Medizinisches Cannabis im Alltag – wann und wo darf ich konsumieren?

Die medizinische Verwendung von Cannabis zu Ausnahmezwecken ist seit 2007 zulässig. Ohne Ausnahmegenehmigung ist sie seit der Schaffung eines entsprechenden Gesetzes 2017 legal. Patient:innen, die über ein gültiges Rezept verfügen, dürfen Cannabis nach ärztlicher Verordnung einnehmen. Wird eine inhalative Einnahme verordnet, sollen Patient:innen im Normalfall mehrmals täglich eine auf dem Rezept festgelegte Menge inhalieren. Doch auch Cannabis-Patient:innen wollen und müssen ihre Wohnung über mehrere Stunden hinweg verlassen, verreisen und arbeiten gehen.

Da drängt sich die Frage auf, wie und wo die Medizinalblüten gefahrlos inhaliert werden dürfen. Beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als zuständige Behörde stand früher, der Konsum dürfe in der Öffentlichkeit nicht ostentativ, also „zur Schau stellend“, stattfinden. Mittlerweile wurde das Wording geändert und es heißt „[…],  sollte die Anwendung – wenn immer möglich – nicht im öffentlichen Raum stattfinden.

Das Problem bei beiden Formulierungen ist deren Schwammigkeit. Sowohl „nicht ostentativ” als auch „wenn immer möglich” sind rechtlich sehr dehnbar. Die Vorgabe der Behörde ist im Prinzip unbrauchbar, weil es sich weder um ein klares Verbot noch eine klare Regelung handelt.

Medizinisches Cannabis riecht wie Gras

Da man den meisten Cannabis-Patient:innenn ihren Status nicht von außen ansieht, werden sie in der Öffentlichkeit oder von Polizeibeamt:innen meist als Freizeit-Kiffer:innen wahrgenommen. Das führt immer noch regelmäßig zu unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahmen. Eine Dienstanweisung der Polizeiführung zum Umgang mit diesem Phänomen, wie sie in Berlin schon seit 2015 existiert, gibt es nicht längst in jedem Bundesland.

Auch eine Anfrage des Deutschen Hanfverbands vom September 2017 konnte die Frage, wie und wo man medizinisches Cannabis ungestraft einnehmen könne, nicht endgültig klären.

Die meisten Bundesländer stellen den Konsum mit dem von Nikotinprodukten gleich. Wer über eine entsprechende Verordnung verfügt, darf dort inhalieren, wo andere rauchen dürfen. Aber auch das variiert von Bundesland zu Bundesland ein wenig. Thüringen und Rheinland-Pfalz hatten dem DHV 2017 sogar geantwortet, man werde Cannabis-Patient:innen auch mit gültigen Papieren einer Leibesvisitation unterziehen.

Auf erneute Nachfrage antwortete das Innenministerium in Rheinland-Pfalz Ende April 2023 dann, die Polizei kontrolliere lediglich die Personalien und die erforderlichen Dokumente, welche den Status als Patient:in belegen. Das Thüringer Innenministerium antwortete, die Polizei gehe jedwedem Cannabis-Konsum in der Öffentlichkeit nach. Erst im zweiten Schritt könne „logischerweise die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren klären, ob eine medizinische Indikation nachgewiesen werden konnte. Es geht also nicht ums “filzen” von Cannabis-Patienten, sondern um die Kontrolle von Cannabis rauchenden Konsumenten.”

Die Medizin ist in so einem Falle trotzdem erstmal ohne Rechtsgrundlage weg – auch wenn ein:e Patient:in nicht gefilzt wird. So ist nicht wie von vielen erwartet Bayern, sondern das Rot/Rot/Grüne Thüringen derzeit das einzige Bundesland, in dem der nicht ostentative Konsum von medizinischem Cannabis zu mehr als einer gewöhnlichen Überprüfung führen könnte.

Fehlende Rechtssicherheit

Leider gibt es nach sechs Jahren „Cannabis als Medizin“-Gesetz immer noch keine klaren Vorgaben für Cannabis-Patient:innen, die außerhalb ihrer eigenen vier Wände ihre Medizin einnehmen müssen. Auf Veranstaltungen wie der Hanfparade oder dem 420Day akzeptiert die Berliner Polizei den so genannten Patientenbereich – eine Art Käfig für Patient:innen – weil man sie sonst nicht von den Freizeitkonsumierenden unterscheiden könne. Die rechtliche Grundlage hierfür ist mehr als fragwürdig, schließlich ist der reine Konsum auch bei Freizeitusern nicht strafbar. Von Cannabis-Patient:innen zu verlangen, sich vom Rest einer Hanfdemo abzugrenzen, um nicht für Kiffer gehalten zu werden, ist auch kaum nachvollziehbar. 

