Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Viele Betroffene erhalten zwar Psychotherapie oder Antidepressiva – doch nicht alle sprechen darauf an und manche kämpfen mit Nebenwirkungen. Gleichzeitig wächst das Interesse an medizinischem Cannabis als mögliche Alternative oder Ergänzung. Doch wie gut wirkt es wirklich gegen Angst? Aktuelle Studien geben erste Antworten.
In einer Welt, in der Stress und Überforderung für viele zum Alltag gehören, scheint die Idee verlockend: Ein pflanzliches Arzneimittel, das beruhigt, den Körper entspannt und das Gedankenkarussell stoppt. Genau das erhoffen sich viele Menschen mit Angststörungen von medizinischem Cannabis.
Die Forschung beginnt, diese Hoffnung wissenschaftlich zu untermauern. Erste Studien zeigen: Für einen Teil der Patient:innen kann medizinisches Cannabis die Angst spürbar lindern. Gleichzeitig arbeiten Forschende daran, besser zu verstehen, wann es besonders hilft und für wen medizinisches Cannabis geeignet ist.
Angst gehört zum Leben. Sie warnt uns vor Gefahr und hilft, Situationen einzuschätzen. Problematisch wird sie erst, wenn sie nicht mehr zur Lage passt, dauerhaft anhält oder den Alltag einschränkt. Dann sprechen Fachleute von einer Angststörung. Dazu zählen verschiedene Erkrankungen, etwa die generalisierte Angststörung, bei der sich Betroffene ständig sorgen und kaum zur Ruhe kommen, oder soziale Angststörungen, bei denen schon alltägliche Begegnungen großen Stress auslösen können. Manche Menschen erleben Panikattacken, also plötzliche körperliche Alarmreaktionen, die sich anfühlen, als würde der Körper aus dem Nichts in höchste Gefahr geraten.
Die Studienlage zu medizinischem Cannabis bezieht sich bisher vor allem auf allgemeine Angstsymptome und auf die generalisierte Angststörung. Ob und in welchem Ausmaß Cannabis auch bei anderen Formen von Angst hilft – etwa bei Panikattacken oder sozialer Phobie – ist derzeit wissenschaftlich noch kaum untersucht.

Medizinisches Cannabis umfasst unterschiedliche Wirkstoffe, vor allem die Cannabinoide THC und CBD. Beide beeinflussen das körpereigene Endocannabinoid-System, das eine Rolle bei Stressregulation und Angst spielt. THC wirkt psychoaktiv und kann beruhigen – in höheren Dosen aber auch Unruhe, Herzrasen oder Angst verstärken. CBD gilt als nicht berauschend und wird häufiger mit angstlösenden Effekten in Verbindung gebracht.
Eine der bisher umfangreichsten Übersichtsarbeiten, die mehrere Studien zu Cannabis-basierten Medikamenten bei psychischen Erkrankungen ausgewertet hat, stammt aus 2019. Der Befund: Es gab Hinweise auf Verbesserungen einzelner Symptome, aber keine Belege dafür, dass medizinisches Cannabis eine psychische Erkrankung heilen kann. Dazu kommt, dass viele Studien eher klein waren, nur wenige Wochen dauerten und unterschiedliche Messmethoden nutzten. Ein wirklicher Vergleich war kaum möglich.[1]
Neue Daten liefern allerdings vorsichtige Hoffnung. Eine britische Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2024 untersuchte rund 180 Patient:innen mit generalisierter Angststörung, die medizinisches Cannabis erhielten. Die Teilnehmenden berichteten über klinisch relevante Verbesserungen ihrer Angstsymptome, oft schon nach wenigen Monaten. Viele fühlten sich ausgeglichener und im Alltag leistungsfähiger.[2]
Interessant war der Unterschied zwischen Darreichungsformen: Cannabis-Öle schnitten besser ab als Cannabis-Blüten. Der vermutete Grund: Öle lassen sich konstanter dosieren, rauchbare Produkte wirken dagegen schneller, aber weniger kontrolliert. Trotz überwiegend milder Nebenwirkungen betonten die Forschenden, dass es sich um eine unkontrollierte Beobachtungsstudie handelt – also ohne Placebo-Vergleich. Ein Ursache-Wirkungs-Nachweis ist damit nicht möglich.[2]
Noch näher am Alltag ist eine US-amerikanische Studie von 2025, die erstmals den Alltagseffekt medizinischen Cannabis über Monate hinweg begleitete. 33 Menschen mit klinisch relevanter Angst und Depression begannen eine Behandlung mit medizinischem Cannabis. Sie protokollierten ihre Stimmung mehrmals täglich, vor und nach der Einnahme.[3]
Das Ergebnis: Die Angst sank oft innerhalb von Minuten, die Teilnehmenden fühlten sich ruhiger und emotional stabiler. Dieser Effekt hielt in vielen Fällen über sechs Monate an. Die Mehrheit nutzte THC-dominierte Produkte. Mit höherer Dosis stieg allerdings auch das Gefühl des „High-Seins“, und manche berichteten von eingeschränkter Fahrtüchtigkeit. Die meisten verwendeten Cannabis nicht täglich – möglicherweise ein Grund, warum die Effekte insgesamt stabil blieben und keine deutliche Verschlechterung eintrat.[3]
Doch auch hier gilt: Die Studie arbeitete ohne Kontrollgruppe, und die Teilnehmenden kauften unterschiedliche Produkte. Was genau wirkte – THC, CBD, das Verhältnis oder die Erwartungshaltung – bleibt offen. Die Forschenden selbst fordern dringend kontrollierte Studien.
