Von Basel bis Berlin: Was Modellprojekte in Deutschland und der Schweiz über den legalen Cannabisverkauf zeigen – und wie wissenschaftlich begleitete Shops die Basis für eine neue, realistische und kontrollierte Cannabispolitik schaffen könnten.
Seit April 2024 ist in Deutschland der Besitz kleiner Mengen Cannabis für Erwachsene legal – ein politischer Paradigmenwechsel, der viele Fragen offen ließ. Zwar dürfen Erwachsene nun bis zu 25 Gramm Cannabis mit sich führen und bis zu drei Cannabis-Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen, doch der regulierte Verkauf bleibt weiterhin untersagt. Die sogenannte „Säule zwei“ des Konsumcannabisgesetzes, welche wissenschaftlich begleitete Modellregionen mit lizenzierten Verkaufsstellen vorsieht, lässt bislang auf sich warten. Während sich die Politik noch um Verordnungen und Zuständigkeiten bemüht, hat ein Land bereits Fakten geschaffen: die Schweiz.
Dort, im Kanton Basel-Landschaft, hat im Dezember 2023 Europas erstes legales Cannabis-Fachgeschäft eröffnet: Grashaus Projects. In Allschwil, einem beschaulichen Ort an der französischen Grenze, verkaufen geschulte Mitarbeiter:innen nun ganz legal Cannabisprodukte an registrierte Studienteilnehmer:innen – getrocknete Blüten, Haschisch, Vape-Liquids und Edibles. Ein zweiter Standort in Liestal folgte im Frühjahr 2024. Möglich macht das eine vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) bewilligte Pilotstudie, getragen vom Institut für Sucht- und Gesundheitsforschung (ISGF) und dem Berliner Cannabisunternehmen Sanity Group.
„Unser Ziel ist es, qualitativ hochwertige Produkte in einem sicheren und regulierten Umfeld anzubieten. Wir sehen unseren Shop dabei auch als Ort der Aufklärung“, sagt Finn Hänsel, Gründer und CEO der Sanity Group. Für ihn ist das Grashaus Projects genannte Vorhaben mehr als ein Experiment: Es sei ein Modell für eine moderne Cannabispolitik – und möglicherweise ein Wegweiser für Deutschland. Die Produkte stammen aus regionaler Bioproduktion und durchlaufen ein umfassendes Track-and-Trace-System. Nur wer nach medizinischer Eignungsprüfung und Online-Befragung als Studienteilnehmer:in zugelassen wurde, darf einkaufen – kontrolliert, limitiert, dokumentiert.
In Deutschland hat die Cannabisreform von 2024 Erwartungen geweckt – und zugleich neue Leerstellen produziert. Zwar ist der Konsum inzwischen nicht mehr strafbar, der legale Erwerb bleibt jedoch nur über den Eigenanbau oder Cannabis-Anbauvereinigungen möglich. Für viele Konsumierende bedeutet das: keine verlässliche Produktqualität, keine Beratung, keine Versorgungssicherheit. Eine Zwischenlösung, die der Schwarzmarkt dankend füllt.
„Um Konsument:innen den Bezug von sicherem, kontrolliertem Cannabis zu ermöglichen sowie den Schwarzmarkt nachhaltig zu bekämpfen, reichen Eigenanbau und Cannabis Clubs nicht aus“, warnt Hänsel. Sein Appell: „Ein wichtiger Schritt ist, dass mithilfe wissenschaftlicher Studien die notwendigen Weichen für die Erreichung der Legalisierung-Ziele gestellt werden.“ Denn Studien, so Hänsel, schaffen die Grundlage für „einen qualitätsgesicherten, verantwortungsvollen Cannabismarkt“.
Genau das sollen die nun geplanten Modellprojekte in Deutschland leisten: In Berlin (Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln), Frankfurt am Main und Hannover laufen die Vorbereitungen für Fachgeschäfte auf Hochtouren. Noch fehlt allerdings die notwendige Verordnung – die sogenannte Konsumcannabis-Wissenschafts-Zuständigkeitsverordnung (KCanWV) –, welche die Genehmigung solcher Projekte erst möglich macht. Die Sanity Group steht bereit, das Verkaufskonzept liegt vor.
Inhaltlich orientieren sich die deutschen Projekte stark am Schweizer Vorbild: Teilnehmende müssen gesundheitliche Voraussetzungen erfüllen, erhalten einen pseudonymisierten Ausweis, nehmen an regelmäßigen Befragungen teil und können so Cannabisprodukte in lizenzierten Verkaufsstellen beziehen. Eine Weitergabe an Dritte ist untersagt. Begleitend sind Workshops zur Konsumkompetenz geplant, zudem sollen auffällige Konsummuster frühzeitig erkannt und an Beratungsstellen weitergeleitet werden.
Die Studienleiter:innen – in Deutschland u. a. die Suchtmedizinerin Prof. Dr. Kirsten Müller-Vahl und der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Heino Stöver – verfolgen dabei ein klares Ziel: den Erkenntnisgewinn. Wie verändert sich das Konsumverhalten unter legalen Bedingungen? Welche gesundheitlichen Folgen sind zu beobachten? Wie wirkt sich ein regulierter Markt auf Kriminalität, Jugendschutz und öffentliche Sicherheit aus?
