Cannabis und LGBTQ+ – Seit 30 Jahren ein glückliches Paar

Inhaltsverzeichnis:

  • San Francisco als Keimzelle einer weltweiten Bewegung
  • Dennis Peron und der Cannabis Buyers Club
  • Gelebter Aktivismus von Brownie Mary
  • Enge Vernetzung in den USA und LGBTQ+-Cannabis-Brands & -Produkte
  • Kaum Synergieeffekte in Deutschland
  • Zusammen für gemeinsame Interessen
  • Cannabis und LGBTQ+: Der monetäre Aspekt
  • FAQs – Häufige Fragen zu LGBTQ+ und Cannabis

Während in den USA Cannabis- und LGBTQ+-Aktivismus oft Hand in Hand gehen, sind die Vertreter dieser großen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland kaum miteinander vernetzt. Das liegt allerdings nicht daran, dass deren Anliegen rein gar nichts miteinander zu tun hätten, LGBTQ+-Menschen nicht kiffen oder alle Kifferinnen und Kiffer heterosexuell wären. Der Grund hierfür ist vielmehr die unterschiedliche Entwicklung der LGBTQ+- sowie der Cannabispolitik in Deutschland und Kalifornien.

In Kalifornien hatten Cannabis-Patient:innen zusammen mit Angehörigen und Freund:innen ihr Anliegen gegen große politische Widerstände bereits 1996 durchgesetzt. Ähnlich wie in Deutschland lenkten staatliche Institutionen erst ein, nachdem eine juristische Niederlage unabwendbar war. In Kalifornien ging es 1996 jedoch nicht wie 2016 in Deutschland um ein höchstrichterliches Urteil, sondern einen Volksentscheid (California Proposition 215), der die medizinische Verwendung von Cannabis in Kalifornien gegen alle politischen Widerstände legalisiert hatte.

In Deutschland wurden die Weichen für das Gesetz zur medizinischen Verwendung von Cannabis ebenso wenig von der Politik, sondern von Patient:innen und Gerichten gestellt. Nachdem die Bundesrepublik Deutschland zwischen 2004 und 2016 Cannabis-Patient:innen verklagt und fast alle Prozesse verloren hatte, lenkte die Große Koalition nach der letzten von zahlreichen Niederlagen vor dem Bundesverwaltungsgericht 2016 schlussendlich ein. 2017 wurde dann das Betäubungsmittelgesetz geändert, um Patient:innen zukünftig eine gesetzliche Grundlage für die medizinische Verwendung von Cannabis zu gewährleisten.

San Francisco als Keimzelle einer weltweiten Bewegung

Doch anders als später in Deutschland ging es in Kalifornien 1996 nicht um Patient:innen mit vielen unterschiedlichen Diagnosen wie MS, chronischen Schmerzen oder PTBS. In Kalifornien drehte sich seit Anfang der 1980er Jahre alles um das HI-Virus. Die größte LGBTQ+-Community der Welt lebte in Todesangst vor einem Virus, gegen den es damals keine wirksamen Medikamente gab. Viele Infizierte starben binnen weniger Monate.

Das staatliche Gesundheitssystem war überfordert und konzentrierte sich auf die Senkung der Infektionsrate, nicht auf die Behandlung der damals dem Tode geweihten Patient:innen. Cannabiskonsum half den ersten AIDS-Patient:innen in vielen Fällen gegen drei häufig auftretende Komplikationen: Es kann den Appetit der Patient:innen steigern, Übelkeit reduzieren und Muskelschmerzen lindern.

In der LGBTQ+-Community, besonders in deren inoffizieller Hauptstadt San Francisco, sprach sich sehr schnell herum, dass illegales Cannabis einige der HIV-Symptome lindere und den Appetit der stark ausgezehrten Patient:innen anrege. So hatte die LGBTQ+-Gemeinschaft jetzt ein neues und dringendes Bedürfnis nach einer legalen Möglichkeit zur Cannabis-Therapie. Cannabis wurde so sehr früh zu einem hilfreichen Mittel zur Verbesserung der Lebensqualität von HIV-/AIDS-Patient:innen.

Da LGBTQ+-Personen damals überproportional häufig von HIV/AIDS betroffen waren, begann sich der Aktivismus für LGBTQ+-Rechte mit dem Cannabis-Aktivismus politisch und personell zu überschneiden. So gab es besonders in der Bay-Area in und um San Francisco bald viele Aktive, die sich sowohl für die Rechte von LGBTQ+-Menschen und AIDS-Patient:innen als auch für eine Liberalisierung der Cannabis-Politik einsetzten.

Dennis Peron und der Cannabis Buyers Club

Einer der bekanntesten unter ihnen war der Vietnam-Veteran Dennis Peron (1945-2018). Peron unterstützte bereits in den 1970er-Jahren Harvey Milk (1930-1978), einen der damals bekanntesten LGBTQ+-Aktivisten der USA. Nachdem sein Lebenspartner 1990 an den Folgen des Virus verstorben war, initialisierte Peron 1991 die Verabschiedung von San Franciscos Proposition P. Diese Resolution forderte die Regierung des Bundesstaates auf, medizinisches Cannabis zuzulassen und erhielt 79 % der Wähler:innenstimmen.

