Lange vor Coffeeshops, Legal-Debatten und medizinischen Studien war Cannabis vor allem eins: eine uralte Kulturpflanze mit erstaunlich vielseitiger Verwendung. Ihre Geschichte reicht über 12.000 Jahre zurück – von den Hochebenen Zentralasiens bis in die Werkstätten europäischer Buchdrucker. Heute polarisiert Cannabis wie kaum eine andere Pflanze: Heilmittel oder Droge, Nutzpflanze oder Tabu? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Cannabis mehr ist als ein modernes Reizthema – nämlich Teil einer Jahrtausende alten Kulturgeschichte.
Die Geschichte des Cannabis beginnt nicht in Berlin, nicht in Amsterdam und auch nicht in Kalifornien. Sie beginnt in Asien – genauer gesagt in Zentralasien. Dort wurde Hanf bereits vor mehr als 12.000 Jahren kultiviert, zunächst vermutlich zur Nutzung als Faser- und Nahrungspflanze. Was heute vielerorts als Droge oder Medikament diskutiert wird, war einst ein elementarer Bestandteil frühzeitlicher Agrarkulturen und beeinflusste damit die Menschheitsgeschichte.
Auch in Indien spielte Hanf seit jeher eine Rolle, nicht nur als Nutzpflanze, sondern auch in der traditionellen Heilkunst. Ayurvedische Schriften beschreiben Anwendungen von Cannabis zur Linderung von Schmerzen, zur Beruhigung des Geistes oder zur spirituellen Vertiefung bei Meditation. Und bereits Krieger der vedischen Zeit sollen ihre Wunden mit Hanfblättern behandelt haben – ein pragmatischer Zugang zu einer Pflanze, deren Potenzial offenbar früh erkannt wurde.
Nach Europa kam Hanf über Handelsrouten, vermutlich über Griechenland. Nicht etwa wegen seiner psychoaktiven Eigenschaften, sondern als Rohstoff. Die zähen Fasern der Pflanze eigneten sich ideal zur Herstellung von Segeltuch, Seilen und Kleidung. Später wurde Hanf auch in der Papierherstellung verwendet – so soll sogar die erste Gutenberg-Bibel auf Hanfpapier gedruckt worden sein. Der Rausch war Nebensache. Hanf war vor allem eins: nützlich.
In Deutschland prägte diese Sichtweise über Jahrhunderte das Verhältnis zur Pflanze. Cannabis war Kulturhanf – ein Werkstoff, kein Wagnis. Erst mit dem 20. Jahrhundert wandelte sich die Perspektive, beeinflusst von internationalen Entwicklungen und einem zunehmend repressiven Drogenregime.
Die Frage "Woher kommt Cannabis ursprünglich?" beschäftigte lange Zeit die Wissenschaft. Standorte wie China, Afghanistan oder gar Amerika standen zur Debatte. Erst jüngere Untersuchungen, etwa die des britischen Forschers John M. McPartland, brachten Klarheit: Mithilfe paläobotanischer und genetischer Analysen konnte sein Team belegen, dass das Ursprungsgebiet von Cannabis Sativa L. mit großer Wahrscheinlichkeit in Zentralasien liegt.[1]
Der Begriff „indischer Hanf“, wie Cannabis früher häufig bezeichnet wurde, ist heute überholt. Stattdessen unterscheidet die moderne Botanik drei Hauptformen:
Ob Cannabis indica tatsächlich eine eigenständige Art ist oder eine Variante von sativa, ist wissenschaftlich bis heute nicht abschließend geklärt. Klar ist jedoch: Die Cannabispflanze ist nicht nur alt, sondern auch komplex – botanisch, kulturell und gesellschaftlich. Und ihre Geschichte ist noch lange nicht zu Ende erzählt.
„Die Wurzeln von Cannabis reichen tief – wer die Pflanze heute verstehen will, muss ihre Vergangenheit kennen.“ – **Tim, Cannabis-Sommelier bei Avaay Medical**
In vielen Ländern nutzte man Cannabis zunächst nur als Kulturpflanze. So auch in Deutschland, wo Kultur-Hanf zur Papierherstellung und für den Buchdruck verwendet wurde. 1455 wurde wahrscheinlich sogar die erste Gutenberg-Bibel auf Papier aus Hanffasern gedruckt. Neben Papier standen auch Textilien hoch im Kurs, denn die zähen Hanffasern eigneten sich besonders gut für Garn und Seil. Das führte dazu, dass der Anbau der vielseitigen Hanfpflanze im 17. Jahrhundert in Deutschland seinen Höhepunkt erreichte.
