cannabis-Industrie wächst mit ihren Aufgaben und verfügt mittlerweile über internationale Standards. Hinzu kommt das für Cannabis perfekte Klima sowie der kulturelle Aspekt. Anders als Marihuana in der Bundesrepublik oder der DDR war „Dagga“ in Südafrika nie das Hippiekraut einer ungeliebten Randgruppe, sondern seit grauer Vorzeit Volksdroge. Das hat auch das Gericht in seinem wegweisenden Urteil von 2018 anerkannt. Und anders als in den meisten EU-Ländern ist der Konsum von Dagga zu 100 Prozent entkriminalisiert. Dort, wo Zigaretten geraucht werden, darf auch gekifft werden, die Eigenbedarfsregelung ist zudem sehr liberal. Als Eigenbedarf gilt gemeinhin alles, was in eine Schachtel für den persönlichen Bedarf passt – Hauptsache es deutet nichts auf Verkauf und Weitergabe hin. Die Größe der Schachtel spielt da eher eine Nebenrolle, auch eine genaue Definition, wie viel Gramm als Eigenbedarf durchgehen, sucht man vergeblich.

Mein Begleiter wird kurz nach unserem Club-Besuch von der SAHPRA mit der Bitte angeschrieben, der Ärztin seine deutschen Unterlagen zukommen zu lassen. Einen Tag und ein Telefonat später ist mein Reisepartner südafrikanischer Cannabispatient. Beim nächsten Besuch der 420 Doctors entscheidet er sich im Rahmen einer olfaktorischen Prüfung der zahlreichen Medizinalblüten, seine Therapie mit „Apple Jax“ und „Fight Club“ fortzusetzen. 420-Inhaber Leon erklärt mir derweil, dass für Extrakte sogar eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich sei. Anders als in Deutschland sei die bei Blüten aber grundsätzlich nicht möglich. Auf meine Frage, wo man denn als Patient ungestört konsumieren könne, lotst mich Club-Gründer Leon einen Raum weiter.

Hier bauen wir gerade unsere Vapo-Lounge. In medizinischen Clubs darf natürlich nicht geraucht, sondern nur vaporisiert werden,“ erklärt mir der cannafine Jungunternehmer aus Kapstadt.

Das Einnehmen der Medizin außerhalb der Clubs ist, anders als in einigen US-Bundesstaaten oder in Spanien, jedoch auch kein Problem. Denn der Konsum von Cannabis, egal ob medizinisch oder zum Spaß, ist dem Rauchen von Kippen rechtlich gleichgestellt. Deshalb findet in Südafrika jede:r einen ruhigen Ort, ungestört seine oder ihre Medizin einzunehmen – unabhängig von der Applikationsform“, berichtet Leon weiter.

Nachdem der wichtigste Punkt nach der Ankunft jetzt abgehakt ist, folgen wir Leons Tipp und machen der Kapstädter Cannabis-Messe unsere Aufwartung. Denn die findet, ohne dass wir es vorher mitbekommen haben, genau an dem Wochenende unseres Besuchs in der Kapregion statt.

Südafrikas Cannabis-Industrie verharrt in den Startlöchern

Zwei Uber später finden wir uns im Sun Convention Center als Gäste der CannabisExpo wieder. Rein äußerlich unterscheidet sich das Event nicht von europäischen Hanfmessen: Speziallampen zum Anbau, Düngerhersteller, Longpaper-Stände und Cannabis-Aktive dominieren die Gänge, aber auch unsere Freunde von den 420 Doctors sind mit einem Stand vertreten. Die Präsenz der SAHPRA überrascht mich dann doch ein wenig – weil sich unsere Cannabis-Agentur wohl kaum auf der Mary-Jane oder der Cannafair blicken lassen würde. Doch der Stand der Cannabis-Agentur auf einem 420-Event steht auch für Aufbruchsstimmung und Pioniergeist, der an jedem einzelnen Stand in Kapstadt zu spüren ist.

Ich treffe Silas Howarth, der die erste Cannabis-Fachmesse Südafrikas auf die Beine gestellt hat, und möchte von ihm mehr über die Entwicklung der südafrikanischen Cannabis-Industrie wissen.

Die erste Expo gab es 2018 in unserer Hauptstadt Pretoria, dann kamen Kapstadt, Johannesburg und Durban. Seitdem gibt es hier (in Südafrika) insgesamt drei Expos im Jahr. Wir hatten ziemliches Glück. Nachdem wir unser erstes Event das ganze Jahr über geplant hatten und im September 2018 das Urteil (red. Anmerkung: zur Verfassungswidrigkeit des Cannabis-Verbots in Südafrika) gesprochen wurde, fand unsere Veranstaltung nur einen Monat später statt. Damit waren wir die erste Veranstaltung dieser Art, die in diesen aufregenden Zeiten stattgefunden hat.

Wenn man in der Öffentlichkeit darauf pochen kann, dass Cannabis legal ist und Leute wirklich auch zuhause rauchen dürfen, fragt sich die Öffentlichkeit auch: „Gibt es da schon eine Branche?“

Und genau zu diesem Zeitpunkt fand die erste Expo statt.“

Silas Howarth im Gespräch mit Michael Knodt

Ich schildere Silas meine Befürchtungen, dass so lockere, aber unklare Regeln zum Freizeitkonsum doch schlussendlich in einer schwer zu kontrollierenden Grauzone enden könnten.

Es besteht bereits eine riesige Grauzone. Das ist einer der Bereiche, in denen die Regierung zu langsam arbeitet, würde ich sagen – wie überall auf der Welt. Es ist schon erstaunlich, dass vor der Expo die Branche selbst gar nicht mitbekommen hat, wie groß sie eigentlich ist. Und deshalb bis dahin auch keine:r die Vorteile und Chancen erkannt hat, die eine neue Branche im Rahmen der Legalisierung ergreifen kann. Die Möglichkeiten für Cannabis-Unternehmen sind riesig, wir bieten hier einen neuen Spielplatz und ein eimaliges Potential für Unternehmen, besonders jetzt in den Anfangsjahren.“

Fachgeschäfte vs. rechtliche Grauzonen

Was Silas mit dieser Grauzone meint, erklärt mir Phil* aus Johannesburg während der obligatorischen Inhalations-Pause im Freien: „Es gibt immer noch Clubs, die ohne Schild und ohne Lizenz arbeiten. Das kostet dann eine Art Extra-Gebühr, über die hier niemand redet. Ich habe auch schon erlebt, dass bei einer Verkehrskontrolle eine 200 g Box als Eigenbedarf durchgeht oder eine große Tüte einfach verschwindet. Du musst wissen, wir sind das Land der Road-Blocks, also Polizeikontrollen wie ihr in Deutschland sagt. Die sind hier, anders als ihr das kennt, eine Säule der Kriminalitätsbekämpfung. Leider weiß hier auch jedes Kind, dass jedwedes Vergehen seinen Preis hat. Den kann man meist direkt und ganz ohne Quittung bezahlen. Und weil Kleinstmengen ja seit 2018 keine Straftat mehr sind, geht es heutzutage eben um mehr als ein paar Gramm. Alle wollen legal verkaufen. Bis das irgendwann möglich ist, erreicht man das Ziel über Umwege. Mehr will ich dazu gar nicht sagen“, erklärt mir mein Gesprächspartner.

Südafrika ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn Cannabis umfassend entkriminalisiert wird, ohne den Handel im gleichen Zuge zu regulieren. Im Prinzip hat das Verfassungsgericht durch sein Urteil 2018 ein rechtlich unscharfes Pendant zu der deutschen Säule eins geschaffen. Zwar wird die medizinische Cannabisbranche trotz einiger Startschwierigkeiten immer professioneller und unterliegt mittlerweile klaren Spielregeln. Doch die riesige Grauzone, in der sich Südafrikas Freizeitkonsumenten und -konsumentinnen tummeln, konnte nur entstehen, weil es de Regierung seit sechs Jahren nicht geschafft hat, Anbau und Verkauf von Freizeit-Cannabis zu regulieren, während Weed im Alltag entkriminalisiert und omnipräsent ist. Deutschland könnte Ähnliches blühen, falls zwischen Säule eins (Entkriminalisierung zum 1.4.24) und Säule zwei (Produktion und Verkauf) zu viel Zeit vergehen sollte.

*Name vom Autor geändert


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Cannabis Clubs ohne Vereinsleben – Wie soll das funktionieren?

Die Deutsche Angst vor innovativer Cannabis-Kultur

Cannabis soll in zwei Schritten legalisiert werden. Der erste, von der Ampel-Koalition „Säule eins“ genannt, sieht vor, Erwachsenen ab 2024 den Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis, den Anbau von drei Pflanzen und die Mitgliedschaft in einem Cannabis Club zu gestatten. So ziemlich alles andere, darunter auch eine versteuerte Abgabe über Fachgeschäfte, bleibt bis zur Verabschiedung von Säule zwei illegal. Wann und ob Säule zwei das Parlament passiert, ist noch völlig unklar.

Anders als zum Beispiel in Uruguay oder Spanien sollen die Clubs in Deutschland nicht „social“ sein, also beim soziokulturellen Aspekt im Umgang mit Cannabis außen vor bleiben. Wer mit Freund:innen und Bekannten kiffen will oder einfach nur Infos über Cannabis austauschen möchte, den Umgang mit der Substanz erlernen oder mehr über den Anbau erfahren möchte, soll das, sollte das Gesetz wie derzeit geplant umgesetzt werden, weiterhin im Verborgenen tun.


Alle Vereine sind gesellig, nur Cannabis-Clubs nicht?

Im Vereinsrecht nennt sich der soziokulturelle Aspekt des Vereinslebens „Geselligkeit“. Die ist eine Säule des hiesigen Vereinslebens und soll Cannasseur:innen vorenthalten bleiben. In Spanien, wo ab 2007 die ersten Clubs weltweit entstanden, ist genau dieser soziale Aspekt die rechtliche Grundlage für die Existenz von Cannabis Social Clubs. Nicht die Abgabe gegen einen Unkostenbeitrag steht im Mittelpunkt des Vereinslebens, sondern Anbau und Konsum ohne kommerziellen Hintergrund sowie die Schaffung einer ganzheitlichen Cannabiskultur. Dazu veranstalten die Vereine Anbau-, Präventions- oder auch Extraktions-Seminare und ermöglichen ihren Mitgliedern ganz nebenbei, das selbst ergärtnerte Kraut in den Vereinsräumen zu beziehen und danach gemeinsam zu genießen.

