avaay Medical
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Oktober 06
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7 min

Wie gefährlich ist Cannabis-Passivrauchen?

Über den süßlich-scharfen Duft von Cannabis streiten sich die Geister. Die einen empfinden ihn als Freiheit, die anderen als Zumutung. Doch jenseits von Vorlieben und Abneigungen stellt sich eine zunehmend drängende Frage: Was passiert eigentlich mit jenen, die nur danebensitzen?


Key Facts

  • Cannabis-Passivrauchen macht nur in Extremszenarien „high“. In normalen Alltagssituationen ist die Aufnahme von THC so gering, dass keine spürbare Wirkung entsteht. Erst in kleinen, schlecht belüfteten Räumen mit massivem Cannabis-Konsum kann es zu leichten, kurzfristigen Effekten kommen.
  • Cannabisrauch ist gesundheitsschädlich. Wie Tabakrauch enthält er Feinstaub, Kohlenmonoxid und krebserregende Substanzen – ein Risiko sowohl für Konsumierende selbst als auch für Umstehende.
  • Kinder sind besonders gefährdet. Eine US-Studie zeigte: Kinder in Haushalten, in denen Cannabis geraucht wird, haben ein fünfmal höheres Risiko, THC im Urin nachweisbar zu haben. Mehr als ein Viertel der untersuchten Kinder war betroffen.
  • Auch Haustiere leiden unter Cannabisrauch. Ein dokumentierter Fall einer Katze in Polen beweist: Tiere können THC über den Rauch aufnehmen und Vergiftungssymptome entwickeln.

Ungewollter Rausch: Macht Passivrauchen von Cannabis "high"?

Es ist eine Szene, wie sie in vielen deutschen Städten seit der Teillegalisierung von Cannabis im Frühjahr 2024 alltäglich geworden ist: ein Park, eine Gruppe junger Menschen, Musik aus einer Bluetooth-Box, der "Joint" kreist. Einige ziehen daran, andere nicht. Doch was, wenn auch die Letzteren – unbeteiligt, aber umgeben vom Dunst – am Ende ebenfalls Wirkstoffe im Blut haben?

Die Frage nach dem Passivkonsum von Cannabis ist nicht neu, doch sie gewinnt unter neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen an Brisanz. Während Tabakrauch seit Jahren aus Innenräumen und öffentlichen Plätzen verbannt wird, ist Cannabiskonsum im Freien unter bestimmten Auflagen nun legal. Und damit steht im Raum: Gilt für THC das Gleiche wie für Nikotin? Oder ist das Passivrauchen von Cannabis bloß ein aufgebauschtes Risiko?

Infografik Cannabis Passivrauchen: Risiko eines

"Passivkiffen": Cannabis-Experte stuft Risiko für Rausch als gering ein

Wie wahrscheinlich ist es, durch das Einatmen von Cannabisrauch ungewollt berauscht zu werden? Der Cannabis-Experte Prof. Dr. Bernd Werse, Direktor des Instituts für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences, hält dieses Risiko für eher gering – zumindest unter üblichen Bedingungen.

Entscheidend sei, so Werse im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, wie viel Cannabis in der Umgebung tatsächlich konsumiert werde. Ein einzelner "Joint" in einer Kneipe dürfte demnach kaum spürbare Effekte auf Umstehende haben. Anders sehe es aus, wenn man sich längere Zeit in einem kleinen, geschlossenen Raum aufhalte, in dem viele "Joints" gleichzeitig kursieren. Dann könne auch bei Umstehenden eine gewisse Rauschwirkung eintreten.

Insgesamt aber bewertet der Experte die Gefahr als wenig gravierend. Im Freien bestehe sie seiner Einschätzung nach „quasi überhaupt nicht“.[1]

Bereits 2010 hatte ein Experiment der Universitäten Mainz und Jena ähnliche Schlüsse nahegelegt: Acht nicht konsumierende Proband:innen hielten sich mehrere Stunden in einem niederländischen Coffeeshop auf – ohne dass ihre THC-Werte im Blut nennenswert anstiegen.[2]

Einzelbeobachtungen wie diese liefern wertvolle Hinweise. Doch wie belastbar ist die Datenlage insgesamt? Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit passives Mitrauchen tatsächlich zu einer messbaren Aufnahme von THC führt – und wie groß ist dieses Risiko in der Praxis?

