THC verflüchtigt sich nicht mit dem letzten Zug – es bleibt. Mal im Blut, mal im Urin, mal verborgen in den Fettzellen des Körpers. Wer Cannabis konsumiert, trägt Spuren davon oft länger mit sich, als viele vermuten. In einer Gesellschaft, die Cannabis zunehmend entkriminalisiert, bleibt die Frage der Nachweisbarkeit umso relevanter – juristisch, medizinisch und gesellschaftlich. Wann ist ein positiver Test ein Beweis für Konsum – wann ein Missverständnis? Und was bedeutet das alles für Menschen, die am Straßenverkehr teilnehmen?
Von außen betrachtet wirkt Cannabis flüchtig. Ein Rausch, ein kurzer Ausflug ins Weiche, ins Verlangsamte – und dann der Alltag. Doch das täuscht. THC, der psychoaktive Wirkstoff der Cannabis-Pflanze, ist ein chemischer Langzeitgast. Anders als Alkohol, der binnen Stunden verstoffwechselt wird, bleibt THC oft wochen- oder gar monatelang im Körper. Das liegt nicht nur an seiner Fettlöslichkeit, sondern auch an einer biologischen Strategie, die dem Körper einst das Überleben sichern sollte.
Die Nachweisbarkeit von THC hängt stark vom Konsumverhalten, vom Körperfettanteil und von der Art des Tests ab. Es gibt jedoch grobe Richtwerte:
THC selbst wird im Urin nicht in nennenswerter Menge ausgeschieden – nachgewiesen wird dort vor allem der inaktive Abbauprodukt THC-COOH, das durch seine Fettlöslichkeit besonders lange im Körper verbleiben kann. Laut einer Studie aus 2016 hängt das Nachweisfenster stark vom Konsumverhalten ab: Bei gelegentlichem Konsum ist THC-COOH im Urin meist 1 bis 3 Tage nachweisbar. Bei regelmäßigem oder chronischem Konsum kann die Nachweisbarkeit jedoch mehrere Wochen betragen.[1]
Im Blut ist THC meist nur bis zu 12 Stunden nachweisbar, THC-COOH – der Hauptmetabolit – aber kann mehrere Tage bis eine Woche im Blut zirkulieren, insbesondere bei Vielkonsumierenden.[1]
Diese Angaben spiegeln allerdings nur die halbe Wahrheit wider – denn der Körper hat die Tendenz, alte Cannabinoide unter bestimmten Bedingungen wieder freizusetzen.
THC ist ein stark fettlösliches Molekül. Schon wenige Minuten nach dem Konsum verteilt es sich im Körper und lagert sich bevorzugt in Fettgewebe ein – besonders in der Unterhaut oder am Bauch. Dort kann es wochenlang verbleiben, ohne abgebaut zu werden. Erst wenn Fett abgebaut wird – etwa durch Sport, Fasten oder Stress – wird auch das gespeicherte THC wieder mobilisiert.[2]
Dieser Effekt erklärt, warum langjährige Konsument:innen noch Wochen nach dem letzten Joint bei Urin- oder Bluttests auffallen können – obwohl sie abstinent sind.
Die gängigsten Drogentests – sogenannte Immunoassays – sind sensitiv, aber nicht sehr spezifisch. Das bedeutet: Sie schlagen auch auf Substanzen an, die dem gesuchten Molekül ähnlich sind. So kann etwa Hustensaft mit Dextromethorphan ein falsch-positives Ergebnis für PCP verursachen. Oder ein Antibiotikum wie Levofloxacin den Opiat-Test verfälschen.[1]
Ein weiteres Problem: Viele Standardtests (z. B. das „SAMHSA-5“-Panel) erfassen nicht alle relevanten Substanzen – synthetische Cannabinoide oder neuartige psychoaktive Stoffe fallen häufig durch das Raster.[1]
Noch gravierender aber ist: Ein positiver Urintest kann auch durch körpereigene Mobilisierung von altem THC entstehen – ganz ohne neuen Konsum.
Die vielleicht eindrucksvollste Erkenntnis stammt aus einer tierexperimentellen Studie der Universität Sydney. Dort zeigte sich: Weder ein neuer Joint noch eine Täuschung im Test war nötig – es reichte, Ratten mit vorherigem THC-Konsum 24 Stunden fasten zu lassen. Ergebnis: Der THC-Spiegel im Blut stieg signifikant an – ebenso wie die Menge an THC-COOH, dem nicht psychoaktiven Abbauprodukt.[2]
Dasselbe geschah, wenn man den Ratten ACTH injizierte, ein Stresshormon, das die Lipolyse – also den Fettabbau – fördert. In beiden Fällen stieg der THC-Spiegel im Blut um ein Vielfaches an – ohne neuen Konsum.