Auf Grundlage von Proposition P eröffnete Peron 1994 den „San Francisco Cannabis Buyers Club“, die erste Abgabestelle für medizinisches Cannabis in den USA. 1996 war Peron dann Mitverfasser der kalifornischen Proposition 215. Die sollte eine Verwendung von medizinischem Cannabis noch im gleichen Jahr legalisieren. Peron wurde aufgrund seiner Aktivitäten einmal von der Polizei angeschossen, mehrfach inhaftiert und angeklagt. Der LGBTQ+- und Cannabis-Aktivist wurde 2017 vom Stadtrat San Franciscos mit einem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet und verstarb 2018.

Gelebter Aktivismus von „Brownie Mary“

Auch Perons Weggefährtin Mary Jane Rathbun aka „Brownie Mary“ (1922-1999) schrieb im San Francisco der 1980er- und 1990er-Jahre früh queere Cannabis-Historie. Rathbun backte Anfang der 1980er-Jahre täglich etwa 600 Cannabis-Brownies und bewarb diese plakativ in San Francisco als „magisch leckere Brownies nach Originalrezept“. 1981 fand die Polizei bei einer Razzia in Rathbuns Haus mehr als 8,2 kg Cannabis. Sie erhielt drei Jahre auf Bewährung und musste 500 Stunden gemeinnützige Arbeit ableisten. Die sollte Rathbun im Shanti-Projekt, einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit HIV/AIDS, ableisten.

Rathbuns Kundenstamm bestand vorwiegend aus schwulen Männern. Während viele von ihnen in den frühen 1980er-Jahren an AIDS erkrankt waren, wurde Brownie Mary klar, dass Cannabis nicht nur den Appetit ausgezehrter HIV-Patient:innen, sondern auch den von Krebspatient:innen anregen könnte. Sie begann mithilfe von gespendetem Cannabis hunderte Brownies zu backen und ihr Backwerk kostenlos an Kranke zu verteilen. Ende 1982 wurde sie auf dem Weg zu einer krebskranken Freundin mit einer Tüte Brownies unterm Arm verhaftet. Die Aktivistin wurde ins städtische Gefängnis verbracht und wegen mehrfachen Besitzes und Verstoßes gegen ihre Bewährungsauflagen festgehalten. Der Staatsanwalt ließ die Anklage schlussendlich fallen. 

Ab 1984 arbeitete Rathbun ehrenamtlich auf der AIDS-Station (Station 86) des San Francisco General Hospital (SFGH) und wurde 1986 dort als „Freiwillige des Jahres“ gekürt. Trotzdem folgten bis zur vollständigen Legalisierung von medizinischen Cannabis 1996 immer wieder Verhaftungen und erfolglose Anklagen wegen Cannabisbesitzes gegen „Brownie Mary“.

In den 1990er Jahren war Rathbun zusammen mit Dennis Peron federführend bei der Kampagne zur Proposition P (1991) und dem „Compassionate Use Act“ (Proposition 215) von 1996. Rathbun und Dennis Peron wurden 1997 zu Grand Marshals der San Francisco Gay Pride Parade ernannt. Mary Jane Rathbun starb 1999 im Alter von 76 Jahren.

Peron und Rathbun stehen stellvertretend für Individuen und NGOs, die sich in den USA gleichzeitig und mit vehementem Nachdruck für die Rechte der LGBTQ+- und der Cannabis-Community eingesetzt haben und dies bis heute tun.

Enge Vernetzung in den USA und LGBTQ+-Cannabis-Brands & -Produkte

Die Vernetzung der LGBTQ+- und der Cannabis-Szene ist in den USA noch heute wesentlich enger als hierzulande – auch wenn ihre Anliegen dort inzwischen gesellschaftlich weitgehend akzeptiert sind. Während man in Deutschland vergeblich eine Verbindung zwischen LGBTQ+- und Cannabis-Aktivismus sucht, gibt es in den USA viele Cannabis-Produkte  und -Dienstleistungen von Brands, die gezielt queere Konsumierende ansprechen sollen. Das High Times Magazine berichtet regelmäßig über queere Cannabis Events oder wirbt für LGBTQ+ freundliche Cannabis-Locations.

Kaum Synergieeffekte in Deutschland

In Deutschland hingegen findet man nicht einmal auf dem Kölner oder dem Berliner Christopher Street Day einen Themenwagen zu Cannabis. Auch die großen LGBTQ+-Magazine berichten sehr sporadisch zu dem Thema, das derzeit selbst die Kolumnist:innen der großen Tageszeitungen regelmäßig beschäftigt. Auf der Seite der Deutschen AIDS-Hilfe findet man nicht den kleinsten Hinweis auf Verwendung von medizinischem Cannabis – obwohl AIDS eine der wenigen anerkannten Indikationen in Deutschland zur Verordnung von Cannabisprodukten ist.