Doch Anfang des 20. Jahrhunderts erhielt die Beliebtheit der Hanfpflanze für die Landwirtschaft einen starken Dämpfer. Denn der Konsum der Cannabis-Pflanze wurde verboten, was dazu führte, dass auch Landwirte sie nicht mehr anbauen durften. Das Anbau-Verbot als Nutzpflanze hielt bis 1996 an.
Seit den 90er Jahren erlebt Hanf deshalb eine wahre Wiedergeburt in der Landwirtschaft, da immer mehr Bauern die Vorteile der Pflanze entdecken. So zum Beispiel ihr schnelles Wachstum, ihr geringer Wasserbedarf und ihre hohe Resistenz gegen Schädlinge. Zudem braucht sie auch vergleichsweise wenig Platz zum wachsen. All das macht sie besonders für die ökologische Landwirtschaft geeignet.
Übrigens: Cannabis ist lateinisch für Hanf, es gibt also eigentlich keinen Bedeutungsunterschied zwischen den beiden Begriffen. Allerdings werden die Begriffe in Deutschland unterschiedlich benutzt. Hanf wird für die Bezeichnung der Nutzpflanze verwendet, während mit Cannabis alle THC-haltigen, zum Rausch-führenden Produkte gemeint sind.
Aber warum wurde Cannabis in Deutschland eigentlich verboten? Die weltweite Skepsis gegenüber Cannabis hatte wohl ihren Ursprung auf der Internationalen Opiumkonferenz 1912. Die USA waren Teil der Konferenz und hatten sehr viel Einfluss auf die Diskussion dort. In den Vereinigten Staaten fürchteten mächtige Wirtschaftsverbände eine starke Konkurrenz durch die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Hanfpflanze und machten öffentlichkeitswirksam den Ruf der Pflanze zu nichte. Dabei bedienten sie sich rassistischer Stereotype und irrationalen, religiösen Ängsten. Durch effektive Propaganda schürten sie die Befürchtung, dass Marihuana friedliche Menschen zu unbarmherzigen Mördern mache.
1913 setzte Kalifornien mit dem Poison Act als erster US-Bundesstaat ein Verbot von Marihuana und weiteren Drogen um. Das beeinflusste auch die Cannabis-Regulierung in anderen Ländern, darunter auch Deutschland, wo Marihuana 1929 verboten wurde. Nachdem in den USA der Mord eines psychisch auffälligen Jugendlichen an seiner Familie fälschlicherweise mit Cannabis-Konsum in Verbindung gebracht wurde, gab es für die gesamten Vereinigten Staaten ein flächendeckendes Verbot von Marihuana.
Seit dem 1. April 2024 gilt in Deutschland ein neues Cannabisgesetz, das den Umgang mit der Pflanze grundlegend neu regelt. Erwachsene ab 18 Jahren dürfen seither bis zu 25 Gramm Cannabis im öffentlichen Raum mit sich führen und bis zu 50 Gramm in den eigenen vier Wänden lagern. Auch der private Anbau ist unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt: Pro Person sind bis zu drei Cannabispflanzen für den Eigenbedarf gestattet.
Der kommerzielle Verkauf bleibt weiterhin untersagt. Doch mit dem 1. Juli 2024 eröffnet sich eine neue Möglichkeit: In sogenannten Anbauvereinigungen können Mitglieder Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander weitergeben – unter strengen Auflagen und außerhalb des Marktes.
Für medizinisches Cannabis gelten davon unabhängige Regelungen. Es ist seit April 2024 kein Betäubungsmittel mehr, sondern wird als normales Arzneimittel eingestuft. Das bedeutet: Ärzt:innen können es auf einem regulären Rezept verordnen, Patient:innen erhalten es – wie andere verschreibungspflichtige Medikamente auch – in der Apotheke.
Inzwischen wird Cannabis schon lange auch in Europa mehr oder weniger legal verwendet. Einen richtigen Konsens zur Legalität von Cannabis-Konsum zwischen allen europäischen Ländern gibt es dabei nicht. Jedes Land hat unterschiedliche Gesetze und Regelungen, die mal mehr, mal weniger streng durchgesetzt werden. In den letzten Jahren wird aber vermehrt die Forderung nicht nur in der Bevölkerung, sondern teilweise auch in den regierenden Parteien laut, dass der Konsum von Cannabis legal werden sollte. Hier kannst du dir ein Bild von der Situation in einigen europäischen Ländern machen.
[1] McPartland, J. M., Hegman, W., & Long, T. (2019). Cannabis in Asia: Its center of origin and early cultivation, based on a synthesis of subfossil pollen and archaeobotanical studies. Vegetation History and Archaeobotany, 28, 691–702.
[2] Lu, H. C., & Mackie, K. (2021). Review of the endocannabinoid system. Biological Psychiatry: Cognitive Neuroscience and Neuroimaging, 6(6), 607–615.