Zu guter Letzt lassen die Definitionen „ostentativ“ oder „wenn immer möglich” auch zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten zu, die schlussendlich nur von Gerichten geklärt werden können. Nur weil eine Beamtin oder ein Beamter etwas riecht, findet der Konsum nicht zwingend ostentativ statt. Anders sieht es natürlich aus, wenn man sich provokativ neben eine:n Polizist:in stellt, um sie oder ihn ein wenig anzupusten oder anderweitig auf sich aufmerksam zu machen. Für solche unlustigen Späßchen kann man sogar gemäß §32a des Betäubungsmittelgesetzes bestraft werden. So geschehen Anfang 2021 in Führt (Bayern), wo ein Cannabis-Patient vom Oberlandesgericht wegen eines Verstoßes gegen §32 BtmG zu einem Ordnungsgeld in Höhe von 50 Euro verdonnert worden war. §32a definiert eben jene Ordnungswidrigkeiten im BtmG, die nicht als Straftaten gelten.

Auch sechs Jahre nach Einführung des Gesetzes haben Cannabis-Patient:innen keine richtige Rechtssicherheit. Bei Kontrollen durch die Polizei passiert es immer noch, dass sie wie Schwerverbrecher zu Boden gedrückt und gefesselt werden, bevor das Rezept überhaupt gezeigt und kontrolliert werden konnte. Um nicht Opfer eines BTM-Ermittlungsverfahrens zu werden, sollten Cannabis-Patient:innen in der Öffentlichkeit ein paar grundlegende Regeln beachten:

Entscheidend sind hier die Wahl des Orts zur Medizineinnahme sowie das Verhalten vor und während des Medizinierens – dann klappt’s auch mit der Polizei und ohne Anzeige.

Kann ich meine Medizin einnehmen – und wenn ja, wo und wie?

Immer zu beachten:

– Originalverpackung, Rezeptkopie und andere Belege (Quittung, Dosierempfehlung) sollten griffbereit sein.

– Dritte sollten dem Geruch – wenn möglich – nicht ausgesetzt werden. Geht es nicht anders, gilt es, einen ausgewiesenen Raucherbereich aufzusuchen.

– Ist ein solcher nicht zu finden, kann man sich an eventuell anwesendes Sicherheits- oder Wachpersonal wenden. Die Erfahrung hat gezeigt, dass man bei den Mitarbeiter:innen von Sicherheitsdiensten als Cannabis-Patient:in meist auf Verständnis trifft. Gleiches gilt für eventuell anwesende Polizeibeamte. Eine freundliche Frage/Klarstellung vorm Inhalieren beugt vielen Missverständnissen vor.

Beim Führen von Kraftfahrzeugen …

… sollte man grundsätzlich nicht konsumieren. Auch das eigene Auto eignet sich nur in absoluten Notfällen zur Inhalation von Medizinal-Hanfblüten. Für Patient:innen mit Führerschein gilt zwar der allgemeine Grenzwert von 1ng THC/mg Blutserum nicht, dafür aber umso mehr die so genannte Compliance-Regelung. Dazu gehört auch, dass der Arzt oder die Ärztin im Rahmen eines Vorgesprächs zur Fahrtauglichkeit einen Zeitraum definiert, von dem an vor Fahrtantritt kein Cannabis konsumiert werden sollte. Diese Zeitspanne wird individuell sehr unterschiedlich definiert und kann zwischen 20 Minuten und mehreren Stunden liegen. Wenn es dann im Auto nach Gras riecht oder man gar am Inhalieren ist, verschafft man der Polizei gleich einen Anfangsverdacht, der Folgemaßnahmen bis hin zur Blutentnahme und einem vorübergehenden Fahrverbot umfasst.

