Seit dem 1. April 2024 ist Cannabis in Deutschland legal – zumindest für Erwachsene. Mit dem neuen Cannabisgesetz hat die Bundesregierung einen Paradigmenwechsel eingeleitet: Ziel ist es nicht nur, den Konsum zu entkriminalisieren, sondern auch den Gesundheitsschutz zu verbessern, den Schwarzmarkt einzudämmen und insbesondere den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Doch wie realistisch ist das – und was sagen die ersten Beobachtungen?
Der rechtliche Rahmen ist klar: Für Minderjährige bleibt der Erwerb, Besitz und Konsum von Cannabis verboten. Erwachsene dürfen bis zu 25 Gramm in der Öffentlichkeit mitführen, bis zu 50 Gramm zu Hause lagern und drei Pflanzen für den Eigenbedarf anbauen. Seit Juli 2024 dürfen zudem sogenannte Anbauvereinigungen – nicht-kommerzielle Clubs mit bis zu 500 Mitgliedern – Cannabis gemeinschaftlich kultivieren und an ihre Mitglieder weitergeben. Für Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren gilt eine THC-Grenze von 10 % und eine Mengenbeschränkung von 30 Gramm pro Monat.
Das Gesetz flankiert diese Neuerungen mit einer Reihe von Maßnahmen, die insbesondere dem Jugendschutz dienen sollen:
Die Sorge gilt dabei nicht einfach nur dem möglichen Zugang Minderjähriger zu Cannabis, sondern auch den gesundheitlichen Risiken – besonders im Jugendalter. Das Bundesministerium für Gesundheit betont: Das menschliche Gehirn ist bis etwa zum 25. Lebensjahr in der Entwicklung. THC – der psychoaktive Hauptwirkstoff von Cannabis – kann in dieser Phase die Hirnreifung beeinflussen, kognitive Fähigkeiten einschränken und das Risiko für psychische Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Psychosen erhöhen.[1]
Deshalb richtet sich die offizielle Informationskampagne „Cannabis: Legal, aber…“ gezielt an junge Menschen im Alter von 12 bis 25 Jahren – sowie an deren Bezugspersonen: Eltern, Lehrkräfte, Ausbildende und Trainierende. Auf der Website www.infos-cannabis.de finden sich Materialien, Hinweise und Beratungsangebote, die über Risiken aufklären und Prävention stärken sollen.
Wenn Minderjährige dennoch Cannabis besitzen, erwerben oder anbauen, sieht das Gesetz keine automatische Strafverfolgung vor – sondern will durch Frühintervention helfen: Behörden informieren die Sorgeberechtigten, bei Gefährdung das Jugendamt. Ziel ist nicht Bestrafung, sondern Schutz. Beratungsangebote sollen niedrigschwellig, wirkungsvoll und wissenschaftlich fundiert sein – ein Ansatz, der sich bereits in der Tabak- und Alkoholprävention bewährt hat.
Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat ihre Präventionsarbeit ausgeweitet. Ob dieser Ansatz auch für Cannabis wirkt, wird sich zeigen – erste Daten zu Veränderungen im Konsumverhalten nach der Gesetzesänderung liegen noch nicht vor.
Ein weiteres Ziel des Gesetzes: die Eindämmung des illegalen Markts. Doch dieser existiert weiterhin.
Adele, Cannabis Expertin & Senior Scientific Affairs Managerin bei avaay Medical, erklärt:
"Junge Menschen können nach wie vor auf Cannabisprodukte unklarer Herkunft zurückgreifen – mit teils gravierenden Risiken: Schwankende THC-Gehalte, gesundheitsschädliche Verunreinigungen und fehlende Qualitätskontrollen erschweren eine sichere Einschätzung der Wirkung. Dieser Zustand ist aus gesundheitlicher Sicht höchst problematisch. Eine staatlich regulierte Abgabe, die sich ausschließlich an Erwachsene richtet, kann dabei helfen, den illegalen Markt langfristig zu verdrängen. Entscheidend ist jedoch, dass begleitend konsequente Aufklärung über Gehirnentwicklung für Personen ab 18 Jahren, Präventionsarbeit für Jugendliche und ein strikter Jugendschutz etabliert werden – um genau jene jungen Menschen zu erreichen, die aktuell besonders gefährdet sind."
Ein Jahr nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes am 1. April 2024 liegen bislang keine umfassenden wissenschaftlichen Studien vor, die die Auswirkungen der Teillegalisierung auf das Konsumverhalten von Jugendlichen in Deutschland eindeutig belegen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) berichtet, dass sich der Cannabiskonsum unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen seit 2021 wenig verändert hat. Inwieweit die regulierte Freigabe von Cannabis für Volljährige das Konsumverhalten beeinflusst, ist derzeit nicht ablesbar.[2]
Einzelne Erhebungen deuten jedoch auf eine veränderte Wahrnehmung von Cannabis hin. Eine Studie der vivida bkk und der Stiftung „Die Gesundarbeiter“ aus dem Oktober 2024 zeigt, dass mehr als ein Drittel der jungen Erwachsenen in Deutschland den Konsum von Cannabis für unproblematisch hält. Zudem berichten 29 Prozent der Befragten von einer Zunahme des Cannabiskonsums in ihrem Umfeld seit Anfang 2024.[3]
Ein Blick über die Landesgrenzen hinaus zeigt, dass Legalisierungspolitiken durchaus unterschiedliche Wirkungen entfalten – abhängig von gesellschaftlichem Kontext, regulatorischer Ausgestaltung und begleitenden Maßnahmen.
