Lange war es nur ein Schatten auf dem Radar der Drogenpolitik – ein chemisches Derivat, kaum erforscht, doch plötzlich allgegenwärtig: HHC, kurz für Hexahydrocannabinol, avancierte binnen weniger Monate vom Nischenstoff zum Trendprodukt. In Vapes und E-Zigaretten, Gummibärchen, Ölen, Kapseln und als Blüten war das teilsynthetische Cannabinoid leicht erhältlich – in Shops, auf Messen, online. Nun ist Schluss: Seit dem 27. Juni 2024 ist der Handel mit HHC und verwandten Stoffen in Deutschland verboten. Doch was genau führte zu diesem Schritt? Und was bedeutet das für Konsument:innen, Politik und Markt?
HHC (Kurzform für Hexahydrocannabinol) ist ein sogenanntes halbsynthetisches Cannabinoid. Es kommt zwar in Spuren natürlich in der Cannabispflanze vor, wird für die kommerzielle Nutzung aber im Labor erzeugt – meist durch Hydrierung, also die Anlagerung von Wasserstoff an THC oder Delta-8-THC. Das macht HHC stabiler gegenüber Licht, Sauerstoff und Hitze – ideal für industrielle Verarbeitung, doch medizinisch bislang kaum untersucht.
Konsument:innen berichten – unter anderem auf TikTok und Co. – von Effekten, die an THC erinnern: entspannend, leicht berauschend, stimmungsaufhellend. Doch wie stark und wie sicher HHC wirkt, hängt maßgeblich davon ab, welche Form des Moleküls vorliegt – eine bislang wenig bekannte Tatsache.
Die jüngste wissenschaftliche Untersuchung (2023) bringt Licht ins Dunkel. Forschende haben gezeigt, dass bei der Herstellung von HHC zwei unterschiedliche Formen, sogenannte Isomere, entstehen:
Viele Produkte auf dem Markt enthalten eine nicht deklarierte Mischung beider Formen – in teils stark variierenden Verhältnissen. In über 60 untersuchten HHC-Produkten lagen die Anteile von (9R)-HHC bei nur 15 bis zu 70 %. Wirkung und Risiko eines HHC-Produkts sind kaum vorhersehbar.[1]
Nach dem Konsum – ob als Vape, Öl oder Edible – bindet HHC im Körper an dieselben Rezeptoren wie THC. Die Wirkung hängt jedoch davon ab, welche Isomerform enthalten ist. Die Studie aus 2023 zeigt: Nur eine der beiden möglichen Formen, das sogenannte (9R)-HHC, entfaltet überhaupt eine signifikante Wirkung. Die zweite, (9S)-HHC, ist biologisch weitgehend inaktiv – wird aber in vielen Produkten dennoch in hohem Anteil mitverkauft.
Im Körper wird HHC weiter verstoffwechselt, insbesondere in der Leber. Dort entsteht unter anderem 10-OH-HHC, ein bislang kaum erforschter Metabolit, dem eine schnellere und möglicherweise stärkere Wirkung zugeschrieben wird. Auch hier gilt: Diese Annahmen basieren bislang auf wenigen theoretischen Überlegungen und ersten Anhaltspunkten aus der Labormedizin.
Die neue Studie macht deutlich, wie wenig wir tatsächlich über die Prozesse im Körper wissen. Es fehlen klinische Studien, es fehlen systematische Untersuchungen zur Pharmakokinetik, zur Toxizität, zu Wechselwirkungen – kurz: fast alles, was für eine gesundheitliche Bewertung eigentlich notwendig wäre.
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Bei der klassischen Herstellung von HHC werden Metallkatalysatoren wie Palladium, Nickel oder Platin eingesetzt. Diese können – wenn nicht vollständig entfernt – Schwermetalle im Endprodukt hinterlassen. Und auch hier zeigt sich ein alarmierender Befund der Studie: Viele Labore testen überhaupt nicht auf diese Metalle, weil dies gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Der potenzielle Schaden? Unbekannt – aber nicht auszuschließen.[1]
Für einige Monate schien HHC ein Glücksfall für findige Herstellende: nicht vom Betäubungsmittelgesetz (BtMG) erfasst, dennoch psychoaktiv. Bereits 18-jährige konnten HHC-Produkte legal im Netz, in speziellen Shops oder einfach am Kiosk erwerben. Die Substanz war damit ein Stoff ohne Sicherheitsnetz: frei verkäuflich, ohne Qualitätsstandards oder medizinische Bewertung.