Im Park oder anderen Freizeiteinrichtungen …

… können Patient:innen ihre Medizin nach Belieben unter Einhaltung der ärztlichen Verordnung einnehmen. Sie sollten sich jedoch vorher vergewissern, dass sich im näheren Umkreis keine Kinder oder empfindliche Personen befinden, die den Ausdünstungen ausgesetzt werden. In Deutschland ist hier kein genauer Abstand definiert, in Kanada sind es zum Beispiel neun Meter. Ausnahmen bilden ausgewiesene Nichtraucherbereiche.

Auf Reisen …

… ist es für Patient:innen oft unvermeidbar, öffentlich zu konsumieren. Die Deutsche Bahn behandelt Cannabispatient:innen sogar offiziell wie Raucher:innen von Kippen oder E-Zigaretten. In einer Stellungnahme aus dem Jahr 2017 heißt es:

Sofern die Vorgaben aus §13 Abs. 1 erfüllt sind und der Konsument dies belegen kann sowie durch die Einnahme keine Gefahr für Leib und Leben oder den Eisenbahnbetrieb erzeugt wird, darf der Patient in den dafür vorgesehenen Raucherbereichen der Bahnhöfe der DB Cannabis […] konsumieren. Sofern er dies in provokanter Form oder für andere Bahnhofsbesucher belästigender Form tut, behalten wir uns als Hausrechtsinhaber vor, die zuständigen Sicherheitsbehörden hinzuzuziehen. Sofern ein Konsument seine Berechtigung zum Konsum gegenüber unseren Mitarbeitern oder im Namen der DB beauftragten Unternehmen auf Nachfrage nicht nachweisen kann oder möchte, behalten wir uns ebenfalls vor, Maßnahmen des Hausrechts einzuleiten und die zuständigen Sicherheitsbehörden zur Klärung des Sachverhalts hinzuzuziehen.

An deutschen Flughäfen gibt es leider keine einheitliche Linie, weil es fast so viele Betreibergesellschaften wie Flughäfen gibt. Am besten aktiv einfach bei der Security oder der Polizei nachfragen, wo und wie es niemanden stört.

Im Rahmen einer Sicherheitskontrolle am Flughafen gibt es bundesweit eklatante Unterschiede. Während die Berliner Sicherheitsleute sich gar nicht für Cannabis, ob medizinisch oder nicht, zuständig fühlen, ruft man in München beim Fund einer Dose aus der Apotheke die Polizei. Aber wer Deutschland verlässt, führt ohnehin eine Mitnahmebescheinigung bei sich. Bei Inlandsflügen reichen Rezeptkopie und Quittung aus der Apotheke.

Vor den eigenen Kindern …

… sollte die Einnahme nur in Ausnahmefällen geschehen. Zuhause nutzen Patient:innen meist einen abgetrennten Raum, den Balkon oder die Terrasse, um die Sprösslinge nicht einzudampfen. Unterwegs müssen sie oft zusätzlich darauf achten, während des Medizinierens die Aufsichtspflicht nicht zu verletzen. Für die Kinder heißt das, den Dunstkreis, aber nicht das Sichtfeld der/des Erziehungsberechtigten zu verlassen. Demnach sollte der Vorgang mit einem gewissen Abstand geschehen, damit der Nachwuchs das Inhalat nicht einatmen kann, Mama oder Papa ihn aber trotzdem sehen können.

Beim Ausgehen …

… gilt der Nichtraucherschutz. Aber dort besteht keine bundeseinheitliche Regelung. Die Praxis hat jedoch gezeigt, dass Betreiber:innen von Gastronomiebetrieben mit Raucherbereich gegenüber Cannabis-Patient:innen erstaunlich aufgeschlossen sind. Wo es die Gastro-Regeln zulassen, kann man einfach die Wirtin oder den Wirt fragen, ob man zusammen mit den Raucher:innen seine Medizin einnehmen darf. Aufgepasst: Ohne die freundliche Vorab-Frage kann man auch ganz schnell rausfliegen, denn hier gilt das Hausrecht der Betreiber:innen. Ein:e Wirt:in, die/der nicht möchte, dass neben Zigaretten auch medizinisches Cannabis konsumiert wird, darf das ohne Begründung durchziehen.