Kanada etwa hat bereits 2018 Cannabis vollständig für Erwachsene legalisiert. Die Erfahrungen dort fallen laut einer Studie aus 2024 unterschiedlich aus: Während sich die Konsumraten unter Jugendlichen insgesamt stabilisiert haben, stiegen Krankenhausaufenthalte wegen cannabisbedingter Zwischenfälle bei jungen Menschen an – insbesondere in den Jahren nach der Kommerzialisierung des Markts.[4]
Auch eine umfassende Studie aus 2021 mit über 100.000 kanadischen Schüler:innen zeigt: Der Anteil der Jugendlichen, die jemals Cannabis konsumiert haben, stieg nach der Legalisierung leicht an – regelmäßiger Konsum blieb jedoch weitgehend stabil. Die Legalisierung hat bisher nicht zu einer Reduktion des Konsums geführt. Besonders auffällig ist: Junge Männer in höheren Jahrgängen zeigen eine stärkere Zunahme, was auf geschlechtsspezifische Unterschiede hinweist. Auch regionale Unterschiede (z. B. in Alberta mit besonders hoher Shop-Dichte) deuten darauf hin, dass Verfügbarkeit und Umfeld entscheidend sind.[5]
In den USA mehren sich Hinweise darauf, dass insbesondere elterlicher Cannabiskonsum nach der Legalisierung zunimmt – ebenso wie die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder versehentlich mit THC in Kontakt kommen. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss: Es fehlt weiterhin an hochwertigen Studien, die langfristige Auswirkungen auf Erziehungsverhalten, Kindergesundheit und Familienstrukturen erfassen.
Gleichzeitig zeigen die Daten aus Nordamerika, dass eine kontrollierte Abgabe in Kombination mit gut ausgestalteter Prävention durchaus positive Effekte haben kann – etwa bei der Entlastung des Justizsystems oder der Reduktion illegaler Bezugsquellen. Besonders deutlich wird: Der Erfolg einer Legalisierung bemisst sich nicht allein an Konsumzahlen, sondern auch an der Fähigkeit einer Gesellschaft, Schutzräume für die Jugend zu gestalten, ohne die Realität zu verdrängen.[6]
Deutschland hat nun die Chance, von diesen Erfahrungen zu lernen – und aus den Fehlern wie Fortschritten anderer Länder evidenzbasierte, zielgruppengerechte Präventionsstrategien abzuleiten. Entscheidend wird sein, die Legalisierung nicht als Endpunkt zu betrachten, sondern als Ausgangspunkt für eine umfassende Drogenpolitik, die Risiken erkennt, differenziert handelt – und Jugendliche nicht aus dem Blick verliert.
Die Legalisierung von Cannabis ist kein Freibrief – sie ist ein regulierter Versuch, eine Realität in geordnete Bahnen zu lenken. Gerade weil Kinder und Jugendliche besonders vulnerabel sind, braucht es strikte Kontrollen, fundierte Aufklärung und zeitgemäße Prävention. Die Bundesregierung hat mit dem neuen Gesetz einen Rahmen geschaffen, der diesen Schutz erstmals strukturell in den Mittelpunkt stellt. Entscheidend wird sein, ob dieser Rahmen mit Leben gefüllt wird – in Schulen, in Familien, in der Öffentlichkeit.
Denn eines ist klar: Ein Gesetz allein schützt nicht. Aber es kann ermöglichen, Verantwortung neu zu denken – und Kindern wie Erwachsenen die Werkzeuge zu geben, gesunde Entscheidungen zu treffen.
[1] Bundesministerium für Gesundheit. (2025). Cannabis: Besserer Jugend- und Gesundheitsschutz. Abgerufen am 13. Mai 2025 von https://www.bundesgesundheitsministerium.de/infos-cannabis.html
[2] Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit. (2024, 26. Juni). Weltdrogentag 2024 – Neue BZgA-Daten: Cannabiskonsum Jugendlicher und junger Erwachsener seit 2021 wenig verändert.
[3] Stiftung Die Gesundarbeiter. (2024, 22. Oktober). Studie: Cannabis-Legalisierung führt zu mehr Verharmlosung bei jungen Erwachsenen.
[4] Fischer, B., Jutras-Aswad, D., & Robinson, T. (2024). How has non-medical cannabis legalization served the health and welfare of under-age (adolescent) youth in Canada? The Lancet Regional Health – Americas, 35, 100773.
[5] Zuckermann, A. M. E., Battista, K. V., Bélanger, R. E., Haddad, S., Butler, A., Costello, M. J., & Leatherdale, S. T. (2021). Trends in youth cannabis use across cannabis legalization: Data from the COMPASS prospective cohort study. Preventive Medicine Reports, 22, 101351.
[6] Wilson, S., & Rhee, S. H. (2022). Causal effects of cannabis legalization on parents, parenting, and children: A systematic review. Preventive Medicine, 156, 106956.