So muss niemand mehr mit seinen Freund:innen im Park oder vor der Kneipe kiffen. Der soziale Aspekt fördert den öffentlichen Konsum nicht zwangsläufig, im Gegenteil. Im Cannabis-Club-Paradies Barcelona wird der öffentliche Konsum von Cannabis mit hohen, dreistelligen Geldbußen geahndet – weil man ja auch in einem Club hätte rauchen oder vaporisieren können. Die Clubs selbst dürfen als solche von außen nicht erkennbar sein. Zudem sind die Betreibenden verpflichtet, mithilfe von professionellen Abluftsystemen die Luft in und besonders vor den Clubräumen rein zu halten. So gut getarnt erfüllen diese nicht sicht- und riechbaren Clubs alle Voraussetzungen für einen funktionierenden Jugendschutz besser als jede Abstandsregel.

Man stelle sich einmal vor, ein Hobbybrauer-Verein dürfe sein Bier brauen und an die Mitglieder verkaufen, aber nicht gemeinsam verkosten. Da würde jedes deutsche Amtsgericht den Vereinszweck infrage stellen. Cannabis-Clubs hingegen sollen nicht wie klassische Vereine, sondern als reine Cannabis-Abgabevereinen agieren.

Fehlende Fachgeschäfte erschweren die geplante Rolle der Clubs

Der DHV Vorsitzende Georg Wurth hat es mit den Worten „Nicht jede:r, die:der Joghurt mag, will eine Kuh“, auf einen einfachen Nenner gebracht.

Cannabis (Social) Clubs sind eine Nische für Cannabis-Enthuisiast:innen und dem Ansturm, der sich schon jetzt abzeichnet, als unkommerzielle Organisation gar nicht gewachsen. Wer nur sporadisch kifft oder seinen Jahresbedarf mit drei Balkon-Pflanzen nicht decken kann, möchte nicht unbedingt an einem Cannabis-Vereinsleben teilnehmen müssen, um Samstag Abend einen Joint vor dem Kinogang zu rauchen.

Die erste Phase der Legalisierung berücksichtigt demnach lediglich Enthusiast:innen, die ihre Freizeit dem Anbau und/oder dem Vereinsleben widmen. Wer schnell und unkompliziert mal einen Joint rauchen möchte, hat weiterhin ein Problem. Gleichzeitig ist es Privatpersonen gestattet, bis zu 25 g Cannabis und drei Pflanzen zu besitzen. Da es zu diesem Zeitpunkt noch keine Fachgeschäfte geben wird, werden die, die weder Clubmitglied sein noch Weed anbauen möchten, ihr Cannabis, wie all die Jahre zuvor, illegal beziehen. Die, die es verkaufen, werden aber noch schwerer zu fassen sein als zu Zeiten des Verbots. Denn weder der Besitz von bis zu 25 g noch der Geruch nach Cannabis dürfen dann als Rechtfertigung repressiver Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Personenkontrollen dienen. Zudem sinkt die Hemmschwelle der Konsumierenden, weil ihr Handeln nicht mehr strafbar ist. Wenn der Gesetzgeber denkt, die entstehende Lücke werde nicht ausgenutzt, hilft ein Blick nach Nevada. Erst als Dealer offen mit gefüllten Grasbeuteln vor den Casinos standen, gab es Lizenzen für Shops im Touristenviertel “The Strip”. Bis dahin dachte man ernsthaft, man könne Cannabis nur für Einheimische legalisieren, indem man in der Nähe von touristischen Hotspots keine Fachgeschäfte zulässt. Das ist ebenso utopisch wie die Vorstellung, man könne den Schwarzmarkt ganz ohne Fachgeschäfte kleinkriegen.

Clubs für alle?
Natürlich bestünde die Möglichkeit, dass Clubs auch Menschen mitversorgen, die bei freier Wahl lieber ins Fachgeschäft gehen würden. Das wiederum gefährdet allein aufgrund der Menge den unkommerziellen Charakter der Clubs, der von der Regierung ausdrücklich angestrebt wird und der das Vereinsleben in Deutschland auch grundsätzlich auszeichnet. Wenn alle fünf bis acht Millionen Kiffer:innen ihr Weed legal über einen Verein bezögen, bräuchten wir über kurz oder lang 10.000 + x große (500 Mitglieder) Cannabis Clubs. Clubs in Spanien sollten gemäß eines Urteils des Obersten Gerichts übrigens nicht mehr als 300 Mitglieder haben, um eben diesen unkommerziellen Charakter zu bewahren.

Egal, von welcher Seite aus man es betrachtet: ohne zeitgleich oder wenigstens zeitnah Fachgeschäft-Projekte zu ermöglichen, scheint die Regierung den Missbrauch der grundsätzlich überfälligen Entkriminalisierung wissend in Kauf zu nehmen. Je länger diese tolerierte Grauzone besteht, umso stabilere Strukturen bilden sich in ihr aus. Als bestes Beispiel dienen hier die Coffeeshops in den Niederlanden oder auch die Vergabe der Cannabis Social Club-Lizenzen in und um Barcelona. Besonders in den Niederlanden haben sich auf dem Cannabis-Schwarzmarkt hochkriminelle Strukturen etabliert, weil Handel und Weitergabe von Kleinstmengen seit 50 Jahren entkriminalisiert, Produktion und Großhandel aber illegal sind und seit einigen Jahren oft sogar härter als hierzulande bestraft werden.

Deutschland plant zwar keine Coffeeshops, aber im Grunde genommen ein ähnliches Konstrukt: Im Kleinen ist es legal, aber der Großhandel bleibt tabu. Je länger dieser Zustand bestehen bleibt, desto schwerer wird es, den jetzt schon unüberschaubaren Schwarzmarkt später wirklich durch eine kontrollierte Lieferkette zu ersetzen.


Ein Blick über den Tellerrand hilft
Anders als der Gesetzentwurf in Deutschland wurde der Schweizer Experimentierartikel, der als Grundlage für die dortigen Cannabis-Pilotversuche dient, nicht mit der heißen Nadel gestrickt. Hier hat sich das Bundesamt für Gesundheit viel Zeit genommen und zwei grundlegende Fehler vermieden:

– Cannabis SOCIAL Clubs dürfen dort auch soziokulturelle Aufgaben wahrnehmen

– Neben Clubs dürfen auch Fachgeschäfte und Apotheken Cannabis im Rahmen der Pilotprojekte abgeben.

So können unsere Nachbarn nach der fünfjährigen Pilotphase entscheiden, welches Abgabe-Modell funktioniert. Konsumierende haben zudem einen Ort, sich abseits öffentlicher Räume oder Grünflächen zu treffen und auszutauschen. Wissenschaftliche Forschung zum Umgang mit Weed wird dort in Form eines Arbeitsmoduls zur Konsumkompetenz erst durch die Social-Club-Mitglieder möglich. In Deutschland will man wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen, indem man den Clubs eine gesellschaftlich notwendige Funktion nicht zutraut und sie zu reinen Cannabis-Anbau- und Abgabestellen degradiert. Genau diese Art der Zwangs-Kommerzialisierung lädt zum Missbrauch ein. Hier sind nicht die Niederlande, sondern die Clubs in Barcelona, von denen ein Großteil wie Coffeeshops agiert, als Beispiel für die Fehlinterpretation des ursprünglichen Club-Gedankens anzuführen. Diese Art von Missbrauch der lokalen Cannabis-Gesetze wiederum ist jedoch nicht Schuld der Betreiber, sondern das Ergebnis einer 15 Jahre geduldeten Grauzone, die aufgrund des rechtlichen Status von Cannabis in Spanien immer noch keine Fachgeschäfte zulässt.

In weniger liberalen Landstrichen von Spanien werden Clubs übrigens bis heute strenger von den Behörden und der Polizei kontrolliert als an den cannafinen Hotspots wie Katalonien oder den Kanaren. So gibt es in Madrid oder Valencia zwar auch Cannabis-Clubs, die Touristen jedoch verschlossen bleiben. Solche Clubs haben selten mehr als 300 Mitglieder und dienen der lokalen Bevölkerung als Weed-Quelle für den Feierabend-Joint ohne weitere Verpflichtungen. Wer Interesse hat, kann – muss aber nicht – beim Anbau helfen.

In den großen Clubs der katalanischen Metropole bauen die Mitglieder schon seit 2019 gar nicht mehr selbst an, sondern lassen ihr Gras von professionellen Gärtner:innen produzieren. Das entspricht eigentlich nicht den Vorgaben für Social Clubs, wird aber von der Lokalregierung toleriert. Ohnehin hat man in Barcelona das Gefühl, die lokale Cannabis-Politik habe auch etwas mit dem Konflikt um die katalanische Unabhängigkeit zu tun. Denn die Zentralregierung hat dort ganz andere Probleme als ein paar Social Clubs, die nicht nach den Vorstellungen und Gesetzen der Zentralregierung in Madrid, sondern gemäß eines Beschlusses der Lokalregierung wie Shops agieren.

Clubs, die, wie von der Regierung in Spanien oder bald auch in Deutschland gewünscht, unkommerziell agieren, dürfen aber über eines nicht hinwegtäuschen: Der Schwarzmarkt blüht auch in Spanien weiter im Verborgenen. Nur in Barcelona, wo Clubs aufgrund der lokalen Gesetzgebung im Prinzip wie 18+ Fachgeschäfte agieren können, sind die Dealer, die einst die Ramblas bevölkerten, ganz verschwunden. Im Rest des Landes existieren Cannabis-Clubs und Schwarzmarkt nebeneinander her. Während die vielen Gelegenheitskiffer:innen und Tourist:innen in einer durchschnittlichen spanischen Stadt auf dem omnipräsenten Schwarzmarkt kaufen, treffen sich eingefleischte Cannasseur:innen und mangels Gesetz auch Patient:innen in den örtlichen Cannabis-Clubs.