Auf der Arbeit …

… geht es oft nicht ohne Medikation. Grundsätzlich darf die Cannabis-Therapie auch kein Kündigungsgrund sein. Ob Patient:innen auch unmittelbar vor oder während der Arbeit inhalieren dürfen, ist nicht genau geregelt. Es gibt hier unterschiedlichste Urteile, die eng im Zusammenhang mit der ausgeübten Tätigkeit stehen. So wurde ein Berliner Feuerwehrmann in den Innendienst versetzt, weil er unter dem Einfluss seiner Cannabis-Medizin nicht mehr in der Lage sei, schwere Maschinen zu führen. Auch eine Polizistin aus NRW schiebt zurzeit Innendienst, weil ihr Vorgesetzter seit dem Outing als Patientin den Bürger:innenkontakt nicht mehr zutraut.

Grundsätzlich müssen bei den auszuführenden Tätigkeiten von Cannabis-Patient:innen eine Selbst- oder Drittgefährdung ausgeschlossen sein.

Im Krankenhaus … 

… dürfen Cannabis-Patient:innen, die stationär behandelt werden, ihre Medizin normalerweise dezent an der frischen Luft einnehmen. Gibt es einen Raucherbereich auf dem Gelände, sollte man eine Einnahme dort vorher mit dem Personal absprechen. Bettlägerige Patient:innen können um eine alternative Behandlung mit Extrakten oder Dronabinol bitten. Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin muss unbedingt über die Therapie informiert werden.

Auf der Pirsch …

… dürfen jagende Cannabis-Patient:innen theoretisch auch im Wald konsumieren, wenn sie ihren Jagdschein nicht schon vorher abgeben mussten. Oder sie bekommen erst gar keinen. Hier ist die Rechtsprechung in Deutschland einhellig. Zwei jagende Cannabis-Patienten (Nummer 1, Nummer 2) hatten unabhängig voneinander versucht, gerichtlich dagegen vorzugehen und waren unisono gescheitert. In den USA ist die Frage nicht einheitlich geregelt. Während man in den meisten Staaten mit medizinischem Cannabis-Programm keine Waffe besitzen darf, dürfen Cannabis-Patient:innen in South Dakota oder in Minnesota auf die Jagd gehen.

Im Knast …

… muss die Therapie meistens pausieren. Ein Berliner Cannabis-Patient, der sich gegen diese Praxis wehren wollte, musste seine von der Krankenkasse genehmigte Therapie zum Haftantritt abbrechen. Die behandelnde Ärztin zeigte sich hingegen offen gegenüber einer Tilidin-Therapie –  was der Patient wiederum ablehnte.

Die Begründung des Senats als Betreiber der Einrichtung: Das generelle Einbringungsverbot für Cannabis gelte auch für medizinisches. Eigentlich ist das Gefängniskrankenhaus verpflichtet, vor Haftantritt begonnene Therapien fortzusetzen – mit Ausnahme von Cannabis. Ähnliche Fälle sind in Bayern und Baden-Württemberg dokumentiert.

Selbst eine Klage gegen diese Praxis hat dem Berliner Patienten 2021 nicht geholfen, seine Therapie hinter Gittern legal fortzusetzen – im Gegenteil. Die Klage führte zu einer dreimonatigen Verzögerung der Freigangerlaubnis. Immerhin wurde ihm nach dem Aufstieg zum Freigänger angeboten, seine Therapie während der Zeit außerhalb der Gefängnismauern wieder aufzunehmen. In der Praxis heißt das, dass eine Urinkontrolle positiv auf Cannabis sein darf, die Einnahme und Verwahrung jedoch nicht auf dem Gelände der Haftanstalt stattfinden dürfen.

Im Nachhinein …

… ist es kaum nachvollziehbar, wieso Cannabis-Patient:innen auch sechs Jahre nach Einführung des Gesetzes nicht mehr Rechte als Zigarettenraucher:innen haben. Ebenso unerträglich ist die anhaltende Stigmatisierung als Kiffer:in. Einerseits schauen BMG und BfArM tatenlos zu, wie medizinisches Cannabis unter den vielen verschreibungspflichtigen Betäubungsmitteln weiterhin den Sonderstatus behält, der den Umgang für die Betroffenen schwieriger macht als den mit allen anderen legalen Betäubungsmitteln. Andererseits ist die einzige Aussage zum Umgang in der Öffentlichkeit so schwammig wie nur möglich formuliert. Am Ende müssen die Patient:innen, wie so oft, hoffen, dass sie alles richtig machen und bei der Überprüfung ihres Status nicht an die oder den Falschen geraten.