Anders herum findet man auf der Seite des Deutschen Hanfverbandes (DHV), in großen Cannabis-Magazinen oder anderen Cannabis-NGOs und -Verbänden kaum Angebote, Inhalte oder Artikel für oder über die LGBTQ+-Community. Berliner Cannabis-Aktive hatten auf den CSDs zwischen 2016 und 2018 immerhin einen Hanfblock angemeldet und gebildet. Auch der Mannheimer CSD konnte in den letzten beiden Jahren auf einen DHV-Hanfblock verweisen. Aber abgesehen von diesen ersten, zarten Annäherungsversuchen gehen beide Lager weiterhin getrennte Wege.

Zusammen für gemeinsame Interessen

Es ist müßig, nach den Gründen für die scheinbar fehlende Vernetzung beider Communitys zu suchen. Einer der Gründe für die fehlende Zusammenarbeit ist jedoch sicherlich die zeitliche Entwicklung. In Deutschland schaffte es Cannabis erst auf die politische Agenda, als die elementaren Rechte der LGBTQ+-Community bereits gesetzlich verankert waren. 

In den USA hingegen verlief die Entwicklung eher parallel. Dort gibt es sogar Bundesstaaten wie Michigan, wo Cannabis seit zehn Jahren legal ist, während die gleichgeschlechtliche Ehe zumindest gemäß Landesrecht verboten bleibt. Oder auch Iowa: Dort dürfen Lesben oder Schwule zwar heiraten, aber für Cannabis kann man immer noch bis zu 50 Jahre ins Gefängnis wandern. 

In Deutschland wäre es auf politischer Ebene sogar unkomplizierter, gemeinsame Netzwerke zu schaffen. Denn hier spielt die Landespolitik, anders als in den USA, in beiden Bereichen eine untergeordnete Rolle. Gesetze, welche die LGBTQ+-Community betreffen, gelten bundesweit. Solche, die den Status von Cannabis betreffen, auch.

Cannabis und LGBTQ+: Der monetäre Aspekt

Die freie Wirtschaft hat nach der Monetarisierung der LGBTQ+-Community jetzt auch den cannabisaffinen Teil der Bevölkerung als Zielgruppe identifiziert und ins ökonomische Visier genommen. Denn beide Märkte winken mit Milliardenumsätzen. 

Leider haben die Vertreter:innen und Organisationen beider Gemeinschaften es bislang versäumt, ihre gemeinsamen Interessen zu erkennen, zu benennen und zusammen an deren Umsetzung zu arbeiten. Ein Beispiel dafür ist die Regelversorgung von HIV-Patient:innen mit Cannabis. Obwohl sie ihre Cannabis-Therapie nicht selten aus eigener Tasche bezahlen müssen, haben weder Cannabis- noch LGBTQ+-Verbände diesen fünf Jahre bestehenden Missstand je öffentlich kritisiert.

In Übersee haben beide Seiten die Synergieeffekte bereits vor Jahrzehnten erkannt und seitdem erfolgreich daran gearbeitet, durch gemeinsame Positionen und Aktivitäten eine diverse Zukunft zu gestalten. Wenn Deutschlands Player beider Lager nicht bald nachziehen, wird eine LGBTQ+-orientierte Cannabiskultur nach US-amerikanischem Vorbild noch viele Jahre brauchen, um sich in Deutschland oder in anderen EU-Staaten mit ähnlichen Gesetzesvorhaben durchzusetzen.

FAQs – Häufige Fragen zu LGBTQ+ und Cannabis

Was bedeutet LGBTQ+?

LGBTQ+ steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und queer, und das Pluszeichen repräsentiert die Vielfalt von Identitäten jenseits dieser Hauptkategorien. Es ist eine Sammelbezeichnung für eine breite Gemeinschaft von Personen, die sich selbst als nicht-heterosexuell oder nicht-cisgeschlechtlich identifizieren. Die Abkürzung dient dazu, die verschiedenen Identitäten und Erfahrungen innerhalb dieser Gemeinschaft zu würdigen und sichtbar zu machen.

Wer war „Brownie Mary“?

„Brownie Mary“ war der Spitzname von Mary Jane Rathbun, einer Aktivistin und Befürworterin der medizinischen Verwendung von Cannabis. Sie engagierte sich während der AIDS-Krise der 1980er Jahre in San Francisco und verteilte selbstgemachte Cannabis-basierte Brownies an HIV/AIDS-Patienten, um deren Schmerzen und Symptome zu lindern. Ihre Tätigkeit trug dazu bei, das Bewusstsein für die medizinischen Vorteile von Cannabis zu schärfen und die Legalisierung medizinischer Anwendungen voranzutreiben.

Was ist die Proposition P?

Die „Proposition P“ war ein Gesetzesvorschlag, der im Jahr 1991 in San Francisco, Kalifornien, eingeführt wurde. Sie hatte das Ziel, die Strafverfolgung von Cannabis-Delikten auf das Minimum zu reduzieren. Die Abstimmung über die Proposition P fand im selben Jahr statt und wurde von einer Mehrheit der Wähler unterstützt. Dies war ein wichtiger Schritt in Richtung der Entkriminalisierung von Cannabis und trug zur Entwicklung der späteren Proposition 215 bei, die medizinisches Cannabis legalisierte.