Der perfekte Club…
… kann eigentlich nur parallel zu Cannabis-Fachgeschäften für Erwachsene existieren. Nur so ist eine Kommerzialisierung, ob von den Betreibenden gewollt oder nicht, aus oben angeführten Gründen vermeidbar. Außerdem sollte er andere Aufgaben, als dem Gesetzgeber derzeit vorschweben, erfüllen:

– Der Anbau sollte erfahrenen Mitgliedern überlassen werden, die dazu auch Lust und Zeit haben und nicht, wie aktuell geplant, obligatorisch für alle sein. Ähnlich wie in anderen Vereinen mit einer Verpflichtung zur Mitarbeit, könnten solche Pflichten auch durch andere Tätigkeiten für den Verein oder eine finanzielle Kompensation beglichen werden.

– Um das Vereinsleben auszugestalten, sollte der Verein Aufklärungsarbeit zu Cannabis leisten. Hier stehen Konsumkompetenz sowie das Vermitteln schadstoffarmer Konsumformen im Fokus. Ähnlich wie ein Obst- und Gartenbauverein kann auch Wissen über den Anbau, Ernte und Veredelung in Form von theoretischen und praktischen Fortbildungsveranstaltungen stattfinden. Besonders die Produktveredelung, also im Falle von Cannabis die Extraktion, sollte nicht grundsätzlich verboten, sondern, ähnlich wie die Herstellung von Obstwein im Obst- und Gartenbauverein, Teil der Club-Kultur sein. Dabei könnte Colorado als Beispiel dienen. Dort ist es Privatpersonen gestattet, Extrakte mit Hilfe nicht explosiver Lösungsmittel wie Alkohol oder einer mechanischen Presse zu extrahieren. Gefährlichere Extraktionsmethoden mit explosiven Lösungsmitteln, wie zum Beispiel Butan, dürfen hingegen nur von lizenzierten Fachbetrieben durchgeführt werden.

– Die geplante Abstandsregel zu Schulen sollte durch eine obligatorische Kooperation mit den Schulsozialstationen und/oder der Schulleitung ersetzt werden. Grundsätzlich stellt sich hier die Frage: Wie soll ein von außen nicht wahrnehmbarer Vereinsraum das Konsumverhalten minderjähriger Schüler:innen beeinflussen, die nicht mal in die Vereinsräume schauen, geschweige denn Mitglied werden dürfen? Zudem schafft ein persönlicher Kontakt zu den Schulen ein Vertrauensverhältnis und könnte zukünftig auch als Vorbild für schulnahe Kneipen dienen.

– Mehrfachmitgliedschaften sollten möglich sein. Sie fördern den Wissensaustausch und erhöhen die legale Besitzmenge nicht.

– Clubs sollten die Möglichkeit haben, überschüssiges Cannabis aus Privatanbau zu testen und, so es denn sauber ist, anzukaufen. So wird es für Privatpersonen unattraktiv, überschüssiges Cannabis aus dem legalen Eigenanbau auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Ähnlich wie die jährlichen 200 Liter beim Brauen von Bier wäre nur eine für den eigenen Bedarf definierte Menge steuerfrei. Wer zuhause sauberes Weed anbaut, könnte sich sogar ein legales Zubrot verdienen und den Schwarzmarkt im Sinne der Behörden aktiv bekämpfen.

– Für eventuell anzustellendes Personal sollte ausschließlich das Vereinsrecht gelten. Sonderregeln wie die geplante Schaffung prekärer Arbeitsverhältnisse beim Cannabis-Anbau haben im Verein nichts zu suchen.

– Beschränkungen für Saatgut und Stecklinge sollten komplett wegfallen.

– Die Mitgliederzahl sollte nur dann begrenzt werden, wenn die Hürden zum Betrieb eines Clubs nicht so hoch wie derzeit geplant sind. Was hilft es, wenn ein Club statistisch 5000 Personen versorgen muss, aber nur 500 versorgen darf – oder auch umgekehrt? Wer profitiert, wenn die 4500, die nicht mehr in den Club kommen, trotz Entkriminalisierung schwarz einkaufen?

Clubs sind nicht für jede:n was
Die ursprüngliche Idee von Cannabis-Clubs war es, kleinen Grower:innen und Kiffer:innen eine Möglichkeit zu geben, ihr Gras für den eigenen Bedarf straffrei anbauen, besitzen und im Freundeskreis genießen zu dürfen. Durch den eigenen, teilweise ehrenamtlichen Anbau und die ausschließliche Abgabe an Mitglieder, ein Werbeverbot für Clubs oder ihr Produkt unterliegt von Clubs angebautes Cannabis nicht den Mechanismen des Freien Marktes. Ähnlich wie die im Obst- und Gartenbauverein angebauten Äpfel erhalten Club-Mitglieder die Früchte ihrer Arbeit deshalb zu anderen Konditionen, als die Kund:innen eines Obstladens. Wäre ja auch unlogisch, wenn man zur Pflege seines Hobbys extra einem Verein beitritt, der am Ende nur Geld und Aufwand, aber keinerlei Vorteile mit sich bringt. Deshalb ist das selbst ergärtnerte Gras in den Clubs ohne Touristen-Zugang in Spanien für die Mitglieder meistens auch viel günstiger als das in niederländischen Coffeeshops oder den Touristen-freundlichen Clubs Barcelonas.

Deshalb sind Cannabis (Social) Clubs für “cannaffine” Zeitgenossen und Zeitgenossinnen  gemacht, die sich einer jetzt zu schaffenden Cannabis-Kultur widmen wollen. Wer keinen Bock hat, Cannabis-Kulturschaffende:r zu werden, wäre im Fachgeschäft eigentlich weitaus besser aufgehoben – wenn das denn möglich wäre. Doch so heißt es wohl auch für Quartals- und Gelegenheitskiffer:innen ab 2024: Willkommen im Club! Wer darauf keine Lust oder zu wenig Zeit für das Formale hat, darf auch 25 g besitzen – und das mangels Fachgeschäften ganz ohne Herkunftsnachweis. Ein Dach mit nur einer Säule ist eben nicht belastbar und kippt sofort. Deshalb könnte, falls die Säule zwei nicht sehr zeitnah verabschiedet wird, die tragende Rolle der zweiten Säule bis auf Weiteres von einem Schwarzmarkt mit viel weniger Hemmungen als momentan ersetzt werden. 

Schaut euch zu diesem Thema auch Michas aktuelles Video auf Youtube an!

Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Ausstiegsdroge Cannabis

Therapieerfolge in den USA und Kanada lassen aufhorchen

Cannabis-Gegner:innen nennen die nicht mehr lange verbotene Pflanze gerne Einstiegsdroge. Cannabis sei nur eine unter vielen, weitaus gefährlicheren, illegalen Substanzen und bilde somit Grundlage einer zerstörerischen Drogenkarriere. Obwohl diese Theorie wissenschaftlich längst widerlegt ist und man das sogar seit 2010(!) auf drugcom.de, dem Aufklärungsprojekt der Bundesregierung zu Cannabis nachlesen kann, wird diese Fehleinschätzung von cannaphoben Zeitgenoss:innen gebetsmühlenartig wiederholt.

Selbst das US-amerikanische NIDA (National Institute of Drug Abuse), das jedweden Konsum von Drogen kategorisch ablehnt, ist sich nicht mehr ganz so sicher, ob Cannabis eine Einstiegsdroge ist, weil „die meisten Cannabis-Konsument:innen keine härteren Drogen konsumieren“.

Wirklich gefährlich ist in diesem Zusammenhang höchstens die Illegalität: Wer seine Kräuter über dunkle Kanäle beziehen muss, kommt immer mal wieder mit Menschen in Kontakt, die neben Cannabis auch andere Substanzen anbieten. Ansonsten gibt es keinen Beweis, dass Cannabis zum Konsum anderer Substanzen motiviert, im Gegenteil: Vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet, erfüllt Cannabis eigentlich die Kriterien einer Ausstiegsdroge.

Schadensminderung als oberstes Ziel moderner Drogenpolitik

Die Substitution einer psychoaktiven Substanz durch eine andere mit dem Ziel, gesundheitliche und soziale Folgeschäden zu begrenzen, gilt als eine der vier Säulen der deutschen Drogenpolitik und heißt „Überlebenshilfe und Schadensminderung“. Cannabispatient:innen machen nichts anderes, wenn sie ihre Blüten als Alternative zu Alkohol, Medikamenten und illegalen Drogen verwenden, deren Missbrauch, anders als der Konsum von medizinischem Cannabis, tödlich enden kann.

US-amerikanische Forscher:innen schlagen sogar vor, medizinisches Cannabis im Rahmen einer ärztlichen Behandlung legal als Ausstiegsdroge verwenden zu können, um so den Gebrauch anderer, gesundheitlich bedenklicherer Substanzen wie Opioide und Opiate zu verringern. Dieser Effekt ist bereits statistisch nachweisbar. In den USA ist die Zahl der Todesfälle durch legalen Opioiden und illegalen Opiaten seit der Jahrtausendwende im Bundesdurchschnitt immens angestiegen. Lediglich in Bundesstaaten, wo Cannabis zum Freizeitgebrauch oder aus medizinischen Gründen legal war, konnte seit 2014 ein messbarer Rückgang der Todesfälle durch Opioide verzeichnet werden.

Die Studienlage ist vielversprechend

Das Potential von Cannabis als schadensmindernde Substanz belegen, neben zahlreichen Einzelfallbeispielen, mittlerweile eine Vielzahl von Studien aus den USA und Kanada.

Die erste Studie der Universität Berkeley von 2009 war zwar noch nicht so dezidiert, kam aber prinzipiell zum selben Ergebnis wie die meisten Nachfolge-Erhebungen. Damals wurden 350 Patient:innen eines medizinisches Cannabis Kollektivs in Berkeley (Kalifornien) zu ihren Konsumgewohnheiten befragt. Insgesamt gaben 71 Prozent der Teilnehmer:innen an, unter einer chronischen Erkrankung zu leiden. 52 Prozent der Befragten verwendeten Cannabis gegen chronische Schmerzen und 75 Prozent nutzten Cannabis aufgrund einer psychischen Erkrankung. Die Autor:innen folgerten: Cannabispatienten substituieren sich, indem sie Cannabis als Alternative zu Alkohol sowie verschriebenen Medikamenten und illegalen Drogen nähmen. 40 Prozent hatten Medizinalhanf als Ersatz für Alkohol, 26 Prozent als Ersatzstoff für andere, illegale Substanzen und 66 Prozent als Ersatzmittel für verschreibungspflichtige Medikamente verwendet. Die meistgenannten Gründe der Substitution waren weniger starke Nebenwirkungen der Medikamente (65 Prozent), eine bessere Linderung der Symptome (57 Prozent) und weniger Entzugserscheinungen (34 Prozent) durch Cannabis.