Nimmt man die Studien zusammen, ergibt sich ein vorsichtig optimistisches Bild: Medizinisches Cannabis kann Angstsymptome lindern, zum Teil schnell und spürbar – besonders dort, wo klassische Behandlungen nicht ausreichend helfen oder schlecht vertragen werden.
Gleichzeitig fehlt bislang eine solide wissenschaftliche Basis für breite Empfehlungen. Zentral bleibt das Ergebnis der großen Übersichtsarbeit von 2019: Verbesserungen ja – aber keine Heilung.[1] Und zu vielen Fragen fehlen Daten:
„Wer heute medizinisches Cannabis gegen Angst erhält, bewegt sich häufig in einem Bereich, in dem die klinische Anwendung schneller voranschreitet als die Forschung und Evidenz“, so Bertan Türemis, Medical Science Liaison Manager bei avaay Medical. „Gerade deshalb braucht dieses Thema mehr wissenschaftliche Sorgfalt und klare Daten, bevor sich daraus eine Routine ableiten lässt.“
Es wäre voreilig, Cannabis-Medikamente als „neue Angstlösung“ zu feiern. Doch ebenso verfrüht wäre es, ihr Potenzial zu unterschätzen. Die bisherigen Daten zeigen: Es gibt einen therapeutischen Effekt – zumindest für einen Teil der Betroffenen. Um zu wissen, wie groß er wirklich ist, braucht es nun robuste, placebokontrollierte Studien mit klaren Kriterien, Dosierungen und Langzeitbeobachtung.
So vielversprechend die Hinweise auf eine angstlindernde Wirkung von medizinischem Cannabis sind – der Effekt ist nicht bei allen gleich. Vor allem THC, der psychoaktive Bestandteil der Pflanze, kann unter bestimmten Umständen Angst verstärken oder sogar Panik auslösen. Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2020 zeigt, dass THC bei niedrigen Dosen zwar beruhigend wirken kann, bei höheren Mengen jedoch auch eine gegenteilige Reaktion hervorrufen kann – mit Unruhe, Anspannung oder Angstsymptomen. CBD hingegen wirkte in den untersuchten Tier- und Humanstudien überwiegend angstlindernd, und auch in höheren Dosen wurde kein Angst auslösender Effekt beobachtet.[4]
Wie sich dieser Unterschied im Alltag auswirken kann, lässt sich an einer großen kanadischen Bevölkerungsstudie ablesen. Sie untersuchte, was mit Menschen passiert, die wegen Cannabis in der Notaufnahme behandelt wurden. Das Ergebnis: Wer mit einem cannabisbedingten Notfall in der Klinik landete, hatte in den folgenden drei Jahren ein deutlich erhöhtes Risiko, wegen einer Angststörung erneut medizinische Hilfe zu benötigen – rund viermal so häufig wie die Allgemeinbevölkerung. Besonders stark war der Effekt bei jungen Männern.[5]
Die Studien belegen nicht, dass Cannabis zwangsläufig Angst „verursacht“. Möglich ist auch, dass einige Betroffene bereits unter Angst litten und Cannabis als Selbstmedikation nutzten, bevor es zu einer Überforderung des Körpers kam. Dennoch lässt sich festhalten: Zu viel THC, insbesondere ohne medizinische Begleitung, kann für manche Menschen die Symptome verschlimmern statt lindern – während CBD-reiche Präparate bislang ein deutlich verträglicheres Profil zeigen.[5]
Mit der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz von Cannabis verändert sich auch der Blick auf seinen möglichen medizinischen Nutzen. In der öffentlichen Wahrnehmung rückt die Substanz zunehmend von der reinen Rauschmittel-Debatte in Richtung Therapieoption – gerade bei psychischen Belastungen, für die viele Betroffene händeringend nach Alternativen suchen. Diese Entwicklung eröffnet Chancen, birgt aber auch Risiken.
