avaay Medical
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Oktober 02
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4 min

Cannabis gegen Übelkeit und Erbrechen

Übelkeit und Erbrechen gehören zu den belastendsten Begleitern vieler Erkrankungen. Dort, wo herkömmliche Therapien oft nicht ausreichen, wird Cannabis zunehmend als zusätzliche Option erforscht.


Key Facts

  • Kann Cannabis gegen Übelkeit helfen? Studien deuten darauf hin, dass medizinisches Cannabis Übelkeit und Erbrechen lindern kann, insbesondere bei Patient:innen unter Chemotherapie. THC wirkt nach aktuellem Wissensstand über CB1-Rezeptoren im Hirnstamm, CBD über Serotonin-Rezeptoren – beide greifen potenziell in zentrale Mechanismen von Übelkeit ein.
  • Studienlage mit Einschränkungen: Seit den 1970er-Jahren wird Cannabis gegen Übelkeit untersucht. Ältere Studien und eine Übersichtsarbeit von 2020 legen nahe, dass Cannabinoide wirksam sein können, allerdings ist die Datenlage oft klein und methodisch begrenzt.
  • Eine aktuelle klinische Studie zeigt: Durch Cannabisextrakt mussten weniger Patient:innen erbrechen. Das spricht dafür, dass Cannabis als Ergänzung hilfreich sein könnte, wenn Standardmedikamente nicht ausreichend wirken.
  • Risiken und Nebenwirkungen von Cannabis: Es kann Schwindel, Müdigkeit oder Angstzustände auslösen. Bei langjährigem, hochdosiertem Cannabis-Konsum besteht zudem das Risiko des Cannabinoid-Hyperemesis-Syndroms, das starke Brechattacken verursachen kann.

Wenn Übelkeit einen zermürbt

Übelkeit – manchmal überfällt sie einen so plötzlich und gnadenlos wie ein stechender Schmerz oder ein Fieberanfall. Doch meist ist sie ein zähes, schmerzhaftes Gefühl, das sich über Stunden, Tage oder gar Jahre hinweg zieht und die Betroffenen unaufhörlich zermürbt.

Für viele Krebspatient:innen, die sich im Rahmen ihrer Erkrankung einer Chemotherapie unterziehen, ist nicht das Erbrechen das größte Leid, sondern die Übelkeit, die Tage anhält, den Appetit zerstört und selbst die kleinsten Dinge unerträglich macht. Moderne Medikamente haben das akute Erbrechen zwar weitgehend in den Griff bekommen – die Übelkeit selbst bleibt aber bei vielen bestehen. Genau hier könnte Cannabis helfen.

CBD und THC gegen Übelkeit und die Rolle des Endocannabinoid-Systems

Das Endocannabinoid-System ist ein körpereigenes Netzwerk von Botenstoffen und Rezeptoren, das Appetit, Schmerz, Entzündungen – und auch die Regulation von Übelkeit und Erbrechen beeinflusst. Cannabinoide wie THC und CBD docken an diesem System an.

Eine Studie aus 2011 zeigt, dass THC über CB1-Rezeptoren im Hirnstamm Erbrechen hemmen kann. Umgekehrt können Substanzen, die CB1-Rezeptoren blockieren, Übelkeit und Erbrechen fördern.[1] Besonders bemerkenswert: Cannabinoide können nicht nur gegen akutes Erbrechen wirken, sondern auch gegen verzögerte und antizipatorische Übelkeit, also das quälende Gefühl, das zum Beispiel Tage nach der Chemotherapie auftritt oder schon durch Gerüche ausgelöst wird.[1]

CBD hingegen wirkt über einen anderen Mechanismus. Es kann indirekt Serotonin-1A-Rezeptoren aktivieren, was die Freisetzung von Serotonin im Gehirn reduziert – einem Botenstoff, der wesentlich zur Entstehung von Übelkeit beiträgt.[1]

Infografik Cannabis gegen Übelkeit: Darstellung, wie THC über CB1-Rezeptoren Erbrechen hemmen kann und CBD über Serotonin-1A-Rezeptoren die Serotonin-Freisetzung reduziert und dadurch Übelkeit lindern kann.

Was Tierversuche über Übelkeit verraten

Tiermodelle haben den Weg bereitet. Bei Frettchen, Katzen oder Wieseln unterdrücken Cannabinoide Erbrechen zuverlässig.[1] Ratten können physiologisch nicht erbrechen, zeigen aber ein charakteristisches Würgereflex-Verhalten („gaping“), wenn ihnen übel ist. Auch dieses kann durch THC und CBD reduziert werden.[1]

Das bedeutet: Cannabinoide können nicht nur auf das sichtbare Symptom des Erbrechens wirken, sondern auch auf die schwerer greifbare, oft belastende Übelkeit selbst.

