Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen überhaupt. Viele Betroffene kämpfen jahrelang damit. Schmerzmittel wie Ibuprofen oder stärkere Opioide helfen manchmal nur begrenzt und bringen teils erhebliche Nebenwirkungen mit sich. Neue Studien aus dem Herbst 2025 nähren nun die Hoffnung, dass medizinisches Cannabis eine Alternative sein könnte. Sie zeigen: Die Wirkung ist da, aber nicht für alle gleich, und sie hat Bedingungen.
Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen überhaupt. Viele Beschwerden verschwinden nach einigen Tagen oder Wochen von selbst wieder – etwa nach einseitiger Belastung, Stress oder muskulären Verspannungen. Von chronischen Rückenschmerzen spricht man jedoch erst, wenn die Beschwerden länger als drei Monate anhalten oder immer wiederkehren. Dann verlieren sie oft ihren akuten Charakter und werden zu einer eigenen Erkrankung mit körperlichen, psychischen und sozialen Folgen.
In Deutschland sind nach Schätzungen des Robert Koch-Instituts rund 16 Prozent der Erwachsenen betroffen. Das entspricht mehr als 12 Millionen Menschen. Frauen berichten etwas häufiger von chronischen Rückenschmerzen als Männer.[1]
Chronische Rückenschmerzen haben selten nur eine einzige Ursache. Häufig wirken mehrere Faktoren zusammen: Abnutzung an den Bandscheiben, muskuläre Verspannungen, Fehlhaltungen am Arbeitsplatz, Bewegungsmangel, Übergewicht, dauerhafte Belastung oder Stress. Auch die Psyche kann eine Rolle spielen: Wer sich wegen der Schmerzen weniger bewegt oder Angst vor weiteren Schmerzattacken hat, gerät leicht in einen Kreislauf aus Schonhaltung, Muskelabbau und verstärkten Beschwerden.
Die Schmerzbehandlung gilt daher als vielseitig. Neben Bewegung und Physiotherapie kommen je nach Ursache auch Entspannungsverfahren, psychologische Unterstützung und Medikamente zum Einsatz. Genau hier setzen aktuellen Studien an: Sie prüfen, ob Cannabinoide, wie THC und CBD eine sinnvolle Ergänzung in der Behandlung von chronischen Rückenschmerzen sein können, besonders dann, wenn herkömmliche Schmerzmittel nur eine begrenzte Wirksamkeit zeigen oder starke Nebenwirkungen haben.
Ob Cannabis wirklich gegen Rückenschmerzen hilft, wird seit Jahren erforscht – und oft kontrovers diskutiert. Die bisherigen Ergebnisse waren gemischt, doch zwei aktuelle Studien, veröffentlicht im September 2025, zeichnen nun ein klareres Bild. Sie zeigen: Cannabis könnte chronische Rückenschmerzen lindern, vor allem dann, wenn andere Medikamente kaum wirken oder schlecht vertragen werden.
Die Studien-Teilnehmenden berichteten über weniger Schmerzen, besseren Schlaf und geringeren Bedarf an Opioiden. Ganz ohne Einschränkungen sind die Befunde jedoch nicht: Die Wirkung ist individuell verschieden, und Cannabis ersetzt keine ganzheitliche Behandlung, sondern kann sie ergänzen.
Ein Blick auf die zwei neuen Studien zeigt, wo die Forschung aktuell steht:
Eine der beiden Studien ist ungewöhnlich: Forschende begleiteten 168 Patient:innen mit chronischen Rückenschmerzen über zehn Jahre – so lange wurde Cannabis bei Rückenschmerz bislang kaum untersucht. Die Teilnehmenden litten im Durchschnitt seit mehr als einem Jahr an starken Schmerzen, viele hatten Operationen hinter sich und nahmen Opioide.[2]
Cannabis-Nebenwirkungen wie Schwindel traten vor allem zu Beginn auf; nur wenige brachen die Behandlung deshalb ab.
Ein wichtiger Vorbehalt: Die Studie hatte keine Vergleichsgruppe ohne Cannabis. Man kann also nicht sicher sagen, wie groß der Anteil des tatsächlichen Wirkstoffeffekts ist und wie viel durch andere Faktoren erklärt werden könnte.[2]
Bertan Türemis, Senior Medical Science Liaison Manager bei der Sanity Group, ordnet die Bedeutung der Studie wie folgt ein:
“Chronische Rückenschmerzen sind ein großes Problem. Viele Menschen nehmen dafür starke Schmerzmittel. Diese israelische Studie ist zwar keine randomisierte Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie, sondern nur eine Observationsstudie, aber für mich ist sie besonders, weil es solche Langzeitdaten über 10 Jahre hinweg kaum gibt. Sie zeigt, dass Cannabis Rückenschmerzen und den Einsatz von Opioiden reduzieren kann.”
In einer großen, placebokontrollierten Studie testeten Forschende einen standardisierten Cannabis-Extrakt (VER-01) an 820 Personen. Alle litten an chronischen unteren Rückenschmerzen.[3]
Über zwölf Wochen hinweg sank der Schmerz bei den Cannabis-Behandelten stärker als in der Placebogruppe. Rund jede:r Zweite erreichte eine deutliche Verbesserung, also mindestens 30 Prozent weniger Schmerzen. Auch Schlaf und Beweglichkeit verbesserten sich häufiger als mit dem Placebo. Besonders profitierten Menschen, deren Rückenschmerz eine Nervenkomponente hatte – also wenn der Schmerz ausstrahlt, brennt oder sticht.