Denn so nachvollziehbar der Wunsch nach schneller Entlastung ist: Selbstmedikation mit Cannabis ist gerade bei Angststörungen keine gute Idee. Ohne ärztliche Begleitung fehlt die Kontrolle über Wirkstoffgehalt, Dosis und mögliche Wechselwirkungen – und damit steigt das Risiko, dass sich Symptome verstärken statt lindern. Wer eine Behandlung mit medizinischem Cannabis in Erwägung zieht, sollte dies daher immer mit einer Ärztin oder einem Arzt besprechen, idealerweise eingebettet in ein therapeutisches Konzept und mit klarer Wirkungskontrolle.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob Cannabis-Arzneimittel in der Angsttherapie einen festen Platz einnehmen. Entscheidend wird sein, Forschung, Versorgung und Aufklärung miteinander zu verzahnen: belastbare Studien, fachliche Beratung und ein verantwortungsvoller Umgang – sowohl im Gesundheitswesen als auch gesellschaftlich. Gelingt das, könnte medizinisches Cannabis künftig zu einer sinnvollen Ergänzung werden: nicht als Wundermittel, aber als eine ernstzunehmende Option für Menschen, die mit klassischen Behandlungen bisher kaum Erleichterung finden.
Grundsätzlich ja – aber nicht automatisch. In Deutschland kann medizinisches Cannabis bei verschiedenen Erkrankungen verordnet werden, wenn andere anerkannte Behandlungen nicht ausreichend geholfen haben oder nicht vertragen wurden. Eine diagnostizierte Angststörung kann darunter fallen, vor allem wenn klassische Therapien wie Psychotherapie und Antidepressiva nicht den gewünschten Erfolg bringen. Wichtig ist: Cannabis ist keine Standardbehandlung bei Angststörungen. Ärzt:innen entscheiden im Einzelfall, ob eine Therapie sinnvoll erscheint. Dabei spielen unter anderem die Art der Angststörung, bisherige Behandlungen, mögliche Wechselwirkungen, Abhängigkeitsrisiken und die psychische Stabilität der Patient:innen eine Rolle.
Nicht im eigentlichen Sinne. Cannabis kann beruhigend wirken, ist aber kein klassisches Beruhigungsmittel.
Cannabiskonsum kann während einer Panikattacke eher nachteilige Wirkungen haben. Ob Cannabis bei Panikattacken auch helfen kann, ist derzeit wissenschaftlich kaum belegt. Dazu fehlen noch aussagekräftige Studien.
Ja, das ist möglich. Vor allem bei THC-haltigem Cannabis und bei Menschen, die dafür anfällig sind. Die Forschung zeigt, dass Cannabis nicht nur beruhigen, sondern in bestimmten Situationen auch Angst, Panik oder paranoide Gedanken verstärken kann. Das gilt insbesondere bei hohen THC-Dosen.
Eine cannabisbedingte Psychose zeigt sich meist kurz nach dem Konsum und kann folgende Symptome umfassen:
Bei anhaltenden Symptomen ist sofort medizinische Hilfe nötig.
Die Dauer kann stark variieren. Häufig klingen die akuten Symptome innerhalb von Stunden bis wenigen Tagen ab – besonders, wenn es sich um eine einmalige Überreaktion auf hohe THC-Mengen handelt. In einigen Fällen können die Beschwerden jedoch länger anhalten, etwa Tage bis Wochen, und eine ärztliche Behandlung nötig machen. Bei Personen mit einer Vulnerabilität für psychische Erkrankungen (z. B. familiäre Vorbelastung) kann ein Cannabiskonsum auch eine länger anhaltende psychotische Episode auslösen. Wichtig: Anhaltende Verwirrtheit, Halluzinationen oder Wahnideen sollten immer medizinisch abgeklärt werden.
Bleib nicht allein damit. Panik nach Cannabis ist unangenehm, aber meist vorübergehend. Das kann helfen:
Wann sollte ich Hilfe holen? Wenn starke Verwirrtheit, Kreislaufprobleme, Brustschmerzen, Halluzinationen oder anhaltende Panik über mehrere Stunden auftreten – oder du dich nicht sicher fühlst: ärztliche Hilfe rufen. Lieber einmal zu viel als zu wenig.
[1] Hoch, E., Niemann, D., von Keller, R. et al. How effective and safe is medical cannabis as a treatment of mental disorders? A systematic review. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 269, 87–105 (2019).
[2] Warner-Levy, J., Erridge, S., Clarke, E., McLachlan, K., Coomber, R., Asghar, M., … Sodergren, M. H. (2024). UK Medical Cannabis Registry: a cohort study of patients prescribed cannabis-based oils and dried flower for generalised anxiety disorder. Expert Review of Neurotherapeutics, 24(12), 1193–1202.
[3] Wolinsky, D., Mayhugh, R. E., Surujnarain, R., Thrul, J., Vandrey, R., & Strickland, J. C. (2025). Acute and chronic effects of medicinal cannabis use on anxiety and depression in a prospective cohort of patients new to cannabis. Journal of Affective Disorders, 390, 119829.
[4] Sharpe, L., Sinclair, J., Kramer, A. et al. Cannabis, a cause for anxiety? A critical appraisal of the anxiogenic and anxiolytic properties. J Transl Med 18, 374 (2020).
[5] Myran, D. T., et al. (2025). Development of an anxiety disorder following an emergency department visit due to cannabis use: A population-based cohort study. eClinicalMedicine, 69, 102455.