Noch stehen wir ganz am Anfang der Entdeckungsreise zum Thema Cannabis und seiner Verwendung als Heilpflanze. Hast du dich jemals gefragt, warum Cannabis derart vielseitig ist und so viele Anwendungen im Wellness-Bereich und im medizinischen Feld findet? In diesem Artikel erfährst du mehr über CBD und THC, aber auch über weniger prominente Cannabinoide.
Bisher wurden in der Cannabispflanze bereits mehr als 500 verschiedene Stoffe gefunden [1], darunter mehr als 144 Cannabinoide. Andere Stoffe wie Terpene und Flavonoide, die hauptsächlich für den Geruch und Geschmack der Blüten verantwortlich sind, findet man auch in anderen Pflanzen. Aber auch sie können eine Wirkung auf deinen Körper haben.
Von den zwei prominenten Vertretern der Cannabinoide, CBD und THC, hast du ja vielleicht schon gehört – und womöglich auch schon vom Endocannabinoidsystem. Wir wollen aber auch einen Blick auf die anderen Stoffe in der Cannabispflanze und ihre Wirkung in deinem Körper werfen.
Alle haben es, lange wusste keiner davon und heute lernen wir mehr: Das Endocannabinoidsystem. Das System in deinem Körper wurde erst in den frühen 1990ern entdeckt und besteht unter anderem aus CB1- und CB2-Rezeptoren. Diese interagieren wiederum mit Stoffen, die dein Körper selbst herstellt – den Endocannabinoiden.
Zu den Endocannabinoiden gehören Stoffe wie 2-AG (2-Arachidonoylglycerol) und Anandamid. Sie wirken auf das Endocannabinoidsystem und tragen dazu bei, dass die Schmerzregulation, dein Hungergefühl und die Verdauung, deine Immunabwehr, Muskelspannung und Blutdruck und vieles mehr im Gleichgewicht bleiben und richtig funktionieren.
Gerät dieses Gleichgewicht aus den Fugen, kann dies zu Gesundheitsproblemen führen, die von Arthritis, Depression, Schlaflosigkeit bis hin zu Morbus Crohn reichen.
Hier kommt die Cannabispflanze ins Spiel. Sie produziert ebenfalls Cannabinoide, auch Phyto-Cannabinoide genannt. Diese ähneln den körpereigenen Stoffen so sehr, dass sie ebenfalls an die CB1- und CB2-Rezeptoren binden und so das Endocannabinoidsystem beeinflussen können. Cannabinoide können also das Gleichgewicht wiederherstellen [2] und so eventuelle körperliche Leiden mindern.
Wir sind noch ganz am Anfang der Entdeckungsreise, was alles so in Cannabis steckt. Unter anderem liegt das daran, dass es über Jahrzehnte – zu Unrecht – einen Ruf als Teufelskraut hatte.
Heute geht man von über 144 unterschiedlichen Cannabinoiden aus. Diese werden von der Cannabispflanze produziert und durch Umwelteinflüsse wie Hitze, Licht und Oxidation in weitere Formen umgewandelt. So kann ein Stoff mehrere Stufen annehmen und auch andere Namen tragen.
THC beginnt zum Beispiel sein Leben in der Cannabispflanze als CBGA, wird dann zu THCA und dann schließlich zum THC, von dem Du ja vielleicht schon gehört hast.
Sehr ähnliche Namen – mit zum Beispiel einem zusätzlichen Buchstaben – deuten auf verschiedene Stoffformen hin. Dabei kann der Unterschied in der chemischen Formel klein anmuten, aber eine große Wirkung haben.
So ändert sich damit zum Beispiel der Grad der Psychoaktivität des Stoffes und eventuell auch der therapeutische Anwendungsbereich. Denn Cannabinoide wirken nicht alle gleich und interagieren auf unterschiedliche Weise mit dem Endocannabinoidsystem.
Das Zusammenspiel von Cannabinoiden und Terpenen: Der Entourage-Effekt
Wird die Pflanze in den Körper aufgenommen (über die Nahrung, als Öl, oder in anderer Form), gibt es noch einen Überraschungsgast bzw. -gäste auf der Party im Endocannabinoidsystem: die Terpene, Flavonoide oder auch andere Cannabinoide im Hanf. Gemeinsam wirken diese Stoffe über einen synergetischen Effekt auf deinen Körper. Dies wird als Entourage-Effekt bezeichnet.
Hier ist es wie bei jeder anderen Party auch: Die Stimmung und Dynamik ändert sich mit der Zusammensetzung der Gäste. Die Zusammensetzung ist es auch, die die Diskussion um die eine oder andere Cannabissorte überhaupt ins Rollen gebracht hat.