Drei Jahre später sammelten kanadische Forscher:innen in vier Cannabisapotheken in British Columbia mithilfe des Personals und der Patient:innen Daten zum vergangenen und gegenwärtigen Cannabis-, Alkohol- und Substanzgebrauch, um sie anschließend demografisch auszuwerten. Im Rahmen der Studie wurden Daten von 404 anonymisierten Cannabis-Patient:innen auf das Phänomen des Substitutionseffekts von Medizinal-Hanfblüten hin untersucht. Hierbei sollte herausgefunden werden, ob der Konsum einer Substanz durch die Verwendung oder Verfügbarkeit einer anderen beeinflusst wird.

Über 41 Prozent (158 Personen) gaben an, Cannabis als Ersatz für Alkohol zu verwenden, 36,1 Prozent (137 Personen) verwendeten Cannabis als Ersatz für illegale Substanzen und 67,8 Prozent (259) gaben an, Cannabis als Ersatz für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu nutzen. Die drei wichtigsten Gründe für eine Substitution mit Cannabis waren weniger Entzugssymptome (67,7 Prozent), weniger Nebenwirkungen (60,4 Prozent) und besseres Symptommanagement. Insgesamt ersetzten 75,5 Prozent (305) der Befragten mindestens eine andere, gesundheitlich gefährlichere Substanz durch Cannabis. Das deutet darauf hin, dass bereits jetzt, da Cannabis nicht in staatlichen Substitutionsprogrammen zur Verfügung steht, schon viele Patient:innen Cannabis als wirksame Substitutionshilfe und als sicherere Ergänzung oder Alternative zu ihrem verschreibungspflichtigen Medikament nutzen, schlussfolgern die kanadischen Forscher in der Studie.

Eine Meta-Studie von 2016 untermauerte diese ersten Hinweise. Meta-Studien basieren nicht auf neuen Forschungen, sondern analysieren und fassen Studienergebnisse anderer Studien zusammen. In diesem Fall wurden Daten von 60, meist kleineren Studien über den medizinischen und den nicht-medizinischen Cannabis-Konsum ausgewertet. Allerdings wiesen die Forscher:innen darauf hin, dass ein Großteil der ausgewerteten Studien zu wenige Teilnehmer:innen inkludierten. Das könnte wiederum an den schwierigen Bedingungen liegen, die das Erforschen einer 2016 noch fast weltweit illegalen Substanz mit sich bringt. Trotzdem sprechen die Ergebnisse auch hier eine klare Sprache:

Die 60 ausgewerteten Studien bestätigen, dass Cannabis in einer Weise mit anderen, illegalen Substanzen interagiert und deren Konsum beeinflusst. Bei vielen Abhängigen sei die Bereitschaft, sich mit Cannabis zu substituieren, oft höher als die, klassische Substitutionsmittel einzunehmen.

Medizinisches Cannabis und Opioidmissbrauch

Der krisenhafte Opioidkonsum und -missbrauch  in den Vereinigten Staaten hat im Laufe des letzten Jahrzehnts die Forschung zur Ausstiegsdroge Cannabis intensiviert. Deren Ergebnisse wiederum haben die Akzeptanz US-amerikanischer Mediziner:innen für medizinisches Cannabis positiv beeinflusst. Medizinisches Cannabis wird in den USA aktuell sowohl als Ersatz für opioidbasierte Schmerzmittel, als auch als potentielles Mittel zur Behandlung von Opioidabhängigkeit verschrieben. Eine Reihe von Umfragen deutet zudem auf eine wachsende Präferenz für medizinisches Cannabis als erstes Mittel der Wahl bei der Behandlung chronischer Schmerzen hin.

Als Vorteile von Cannabis gegenüber Opioiden werden geringere Nebenwirkungen, ein geringeres Risiko einer physischen Abhängigkeit sowie im Falle einer Abhängigkeit die sanfteren Entzugserscheinungen genannt. Schon 2016 bewies eine Studie, dass die Legalisierung von medizinischem Cannabis auf bundesstaatlicher Ebene zu einem Rückgang der Verschreibungen von Opioiden um bis zu 12 Prozent geführt hat.

Eine 2021 veröffentlichte Studie aus Delaware, in deren Rahmen Patient:innen Opioide zur Schmerzbehandlung einnahmen, ergab, dass die Aufnahme von medizinischem Cannabis in Behandlungsprogramme zu einem durchschnittlichen Rückgang der Opioideinnahme um 31 Prozent führte.

In einer weiteren Studie aus dem Jahr 2020, sollten die Proband:innen über einen Zeitraum von drei Monaten und länger Opioid-Medikamente einnehmen. Die Aufnahme von medizinischem Cannabis in ihre Behandlungsprogramme führte zu einem Rückgang der Opioideinnahme um 45 Prozent. Darüber hinaus konnten etwa 40 Prozent der befragten Patient:innen die Einnahme von Opioiden ganz einstellen.

Auch eine Umfrage unter etwa 200 Personen, die sich in einem Opioidentzug befanden, ergab, dass die Mehrheit der Befragten Cannabis nicht wie ein klassisches Opioid- oder Opiat-Substitut, sondern gezielt zur Linderung ihrer Entzugssymptome nutzen. Darüber hinaus gab die Studie Hinweise darauf, dass die Verabschiedung von Gesetzen zu medizinischem Cannabis zu einer geringeren Sterblichkeitsrate bei Opioidüberdosierungen auf Landesebene führen kann.

„Cannabis nimmt mir den Saufdruck“

Auch in Deutschland gibt es immer wieder mal Berichte zur „Ausstiegsdroge Cannabis“, auch wenn die nationale Studienlage zu Cannabis als Substitutionsmittel noch ein weißes Blatt ist. Doch als Abhängige:r ist es bereits möglich, eine Verordnung zum Erwerb von Cannabisblüten zu erhalten, wenn der behandelnde Arzt oder Ärztin vom Erfolg der Therapie überzeugt ist. Cannabis-Patient Karl „Shorty“ Huber war früher Alkoholiker und substituiert sich seit Jahren mit Cannabis. Anfangs illegal, verfügt der 52-Jährige seit April 2015 über eine Ausnahmegenehmigung zur Selbsttherapie mit Cannabisblüten, respektive seit 2017 über eine ärztliche Verordnung „Cannabis nimmt mir den Saufdruck. Alkohol ist ein Rauschgift, Cannabis ein Rauschmittel“, beschreibt Shorty die Wirkungsweise seiner pflanzlichen Ersatzdroge, die ihm seit vielen Jahren ein geregeltes Leben und intaktes, soziales Umfeld ermöglicht. Mittlerweile gibt es zahlreiche wissenschaftliche Belege für Karl Hubers Beispiel:

– Eine bereits 2009 im Harm Reduction Journal veröffentlichte Studie ergab, dass jeder der elf befragten Cannabisärzte und -ärztinnen in Kalifornien Patient:innen behandelte, die Cannabis als Ersatz für Alkohol verwendeten, und dass 90  Prozent  dieser Patienten ihren Alkoholkonsum nach Beginn der Therapie reduziert hatten. In demselben Artikel wurden die Ergebnisse einer Umfrage unter Alkoholabhängigen beschrieben, die nach eigenen Angaben Cannabis als Ersatz für Alkohol konsumierten. Die Umfrageteilnehmer empfanden die Cannabissubstitution als “sehr wirksam” (50  Prozent ) oder “wirksam” (50  Prozent ). 10 Prozent gaben an, seit über einem Jahr aufgrund ihrer Cannabis-Therapie alkoholabstinent zu leben. 21  Prozent  berichteten über einen Rückfall, sobald sie den Cannabiskonsum eingestellt hatten.

– Nach einem fünfjährigen Studium der Entwicklung des Cannabis-und Alkoholkonsums in Colorado, sprachen die Studienautor:innen vom Nachweis einer nuancierten Beziehung zwischen Alkohol- und Cannabis. Der Konsum von Cannabis war mit einem Rückgang des Alkoholkonsums um 29  Prozent  verbunden und verringerte die Häufigkeit von Alkoholexzessen um die Hälfte. Das galt für Frauen und Männer gleichermaßen – egal ob sie gelegentlich oder auch regelmäßig Cannabis konsumierten.

– Eine kanadische Umfrage unter Cannabis-Patient:innen konnte 2019 belegen, dass der Alkoholkonsum der Teilnehmer:innen während der Therapie um 44  Prozent  sank. Je jünger die Probanden waren, desto deutlicher war dieser Effekt. Patient:innen, die ihre Therapie speziell zur Behandlung ihres Alkoholkonsums begannen, hatten eine überdurchschnittliche Erfolgsaussicht auf eine effizenteTherapie.

– Eine kanadische Studie an jungen Cannabiskonsument:innen hat 2020 belegt, dass diese ohne Cannabis ihren Alkoholkonsum um durchschnittlich 60 Prozent  steigerten. Nach Wiederaufnahme des Cannabiskonsums sank ihr Alkoholkonsum auf das Niveau vor der Studie.

Cannabis und Benzodiazepine

Mehr als 30 Millionen Amerikaner:innen nehmen BenzodiazepineMedikamente in irgendeiner Form ein. Auch in Deutschland werden diese Beruhigungsmittel massenhaft verordnet. Es wird angenommen, dass auch in Deutschland zwischen ein und zwei Prozent der Bevölkerung täglich Benzodiazepine einnehmen. Eine Einnahme von Benzodiazepinen über einen kurzen Zeitraum hinweg gilt unter Mediziner:innen als sicher und wirksam. Die Einnahme kann jedoch Nebenwirkungen wie Schwindel, Schwäche, Verwirrung, Sehstörungen, Panikattacken, Zittern und Depressionen hervorrufen. Aber seit mehreren Jahren wächst die Besorgnis über den Trend zum Missbrauch und dem Langzeitkonsum dieser Medikamente: Nebenwirkungen wie Toleranzbildung, physische Abhängigkeit, Gedächtnisstörungen, psychotisches Verhalten, veränderte Persönlichkeit, ein erhöhtes Unfallrisiko beim Autofahren und ein deutlicher Anstieg von Hüftfrakturen geben nicht erst seit gestern Anlass zur Sorge. Valium oder Tafil sind nur zwei von vielen Medikamenten dieser Wirkstoffgruppe, die viel zu häufig zur Linderung von Angstzuständen, zur Muskelentspannung, bei Schlaflosigkeit und Krampfanfällen, bipolaren Störungen und Alkoholentzugssymptomen verschrieben werden.

