Von außen wirkt alles harmlos: eine Blüte, ein Tee, ein Hauch von Rauch. Für viele ist Cannabis Entspannung, Medizin oder politisches Symbol. Doch für manche Menschen ist es vor allem eines: ein Allergen. Es juckt, es schwillt, es brennt – nicht im Geist, sondern auf der Haut, in den Atemwegen, im Immunsystem. Die Reaktionen reichen von Heuschnupfen bis zur lebensbedrohlichen Anaphylaxie. Die Cannabis-Allergie ist ein medizinisches Phänomen, das bisher kaum beachtet wurde – und nun, mit der Legalisierung in vielen Ländern, ins Licht rückt.
In Zeiten weltweiter Legalisierungswellen wächst nicht nur der Konsum, sondern auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den möglichen Nebenwirkungen von Cannabis. Eine internationale Übersichtsstudie zeigt allerdings: Die Diagnose von Cannabis-Allergien ist bis heute erschwert, weil es keine standardisierten Tests gibt und die Forschung lange durch die rechtliche Lage behindert wurde.
Dabei sind die Reaktionen keineswegs trivial: Niesreiz, Augenjucken, Hautausschläge, Asthma und sogar Anaphylaxie – also ein potenziell lebensbedrohlicher Schock – wurden dokumentiert. Allein in einer spanischen Fall-Kontroll-Studie zeigten über 50 % der untersuchten Allergiepatienten eine Sensibilisierung gegenüber Cannabis. Viele der Betroffenen hatten nie über eine Cannabis-Allergie nachgedacht. Die Symptome – Atemnot nach dem Kiffen, Hautausschlag nach Partys, juckende Augen beim Kochen mit Hanföl – wurden entweder verdrängt oder fehlinterpretiert.
Eine Studie belegt die Kreuzreaktion zwischen Cannabis und anderen pflanzlichen Lebensmitteln. Besonders häufig betroffen: Tomate, Tabak, Latex, Pfirsich, Kirsche, Mandarine und Haselnuss. Grund dafür ist ein Eiweiß mit dem kryptischen Namen Can s 3, ein sogenanntes Lipid-Transfer-Protein. Es ähnelt stark den Allergenen in Tomate, Pfirsich oder Haselnuss – das Immunsystem erkennt die Struktur und schlägt Alarm.
Cannabis kann eine Vielzahl allergischer Reaktionen hervorrufen – abhängig davon, wie der Körper mit der Pflanze in Kontakt kommt: über die Haut, durch Einatmen oder nach dem Verzehr über den Magen-Darm-Trakt. Dabei sind sowohl leichte Symptome als auch schwere, potenziell lebensbedrohliche Reaktionen möglich.
Obwohl die wissenschaftlichen Hinweise zunehmen, bleibt die Cannabis-Allergie laut Studien weitgehend unter dem Radar. Sie ist ein blinder Fleck der Allergologie – und das hat mehrere Gründe. Zum einen wird sie in der ärztlichen Praxis kaum mitgedacht. Selbst bei klassischen Symptomen wie Hautausschlag oder Atemnot fragen viele Ärzt:innen nicht gezielt nach Cannabiskontakt – weder im Kontext von Freizeitkonsum noch bei medizinischer Anwendung. Zum anderen fehlen zugelassene, standardisierte Tests, um eine Sensibilisierung zuverlässig nachzuweisen.
Die Diagnose einer Cannabis-Allergie ist derzeit ein Puzzle aus Indizien, Erfahrung und Ausschluss. Es gibt keine einfache Blutprobe, keinen Schnelltest. Und doch lässt sich eine Allergie diagnostizieren – wenn man gezielt danach sucht. Hier ein Überblick über die Möglichkeiten:
Der wichtigste Baustein ist die sorgfältige Erhebung der Krankengeschichte. Entscheidend sind Fragen wie:
Offenheit ist hier zentral. Viele Patient:innen zögern, über ihren Cannabiskonsum zu sprechen – aus Angst vor Stigmatisierung oder rechtlichen Folgen. Doch ohne diese Information bleiben Zusammenhänge unsichtbar.
Ein Klassiker der Allergiediagnostik – in abgewandelter Form auch bei Cannabis möglich:
Aber: Es gibt keine zugelassenen Standardextrakte. Viele Zentren arbeiten mit selbst hergestellten Lösungen – was die Vergleichbarkeit erschwert.
Im Labor lässt sich überprüfen, ob das Immunsystem Antikörper gegen Cannabis gebildet hat:
Einschränkung: Diese Tests sind noch nicht standardisiert und nur in spezialisierten Laboren oder Studien verfügbar.