Merke: Hat das Cannabinoid ein A am Ende, handelt es sich um die saure Form, die später durch Decarboxylierung in die neutrale Form umgewandelt werden kann.
Hinweis: Die im Folgenden genannten Cannabinoide kommen in Deutschland aktuell nicht als Arzneimittel zum Einsatz. Außerdem ist weitere Forschung notwendig, um mögliche therapeutische Effekte zu belegen.
THC/A oder THC-Säure. Dies ist die saure Form von Tetrahydrocannabinol, die noch keine psychoaktiven Effekte aufweist. In den USA kann es als kristallines Pulver in den Apotheken gekauft werden. Die meisten Nutzer erhitzen es, um aus THC/A dann THC zu machen und so die psychoaktiven Effekte zu aktivieren. Es gibt auch THCA-Kapseln auf dem Markt, die therapeutischen Nutzen haben sollen. Belege dafür fehlen bisher.
Ein bekanntes Cannabinoid ist THCV oder Tetrahydrocannabivarin. Es gibt Hinweise darauf, dass THCV einen Einfluss auf die Gewichtsreduktion haben könnte, indem es den Appetit reduziert und den Stoffwechsel ankurbelt. Einige Studien weisen darauf hin, dass das Cannabinoid eine positive Wirkung auf die Insulinproduktion haben kann [3]. Außerdem wird vermutet, dass THCV das Wachstum neuer Knochenzellen fördere [4]. Weiterer Forschungen bedarf beispielsweise auch eine mögliche Wirkung von THCV bei Parkinson.
Dieses Cannabinoid, auch als Cannabidivarin bekannt, ist noch relativ unerforscht. Die Wirkung von CBDV ist ähnlich der von CBD. In Studien hat sich gezeigt, dass CBDV die Anzahl der Anfälle bei Patienten mit Epilepsie deutlich reduzieren kann [5]. In einer Studie mit Ratten konnte außerdem die Wirksamkeit von CBDV gegen Übelkeit nachgewiesen werden [6].
CBC oder Cannabichromen verfügt ebenfalls über eine potenzielle therapeutische Wirkung. So könnte es eine Wirkung gegen resistente Keime haben – bisher allerdings nur in der Petrischale. In Kombination mit THC wurden schmerzlindernde [7] und entzündungshemmende Eigenschaften [8] festgestellt.
Im Hirn könnte CBC neurodegenerativen Erkrankungen entgegenwirken, z.B. bei Alzheimer. Es fördere beispielsweise das Wachstum von Gehirnzellen [9], die für das Lernen und Gedächtnisfunktionen verantwortlich sind.
CBCV, auch Cannabichromevarin, ähnelt dem Cannabinoid CBC, weswegen ihm ähnliche Wirkungen nachgesagt werden. Leider gibt es zu diesem Cannabinoid bisher kaum bis gar keine Studien.
CBG, Cannabigerol, ist ein weit verbreitetes Cannabinoid, das sowohl in Cannabis als auch in Nutzhanfpflanzen vorkommt. Es ist nicht psychoaktiv, trotzdem hat auch das Cannabinoid CBG mögliche therapeutische Wirkungen. Untersuchungen deuten darauf hin, dass es ein wirksames Schmerzmittel sein könnte und entzündungshemmend ist [10].
Es wurden auch neuroprotektive Eigenschaften von CBG festgestellt, die zum Beispiel gegen die Huntington-Krankheit zum Einsatz kommen könnten [11]. Diese Erbkrankheit betrifft das Gehirn und führt zu unwillkürlichen, unkoordinierten Bewegungen. Eine positiv unterstützende therapeutische Wirkung wurde auch bei Darmkrebs [12], Prostatakrebs [13] und Mundkrebs untersucht.
CBG soll laut Studien auch eine Rolle bei der Senkung des Augeninnendrucks [14] spielen, wodurch es möglicherweise bei der Therapie eines Glaukoms eingesetzt werden könnte – sofern weitere Studien die Wirksamkeit wissenschaftlich bestätigen. Hoffnungsträger ist das Cannabinoid auch bei der Bekämpfung resistenter Bakterienstämme [15] wie MRSA.
CBG soll außerdem einen positiven Effekt auf Hautkrankheiten wie Psoriasis (Schuppenflechte) [16] haben, allerdings wurde dies noch nicht wissenschaftlich belegt. Studien an Ratten haben eine Wirkung auf Neurotransmitter [17] und somit die Stimmung festgestellt. Womöglich führt dieser Fund zur Entwicklung neuer Arten von Antidepressiva.
