avaay Medical
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Dezember 12
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8 min

THCP: Ein Cannabinoid stärker als THC

Cannabis enthält weit mehr als nur THC und CBD. Immer wieder entdecken Forschende neue Moleküle, die das Verständnis der Pflanze verändern. Eines davon ist THCP. Die Substanz kommt nur in winzigen Mengen vor und blieb deshalb lange unbemerkt. Doch ihre Entdeckung wirft eine grundlegende Frage auf: Wie gut kennen wir die tatsächliche Wirkung von Cannabis?


  • Was ist es? THCP ist ein seltenes, natürlich vorkommendes Cannabinoid aus der Cannabispflanze, das strukturell THC ähnelt.
  • Hochpotent: THCP bindet im Labor rund 33-mal stärker an den CB1-Rezeptor als THC.
  • Extrem selten: Es kommt nur in Spuren in der Pflanze vor, könnte aber dennoch spürbare Effekte haben.
  • Mögliche Erklärung: THCP könnte helfen zu verstehen, warum manche Cannabissorten stärker wirken, als ihr THC-Wert nahelegt.
  • Wenig erforscht: Über die tatsächliche Wirkung beim Menschen gibt es bislang keine belastbaren Daten.

THCP – ein kleiner Zufallsfund, der große Fragen aufwirft

Manchmal verändert die Forschung nicht die großen Theorien, sondern die kleinen Details. Als ein italienisches Team 2019 eine medizinische Cannabissorte untersuchte, ging es ursprünglich nur darum, deren Inhaltsstoffe präziser zu bestimmen. Ein Routineprojekt, wie es in der Pflanzenchemie häufig vorkommt.

Doch zwischen THC, CBD und anderen bekannten Molekülen tauchte ein Signal auf, das nicht ins vertraute Muster passte: eine Verbindung, die chemisch erstaunlich ähnlich wirkte wie THC – nur etwas schwerer. Erst durch aufwendige Analysen und den Vergleich mit einer eigens synthetisierten Probe wurde klar, dass hier tatsächlich ein bisher unbekanntes, natürliches Cannabinoid vorlag: THCP[1]

Der Fund wirkte zunächst unscheinbar. Doch er berührt eine der zentralen Fragen der Cannabisforschung: Warum wirken manche Sorten stärker – oder anders – als ihr THC-Gehalt vermuten lässt?

Was ist THCP genau?

Doch bevor man über Wirkung, Potenz oder mögliche Bedeutung spricht, lohnt ein Schritt zurück: Was genau ist dieses Molekül, das in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit bekommen hat?

THCP gehört zur großen Familie der Phytocannabinoide – chemische Verbindungen, die die Cannabispflanze selbst herstellt. Die meisten Menschen kennen nur zwei davon: THC und CBD. Doch die Pflanze ist wesentlich vielfältiger. Rund 150 solcher Moleküle sind inzwischen beschrieben, viele davon treten nur in Spuren auf.

THCP ist eines dieser seltenen Moleküle. Was es so besonders macht? Es ähnelt THC stark, ist aber nicht identisch. Und genau diese kleine strukturelle Abweichung könnte erklären, warum das Molekül im Labor so auffällig potent wirkt.

THCP ist also ein weiteres Teil im chemischen Puzzle „Cannabispflanze“, das lange übersehen wurde.

Eine Infografik mit dem Titel „Was ist THCP und warum ist es bemerkenswert?“. In der Mitte links befindet sich ein Icon eines nachdenklichen Gesichts, aus dem drei gelbe Linien nach rechts führen. Jede Linie endet in einem kleinen grünen Symbol und einem kurzen Text: 1) Ein Molekül-Icon mit der Überschrift „Strukturelle Ähnlichkeit mit THC“ und der Erklärung, dass THCP THC ähnelt, aber kleine Unterschiede seine Potenz erklären könnten. 2) Ein Labor- und Cannabisblatt-Icon mit der Überschrift „Seltenes Cannabinoid“ und der Erklärung, dass THCP eines von rund 150 bekannten Cannabinoiden ist, aber sehr selten vorkommt. 3) Ein Tabletten-Icon mit der Überschrift „Potenzielle Potenz“ und der Erklärung, dass THCP potenter als THC sein könnte und daher wissenschaftlich interessant ist.