Was frühe Studien mit Patienten ergaben

Die klinische Forschung zur Anwendung von Cannabis gegen Chemotherapie-induzierte Übelkeit reicht bis in die 1970er-Jahre zurück. Präparate wie Dronabinol (synthetisches THC) und Nabilon wurden eingeführt, lange bevor modernere Medikamente auf den Markt kamen. Studien zeigen, dass diese Cannabinoide mindestens so wirksam waren wie damalige Standardtherapien, allerdings oft mit Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel oder psychischen Belastungen.[1]

Eine Übersichtsarbeit von 2020 bestätigt, dass Cannabinoide eine Rolle in der Behandlung spielen können – insbesondere dann, wenn andere Medikamente keine oder kaum Wirkung zeigen. Sie betont aber auch die Grenzen der Datenlage: Viele Studien sind klein, uneinheitlich und methodisch schwach.[2] Unklar bleibt bis heute, welche Darreichungsform – Kapseln, Tropfen, Inhalation – am besten wirkt.

Cannabinoide gegen Übelkeit: Neue Ergebnisse aus 2024

Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2024 liefert neue klinische Daten. Darin erhielten 147 Krebspatient:innen, die trotz optimaler Standardtherapie weiterhin unter Übelkeit und Erbrechen litten, entweder ein Cannabisextrakt (2,5 mg THC + 2,5 mg CBD, dreimal täglich) oder ein Placebo.

Das Ergebnis: Die Rate einer „kompletten Response“ (kein Erbrechen, keine Notfallmedikamente nötig) stieg von 8 % (Placebo) auf 24 % (THC:CBD) – ein Unterschied von 16 Prozentpunkten.[3] Auch andere Messungen – weniger Erbrechen, geringerer Bedarf an Zusatzmedikamenten, bessere Werte in Lebensqualitätsfragebögen – fielen zugunsten des Cannabisextrakts aus.[3]

Die Negativseite: Sedierung (18 %), Schwindel (10 %) und kurzfristige Angstzustände (4 %) traten häufiger auf als unter Placebo. Schwerwiegende Nebenwirkungen wurden jedoch nicht beobachtet.[3]

Infografik Cannabis gegen Übelkeit: Vorteile sind mögliche Wirksamkeit, wenn andere Medikamente versagen, und eine alternative Behandlung. Nachteile sind begrenzte Daten, kleine Studien und unklare Darreichungsformen.

Risiken: Nebenwirkungen und Cannabis-Hyperemesis-Syndrom

Cannabis ist kein nebenwirkungsfreies Mittel. Eine besondere Gefahr ist das Cannabis-Hyperemesis-Syndrom (CHS), ein paradoxes Phänomen, bei dem langjähriger, hochdosierter Konsum selbst zu schweren, anhaltenden Brechattacken führt.[2] Typisch ist ein zwanghaftes heißes Duschen, das die Beschwerden lindern soll.

Auch psychische Nebenwirkungen sind möglich – von Schwindel und Benommenheit bis hin zu Angstzuständen. Besonders kritisch ist der Einsatz in der Schwangerschaft, da Hinweise auf Risiken für das ungeborene Kind bestehen.[2]

Chancen und Grenzen im Überblick

Cannabis ist weder Wundermittel noch Randnotiz. Es ist ein hochwirksamer Eingriff in die Biochemie des Körpers, der dort helfen kann, wo die moderne Pharmakologie bislang scheitert: bei Übelkeit und Brechreiz, die durch andere Medikamente nicht in den Griff zu bekommen sind. Zugleich bringt es eigene Risiken und Unsicherheiten mit sich.

Für die Praxis bedeutet das: Cannabisextrakte wie die Kombination aus THC und CBD können als Ergänzung in Erwägung gezogen werden – vor allem bei Patient:innen, die trotz der Behandlung mit Medikamenten weiter leiden.[3]

Die Forschung steht an einem Scheideweg: Entweder Cannabis etabliert sich als festes Instrument im onkologischen Werkzeugkasten – oder es bleibt eine Nischenoption für Ausnahmesituationen. Entscheidend wird sein, ob weitere Studien den Nutzen bestätigen, die optimale Dosierung klären und die Risiken verlässlich eingrenzen können.