Der übermäßige Einsatz von Benzodiazepinen hat dazu geführt, dass Medizin und Forschung nach alternativen Behandlungsmöglichkeiten suchen. In den USA ist medizinisches Cannabis einer dieser neuen Ansätze. Schon seit 1986 weiß man, dass Cannabis die gleichen Rezeptoren wie Benzodiazepine ansprechen kann, um ähnliche angstlösende Wirkungen zu erzielen, wie klassische Medikamente. Die umfassende Datenanalyse einer App zur Erfassung der Symptome von Cannabispatient:innen ergab, dass die Nutzer nach dem Cannabiskonsum eine 50  prozentige Verringerung von Depressionen und eine 58  prozent ige Verringerung von Ängsten und Stress empfanden. Eine kanadische Studie von 2019 konnte nachweisen, dass medizinisches Cannabis den Benzodaizepin-Gebrauch senken kann. Eine US-Tierstudie desselben Jahres legt zudem nahe, dass Cannabidiol eine rasche und anhaltende Antidepressiva ähnliche Wirkungen induziert.

Cannabis gegen Cannabis-Konsumstörung?

Klingt erst einmal, wie den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, hat aber einen durchaus seriösen Hintergrund: Die Konsumstörungen beziehen sich auf das Cannabinoid THC. Einer der Benchmark-Berichte über die Verwendung von CBD-lastigem Cannabis zur Behandlung von Cannabisstörungen wurde in der Juli-Ausgabe 2020 von The Lancet Psychiatry veröffentlicht. In der Studie wurden Erwachsene, bei denen eine Cannabiskonsumstörung diagnostiziert wurde, mit unterschiedlichen Dosen des Cannabinoids CBD behandelt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass CBD, sofern es in der richtigen Dosis verabreicht wird, bei der Behandlung mittelschwerer bis schwerer Fälle von Cannabiskonsumstörungen wirksam sein kann.

Die medizinische Literatur enthält wenige, dafür aber bemerkenswerte Erkenntnisse zu diesem Phänomen. In einer Fallstudie wurde einem männlichen Patienten mit einer langen Vorgeschichte, einer bipolaren Störung und einer Cannabiskonsumstörung erlaubt, weiterhin täglich Marihuana zu konsumieren, allerdings unter Zugabe von CBD-Öl. Im Verlauf der Therapie berichtete der Patient über eine Abnahme der Angstzustände und eine Verbesserung des Schlafs bei gleichzeitiger Reduzierung des täglichen Cannabiskonsums.

Ähnliche Ergebnisse lieferten die Fallberichte einer Frau, die Cannabis-Entzugssymptome wie Angstzustände und dissoziative Verhaltensweisen zeigte. Im Laufe einer 10-tägigen täglichen CBD-Gabe verschwanden diese Symptome, was die Autor:innen des Berichts zu dem Schluss kommen ließ, dass CBD bei der Behandlung des Cannabisentzugssyndroms wirksam sein könnte.

Und was ist mit Kokain?

Während die Opioid-Epidemie die US-Schlagzeilen beherrscht, haben die USA zudem weiterhin ein massives Kokainproblem. Bei den meisten der fast 20.000 Todesfälle im Jahr 2020 handelte es sich um eine Kombination aus Kokain- und Opioidmissbrauch. Aber auch der Kokainmissbrauch an sich fordert nach wie vor einen hohen Tribut. In den USA mehren sich im Rahmen der aktuellen Forschung die Hinweise, dass CBD ein hohes Potential zur Behandlung der Kokainabhängigkeit aufweisen könnte.

In einem Bericht der Zeitschrift Addiction Biology wird beschrieben, wie eine CBD-Behandlung bei kokainabhängigen Labormäusen zu einer deutlichen Verringerung einer selbst gewählten Dosis führte. Andere Studien, die ebenfalls an Labormäusen durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass CBD die durch Kokain ausgelösten Belohnungsmechanismen im Gehirn positiv beeinflusst. Das sei nach Meinung der Forscher:innen der Grund für eine niedrigere, selbst gewählte Kokaindosis. Auf der Grundlage einer systematischen Überprüfung von 52 Studien über den therapeutischen Einsatz von CBD zur Behandlung der Kokainabhängigkeit kamen die Autoren zu dem Schluss, CBD sei womöglich eine vielversprechende Zusatztherapie bei der Behandlung von Kokainabhängigkeit. Da diese Studie an Mäusen durchgeführt wurde, bedarf es weiterer Forschung, bevor man wissenschaftliche Rückschlüsse auf das Potential von CBD bei Kokain-Abusus ziehen kann.

Europa hinkt hinterher

In Deutschland und in ganz Europa sind die gesellschaftlichen Probleme im Zusammenhang mit dem Missbrauch vieler in diesem Artikel erwähnter Substanzen ähnlich groß wie in den USA: Leider ist die Substitution der hier beschriebenen Substanzen mit Cannabis in Europa, anders als in Übersee, noch eher die Ausnahme. Aber gerade hier sollten die Ergebnisse aus Nordamerika und viele Fallberichte aus Europa Anlass genug sein, das Potential der Ausstiegsdroge Cannabis schnell zum Gegenstand umfassender medizinischer Forschung zu machen. Denn an einer Überdosis Cannabis ist – anders als an allen anderen hier erwähnten Substanzen –  bis heute noch niemand gestorben.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Medizinisches Cannabis im Alltag – wann und wo darf ich konsumieren?

Die medizinische Verwendung von Cannabis zu Ausnahmezwecken ist seit 2007 zulässig. Ohne Ausnahmegenehmigung ist sie seit der Schaffung eines entsprechenden Gesetzes 2017 legal. Patient:innen, die über ein gültiges Rezept verfügen, dürfen Cannabis nach ärztlicher Verordnung einnehmen. Wird eine inhalative Einnahme verordnet, sollen Patient:innen im Normalfall mehrmals täglich eine auf dem Rezept festgelegte Menge inhalieren. Doch auch Cannabis-Patient:innen wollen und müssen ihre Wohnung über mehrere Stunden hinweg verlassen, verreisen und arbeiten gehen.

Da drängt sich die Frage auf, wie und wo die Medizinalblüten gefahrlos inhaliert werden dürfen. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als zuständige Behörde stand früher, der Konsum dürfe in der Öffentlichkeit nicht ostentativ, also „zur Schau stellend“, stattfinden. Mittlerweile wurde das Wording geändert und es heißt „[…],  sollte die Anwendung – wenn immer möglich – nicht im öffentlichen Raum stattfinden.

Das Problem bei beiden Formulierungen ist deren Schwammigkeit. Sowohl „nicht ostentativ” als auch „wenn immer möglich” sind rechtlich sehr dehnbar. Die Vorgabe der Behörde ist im Prinzip unbrauchbar, weil es sich weder um ein klares Verbot noch eine klare Regelung handelt.

Medizinisches Cannabis riecht wie Gras

Da man den meisten Cannabis-Patient:innenn ihren Status nicht von außen ansieht, werden sie in der Öffentlichkeit oder von Polizeibeamt:innen meist als Freizeit-Kiffer:innen wahrgenommen. Das führt immer noch regelmäßig zu unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahmen. Eine Dienstanweisung der Polizeiführung zum Umgang mit diesem Phänomen, wie sie in Berlin schon seit 2015 existiert, gibt es nicht längst in jedem Bundesland.

Auch eine Anfrage des Deutschen Hanfverbands vom September 2017 konnte die Frage, wie und wo man medizinisches Cannabis ungestraft einnehmen könne, nicht endgültig klären.

Die meisten Bundesländer stellen den Konsum mit dem von Nikotinprodukten gleich. Wer über eine entsprechende Verordnung verfügt, darf dort inhalieren, wo andere rauchen dürfen. Aber auch das variiert von Bundesland zu Bundesland ein wenig. Thüringen und Rheinland-Pfalz hatten dem DHV 2017 sogar geantwortet, man werde Cannabis-Patient:innen auch mit gültigen Papieren einer Leibesvisitation unterziehen.

Auf erneute Nachfrage antwortete das Innenministerium in Rheinland-Pfalz Ende April 2023 dann, die Polizei kontrolliere lediglich die Personalien und die erforderlichen Dokumente, welche den Status als Patient:in belegen. Das Thüringer Innenministerium antwortete, die Polizei gehe jedwedem Cannabis-Konsum in der Öffentlichkeit nach. Erst im zweiten Schritt könne „logischerweise die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren klären, ob eine medizinische Indikation nachgewiesen werden konnte. Es geht also nicht ums “filzen” von Cannabis-Patienten, sondern um die Kontrolle von Cannabis rauchenden Konsumenten.”

Die Medizin ist in so einem Falle trotzdem erstmal ohne Rechtsgrundlage weg – auch wenn ein:e Patient:in nicht gefilzt wird. So ist nicht wie von vielen erwartet Bayern, sondern das Rot/Rot/Grüne Thüringen derzeit das einzige Bundesland, in dem der nicht ostentative Konsum von medizinischem Cannabis zu mehr als einer gewöhnlichen Überprüfung führen könnte.

Fehlende Rechtssicherheit

Leider gibt es nach sechs Jahren „Cannabis als Medizin“-Gesetz immer noch keine klaren Vorgaben für Cannabis-Patient:innen, die außerhalb ihrer eigenen vier Wände ihre Medizin einnehmen müssen. Auf Veranstaltungen wie der Hanfparade oder dem 420Day akzeptiert die Berliner Polizei den so genannten Patientenbereich – eine Art Käfig für Patient:innen – weil man sie sonst nicht von den Freizeitkonsumierenden unterscheiden könne. Die rechtliche Grundlage hierfür ist mehr als fragwürdig, schließlich ist der reine Konsum auch bei Freizeitusern nicht strafbar. Von Cannabis-Patient:innen zu verlangen, sich vom Rest einer Hanfdemo abzugrenzen, um nicht für Kiffer gehalten zu werden, ist auch kaum nachvollziehbar. 