THC und THCP – warum zwei ähnliche Moleküle unterschiedlich an Cannabinoid-Rezeptoren wirken

Aufgepasst! Jetzt wird es kurz nerdig. Aber ein kurzer wissenschaftlicher Exkurs macht nachvollziehbar, warum die Moleküle unterschiedlich wirken.

Um zu verstehen, warum THCP seit dieser Entdeckung so viel Aufmerksamkeit bekommt, lohnt sich ein Blick auf die Struktur. THC besitzt eine typische Form mit einem Ringgerüst und einer Seitenkette aus fünf Kohlenstoffatomen. Diese Seitenkette entscheidet maßgeblich darüber, wie gut das Molekül an den CB1-Rezeptor bindet – jenen Rezeptor im Gehirn, der für die psychoaktiven Effekte verantwortlich ist. Das „Δ9“ in Δ9-THC beschreibt dabei die Position einer Doppelbindung im Molekül – ein kleiner struktureller Marker, der verrät, dass es sich um die klassische Form des natürlich vorkommenden THC handelt.

THCP (oder auch Δ9-Tetrahydrocannabiphorol) sieht fast genauso aus. Ein vertrautes chemisches Gerüst, aber die Seitenkette trägt sieben Kohlenstoffatome. Klingt nach wenig? In der Molekularbiologie ist das eine kleine Revolution.

Schon frühere synthetische THC-Abwandlungen hatten gezeigt, dass eine längere Seitenkette die Bindung an CB1 verstärken kann. Bis zu einem gewissen Punkt wird der „Schlüssel“ damit passgenauer für das „Schloss“. Dass eine Cannabispflanze selbst ein solches Molekül bildet, war allerdings neu und bestätigte eine Vermutung, die die Forschung lange begleitet hatte.[1]

Die Entdeckung von THCP zeigte: Die Pflanze kann von sich aus Strukturen produzieren, die wir bislang nur aus Laborversuchen kannten – und die möglicherweise mehr Einfluss auf die Wirkung haben, als bisher angenommen.

THCP in der Pflanze: kaum vorhanden, aber dennoch relevant

In der untersuchten Cannabissorte steckte nur sehr wenig THCP. Während THC im Milligramm-Bereich pro Gramm Blüte vorkam, lag THCP in diesem Fall bei nur 29 Mikrogramm pro Gramm. Damit war es rund tausendfach geringer konzentriert.[1]

Warum sorgt das trotzdem für Interesse?

Weil THCP im Labor extrem wirkstark am CB1-Rezeptor ist. Selbst winzige Mengen könnten – theoretisch – spürbare Effekte haben. Das könnte erklären, warum Menschen oft berichten, dass bestimmte Sorten überraschend intensiv wirken, obwohl die Laboranalyse keine Auffälligkeiten zeigt.

Die Forschenden halten es für möglich, dass hochaktive, aber sehr seltene Cannabinoide wie THCP zu Wirkungen beitragen, die bisher allein dem THC zugeschrieben wurden.[1]

THCP-Wirkung und Nebenwirkungen: Was macht es im Körper?

Die vielleicht spannendste Erkenntnis der 2019er Studie stammt aus den Versuchen mit Mäusen. THCP zeigte ein Wirkprofil, das dem von THC ähnelt – allerdings bei geringeren Dosen. Schon kleine Mengen führten zu Veränderungen, die für Cannabinoide typisch sind:

  • geringere Aktivität,
  • verändertes Schmerzempfinden,
  • Muskelstarre,
  • und Temperatursenkung.

All diese Effekte traten bei THCP in niedrigeren Dosierungen auf als bei THC, das in vergleichbaren Tests häufig erst bei 10 mg/kg deutliche Wirkungen zeigt.[1]

Für den Menschen heißt das allerdings nicht automatisch: „THCP macht 33-mal so high“. Die Übertragung von Tierdaten auf menschliche Erfahrung ist komplex. Was wir eindeutig sagen können: THCP ist aktiv, wirkstark und definitiv relevant, auch wenn es nur in Spuren vorkommt.

Ist THCP wirklich 33-mal stärker als THC?

Die oft zitierte Aussage, THCP sei 33-mal stärker als THC, ist missverständlich. In der Studie von 2019 wurde gezeigt, dass THCP 33-mal stärker an den CB1-Rezeptor bindet als THC (also: 33-fach höhere Affinität).