Doch mit der zunehmenden Verbreitung wuchs auch der politische Druck. Spätestens seit Dezember 2022 wurde HHC von der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ins Visier genommen. Im Februar 2024 legte das Bundesgesundheitsministerium einen Referentenentwurf zum Verbot vor.
Am 14. Juni 2024 beschloss der Bundesrat die entsprechende Änderung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG). Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt folgte am 26. Juni – mit Inkrafttreten am 27. Juni 2024.
Die aktuelle Verordnung betrifft nicht nur HHC selbst, sondern eine ganze Gruppe verwandter Stoffe:
Seit dem 27. Juni 2024 ist es in Deutschland strafbar, diese Substanzen herzustellen, zu erwerben, zu verkaufen, zu importieren oder zu exportieren. Auch Onlinehandel und Postversand sind betroffen.
Wichtig: Besitz und Konsum bleiben verboten und werden nicht bestraft. Konsument:innen müssen also keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten – möglicherweise aber gesundheitliche.
Die Bundesregierung begründet den Schritt mit einer Vielzahl von Risiken:
Wie bei jeder juristischen Nachbesserung beginnt unmittelbar danach das nächste Kapitel: Die Suche nach legalen Derivaten.
10-OH-HHC etwa wird derzeit als legal vermarktet. Es handelt sich um ein körpereigenes Stoffwechselprodukt von HHC, das durch das Enzym Cytochrom P450 in der Leber gebildet wird. Erste Nutzer:innen berichten von schnellerer und intensiverer Wirkung, da der Umwandlungsschritt im Körper entfällt. Ob 10-OH-HHC tatsächlich unter das Verbot fällt, ist juristisch derzeit ungeklärt.
Weitere Substanzen wie H4CBD (hydriertes CBD) oder Cannabinoide wie CBG, CBN, CBDP oder CBC sind nach wie vor legal erhältlich – und werden zunehmend als Alternativen beworben. Doch auch hier gilt: Die Studienlage ist oft dürftig, die Risiken nicht abschließend erforscht.
Adele, Cannabis Expertin & Senior Scientific Affairs Managerin bei avaay Medical begrüßt das Verbot:
„Es war höchste Zeit, dass die Politik reagiert. Der unkontrollierte Verkauf von kaum erforschten Substanzen wie HHC war ein Spiel mit der Gesundheit. Wir raten dringend davon ab, diese Produkte jetzt illegal zu erwerben – nicht nur aus rechtlichen, sondern vor allem aus gesundheitlichen Gründen. Wer Cannabis nutzt, sollte auf geprüfte, medizinisch begleitete Optionen zurückgreifen. Die Datenlage zu HHC ist nicht nur dünn – sie ist brüchig. Und genau darin liegt das eigentliche Risiko.“
Tatsächlich unterscheidet sich medizinisches Cannabis grundlegend von Stoffen wie HHC:
Die Anwendung erfolgt unter ärztlicher Aufsicht, mit klarer Dosierung und Indikation – etwa bei chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, Migräne oder gegen Krebsschmerzen. Kurz: Medizinisches Cannabis ist kein Trendprodukt, sondern ein reguliertes Arzneimittel, das man als Cannabispatient:in auf Rezept in Apotheken bekommen kann.
Das Verbot von HHC ist ein notwendiger Schritt – aber keine endgültige Lösung. Es zeigt, wie groß die Lücken im Umgang mit neu auftretenden Substanzen sind – wissenschaftlich, politisch und gesellschaftlich. Solange Cannabinoide wie HHC ohne Standardisierung, Kontrolle und Forschung auf den Markt gelangen, bleibt der Konsum ein riskantes Spiel mit unklaren Folgen.. Die Regulierung mag ein Zeichen sein – die dringend nötige Aufklärung steht noch aus.
[1] Nasrallah, D. J., & Garg, N. K. (2023). Studies pertaining to the emerging cannabinoid hexahydrocannabinol (HHC). ACS Chemical Biology, 18(9), 2023–2029.