Zu guter Letzt lassen die Definitionen „ostentativ“ oder „wenn immer möglich” auch zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten zu, die schlussendlich nur von Gerichten geklärt werden können. Nur weil eine Beamtin oder ein Beamter etwas riecht, findet der Konsum nicht zwingend ostentativ statt. Anders sieht es natürlich aus, wenn man sich provokativ neben eine:n Polizist:in stellt, um sie oder ihn ein wenig anzupusten oder anderweitig auf sich aufmerksam zu machen. Für solche unlustigen Späßchen kann man sogar gemäß §32a des Betäubungsmittelgesetzes bestraft werden. So geschehen Anfang 2021 in Führt (Bayern), wo ein Cannabis-Patient vom Oberlandesgericht wegen eines Verstoßes gegen §32 BtmG zu einem Ordnungsgeld in Höhe von 50 Euro verdonnert worden war. §32a definiert eben jene Ordnungswidrigkeiten im BtmG, die nicht als Straftaten gelten.

Auch sechs Jahre nach Einführung des Gesetzes haben Cannabis-Patient:innen keine richtige Rechtssicherheit. Bei Kontrollen durch die Polizei passiert es immer noch, dass sie wie Schwerverbrecher zu Boden gedrückt und gefesselt werden, bevor das Rezept überhaupt gezeigt und kontrolliert werden konnte. Um nicht Opfer eines BTM-Ermittlungsverfahrens zu werden, sollten Cannabis-Patient:innen in der Öffentlichkeit ein paar grundlegende Regeln beachten:

Entscheidend sind hier die Wahl des Orts zur Medizineinnahme sowie das Verhalten vor und während des Medizinierens – dann klappt’s auch mit der Polizei und ohne Anzeige.

Kann ich meine Medizin einnehmen – und wenn ja, wo und wie?

Immer zu beachten:

– Originalverpackung, Rezeptkopie und andere Belege (Quittung, Dosierempfehlung) sollten griffbereit sein.

– Dritte sollten dem Geruch – wenn möglich – nicht ausgesetzt werden. Geht es nicht anders, gilt es, einen ausgewiesenen Raucherbereich aufzusuchen.

– Ist ein solcher nicht zu finden, kann man sich an eventuell anwesendes Sicherheits- oder Wachpersonal wenden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass man bei den Mitarbeiter:innen von Sicherheitsdiensten als Cannabis-Patient:in meist auf Verständnis trifft. Gleiches gilt für eventuell anwesende Polizeibeamte. Eine freundliche Frage/Klarstellung vorm Inhalieren beugt vielen Missverständnissen vor.

Beim Führen von Kraftfahrzeugen …

… sollte man grundsätzlich nicht konsumieren. Auch das eigene Auto eignet sich nur in absoluten Notfällen zur Inhalation von Medizinal-Hanfblüten. Für Patient:innen mit Führerschein gilt zwar der allgemeine Grenzwert von 1ng THC/mg Blutserum nicht, dafür aber umso mehr die so genannte Compliance-Regelung. Dazu gehört auch, dass der Arzt oder die Ärztin im Rahmen eines Vorgesprächs zur Fahrtauglichkeit einen Zeitraum definiert, von dem an vor Fahrtantritt kein Cannabis konsumiert werden sollte. Diese Zeitspanne wird individuell sehr unterschiedlich definiert und kann zwischen 20 Minuten und mehreren Stunden liegen. Wenn es dann im Auto nach Gras riecht oder man gar am Inhalieren ist, verschafft man der Polizei gleich einen Anfangsverdacht, der Folgemaßnahmen bis hin zur Blutentnahme und einem vorübergehenden Fahrverbot umfasst.

Im Park oder anderen Freizeiteinrichtungen …

… können Patient:innen ihre Medizin nach Belieben unter Einhaltung der ärztlichen Verordnung einnehmen. Sie sollten sich jedoch vorher vergewissern, dass sich im näheren Umkreis keine Kinder oder empfindliche Personen befinden, die den Ausdünstungen ausgesetzt werden. In Deutschland ist hier kein genauer Abstand definiert, in Kanada sind es zum Beispiel neun Meter. Ausnahmen bilden ausgewiesene Nichtraucherbereiche.

Auf Reisen …

… ist es für Patient:innen oft unvermeidbar, öffentlich zu konsumieren. Die Deutsche Bahn behandelt Cannabispatient:innen sogar offiziell wie Raucher:innen von Kippen oder E-Zigaretten. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 2017 heißt es:

Sofern die Vorgaben aus §13 Abs. 1 erfüllt sind und der Konsument dies belegen kann sowie durch die Einnahme keine Gefahr für Leib und Leben oder den Eisenbahnbetrieb erzeugt wird, darf der Patient in den dafür vorgesehenen Raucherbereichen der Bahnhöfe der DB Cannabis […] konsumieren. Sofern er dies in provokanter Form oder für andere Bahnhofsbesucher belästigender Form tut, behalten wir uns als Hausrechtsinhaber vor, die zuständigen Sicherheitsbehörden hinzuzuziehen. Sofern ein Konsument seine Berechtigung zum Konsum gegenüber unseren Mitarbeitern oder im Namen der DB beauftragten Unternehmen auf Nachfrage nicht nachweisen kann oder möchte, behalten wir uns ebenfalls vor, Maßnahmen des Hausrechts einzuleiten und die zuständigen Sicherheitsbehörden zur Klärung des Sachverhalts hinzuzuziehen.

An deutschen Flughäfen gibt es leider keine einheitliche Linie, weil es fast so viele Betreibergesellschaften wie Flughäfen gibt. Am besten aktiv einfach bei der Security oder der Polizei nachfragen, wo und wie es niemanden stört.

Im Rahmen einer Sicherheitskontrolle am Flughafen gibt es bundesweit eklatante Unterschiede. Während die Berliner Sicherheitsleute sich gar nicht für Cannabis, ob medizinisch oder nicht, zuständig fühlen, ruft man in München beim Fund einer Dose aus der Apotheke die Polizei. Aber wer Deutschland verlässt, führt ohnehin eine Mitnahmebescheinigung bei sich. Bei Inlandsflügen reichen Rezeptkopie und Quittung aus der Apotheke.

Vor den eigenen Kindern …

… sollte die Einnahme nur in Ausnahmefällen geschehen. Zuhause nutzen Patient:innen meist einen abgetrennten Raum, den Balkon oder die Terrasse, um die Sprösslinge nicht einzudampfen. Unterwegs müssen sie oft zusätzlich darauf achten, während des Medizinierens die Aufsichtspflicht nicht zu verletzen. Für die Kinder heißt das, den Dunstkreis, aber nicht das Sichtfeld der/des Erziehungsberechtigten zu verlassen. Demnach sollte der Vorgang mit einem gewissen Abstand geschehen, damit der Nachwuchs das Inhalat nicht einatmen kann, Mama oder Papa ihn aber trotzdem sehen können.

Beim Ausgehen …

… gilt der Nichtraucherschutz. Aber dort besteht keine bundeseinheitliche Regelung. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass Betreiber:innen von Gastronomiebetrieben mit Raucherbereich gegenüber Cannabis-Patient:innen erstaunlich aufgeschlossen sind. Wo es die Gastro-Regeln zulassen, kann man einfach die Wirtin oder den Wirt fragen, ob man zusammen mit den Raucher:innen seine Medizin einnehmen darf. Aufgepasst: Ohne die freundliche Vorab-Frage kann man auch ganz schnell rausfliegen, denn hier gilt das Hausrecht der Betreiber:innen. Ein:e Wirt:in, die/der nicht möchte, dass neben Zigaretten auch medizinisches Cannabis konsumiert wird, darf das ohne Begründung durchziehen.

Auf der Arbeit …

… geht es oft nicht ohne Medikation. Grundsätzlich darf die Cannabis-Therapie auch kein Kündigungsgrund sein. Ob Patient:innen auch unmittelbar vor oder während der Arbeit inhalieren dürfen, ist nicht genau geregelt. Es gibt hier unterschiedlichste Urteile, die eng im Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit stehen. So wurde ein Berliner Feuerwehrmann in den Innendienst versetzt, weil er unter dem Einfluss seiner Cannabis-Medizin nicht mehr in der Lage sei, schwere Maschinen zu führen. Auch eine Polizistin aus NRW schiebt zurzeit Innendienst, weil ihr Vorgesetzter seit dem Outing als Patientin den Bürger:innenkontakt nicht mehr zutraut.

Grundsätzlich müssen bei den auszuführenden Tätigkeiten von Cannabis-Patient:innen eine Selbst- oder Drittgefährdung ausgeschlossen sein.

Im Krankenhaus … 

… dürfen Cannabis-Patient:innen, die stationär behandelt werden, ihre Medizin normalerweise dezent an der frischen Luft einnehmen. Gibt es einen Raucherbereich auf dem Gelände, sollte man eine Einnahme dort vorher mit dem Personal absprechen. Bettlägerige Patient:innen können um eine alternative Behandlung mit Extrakten oder Dronabinol bitten. Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin muss unbedingt über die Therapie informiert werden.

Auf der Pirsch …

… dürfen jagende Cannabis-Patient:innen theoretisch auch im Wald konsumieren, wenn sie ihren Jagdschein nicht schon vorher abgeben mussten. Oder sie bekommen erst gar keinen. Hier ist die Rechtsprechung in Deutschland einhellig. Zwei jagende Cannabis-Patienten (Nummer 1, Nummer 2) hatten unabhängig voneinander versucht, gerichtlich dagegen vorzugehen und waren unisono gescheitert. In den USA ist die Frage nicht einheitlich geregelt. Während man in den meisten Staaten mit medizinischem Cannabis-Programm keine Waffe besitzen darf, dürfen Cannabis-Patient:innen in South Dakota oder in Minnesota auf die Jagd gehen.

Im Knast …

… muss die Therapie meistens pausieren. Ein Berliner Cannabis-Patient, der sich gegen diese Praxis wehren wollte, musste seine von der Krankenkasse genehmigte Therapie zum Haftantritt abbrechen. Die behandelnde Ärztin zeigte sich hingegen offen gegenüber einer Tilidin-Therapie –  was der Patient wiederum ablehnte.

Die Begründung des Senats als Betreiber der Einrichtung: Das generelle Einbringungsverbot für Cannabis gelte auch für medizinisches. Eigentlich ist das Gefängniskrankenhaus verpflichtet, vor Haftantritt begonnene Therapien fortzusetzen – mit Ausnahme von Cannabis. Ähnliche Fälle sind in Bayern und Baden-Württemberg dokumentiert.