Die Diagnose einer Cannabis-Allergie ist kein Routinevorgang. Sie erfordert medizinisches Wissen, gezielte Nachfragen – und manchmal auch detektivisches Gespür. Doch sie ist möglich und nötig. Denn wer regelmäßig mit Cannabis in Kontakt kommt und allergische Beschwerden zeigt, hat ein Recht darauf, ernst genommen zu werden.
Forschende fordern in ihren Empfehlungen:
Letztere sind zwar noch Zukunftsmusik – doch erste Fallberichte machen Hoffnung: In einem dokumentierten Fall konnte ein Patient mit schwerer Cannabisallergie durch das Medikament Omalizumab, eigentlich zur Behandlung von Asthma, erfolgreich therapiert werden. In einem anderen Fall wurde eine klassische Allergie-Impfung (subkutane Immuntherapie) mit Extrakten aus Cannabis-Pollen erfolgreich an einem Hund durchgeführt.
Es gibt Hinweise darauf, dass Cannabis bzw. bestimmte Bestandteile der Pflanze bei Allergien helfen könnten – allerdings ist das Thema komplex und steht wissenschaftlich gesehen noch am Anfang.
Im Körper gibt es ein sogenanntes Endocannabinoid-System (ECS). Es ist an vielen Prozessen beteiligt, unter anderem an der Regulation von Entzündungen und Immunreaktionen. Genau hier setzen Cannabinoide wie THC (der psychoaktive Wirkstoff) oder CBD (nicht berauschend) an.
Was Studien zeigen:
Cannabis hat also auch das Potenzial, entzündliche und allergische Prozesse zu modulieren – sowohl dämpfend als auch in manchen Fällen verstärkend. Noch fehlen jedoch klinische Studien am Menschen, um sichere und gezielte Anwendungen bei Allergien zu entwickeln. Cannabinoide könnten in Zukunft eine ergänzende Rolle in der Allergiebehandlung spielen – aber noch ist die Forschung nicht so weit, dass man sie dafür empfehlen kann.
Wer Cannabis konsumiert – ob medizinisch oder nicht – sollte die Signale seines Körpers ernst nehmen. Brennt der Hals? Kribbelt die Lippe? Fällt das Atmen schwer? Dann könnte es an der Reaktion des Immunsystems liegen. Cannabis ist eben eine Pflanze – mit allem, was dazugehört. Und wie bei jeder Pflanze gilt: Nicht alle vertragen sie. Gleichzeitig zeigen erste Studien, dass bestimmte Cannabinoide entzündungshemmend wirken und in Zukunft sogar bei der Behandlung von Allergien helfen könnten.
Die genaue Zahl ist bislang nicht bekannt. Es gibt weder standardisierte Tests noch belastbare Register, die eine zuverlässige Erfassung ermöglichen. Dennoch deuten Studien darauf hin, dass die tatsächliche Zahl der Betroffenen deutlich höher liegt, als bisher angenommen. Expert:innen sprechen von einer hohen Dunkelziffer – auch deshalb, weil viele Betroffene ihren Konsum aus Angst vor Stigmatisierung nicht offenlegen oder allergische Beschwerden nicht mit Cannabis in Verbindung bringen. Gleichzeitig beobachten Allergolog:innen einen Anstieg beruflich bedingter Sensibilisierungen, etwa bei Personen, die im Anbau oder in der Verarbeitung von Cannabis tätig sind. Mit der fortschreitenden Legalisierung weltweit dürfte auch die Zahl der diagnostizierten Fälle weiter zunehmen. Die medizinische Forschung steht hier noch am Anfang.
Gegen den reinen Duft von Cannabis – also die flüchtigen Aromastoffe – ist eine echte Allergie unwahrscheinlich. Duftstoffe sind in der Regel zu klein, um eine klassische allergische Reaktion vom Typ I (IgE-vermittelt) auszulösen. Sie können zwar bei empfindlichen Personen Reizungen oder Kopfschmerzen verursachen, gelten aber nicht als Allergene im engeren Sinne. Anders sieht es aus beim Einatmen von Cannabisrauch, Pollen oder Pflanzenstaub. Diese enthalten Proteine – insbesondere das Allergen Can s 3 – die sehr wohl eine Immunreaktion hervorrufen können. In Studien wurden allergische Symptome wie Niesen, juckende Augen, Husten oder sogar Asthmaanfälle nach passiver Inhalation beschrieben. Besonders gefährdet sind Personen mit bestehenden Pollen- oder Nahrungsmittelallergien. Kurz gesagt: Der typische Cannabisgeruch selbst macht nicht allergisch – aber das, was mit dem Geruch in der Luft liegt, kann sehr wohl allergische Reaktionen auslösen.