Das bedeutet nicht, dass THCP beim Menschen 33-mal so stark wirkt oder 33-mal so „high“ macht.

Die erhöhte Bindungsstärke zeigt lediglich:

  • THCP dockt effizienter an den Rezeptor an.
  • Es wirkt in Mäuseexperimenten bei geringeren Dosen als THC.

Wie stark es im Menschen wirkt, weiß man bisher nicht. Dafür fehlen komplett klinische Daten.

Was bedeutet das für Patient:innen und Verbraucher?

Für die medizinische Anwendung könnte THCP ein wichtiger Hinweis sein. Cannabis-Patient:innen berichten immer wieder davon, dass bestimmte Cannabispräparate stärker wirken, andere wiederum kaum, obwohl die THC-Werte identisch sind. Bisher war das schwer zu erklären.

THCP liefert eine mögliche Antwort: Sorten können Moleküle enthalten, die bisher in keiner Standardanalyse auftauchen, aber dennoch deutlich zu den Effekten beitragen.

Die Autor:innen schlagen deshalb vor, THCP künftig bei der Qualitätsanalyse von medizinischem Cannabis mitzuerfassen. Denn wenn selbst Mikromengen starke Wirkungen entfalten, könnte das erklären, warum manche Präparate für Patient:innen besser funktionieren als andere – oder auch unangenehme Nebenwirkungen auslösen.[1]

Für Freizeitkonsumierende heißt der Befund vor allem: Die Wirkstärke einer Sorte hängt nicht allein vom THC-Wert ab. Cannabis ist chemisch vielschichtiger, als wir denken. Ein Laborwert allein sagt nicht alles.

Was THCP nicht ist – und warum Vorsicht geboten bleibt

Trotz allem Interesse ist wichtig, nüchtern zu bleiben. Die Studie zeigt nicht:

  • wie THCP beim Menschen wirkt,
  • ob es sicher ist,
  • ob es Risiken birgt,
  • oder ob es therapeutische Vorteile hat.

Sie ist ein Anfang, kein Befund mit unmittelbarer Relevanz für Konsum oder Medizin.

Derzeit gibt es keine klinischen Studien, keine Daten zu Nebenwirkungen, keine Forschung zur Kombination mit anderen Cannabinoiden. Wir wissen, dass THCP existiert, wie es aufgebaut ist und wie es in bestimmten Testsystemen wirkt. Viel mehr aber noch nicht.

Die eigentliche Bedeutung der Entdeckung

Die wichtigste Erkenntnis der Studie liegt vielleicht gar nicht im Molekül selbst, sondern in dem, was es über die Pflanze verrät. Cannabis ist deutlich komplexer, als es die Debatte um THC und CBD vermuten lässt. Wir kennen heute rund 150 Cannabinoide, aber nur eine Handvoll davon gut.

THCP zeigt: Das Puzzle ist nicht vollständig. Vielleicht verstecken sich in der Pflanze noch weitere seltene Moleküle, die eine wichtige Rolle spielen. Vielleicht erklären sie Unterschiede in Wirkung, Toleranz und Nutzen. Vielleicht verändern sie das Bild, das wir von Cannabis haben.

Und vielleicht zeigt diese Entdeckung vor allem, wie wichtig es ist, die Pflanze nicht nur politisch oder therapeutisch zu betrachten, sondern wissenschaftlich. THCP ist kein Hype. THCP ist ein Hinweis darauf, dass die Cannabispflanze uns noch überraschen kann.


FAQ

Ist THCP synthetisch?

THCP ist vor allem ein natürlich vorkommendes Cannabinoid, das erstmals 2019 in einer medizinischen Cannabissorte entdeckt wurde. Die Pflanze kann es selbst bilden, wenn auch nur in winzigen Mengen.

Die THCP-Produkte, die später im Handel auftauchten, enthielten jedoch nahezu immer synthetisch bzw. halbsynthetisch hergestelltes THCP. Der Grund: Die natürlichen Mengen sind so gering, dass eine direkte Extraktion aus der Pflanze nicht wirtschaftlich wäre.

Ist in jeder Cannabissorte THCP?