Selbst eine Klage gegen diese Praxis hat dem Berliner Patienten 2021 nicht geholfen, seine Therapie hinter Gittern legal fortzusetzen – im Gegenteil. Die Klage führte zu einer dreimonatigen Verzögerung der Freigangerlaubnis. Immerhin wurde ihm nach dem Aufstieg zum Freigänger angeboten, seine Therapie während der Zeit außerhalb der Gefängnismauern wieder aufzunehmen. In der Praxis heißt das, dass eine Urinkontrolle positiv auf Cannabis sein darf, die Einnahme und Verwahrung jedoch nicht auf dem Gelände der Haftanstalt stattfinden dürfen.

Im Nachhinein …

… ist es kaum nachvollziehbar, wieso Cannabis-Patient:innen auch sechs Jahre nach Einführung des Gesetzes nicht mehr Rechte als Zigarettenraucher:innen haben. Ebenso unerträglich ist die anhaltende Stigmatisierung als Kiffer:in. Einerseits schauen BMG und BfArM tatenlos zu, wie medizinisches Cannabis unter den vielen verschreibungspflichtigen Betäubungsmitteln weiterhin den Sonderstatus behält, der den Umgang für die Betroffenen schwieriger macht als den mit allen anderen legalen Betäubungsmitteln. Andererseits ist die einzige Aussage zum Umgang in der Öffentlichkeit so schwammig wie nur möglich formuliert. Am Ende müssen die Patient:innen, wie so oft, hoffen, dass sie alles richtig machen und bei der Überprüfung ihres Status nicht an die oder den Falschen geraten.


Hinweis: Grundsätzlich spiegeln namentlich gekennzeichnete Beiträge nicht immer die Positionen von avaay und/oder der Sanity Group wider, sondern sind Ausdruck der pluralistischen Perspektiven und Ansätze der Autor:innen im Rahmen einer modernen Cannabis-(Drogen)-Politik/Thematik.

Legal – illegal – Weedpokal: Die Grundlagen der modernen Cannabis-Zucht

Fast alle Cannabis-Sorten haben wohlklingende Namen. Manche sind einer highteren Phantasie entsprungen, andere beschreiben die Eigenschaften sowie die Wirkung eines Strains. Einige Züchter:innen halten es wie Biolog:innen und nutzen den eigenen Namen zur Benennung einer neuen Cannabis-Sorte.

Insbesondere die erste Generation der zu dieser Zeit ausnahmslos männlichen, damals noch kriminellen Cannabis-Züchter hat eine Reihe von Legenden hervorgebracht: Die Haze-Brüder, David Watson aka Sam the Skunkman, Neville Schoenmakers, Scott Blakey aka Shantibaba, Karel Schelfhout, Ben Dronkers, Soma sowie einige andere haben mit ihren Sorten zwischen 1970 und 2000 die Grundlagen der modernen Cannabiszucht geschaffen. Der lange illegale Status ihres Treibens hat natürlich einen großen Teil zur Legendenbildung beigetragen.

Not macht erfinderisch – zu den Ursprüngen der Cannabislegenden

Den größten Verdienst an der weltweiten Breeder-PR haben allerdings die Strafverfolgungsbehörden. Alle Breeder der modernen Cannabis-Zucht wurden früher oder später aufgrund ihrer Aktivitäten kriminalisiert, eingesperrt und nicht selten mit de facto Berufsverboten belegt. Schlussendlich hat die weltweite Verfolgung von Breedern nicht die Entwicklung neuer Cannabissorten verhindert, sondern zur Heroisierung ihrer Entwickler geführt.

Die meisten dieser Weed-Pioniere können heute trotz aller Schwierigkeiten auf eine erfolgreiche Karriere als Cannabis-Züchter zurückblicken. Einige wie Karel Schelfhout oder Ben Dronkers konnten aus dem einst halb-legalem Business sogar ein erfolgreiches Familienunternehmen machen und ihr Wissen in diesem Zuge erfolgreich ihren Söhnen vermitteln.

Die Cannabis-Zucht: oft ein Familien- und Männerbusiness

So war Ben Dronkers Sohn Alan maßgeblich an der Schaffung von „Jack Herer“ und anderen Sensi-Strains beteiligt. Auch Karels Sohn Kees ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hat mit „Creamy Kees“ eine sehr terpenreiche Medizinal-Hanfsorte erschaffen, die allerhöchste Standards erfüllt.

Leider haben es nicht alle Cannabis-Enthusiast:innen der vergangenen 50 Jahre geschafft, aus ihrer Passion ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu machen. Denn zur Produktion von Cannabissamen, die in vielen Ländern dieser Welt legal sind, muss man Cannabis zuerst in großem Stil anbauen. Das wiederum ist fast überall verboten.

Obwohl einige Länder inzwischen Ausnahmen für den Anbau von medizinischem Cannabis machen, darf Cannabis zum Freizeitgebrauch derzeit nur in Kanada angebaut werden. Erlaubt ist das auch in einigen US-Bundesstaaten, wo es aber dem US-Bundesrecht widerspricht. Nachdem bis vor wenigen Jahren noch alle Zuchtaktivitäten im Untergrund stattfanden, kann immerhin die Produktion medizinischer Sorten nun also die Angst vor Strafverfolgung peu à peu ablösen.

Da es bei der Entwicklung einer wohlschmeckenden und wirksamen Sorte heutzutage auch ums Geld geht, verweisen viele Samenbanken bei ihren Strains auch auf deren legendäre Schöpfer:innen, die lange Historie oder sonstige Besonderheiten einer Sorte. So entstanden neben wahren Legenden auch zahlreiche Halbwahrheiten und Gerüchte rund um die einst illegale Kunst der Cannabis-Zucht. Ein Blick zurück bis in die späten 1960er-Jahre kann helfen, einige dieser Cannabis-Mythen zu entwirren:

Die 1960er-Jahre: Nebulöse Anfangsjahre

Ursprünglich ging es bei der Selektion von Cannabis nicht ums große Geld, sondern eher darum, dem kalifornischen Klima ein Schnippchen zu schlagen. In Kalifornien fingen Ende der 1960er-Jahre ein paar ambitionierte Hippies an, verschiedene Cannabis-Sorten untereinander zu kreuzen.

Zu den bekanntesten Sorten aus dieser Zeit gehören „Accapulco Gold“ oder „Haze“. Letzteres wurde von einem kalifornischen Brüder- und Breederpaar, den „Haze-Brothers“, aus den damals besten Sativas aus Kolumbien, Mexiko, Thailand und Südindien gekreuzt. Denn anders als Strains aus dem kälteren Nordindien, Pakistan oder Nepal zählen südindische Cannabis-Landrassen zu den Sativa-Strains.

Das Problem mit den meist aus Mexiko oder karibischen Staaten wie Kolumbien, Jamaika oder Panama stammenden Sativa-Landrassen lag in deren langen Blühperioden – sie konnten im weiter nördlich gelegenen Kalifornien nicht richtig ausreifen.

Die 1970er-Jahre: Fernöstliche Einflüsse verändern die Cannabis-Zucht

Das änderte sich, als der Ferne Osten zum Reiseziel US-amerikanischer Hippies wurde. Nach ihrer Rückkehr kreuzten sie Indica-Landrassen aus den nördlichen Bergregionen des Subkontinents mit kalifornischen Sorten. So brachte unter anderem die „Brotherhood of Eternal Love“ gezielt Indica-Saatgut nach Kalifornien.

Die kürzere Blühzeit von Indica-Pflanzen sollte sich nach dem Kreuzen mit Sativa-Pflanzen als der entscheidende Baustein für eine schnellere Reifezeit und somit für die gesamte Cannabis-Zucht erweisen – und das nicht nur in nördlichen Breitengraden.

Zu den bekanntesten Züchtern dieser ersten Breeder-Generation Kaliforniens zählen David Watson aka Sam the Skunkman, Medecino Joe aka Romulan Joe und Maple Leaf Wilson.

Watson, Joe und Wilson gründeten Mitte der 1970er-Jahre „Sacred Seeds“ und züchteten mit „Skunk#1“ den ersten Hybrid, von dem 1978/79 die ersten Anzeigen und Fotos im „Homegrown“-Magazin aus Großbritannien erschienen. Andere Sacred Seeds Sorten der ersten Stunde waren „Haze El Primo“ oder „Afghani Hindu Kush“.

Das Amsterdam der 1980er-Jahre – Die Keimzelle der Sortenvielfalt 

Als David Watson und seine Mitstreiter Anfang der 1980er-Jahre ins Visier der Behörden gerieten und Sacred Seeds im Jahr 1982 von der DEA dicht gemacht wurde, entschied sich Watson, seine züchterischen und geschäftlichen Aktivitäten in die Niederlande zu verlegen.

Dort hatte sich wenige Jahre zuvor eine liberale Cannabis-Politik durchgesetzt, wodurch Coffeeshops und damals auch deren Lieferanten fast unbehelligt von den niederländischen Strafverfolgungsbehörden agieren konnten. Der Anbau von Cannabis war zu dieser Zeit in den Niederlanden noch kein Thema. In den Coffeeshops dominierte importiertes Haschisch.

Das Gras stammte meistens aus Afrika, Kolumbien oder Fernost, war voller Samen, roch muffig und war fast immer von absolut minderer Qualität. Wirklich leckere Buds waren eine echte Rarität, der Indoor Anbau von Cannabis noch gar nicht erfunden.

Fruchtbare Cannabis-Kooperationen entstehen

In Amsterdam kam es dann zu einer Begegnung, die wegweisend für die weltweite Cannabiszucht sein sollte. Watson traf den Australier Neville Schoenmakers. Auch Schoenmakers war ambitionierter Grower und hatte von seinen Weltreisen insbesondere asiatische Cannabissorten mitgebracht.

Sam und Neville tauschten Wissen und Saatgut untereinander aus und Neville eröffnete dann 1984 mit „The Seed Bank of Holland“ den ersten Cannabis-Samenshop. Bestseller war das einst von der Sacred-Seed-Gang eingeschmuggelte, kalifornische „Skunk#1”. So wurde der Hybrid schnell zum Bestseller und gleichzeitig zur Urmutter vieler Cannabis-Hybriden. Andere Frühwerke Nevilles wie „Afghan No.1“ oder „Mazar“ besitzen heutzutage ebenfalls Legendenstatus. 