FAQ

Dazu gibt es bislang keine Belege aus Studien. Die Forschung zu Cannabis gegen Übelkeit konzentriert sich fast ausschließlich auf Chemotherapie-bedingte Beschwerden. Zwar kann Cannabis grundsätzlich auf das Brechzentrum im Gehirn wirken und könnte theoretisch auch bei Übelkeit durch Infekte lindern – doch untersucht wurde das bisher nicht. Wichtig zu wissen: Cannabis bekämpft die Ursache eines Magen-Darm-Infekts nicht, sondern könnte allenfalls die Symptome abschwächen.
Dazu gibt es keine allgemeingültige Dosierung. In Studien zu Chemotherapie-bedingter Übelkeit kamen meist sehr niedrige Dosen zum Einsatz. Die aktuellste Untersuchung (2024) nutzte Kapseln mit 2,5 mg THC + 2,5 mg CBD, dreimal täglich – also insgesamt 7,5 mg THC pro Tag. Ältere Studien testeten auch höhere Mengen (5–15 mg THC pro Tag), die zwar wirksam waren, aber deutlich mehr Nebenwirkungen verursachten. Grundsätzlich gilt: Schon geringe Mengen könnten helfen, aber die Verträglichkeit ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Wichtig: Die richtige Dosierung sollte immer individuell festgelegt werden – bitte sprich darüber unbedingt mit deinem behandelnden Arzt oder deiner behandelnden Ärztin.
Das körpereigene Endocannabinoid-System beeinflusst auch den Darm: Wird es aktiviert, kann sich die Darmbewegung verlangsamen – theoretisch könnte das Durchfall lindern. Erste Hinweise gibt es bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, wo Cannabis in Studien Symptome wie Bauchschmerzen und Stuhlfrequenz verbessern konnte.[2] Für akute Durchfälle, etwa bei einem Magen-Darm-Infekt, gibt es jedoch keine wissenschaftlichen Belege. Cannabis bekämpft die Ursache (z. B. Viren oder Bakterien) nicht, sondern könnte höchstens Symptome beeinflussen.
Cannabis kann in niedrigen Dosen Übelkeit lindern – in höheren Mengen aber das Gegenteil bewirken. Gründe dafür sind eine Überstimulation der CB1-Rezeptoren, individuelle Empfindlichkeit oder die Art des Konsums, etwa sehr starke Sorten oder schnelles Rauchen. Auch Faktoren wie leerer Magen, Mischkonsum mit Alkohol oder Stress können Übelkeit verstärken. Bei sehr regelmäßigem Konsum kann zudem das Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom (CHS) entstehen, das mit wiederkehrender starker Übelkeit und Erbrechen verbunden ist.[1,2] Kurz gesagt: Ob Cannabis Übelkeit lindert oder auslöst, hängt von Dosis, Häufigkeit und individueller Reaktion ab.
Solche Symptome treten häufig auf, wenn die Dosis zu hoch war oder Cannabis mit Alkohol oder Nikotin kombiniert wurde. In den meisten Fällen hilft es, den Konsum sofort zu beenden, viel Wasser zu trinken, Ruhe zu suchen und sich auszuruhen. Wichtig: Wenn die Beschwerden stark sind, sich wiederholen oder mit dauerhaftem Erbrechen verbunden sind, solltest du unbedingt ärztliche Hilfe suchen.
Bei gelegentlichem oder ärztlich kontrolliertem Gebrauch sind Magenprobleme selten. Bei täglichem, langjährigem Konsum kann Cannabis jedoch selbst Beschwerden auslösen. Besonders bekannt ist das Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom (CHS): wiederkehrende starke Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen. Zudem kann Cannabis die Magenentleerung verlangsamen, was Völlegefühl oder Appetitlosigkeit begünstigt.[1,2] Kurz gesagt: Ja, regelmäßiger Konsum kann Magenprobleme hervorrufen – vor allem bei hohem und langfristigem Gebrauch.

Quellen

[1] Parker, L. A., Rock, E. M., & Limebeer, C. L. (2011). Regulation of nausea and vomiting by cannabinoids. British Journal of Pharmacology, 163(7), 1411–1422.

[2] Maselli, D. B., & Camilleri, M. (2021). Pharmacology, clinical effects, and therapeutic potential of cannabinoids for gastrointestinal and liver diseases. Clinical Gastroenterology and Hepatology, 19(9), 1748–1758.e2.

[3] Grimison, P., Mersiades, A., Kirby, A., Tognela, A., Olver, I., Morton, R. L., Haber, P., Walsh, A., Lee, Y., Abdi, E., Della-Fiorentina, S., Aghmesheh, M., Fox, P., Briscoe, K., Sanmugarajah, J., Marx, G., Kichenadasse, G., Wheeler, H., Chan, M., … Stockler, M. R. (2024). Oral cannabis extract for secondary prevention of chemotherapy-induced nausea and vomiting: Final results of a randomized, placebo-controlled, phase II/III trial. Journal of Clinical Oncology, 42(34), 4040–4050.

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