Kann man passiv „high“ werden? Das sagt die Wissenschaft.

Die Vorstellung, allein durch das Einatmen von Cannabisrauch in einen Rauschzustand zu geraten, klingt für viele wie ein Party-Mythos. Doch die wissenschaftliche Evidenz zeigt: Ganz auszuschließen ist es nicht.

Eine systematische Übersichtsarbeit aus 2016 wertete 21 kontrollierte Studien aus, in denen abstinente Personen gezielt Cannabisrauch ausgesetzt wurden. Das Ergebnis bestätigt im Kern die Einschätzungen von Drogenforscher Bernd Werse: Unter normalen Alltagsbedingungen ist eine Rauschwirkung äußerst unwahrscheinlich. Erst unter extremen Expositionsszenarien – etwa in kleinen, geschlossenen und schlecht belüfteten Räumen mit starkem, simultanem Konsum hochpotenter Cannabis-Produkte – kann THC in nachweisbaren Mengen aufgenommen werden.

In solchen Situationen beobachteten die Forschenden teils leichte physiologische Veränderungen (z. B. erhöhter Puls), subjektive Empfindungen wie ein leichtes Benommenheitsgefühl sowie geringe Einschränkungen der Reaktionsgeschwindigkeit oder Aufmerksamkeit. Man könnte sagen: Ja, eine milde, kurzfristige Rauschwirkung ist möglich – aber nur unter Bedingungen, die weit von der Alltagssituation im Park entfernt sind.[3]

 Infografik Cannabis Passivrauchen: Studien zeigen nachweisbare THC-Aufnahme und leichte physiologische Veränderungen in Extremszenarien, aber im Alltag minimales Risiko ohne signifikante Auswirkungen.

Cannabis-Rauch in Alltagssituationen: THC kaum nachweisbar

Die Frage ist also weniger, ob es möglich ist, passiv „high“ zu werden – sondern unter welchen Umständen dieses Risiko tatsächlich realistisch ist. Und genau hier liefern die Studien eine beruhigende Antwort.

In Alltagssituationen – etwa wenn man in einem gut durchlüfteten Raum sitzt, in dem jemand "kifft", oder im Freien an einem "Joint" vorbeigeht – ist das Risiko laut Studienlage äußerst gering bis ausgeschlossen. Die THC-Konzentration in der Raumluft sinkt durch Luftzirkulation sehr schnell ab und der Körper nimmt nur Bruchteile jener Wirkstoffmenge auf, die für eine spürbare Cannabis-Wirkung notwendig wäre. Auch die Dauer der Exposition spielt eine Rolle: Kurzer Kontakt reicht nicht aus, um einen „High“-Zustand auszulösen.

Moderne Messmethoden zeigen zudem: Die Mengen an THC, die bei passiv Mitrauchenden im Blut oder Urin nachweisbar sind, liegen in aller Regel weit unter den Werten, die auf eigenen Konsum hindeuten würden.[3]

Passivrauchen von Cannabis: Vorsicht beim Autofahren

Interessant ist: Selbst bei passiver Aufnahme könnte es zu juristischen Komplikationen kommen – etwa bei Drogentests im Straßenverkehr, im Arbeitsumfeld oder im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU). Die Studie zeigte: Wer sich längere Zeit in stark verrauchten Räumen aufhält, kann im Urin tatsächlich Abbauprodukte von THC aufweisen. Meist sind die Werte zwar so niedrig, dass sie unterhalb der offiziellen Grenzwerte bleiben – doch bei besonders starkem Rauch und fehlender Belüftung kann es in seltenen Fällen vorkommen, dass der Schwellenwert überschritten wird. [3]

Cannabis-Passivrauchen schadet der Gesundheit – vor allem von Kindern

Während Erwachsene die Frage nach dem Passivrausch meist mit einem Schulterzucken beantworten, ist sie für Kinder von weit größerer Tragweite. Denn ihr Körper ist empfindlicher, ihre Organe entwickeln sich noch, und sie verbringen den Großteil ihrer Zeit in Innenräumen. Was bedeutet es also, wenn zu Hause Cannabis in Form von "Joints" konsumiert wird?