Bald schon interessierten sich auch einheimische Cannabis-Liebhaber für die neue Genetik. So lernte Schoenmakers Karel Schelfhout und Ben Dronkers kennen. Schelfhout unterstützte Schoenmakers bei seinen Zuchtversuchen, machte sich aber alsbald als Spezialist für Haze-Selektionen selbstständig. So schuf Karel mit „Karel’s Haze“ schon 1985 seine erste eigene Sorte und gründete mit dem „Super Sativa Club“ eine Samenbank, die sich sehr früh der Zucht von Sativa-lastigen Strains widmete.

Dronkers hingegen hatte vor der Gründung von „Sensi Seeds“ in Zentral- und Südostasien sowie aus dem asiatischen Subkontinent Cannabis-Genetik gesammelt. Aus Dronkers Kreuzungen mit kalifornischen Skunk-Hybriden entstanden die ersten Indica-dominanten Hybride wie „Early Girl“ oder „Early Pearl“.

Die 1990er-Jahre: Von draußen nach drinnen – Cannabis unter Kunstlicht

Doch die klimatischen Bedingungen in den Niederlanden waren viel schlechter als in Kalifornien. Für gute Ernten benötigte man Gewächshäuser und orientierte sich an der Technik niederländischer Gemüsebauer:innen. Diese optimierten ihre Erträge nicht nur mithilfe von Gewächshäusern, sondern nutzten zusätzlich Kunstlicht.

Die Beleuchtung steigerte nicht nur den Ertrag, sondern erhöhte nebenbei den Tarneffekt der damals schon illegalen Aktivitäten. Als die Polizei in den Niederlanden Ende der 1980er-Jahre anfing, den Cannabisanbau nicht mehr im großen Stil zu dulden, tauschten die Akteure ihre Glashäuser gegen feste Wände und installierten immer mehr Lampen. So entstand der Indoor-Anbau ursprünglich nicht aus ökonomischen Gründen, sondern zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen.

Schoenmakers ließ sich im Cannabis Castle, einem alten Herrenhaus im niederländischen Arnheim, nieder. Dort konnte er seine bis dato halb-professionelle Selektion unter optimalen Bedingungen intensivieren. Bis heute gilt das Cannabis Castle als Brutstätte vieler legendärer Cannabis-Sorten wie „Northern Light #5 Haze“. 

Der Austausch von Cannabis-Samen und Wissen in Kombination mit den niederländischen Fähigkeiten beim Anbau unter Kunstlicht katapultierte die Cannabis-Zucht in bislang ungeahnte Dimensionen. Mit dem Arnheimer Cannabis-Schloss schufen die Pioniere der 1980er-Jahre in den Niederlanden die Grundlage für eine Disziplin, die man heute weltweit als „Homegrowing“ kennt.

Die “Operation Green Merchant” 

Schoenmakers Seed Bank hatte seit 1985 auch Saatgut in die USA versendet und war so ins Visier der DEA geraten. Die hatte nach David Watsons Flucht aus den USA in 1982 ohnehin die gesamte Szene im Visier und nahm Schoenmakers Samenhandel 1989 als Anlass zur „Operation Green Merchant“. Nevilles „Seed Bank of Holland“ sowie das „High Times“- und das „Sensimilla“-Magazin wurden des internationalen Drogenhandels beschuldigt.

Schoenmakers verkaufte daraufhin seine Samenbank an Ben Dronkers und aus „Sensi Seeds“ wurde die „Sensi Seed Bank“. Neville Schoenmakers tauchte aus Angst, in die USA ausgeliefert zu werden, für ein paar Jahre ab. Trotz Schoenmakers Befürchtungen stimmten die Niederlande dem Auslieferungsantrag der USA nie zu.

Nachdem sich Neville einige Jahre versteckt hatte, gründete er 1997 zusammen mit Arjan Roskam „Greenhouse Seeds”. Hier arbeitete er mit seinem Landsmann Scott Blakey aka Shantibaba an Sorten wie „Neville’s Haze“, „G13xHashplant“ oder „Super Silver Haze“. Ihre Kreationen gewannen zahlreiche Cups und galten damals als beste Genetik weltweit.

Aufgrund wachsender Differenzen verließen Schoenmakers und Shantibaba Greenhouse Seeds nach nur wenigen Jahren. Shantibaba gründete mit dem Ex-Hasch Schmuggler Howard Marks (aka Mr.Nice) die Mr. Nice Seedbank und kümmert sich seit 2013 mit der CBD-Crew auch um die Zucht medizinischer Sorten.

Schoenmakers kehrte nach Australien zurück und widmete sich der Forschung an Cannabis auf wissenschaftlicher Ebene. Neville durfte seit 2015 federführend an der Entwicklung des staatlichen Anbauprogramms für medizinisches Cannabis mitarbeiten. Er starb 2019 im Alter von 62 Jahren im australischen Osbourne Park.

Die 2000er-Jahre: Umzug in wärmere Gefilde

Bis zum Jahr 2000 hatten sich in den Niederlanden aufgrund der sehr liberalen Gesetzeslage zahlreiche Hanfsamen-Produzent:innen etabliert. Mit dem Rechtsruck der Politik Anfang der 2000er-Jahre begann man der niederländischen Cannabis-Industrie langsam den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Aus einer umfassenden Duldungspolitik wurde ein Cannabis-politisches Regelwerk, das nicht nur wegen der Backdoor-Problematik eines Rechtsstaates nicht würdig ist.

So wurde es fast unmöglich, in den Niederlanden professionell Samen zu produzieren. Spätestens mit dem Growshop-Gesetz von 2015 hatten immer mehr Samenproduzent:innen entschieden, ihre Aktivitäten nach Spanien zu verlegen.

Seitdem produzieren nicht nur Paradise Seeds sondern auch Dutch Passion, Barneys Farm, Royal Queen Seeds und Sensi Seeds, oft mit Unterstützung geduldeter Cannabis Social Clubs, ihr Saatgut in Spanien.

Die Feminisierung von Cannabissamen schreitet voran 

Ebenso zu Anfang der 2000er-Jahre entwickelte ein ambitioniertes Breeder-Kollektiv im Baskenland die bereits bekannte Technik zur Feminisierung von Cannabissamen weiter. 

Die Breeder, aus denen später die Seedbank Dinafem werden sollte, vereinfachten die Zucht ausschließlich weiblicher Hanfpflanzen immens. Damals galt diese Technik unter echten Cannabis-Enthusiast:innen noch als ziemlich uncool, weil die Pflanzen zur Gewinnung des Saatgut chemisch behandelt werden, um im Anschluss fast ausschließlich weibliche Samen zu produzieren. 

Nach ein paar Jahren konnten die Breeder des La Motta Kollektivs fast jede Sorte als verweiblichte Variante anbieten und wurden zu Dinafem.

Die Einkreuzung von Cannabis Ruderalis

Der nächste und bislang letzte Meilenstein war die Einkreuzung von Cannabis Ruderalis Samen, an deren Ende so genannte Automatic-Sorten standen. Erstmals war der Ruderalhanf 1942 in Sibirien als eigene Art identifiziert und wissenschaftlich beschrieben worden. 

Anders als Cannabis Sativa oder Cannabis Indica hängt der Beginn der Blütezeit bei Cannabis Ruderalis nicht von der Photoperiode (Indoor von der Belichtungszeit) ab. 

Egal, wie lange oder intensiv es Licht bekommt, blüht Ruderalhanf sechs bis acht Wochen nach seiner Aussaat ganz von selbst. Verantwortlich dafür ist ein Cannabis-Genom, das in Sativa oder Indica Sorten rezessiv und nur beim Ruderalhanf dominant ist.

Die Geburt der Automatic-Sorten

Als erste Automatic-Sorte gilt eine Kreuzung einer „Mexican Sativa“ und einer unbekannten Ruderalis, die ein gewisser Joint-Doctor gut 20 Jahre zuvor selektiert hatte. Er nannte die wenig potente Sorte „RudiMex“.

Grundsätzlich weisen Automatic-Varianten aufgrund der schnellen Entwicklungszeit einen niedrigeren Wirkstoffgehalt auf als reguläre oder feminisierte Pflanzen der gleichen Sorte. Um den Wirkstoffgehalt zu steigern, kreuzte der unbekannte Cannaseur seine „RudiMex“ mit einer „Williams Wonder x Northern Lights“. 

Nach der Stabilisierung ihrer Eigenschaften durch natürliche Selektion nannte Joint-Doctor sein Baby „Lowryder“ und brachte sie als erste kommerzielle Automatic-Sorte auf den Markt. Aus deren Kreuzung mit einer „New York Diesel“ wiederum wurde „Diesel Ryder“. Die war ertragreicher als die „Lowryder“-Genetik und mit 17-19 % Wirkstoffgehalt auch fast so potent wie reguläre Sorten.

Da die verkürzte Blüh- und Wachstumsphase bis zu drei Outdoor-Ernten im Jahr ermöglicht, erfreuen sich Automatic-Sorten besonders unter südeuropäischen Weed-Enthusiast:innen bis heute großer Beliebtheit.

Die Mitte der 2020er-Jahre: Blühende Zukunft nach der Legalisierung? 

Egal ob regulär, feminisiert, auto- oder autofem – nach der geplanten Politikwende sollten Samenbanken in eine blühende Zukunft schauen können. 

Noch fehlen Gesetze und Regelwerke, die den Firmen Rechtssicherheit von Seed bis hin zum Sale verschaffen. Hier ist, besonders im Samenverbotsland Deutschland, die Politik gefragt. Weil man zur Saatgutproduktion echtes Weed anbauen muss, kann eine solche Rechtssicherheit nur durch eine umfassende Regulierung des Freizeitmarktes gewährleistet werden.

Aber auch die Samenbanken sind gefragt, ein Regelwerk für die längst überfällige Standardisierung ihrer Seeds zu entwickeln. Geht es um Details wie den durchschnittlichen Ertrag, Topfgröße/Stelldichte der Pflanzen, Dauer der Blühperiode sowie andere Kriterien zur Zucht, hat fast jede Seedbank ihre eigenen Parameter. Das ist nicht sehr kundenfreundlich und so sollte die Einigung auf gemeinsame Parameter selbstverständlicher Teil eines zukünftig regulierten Cannabismarktes sein.


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