Die Kehrseite: Schwindel, Müdigkeit und Übelkeit kamen häufiger vor, vor allem zu Beginn der Behandlung. Schwerwiegende Nebenwirkungen waren jedoch selten. Hinweise auf Abhängigkeit oder Entzugserscheinungen fanden sich keine.[3]
Beide Studien machen deutlich: Cannabis kann gegen chronische Rückenschmerzen helfen – aber nicht jedem und nicht immer gleich viel. Einige profitieren deutlich, andere spüren nur einen mäßigen Effekt.
Bertan Türemis betont:
"Wichtig zu verstehen ist: Cannabis ersetzt keine Bewegung oder andere Therapien und sollte erst in Betracht gezogen werden, wenn alle Standardverfahren ausgeschöpft sind. Doch für Menschen, die trotz verschiedener Therapieansätze unter chronischen Schmerzen leiden oder Opioide meiden möchten, kann es eine Option sein."
Doch warum kann Cannabis überhaupt Schmerzen lindern – und worin unterscheidet es sich von klassischen Schmerzmitteln wie Opioiden? Die 10-Jahres-Langzeitstudie ordnet die Wirkung in einen biologischen Zusammenhang ein: das Endocannabinoid-System (ECS). Es handelt sich um ein körpereigenes Regulationssystem, das an der Steuerung von Schmerz, Stimmung, Schlaf, Entzündung und Stressreaktionen beteiligt ist.[2]
Zum ECS gehören Botenstoffe, die unser Körper selbst herstellt, sowie zwei zentrale Rezeptorarten:
Die Cannabispflanze enthält Wirkstoffe – allen voran THC und CBD –, die an diese Rezeptoren andocken können. THC wirkt vor allem über CB1 und kann so die Schmerzintensität reduzieren und die Weiterleitung von Schmerzsignalen im Nervensystem bremsen. CBD wird eine eher entzündungshemmende und ausgleichende Wirkung zugeschrieben, die CB2-aktiv ist, auch wenn CBD in der 10-Jahres-Studie keine zentrale Rolle spielte (dort wurde ein THC-dominantes Präparat eingesetzt).
Der entscheidende Unterschied zu Opioiden: Während Opioide an eigene Opioid-Rezeptoren binden und starke Nebenwirkungen wie Abhängigkeit, Atemdepression oder Verstopfung auslösen können, nutzt Cannabis ein anderes körpereigenes System. Das erklärt, warum manche Schmerz-Patient:innen Cannabis als verträglicher empfinden. Allerdings bedeutet das nicht, dass Cannabis ohne Risiko wäre – auch hier sind Nebenwirkungen möglich, etwa Benommenheit oder Schwindel.
Laut aktuellen Forschungsergebnissen ist das ECS daher ein Schlüsselfaktor, um zu verstehen, weshalb Cannabis bei chronischen Schmerzen helfen kann, die auf herkömmliche Mittel oft nur unzureichend ansprechen.[2]

Die aktuellen Studien lassen erkennen, dass es nicht „das eine“ helfende Cannabis gibt, sondern verschiedene Formen, die sich in Wirkung, Dosierung und Verträglichkeit unterscheiden. Für Patient:innen mit chronischen Rückenschmerzen kann das eine wichtige Rolle spielen.
Der Vorteil von medizinischen Cannabis-Präparaten – etwa standardisierte Öle oder Extrakte wie VER-01: genaue Dosierung, gleichbleibende Zusammensetzung und bessere Steuerbarkeit. Besonders für Menschen, die mehrere Wirkstoffe einnehmen, könnte die Standardisierung ein Plus sein.
Cannabis-Blüten wurden in der 10-Jahres-Langzeitstudie verwendet, meist inhaliert oder als Edibles. Hier zeigte sich eine deutliche und anhaltende Schmerzlinderung sowie eine starke Reduktion des Opioidverbrauchs. Allerdings lässt sich die Dosierung schwerer kontrollieren. Wirkung und Verträglichkeit können stärker schwanken und nicht jede Person verträgt inhalierte Produkte gut.[2]
Zusammengefasst deuten aktuelle Studien auf Folgendes hin:
Welche Form geeignet ist, hängt vom individuellen Gesundheitszustand, Vorerfahrungen und der ärztlichen Einschätzung ab.
Die Erkenntnisse zu Cannabis bei Rückenbeschwerden sind ermutigend, aber sie lassen Fragen offen. Die große Wirkung der Zehnjahresstudie müsste in kontrollierten Studien bestätigt werden. Und noch ist unklar, welche Formen von Cannabis, welche Dosierungen und welche Patientengruppen am meisten profitieren.
Fest steht: Immer mehr Forschende versuchen, Licht in ein Feld zu bringen, das lange von Einzelberichten und Hoffnungen geprägt war. Die beiden neuen Studien sind ein wichtiger Schritt – hin zu einem nüchternen, evidenzbasierten Blick auf Cannabis als Schmerzmittel.
[1] Robert Koch-Institut. (2021). Prävalenz von Rücken- und Nackenschmerzen in Deutschland: Ergebnisse der Krankheitslast-Studie BURDEN 2020 (Journal of Health Monitoring, S3/2021).
[2] Robinson, D., Khatib, M., Eissa, M., & Yassin, M. (2025). Long-term cannabis therapy for chronic low back pain: A 10-year prospective study. Integrative Medicine Reports, 4(1).
[3] Karst, M., Meissner, W., Sator, S. et al. Full-spectrum extract from Cannabis sativa DKJ127 for chronic low back pain: a phase 3 randomized placebo-controlled trial. Nat Med (2025).
[4] Bakewell, B. K., Sherman, M., Binsfeld, K., Ilyas, A. M., Stache, S. A., Sharma, S., Stolzenberg, D., & Greis, A. (2022). The use of cannabidiol in patients with low back pain caused by lumbar spinal stenosis: An observational study. Cureus, 14(9), e29196.