CBGV oder Cannabigerovarin werden schmerzlindernde und entzündungshemmende Eigenschaften [18] nachgesagt, die in Studien an Mäusen belegt werden konnten. Was dieses Cannabinoid besonders macht: Es könnte bei der Linderung trockener Haut [19] sowie bei Hautentzündungen eine Rolle spielen.
Auch in der Krebstherapie könnte CBGV positive Effekte erzielen [20]. So gibt es Hinweise darauf, dass das Cannabinoid das Wachstum von Leukämiezellen hemmt [21].
CBN oder Cannabinol entsteht beim Verfallsprozess von THCA. Klingt nicht besonders ansprechend, aber viele schätzen die Wirkung dieses Cannabinoids und verwenden Cannabinol in der Selbstbehandlung als Beruhigungsmittel – allerdings ist es kein Arzneimittel. Tatsache ist aber, dass es in reiner Form nicht sedierend wirkt, sondern die Kombination mit THC entscheidend ist [22].
Untersuchungen (vorrangig an Ratten) zeigen, dass CBN den Appetit anregen [23], gegen Glaukome [24] und als Antibiotikum wirken kann. In der ALS-Forschung (amyotrophe Lateralsklerose) gibt es bei Mäusen hoffnungsvolle Ansätze dafür, dass der Ausbruch von ALS durch CBN verzögert werden kann. Weitere Studien auch und vor allem am Menschen sind dringend notwendig, um die vermeintlich positive Wirkung zu bestätigen.
Cannabicyclol (CBL) entsteht, wenn Cannabichromene (CBC) erhitzt werden. Häufig findet man CBL in Cannabis, das schon eine Zeit lang lagert.
Der Forschungsstand zu diesem Cannabinoid ist sehr dünn, weil auch die Konzentration in der Pflanze sehr gering ist. Studien zur Prostaglandinproduktion konnten keinen Effekt feststellen. Einige Wissenschaftler:innen gehen von positiven Effekten bei Entzündungen und Tumorzellen aus. Allerdings ist dazu noch einiges an Forschung nötig.
Cannabis erfreut sich neben dem Freizeitgebrauch auch großer und wachsender Beliebtheit zu medizinischen Zwecken. In Laboren werden synthetische Cannabinoide hergestellt, die die gleichen Rezeptoren im Körper aktivieren wie pflanzliches Cannabis.
Einige der synthetischen Cannabinoide haben strikte Arzneimittelzulassungsverfahren durchlaufen und stehen Patienten als Behandlungsoption zur Verfügung.
Andere synthetische Cannabinoide haben keinerlei Testung hinter sich und sind nicht zugelassen, werden aber trotzdem auf der Straße als Designer-Droge vertickt. Leider ist dies nicht unbedingt hilfreich, um das Schmuddel-Image von Cannabis und seinen Cannabinoiden aufzupolieren und seine ernsthafte therapeutische Wirkung in den Vordergrund zu stellen.
Schauen wir zuerst auf den Segen: Bei Dronabinol und Nabilon handelt es sich um zwei Wirkstoffe der zugelassenen Medikamente, die auf synthetischen Cannabinoiden basieren. Diese werden zur Therapie von Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie und Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust bei AIDS-Kranken eingesetzt.
Dronabinol und Nabilon sind unter Laborbedingungen entstanden und getestet und als verschreibungspflichtige Medikamente zugelassen.
Spice und K2 hingegen sind in diesem Fall das Unheil und auf der Straße zu finden. Niemand weiß genau, was in den Designer-Drogen enthalten ist und welches Cannabinoid hier nun wirkt.
Manchmal sind es sogar gar keine Cannabinoide, sondern andere Wirkstoffe, die reingemischt werden, wie z.B. Halluzinogene und synthetische Opioide. Die Nebenwirkungen können dramatisch sein: Atemstörungen und Nierenschäden wurden mit diesen Synthetika in Verbindung gebracht.
Pflanzliche und synthetische Cannabinoide bieten medizinische Potenziale
Für Patient:innen, die Cannabis als Medikament verwenden, gibt es inzwischen die Wahl zwischen Natur-Cannabinoiden und synthetischen Cannabinoiden aus dem Labor [25]. Darüber hinaus gibt es in beiden Fällen unterschiedliche Darreichungsformen zur Anwendung von Cannabis auf Rezept.
Ob und welches cannabisbasiertes Medikament bei der Behandlung einer Krankheit in Frage kommt, müssen Patient:innen in Absprache mit ihrem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin abklären.
Fest steht: Es gibt noch einiges über die vielen Cannabinoide und ihre unzähligen Möglichkeiten der Anwendung zu lernen. Und womöglich sind Cannabinoide dabei mehr als die Summe ihrer Teile.