Eine Studie aus Kalifornien liefert erstmals klare Hinweise. Forschende untersuchten 275 Kinder, im Schnitt gerade einmal dreieinhalb Jahre alt. Sie nahmen Urinproben und verglichen die Ergebnisse mit den Angaben der Eltern. Das Resultat ist eindeutig: In Haushalten, in denen Cannabis in den vergangenen sieben Tagen in den eigenen vier Wänden geraucht wurde, war die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder THC-Rückstände im Körper hatten, fünfmal so hoch wie in rauchfreien Wohnungen.

Mehr als ein Viertel aller untersuchten Kinder wies messbare Cannabinoide im Urin auf – auch wenn die Mengen gering waren. Mit jedem zusätzlichen Rauchen im Haushalt stieg die Wahrscheinlichkeit einer Belastung. Das bedeutet: Kinder atmen den Rauch nicht nur ein, sie nehmen ihn körperlich auf.

Die gesundheitlichen Folgen sind noch nicht abschließend erforscht. Doch die Parallelen zum Tabak sind unübersehbar. Cannabisrauch enthält wie Zigarettenrauch feine Partikel, Kohlenmonoxid und krebserregende Stoffe. Für kleine Kinder, deren Atemwege enger und deren Immunsystem unausgereifter sind, kann das besondere Risiken bergen – von Atemwegserkrankungen bis zu einer möglichen Beeinträchtigung der Entwicklung.

Die Konsequenz, die die Autor:innen der Studie ziehen, ist ebenso einfach wie unbequem: Der wirksamste Schutz für Kinder ist ein striktes Rauchverbot in Innenräumen – unabhängig davon, ob Tabak oder Cannabis konsumiert wird.[4]

Passivrauchen: Cannabis kann auch für Haustiere zum Problem werden

Nicht nur Kinder sind ungewollt dem Rauch ausgesetzt – auch Haustiere können in Gefahr geraten, wenn in der Wohnung Cannabis geraucht wird. Anders als Erwachsene können sie sich dem Qualm nicht entziehen. Hunde und Katzen verbringen den Großteil ihrer Zeit in Innenräumen, viele dicht an ihren Besitzer:innen. Ihr kleiner Körper, ihre schnelle Atmung und ihr instinktives Putzen machen sie besonders anfällig: Was sich im Fell niederschlägt, gelangt beim Säubern direkt ins Maul.

Ein Fall aus Polen verdeutlicht, wie ernst die Folgen sein können. Dort wurde eine sechs Jahre alte Perserkatze mit ungewöhnlichen Symptomen in eine Tierklinik gebracht: Sie wirkte desorientiert, zeigte plötzliche Aggressionsschübe, miaute ununterbrochen und schwankte zwischen Hyperaktivität und apathischem Starren. Erst ein Bluttest brachte Klarheit – im Körper der Katze fanden sich deutliche Mengen von THC und seinen Abbauprodukten. Der Auslöser: Cannabisrauch, den ein Angehöriger der Besitzerin dem Tier aus „Spaß“ ins Gesicht geblasen hatte.

Die Diagnose lautete: Cannabis-Intoxikation durch Passivrauchen. Nach einer Infusionstherapie erholte sich die Katze zwar, doch der Fall macht deutlich, dass auch Tiere Symptome entwickeln können, die einer Vergiftung gleichen: neurologische Störungen, aggressives Verhalten, Fress- und Trinkprobleme. Tiermediziner:innen warnen, dass solche Fälle wahrscheinlich unterschätzt werden – nicht zuletzt, weil die Symptome leicht mit anderen Erkrankungen verwechselt werden können.