Die Konsequenz: Ein positiver THC-Nachweis beweist nicht zwingend aktuellen Konsum. Das ist nicht nur eine juristische Spitzfindigkeit – es betrifft echte Menschen. Menschen, die mit Führerscheinentzug, Arbeitsplatzverlust oder Reputationsschäden konfrontiert sind.
Die Frage, wann man nach dem Cannabiskonsum wieder ans Steuer darf, ist juristisch und medizinisch alles andere als trivial. Denn anders als bei Alkohol gibt es beim Cannabis keine klare Faustregel. Die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) und die Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) haben deshalb eine differenzierte Empfehlung formuliert, die sich an den Konsumgewohnheiten orientiert – und an dem, was seriöse Studien bisher über Abbau und Wirkung von THC sagen.[3]
Für gelegentliche Konsument:innen, die in größeren Abständen und in moderaten Mengen konsumieren, gilt laut DGVP: Nach etwa 6 bis 7 Stunden sinkt der THC-Wert im Blutserum meist unter 1 ng/ml. Bereits nach 3 bis 5 Stunden sind in vielen Fällen Werte unterhalb von 3,5 ng/ml messbar. Die DGVP empfiehlt dennoch eine Mindestwartezeit von 12 Stunden nach dem Konsum, um fahrsicherheitsrelevante Beeinträchtigungen auszuschließen. Wer unter THC-Einfluss einen Unfall verursacht, könnte nämlich auch unterhalb des Grenzwerts strafrechtlich belangt werden, wenn eine relative Fahrunsicherheit nachgewiesen wird.
Bei höher dosierten "Joints", unklarem THC-Gehalt oder oralen Konsumformen (z. B. Edibles) rät die DGVP zu einer deutlich längeren Wartezeit von mindestens 24 Stunden. Denn hier setzt die Wirkung oft verzögert ein – und hält länger an.
Komplexer wird es bei regelmäßigem Konsum, etwa mehrmals pro Woche. Hier kann sich THC im Fettgewebe anreichern – mit der Folge, dass es über Tage hinweg ins Blut rückdiffundiert. In diesen Fällen ist selbst nach 3 bis 5 Tagen noch mit nachweisbaren Mengen zu rechnen, die oberhalb des Grenzwerts liegen können. Bei täglichem oder hochfrequentem Konsum ist eine Teilnahme am Straßenverkehr laut DGVP grundsätzlich nicht möglich – sie sollte erst nach mehreren Wochen Abstinenz überhaupt in Erwägung gezogen werden.
Die zentrale Botschaft der DGVP lautet daher: Wer Cannabis konsumiert, sollte – sofern er oder sie nicht dauerhaft auf das Autofahren verzichten will – frühzeitig und klar trennen. Nicht nur wegen der Nachweisbarkeit, sondern auch, weil die Wirkung von THC auf die Fahrsicherheit individuell stark schwanken kann.
Unser Tipp: Mehr zum Thema Cannabis und Führerschein und was das alles für Cannabis-Patient:innen bedeutet, findest du in unserem Artikel "Neuer THC-Grenzwert: Auto fahren nach Cannabis-Konsum?".
Wie lange THC nachweisbar ist, lässt sich also nicht pauschal beantworten. Es hängt vom Konsumprofil ab, vom Stoffwechsel, vom Fettanteil – und davon, ob der Körper in einem Moment alter Belastung das tut, was er evolutionär gelernt hat: Ressourcen freisetzen. Dass THC dabei ist, ist für ihn irrelevant – für Justiz und Medizin aber entscheidend.
[1] Hadland, S. E., & Levy, S. (2016). Objective testing: Urine and other drug tests. Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America, 25(3), 549–565.
[2] Gunasekaran, N., Long, L. E., Dawson, B. L., Hansen, G. H., Richardson, D. P., Li, K. M., Arnold, J. C., & McGregor, I. S. (2009). Reintoxication: The release of fat-stored delta(9)-tetrahydrocannabinol (THC) into blood is enhanced by food deprivation or ACTH exposure. British Journal of Pharmacology, 158(5), 1330–1337.
[3] Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) & Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM). (2024, Mai). Empfehlung einer Wartezeit nach Konsum von Cannabis vor Verkehrsteilnahme.