In der Schweiz werden diese Fragen bereits untersucht. Die Studie läuft dort über fünf Jahre, umfasst knapp 4.000 Teilnehmende und erhebt Daten zu körperlicher wie psychischer Gesundheit. Erste Rückmeldungen sind positiv: Viele loben die Produktsicherheit, den strukturierten Aufnahmeprozess, die kompetente Beratung. Was nüchtern klingt, ist politisch brisant – denn der regulierte Rausch könnte bald zur Blaupause für ganz Europa werden.
Wie ernst es Deutschland mit der evidenzbasierten Cannabispolitik ist, dürfte sich im Herbst 2025 zeigen. Dann will die Bundesregierung – laut aktuellem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD – das Cannabisgesetz evaluieren. Ziel der Überprüfung: herauszufinden, wie sich die Teillegalisierung auf Jugendschutz, Gesundheit und den Schwarzmarkt ausgewirkt hat – und ob gesetzliche Nachjustierungen nötig sind.
„Es ist der richtige Schritt, dass die Koalition das Cannabisgesetz wie geplant evaluieren möchte, um zu prüfen, wie sich die bisherige Teillegalisierung auf Themen wie Jugendschutz, Gesundheitsschutz und die Eindämmung des Schwarzmarktes auswirkt”, so Hänsel. “Gleichzeitig ist es hierfür entscheidend, das Gesetz zunächst vollständig umzusetzen.”
Deshalb fordert er, was viele Akteur:innen der Branche längst betonen: die sofortige Freigabe der Modellprojekte. Nur so könne man auf fundierter Datenbasis beurteilen, was funktioniere – und was nicht. “Nur durch eine datengestützte und wissenschaftlich fundierte Analyse können wir die richtigen Maßnahmen ergreifen, um einen qualitätsgesicherten, verantwortungsvollen Cannabismarkt zu etablieren und dabei die Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung zu minimieren.”
Der Kauf von Cannabis bleibt in Deutschland eine komplizierte Angelegenheit. Zwischen Teillegalisierung und Vollregulierung klafft eine Lücke, die Modellprojekte nun schließen sollen. Sie sind mehr als ein politisches Feigenblatt – sie sind ein realer Testlauf für eine Drogenpolitik, die nicht länger auf Strafandrohung, sondern auf Forschung, Aufklärung und Vertrauen setzt.
Der nüchterne Blick auf den Rausch könnte am Ende mehr bewirken als Jahrzehnte der Prohibition. Und vielleicht wird in ein paar Jahren ein legaler Cannabiskauf in Deutschland ebenso selbstverständlich sein. Nur eben mit etwas mehr Nachdenklichkeit – und vor allem mit wissenschaftlichem Begleitschutz.
Teilweise. Seit April 2024 dürfen Erwachsene ab 18 Jahren bis zu 25 Gramm Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken besitzen und konsumieren – allerdings nicht im öffentlichen Handel erwerben. Der Kauf ist derzeit nur in zwei Fällen legal: im Rahmen eines ärztlich verordneten Rezepts in der Apotheke oder über Cannabis Social Clubs. Der freie Verkauf in Fachgeschäften ist derzeit (noch) nicht erlaubt.
Kann ich Cannabis ohne Rezept legal erwerben?
Nicht im regulären Handel. Für medizinisches Cannabis ist weiterhin ein Rezept erforderlich – ausgestellt von einem Arzt oder einer Ärztin, meist bei chronischen Erkrankungen. Für Konsumcannabis ohne Rezept ist der Kauf aktuell nur über genehmigte Anbauvereinigungen (Cannabis-Clubs) möglich.
Kann man Cannabis online bestellen?
Konsumcannabis kann in Deutschland nicht legal online gekauft werden. Wer Cannabis ohne Rezept online bestellt, bewegt sich im illegalen Bereich – und riskiert nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch die eigene Gesundheit: Stichprobenanalysen zeigen, dass Schwarzmarktprodukte häufig mit Pestiziden, Haarspray oder sogar harten Drogen verunreinigt sind.
Anders sieht es bei medizinischem Cannabis aus: Hier hat sich in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an seriösen Telemedizin-Plattformen etabliert, die sich auf medizinisches Cannabis spezialisiert haben. Patient:innen mit chronischen Beschwerden – etwa Schmerzen, Schlafstörungen oder Angstzuständen – können sich dort online beraten lassen. Bei medizinischer Eignung kann ein Rezept ausgestellt werden, das dann direkt an eine Versandapotheke übermittelt wird.
Wie viel Cannabis darf ich mit Rezept in der Apotheke kaufen?
Das hängt vom individuellen ärztlichen Therapieplan ab. Es gibt keine generelle Grammgrenze pro Einkauf, sondern eine monatsbezogene Höchstmenge, die von der verordneten Tagesdosis abhängt. In der Regel bewegen sich die verordneten Mengen zwischen 5 und 100 Gramm pro Monat.
Darf ein Hausarzt Cannabis verschreiben?
Ja, Hausärzte und Hausärztinnen dürfen Cannabis verschreiben – und das ist seit April 2024 auch deutlich einfacher geworden. Mit der Teillegalisierung wurde medizinisches Cannabis in Teilen aus dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) herausgelöst. Alle approbierten Ärzte und Ärztinnen (mit Ausnahme von Zahn- und Tierärzten und -ärztinnen) dürfen nun Cannabisarzneimittel mit standardisiertem THC-Gehalt regulär auf einem normalen Kassenrezept verschreiben.