Die Lehre daraus ist eindeutig: Was Menschen schadet, schadet auch Tieren. Wer Cannabis konsumiert, sollte dies nicht in Gegenwart von Haustieren tun – und schon gar nicht als „Scherz“ den Rauch in Richtung des Tieres pusten.[5]

Rücksicht ist der beste Schutz

Ob Kinder oder Tiere – beide können sich dem Rauch nicht entziehen. Sie teilen die Räume mit den Erwachsenen, ohne Wahlmöglichkeit, ohne Stimme. Die Studien zeigen: Was für die einen Genuss oder Entspannung bedeutet, kann für die anderen unbemerkt zur Belastung werden.

Noch fehlen Langzeitstudien, die die Folgen von regelmäßigem Passivkonsum bei Menschen und Tieren umfassend dokumentieren. Doch die Hinweise sind klar genug, um Vorsicht walten zu lassen: THC und andere Verbrennungsprodukte gelangen auch in die Körper derer, die nicht konsumieren – und sie wirken dort.


FAQ

„Passiv stoned“ ist kein wissenschaftlicher Begriff, sondern eher eine umgangssprachliche Formulierung – vergleichbar mit „passiv rauchen“ bei Tabak. Gemeint ist damit der Zustand, dass jemand nicht selbst Cannabis raucht, sondern durch das Einatmen von fremdem Cannabisrauch angeblich ebenfalls „stoned“ oder „high“ wird.
Studien zeigen, dass Cannabisrauch gesundheitsschädliche Substanzen enthält – ähnlich wie Tabakrauch setzt er Feinstaub, Kohlenmonoxid und krebserregende Stoffe frei. Für Cannabis-Patient:innen empfehlen Ärzt:innen deshalb, nicht zu rauchen, sondern auf verdampfte Cannabisblüten (Vaporizer) oder standardisierte Cannabis-Extrakte in Tropfen- oder Kapselform zurückzugreifen.[3,4]
Ja, aber nur unter besonderen Bedingungen. Bei Erwachsenen lassen sich Spuren von THC im Urin nur in Extremszenarien nachweisen – etwa wenn in schlecht belüfteten Räumen mehrere "Joints" gleichzeitig geraucht werden. Deutlich häufiger betroffen sind Kinder: In einer US-Studie fanden Forschende bei 27 Prozent der untersuchten Kinder Cannabinoide im Urin; das Risiko war damit fünfmal höher als in rauchfreien Haushalten. Und selbst bei Haustieren wie Katzen oder Hunden konnten THC und seine Abbauprodukte im Blut nachgewiesen werden, wenn sie regelmäßig Rauch ausgesetzt waren.[3,4]
Wer selbst nicht aktiv Cannabis konsumiert, sondern nur einmalig in eine Situation gerät, in der Cannabis konsumiert wird, hat allenfalls für kurze Zeit Spuren im Körper. Nach wenigen Stunden – spätestens nach ein bis zwei Tagen – sollten diese in der Regel nicht mehr nachweisbar sein.[3] Anders kann es aussehen, wenn die Exposition über längere Zeiträume hinweg erfolgt, etwa bei Kindern, die regelmäßig zu Hause Cannabis-Rauch einatmen. Dort lassen sich Cannabinoide im Urin durchaus länger nachweisen.[4] Genaue wissenschaftliche Daten dazu, wie viele Stunden oder Tage der Nachweis im Einzelfall möglich ist, fehlen allerdings.

Quellen

[1] dpa-infocom (2024): 240402-99-534267/2

[2] Schimmel, I., Drobnik, S., Röhrich, J., Becker, J., Zörntlein, S., & Urban, R. (2010). Passive cannabis exposure under realistic circumstances: A study in a coffee shop. Blutalkohol, 47, 269–274.

[3] Berthet, A., De Cesare, M., Favrat, B., Sporkert, F., Augsburger, M., Thomas, A., & Giroud, C. (2016). A systematic review of passive exposure to cannabis. Forensic Science International, 269, 97–112.

[4] Tripathi, O., Parada, H., Sosnoff, C., et al. (2025). Exposure to secondhand cannabis smoke among children. JAMA Network Open, 8(1), e2455963.

[5] Janeczek, A., Zawadzki, M., Szpot, P., & Niedźwiedź, A. (2018). Marijuana intoxication in a cat. Acta Veterinaria Scandinavica, 60(1), 44.

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