Das ist derzeit noch unklar. THCP wurde bisher nicht in jeder Cannabissorte nachgewiesen. Die Studie von 2019 fand THCP nur in einer medizinischen Sorte („FM2“ aus Italien). Ob es in allen, vielen oder nur in sehr wenigen Sorten vorkommt, ist bislang völlig unklar. Vor allem, weil die meisten Labore gar nicht danach suchen.

THC-P vs. THCP – wo liegt hier der Unterschied?

Es gibt keinen inhaltlichen Unterschied zwischen THC-P und THCP. Beides meint dasselbe Molekül: Δ9-Tetrahydrocannabiphorol.

  • „THCP“ ist die offizielle, wissenschaftlich korrekte Abkürzung, wie sie in der Studie von 2019 verwendet wird.
  • „THC-P“ ist lediglich eine vereinfachte Schreibweise, die vor allem in Shops, Foren oder Marketingtexten auftaucht. Wahrscheinlich, weil sie leichter zu lesen ist und an „THC“ erinnert.

Chemisch, strukturell und pharmakologisch handelt es sich um denselben Stoff.

Der einzige echte Unterschied liegt also in der Schreibweise, nicht in der Substanz.

Was ist stärker, HHC, THCP oder THCV?

THCP gilt nach aktueller Forschung als das potenteste dieser drei Cannabinoide.

HHC wirkt schwächer als THC.

THCV wirkt bei niedrigen Dosen eher dämpfend (CB1-Antagonist) und ist nicht mit THC vergleichbar.

Ist THCP gefährlich?

Ob THCP gefährlich ist, lässt sich bisher nicht zuverlässig sagen, weil es keine Studien am Menschen gibt. Was bekannt ist: THCP wirkt in Tiermodellen deutlich stärker als THC, was theoretisch auch stärkere oder unerwartete Effekte bedeuten kann. Gleichzeitig fehlen Daten zu Nebenwirkungen, Wechselwirkungen, Langzeitfolgen oder Risiken bei regelmäßigem Konsum. Aus wissenschaftlicher Sicht gilt daher: THCP ist potent, aber unzureichend erforscht und genau daraus ergibt sich das größte Risiko.

Kann ich Cannabisprodukte mit THCP kaufen?

Seit dem 27. Juni 2024 sind THCP und mehrere andere neuartige Cannabinoide – darunter HHC, seine Derivate, Delta-8-THC, Delta-10-THC, THC-O und THCV – in Deutschland offiziell verboten, zumindest was Herstellung, Verkauf und Handel betrifft. Grundlage ist eine Änderung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (NpSG), das diese Stoffgruppen seitdem vollständig erfasst.

Besitz und Konsum gelten dagegen weiterhin als nicht strafrechtlich verfolgt, weil die Regelung sich ausdrücklich auf den Marktverkehr bezieht und nicht auf die private Nutzung. THCP-Produkte können aber sichergestellt und vernichtet werden. Zivil- und verwaltungsrechtliche Folgen bzw. polizeiliche Maßnahmen sind möglich.

Praktisch heißt das: Kaufen oder verkaufen ist illegal, der bloße Besitz jedoch nicht – auch wenn es aufgrund des Verkaufsverbots keine legalen Quellen für THCP-Produkte gibt.

Ist THCP bei einem Drogentest nachweisbar?

Ja. Die Nachweisbarkeit von THCP in Drogentests gilt als sehr wahrscheinlich, weil gängige Urin- und Schnelltests nicht zwischen einzelnen Cannabinoiden unterscheiden. Sie reagieren auf allgemeine THC-Metabolite – und THCP wird voraussichtlich ähnliche Abbauprodukte bilden. In der Praxis würde THCP deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit als THC-positiv erscheinen. Spezifische Tests, die THCP gesondert erfassen, kommen derzeit nicht zum Einsatz.


Quellen

[1] Citti, C., Linciano, P., Russo, F., Luongo, L., Iannotta, M., Maione, S., Laganà, A., Capriotti, A. L., Forni, F., Vandelli, M. A., Gigli, G., & Cannazza, G. (2019). A novel phytocannabinoid isolated from Cannabis sativa L. with an in vivo cannabimimetic activity higher than Δ⁹-tetrahydrocannabinol: Δ⁹-tetrahydrocannabiphorol. Scientific Reports, 9(1), 20335.

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